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Amoureuse Skandale

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I. Basch: Überrascht.
(Bild aus der sozial-sentimentalen Übergangszeit um 1890, zugleich Beispiel für den Übergang vom harmlosen Genrebild zu freierer Darstellung.)

An Skandalaffären hat es in Berlin nie gefehlt. Zuerst waren es allerlei Hofgeschichten, dann kamen Künstlerinnen-Erlebnisse – die Mara, die Unzelmann, Caroline Bauer mit dem Prinzen Don Juan usw. – Später spielten die Skandale galanter Art häufig ins Kriminelle hinüber.

Außerordentlich bezeichnend für die sonderbare Prüderie nach außen und die recht unvornehme heimliche Sinnenfreude in den Zeiten unserer Eltern und Großeltern war der unbegreifliche Prozeß, der dem sehr begabten Maler Professor Gräf gemacht wurde. Er hatte Kaulbach beim Ausmalen der großen Museumstreppe geholfen, hatte selbst mehrere prächtige Fresken in der Vorhalle des Alten Museums gemalt und war durch patriotische Bilder, deren eines in der National-Galerie hängt, allgemein bekannt geworden. Der schöne stattliche Mann war sehr beliebt in der Berliner Gesellschaft und galt neben Gustav Richter für den besten Porträtisten. Seine Freunde freuten sich, daß er sich noch in vorgerücktem Alter neuen Problemen, neuen Motiven zuwandte und darin malerische Erfrischung fand. Zu den bekanntesten seiner späteren Bilder rechnete »Das Märchen«. Eine jugendliche weibliche Schönheit, eine Nymphe, soeben dem Wasser entstiegen, die ihre Fischhaut abstreift. Ein Rabe kommt, raubt diese Fischhaut, um von seiner Verzauberung erlöst und wieder ein Prinz zu werden, der die Schöne freit.

Dies Bild war frei von irgendwelcher bacchantischer Schwüle oder der üblichen Sinnlichkeit. Aber die Welt flüsterte sich zu: Graf habe ein Verhältnis mit seinem Modell. Allerdings hatte der Maler in einem verspäteten Johannistrieb Gedichte auf die schöne und auch sonst wohlbegabte Bertha Rother, sein Modell, gemacht – Gedichte, die bei seiner Verhaftung in seinem Schreibtisch gefunden wurden. Aber diese Gedichte waren wohl eher ein Beweis für eine platonische Neigung, wegen der er auch im Familienkreise geneckt wurde, als für ein folgenreiches Verhältnis. Und wenn irgend etwas vorgegangen wäre zwischen ihm und seinem Modell, hätte auch noch niemand ein Recht gehabt, ihn deswegen anzuklagen. Jedoch ein fragwürdiger Zirkusangestellter und Erpresser hatte es verstanden durch Hineinziehen erfundener Beschuldigungen aus dieser Beziehung zwischen dem Maler und seinem Modell einen großen Skandalprozeß heraufzubeschwören, da er unbegreiflicherweise Gehör bei der Staatsanwaltschaft fand.

Durchaus unausdenkbar erscheint es heute, daß auf solche Anzeige wirklich unzureichender Menschen ein Mann wie der Maler Gräf in Untersuchungshaft genommen werden könnte – und daß dann die Angelegenheit Bertha Rother in breitester und gehässigster Weise auch gegen ihn ausgenutzt wurde. Dieser Prozeß war wohl nur ein Ausbruch gegen die neue, lebendige Kunstrichtung, ein Aufbäumen der Prüderie und der versteckten Unsittlichkeit gegen die neuen, wahrhaftigen Triebe, die schüchtern aus der ein wenig vertrockneten Kunsterde sich hervorwagten.

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G. Gräf: Märchen.

Der Staatsanwalt hatte sich wohl ganz unbewußt zu dem Kampf gegen die Kunst hergegeben. Der Künstler und seine Freunde hatten jedenfalls die Freude, daß er von seinen Richtern freigesprochen wurde – so wie er es während der Untersuchungshaft und während des in ganz Deutschland Aufsehen erregenden Prozesses in fester Zuversicht erwartet hatte.

Später häuften sich die Skandale derart, daß sie kaum noch als Skandale empfunden wurden. Sie erregten lange nicht so wie einst die Öffentlichkeit und das Interesse jedes einzelnen. Im Gegensatz zu Wien, wo solche Vorkommnisse auch heute noch von den Zeitungen in vielen Artikeln und von den Lesern in zahllosen Gesprächen und aufgeregten Debatten behandelt werden, sind diese Skandale in Berlin nur der Gegenstand einfacher Berichte und kurzer Äußerungen der Leser.

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Gräfin Strachwitz.
Als schlichte Hausfrau. Geschiedene Gräfin Strachwitz. Als Grand Kokotte.

Gräfin St. wurde als Auguste Lukoszus am 27. 9. 72 im Kreise Tilsit geboren, war bereits einmal verheiratet als Frau Paustian. In der Nacht vom 7. zum 8. Oktober 1909 wurde sie in ihrer Wohnung, Berlin, Friedrichstraße 30, von ihrem fast 14 Jahre jüngeren Liebhaber getötet.

An Skandalen selbst fehlt es wahrlich nicht. Aus den letzten Jahren wäre mit einem ganzen Bündel aufzuwarten. Einige der Skandale aus den letzten Jahrzehnten sind im Kapitel von den Salons geschildert, wenigstens die Fälle Hartert, Schettler und Smigielka. Hier seien nur einige der charakteristischen Fälle neuerer Zeit gestreift.

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Petersen: Nackttanz.
Zuschauer in der Motzstraße. (1922)

Die Verhaftung der Frau von Strachwitz führte vor etwa zwanzig Jahren zu der die große Öffentlichkeit stark aufregenden Tatsache, daß auf dem Gebiet der Galanterie auch allerhand Gebräuche existieren, die sich vom Normalen entfernen. Besonders die feinere Halbwelt versteht es, diese Abirrungen und Leidenschaften zu einem einträglichen Geschäftszweig auszubauen. Hier kann natürlich auf die Einzelheiten dieser meist masochistischen Eigenarten nicht eingegangen werden. Die Häufigkeit derartiger an die Halbwelt herantretender Wünsche hat dazu geführt, daß manche Halbweltlerinnen, eben wie auch jene Frau v. St. ganz industriell vorgingen. Diese Halbweltdamen sahen kaum anders aus als irgendwelche besser situierten Bürgersfrauen. Aber daheim hatten sie in ihrer herrschaftlichen Wohnung ein förmliches Arsenal zum Flagellieren angelegt. Da hatten sie das hölzerne Pferd stehen, dort waren Turnringe, an denen die Männer hochgezogen und gepeitscht wurden usw. usw. Frau von St. war nicht die alleinige Herrin in ihrem Quartier. Wie in den meisten derartigen Fällen gehörten zahlreiche Frauen zu den Eingeweihten. Sie alle lebten glänzend und schreckten auch vor Erpressungen nicht zurück. Zahlten doch Gäste, die sich für solche Abirrungen interessierten, gern mehr als normale Gäste. Jene Halbweltdamen bedienten sich, um ihre Gäste anzulocken und zu stimulieren, häufig auch erotischer Photographien, mit denen sie ihre Besucher in verhängnisvollster Weise beeinflußten. Zahlreiche andere Prozesse bewiesen, daß diese Richtung stärker ist, als die Öffentlichkeit ahnt. Sie fällt aber zum großen Teil ins Kriminelle und sei daher hier nur angedeutet.

Durch die Hauptperson mit dem galanten Leben verbunden ist die Spielklubaffäre der Gräfin Treuberg. Pussi Uhl war einst eine gefeierte und in der Lebewelt sehr bekannte Schönheit gewesen. Sie war sehr ehrgeizig und verschaffte sich durch eine Namensheirat mit einem Offizier der Handelsmarine den Titel einer Gräfin von Fischler-Treuberg. Der Graf selbst hatte in dem lebenslustigen Luxuskreise der Gräfin nichts zu suchen. Sie ging, stets in Pelz und Seide, mit anderen Kavalieren aus. Auch kannten diese Kavaliere die Wohnung der Gräfin und ihr kostbares Schlafzimmer ganz genau. –

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Zustände.
»Zustände sind bei uns zu Haus –! Papa poussiert Mamas Zofe, Mama den Chauffeur –«
»Wie altfränkisch, bei uns ist's umgekehrt!«

Aber schließlich ward sie die Geliebte eines Geldverleihers und auch seine Gehilfin. Sie wurde in einem Wucherprozeß zu einem Jahr drei Monaten Gefängnis wegen Wucher, Erpressung und Betrug verurteilt und verbüßte auch diese Strafe.

Eine Anzahl Skandalaffären spielten nach dem Kriege. Wenn nicht das Publikum durch die alle Aufmerksamkeit beanspruchenden politischen und wirtschaftlichen Vorgänge reichlich beschäftigt worden wäre, hätte es vielleicht für manche Skandale mehr Zeit und Interesse gehabt. Vor allem für die » Schönheitsabende« in der Motzstraße. Dort gab im Herbst 1919 ein Leutnant der Reserve mit seiner Ehefrau in der Wohnung einer anderen Frau Vorstellungen, Duettszenen, in denen einem sehr zahlungsfähigen Publikum eheliche Vertraulichkeiten der intimsten Art vorgeführt wurden. Die Szenen ließen sich nach den Zeitungsberichten nicht einmal andeuten. Die Schaubühne bildete ein als Junggesellenzimmer schmuck eingerichteter Raum. Ein zweites Zimmer, das mit der »Bühne« durch Schiebetüren in Verbindung stand, diente als Zuschauerraum. Etwa vierzig Herren und Damen in eleganten Toiletten hatten sämtliche Plätze besetzt. Die beiden Räume waren durch einen weitmaschigen Mullschleier getrennt, der auch während der Darbietungen nicht entfernt wurde. Er ließ aber den Blicken der Zuschauer trotz des gedämpften Lichtes freien Spielraum und war auch nur dazu da, um die Reize der Szenen zu erhöhen.

Die Vorführungen begannen mit der Rezitation zweier Gedichte, die ein weißhaariger Mann vortrug und die den Zuschauern andeuteten, was ihnen geboten werden sollte. Die Polizei kam hinter dieses Treiben durch unzüchtige Photographien, die von dem Leutnant und seiner ehrbaren Gattin vertrieben worden waren und die zur Schließung der Darbietungen führte. Doch wird erzählt, daß die Zuschauer an zahlreichen anderen Stellen ähnliche Darbietungen genießen konnten – nach englischer Art, wie in eingeweihten Kreisen behauptet wurde.

Ganz ungewöhnliches Aufsehen erregte der Prozeß Franz. Er beleuchtete grell die Zustände in gewissen Kreisen des Westens. Ein höherer Beamter hatte einen Ingenieur Franz angeklagt. Franz habe die unberührte Tochter des Beamten in seine Wohnung gelockt und dort gemeinsam mit seiner Frau und ihr und schließlich auch in Gemeinschaft mit anderen jungen Mädchen, die er in der Gesellschaft kennen gelernt, unzüchtige Handlungen vorgenommen. In dem Prozeß traten zahlreiche junge Mädchen aus Berlin W. als Zeuginnen auf, die von den Vorgängen in der eleganten Wohnung am Kurfürstendamm schamhaft mehr verschwiegen, als sie aussagten. Soviel kam jedenfalls heraus, daß der häufige Besuch vieler hübscher und eleganter junger Mädchen bei Franz sowie allerlei Szenen, die oft bei unverhüllten Fenstern vorkamen, der Nachbarschaft aufgefallen waren. Auch gaben Franz und seine Frau unumwunden zu, daß an ihren Liebesszenen sich zahlreiche Mädchen aus Berlin W. beteiligt hätten. Aber diese jungen Mädchen hätten das alle freiwillig getan. Und da nichts anderes bewiesen werden konnte, wurden Franz und seine Frau, die der Beihilfe angeklagt war, freigesprochen. Die jungen Damen vom Kurfürstendamm aber hatten sich ein böses Zeugnis zugezogen. – Übrigens war Berlin mehr erregt gewesen über die Annahme, daß Franz gewaltsam vorgegangen, als über die Tatsache, daß die jungen Mädchen freiwillig an erotischen Szenen teilgenommen. Ein Zeichen vom Fortschritt der Erotisierung.

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E. Heillemann: Opiumrausch.
Die Dame: O Schatz, wie wonnig! Um mich Millionen von Brillanten; sogar meine Gallensteine sind echt!

Durch Galanterie suchte eine Lotte Hut Opfer für Betrügereien zu gewinnen. Ihr Leben war eine Kette von Liebschaften und ehelichen Wirrnissen, die fast alle nur zu dem Zweck inszeniert waren, um für die ausgedehnten Betrügereien einen Deckmantel zu bieten. Als Tochter eines Hausbesitzers im Westen geriet sie in jungen Jahren einem portugiesischen Baron in die Hände, wurde dann mit dem in München während der Räteherrschaft erschossenen Prinzen von Thum und Taxis bekannt, um schließlich mit Hilfe einer unaufgeklärten Adoptionsaffäre zu dem Namen einer Gräfin Colonna zu gelangen. In ihrer im Westen gelegenen Wohnung führte sie ein luxuriöses Leben. Ihre Hauptspezialität bestand darin, daß sie Herrenbekanntschaften suchte, diese zu sich einlud und durch ihre Helfer die Wohnungen der abwesenden Inhaber ausplündern ließ, während sie mit ihren Gästen schön tat.

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Usabal: Der Lohn der Liebe.
»Küssen Sie doch weiter links. – Sie finden dann unter dem Achselband den Tausendmarkschein für diesen Monat.« (1911)

Beträchtliches Aufsehen erregte Anfang 1924 der Prozeß gegen Rose Genschow, eine typische Kaffeehaus- und Bargestalt. Sie stammt von einer minderwertigen, morphiumsüchtigen Mutter ab, war selbst schwer morphiumsüchtig, hatte bereits im Alter von 16 Jahren ein Liebesverhältnis mit einem Japaner, zog sich von dem eine schwere Krankheit zu und entwendete später öfter in den Nachtlokalen und während ihrer galanten Geschäfte ihren Liebhabern Geld und Schmucksachen. Schließlich ließ sie sich dazu hinreißen, ihre Nachtbekannten mit Morphium zu betäuben. Als einer der Freunde daran starb, wurde sie auf einige Jahre ins Gefängnis gesteckt. Auch ein anderer Skandal führte in die Gesellschaft der Nachtlokalbesucher. Die Schauspielerin Erna Klemm war in der Bülowstraße von ihrem Geliebten ermordet worden. Sie lebte in Scheidung mit ihrem Mann, unterhielt aber neben den Beziehungen zu ihrem Geliebten Lipmann Pomoczny ferner noch ein Verhältnis zu einem Herrn aus Frankfurt am Main und hatte auch noch mehr Bekanntschaften. Als sie eines Tages mit einem neuen Freund ein Lokal in der Friedrichstraße aufsuchte, wurde sie von Pomoczny gestellt. Schließlich fuhren alle drei, nachdem die beiden Männer sich geschlagen, zur Wohnung der Schauspielerin. Der neue Freund verließ die beiden unterwegs, weil ihm Pomoczny zu erregt war. In ihrer Wohnung erwürgte Pomoczny dann seine Geliebte, als sie ihm zuschrie: »Ich mag dich nicht mehr! So, nun weißt du Bescheid!«

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Gestwicki:
»Sehen Sie, ich hab's immer gesagt – für 'ne Partie Baccarat läßt die ihr letztes Hemde.« (1919)

Gleichfalls in das bunte Getriebe der Berliner Lebewelt führte ein Prozeß wegen eines Brillantkolliers, das einem Großindustriellen von einer schönen Bardame, mit der er jahrelang enge Beziehungen unterhielt, abgeschwindelt worden sein sollte. Sie war eine auffallend schöne Frau gewesen, die beim Derby auf dem Horner Moor einen fragwürdigen Kavalier kennen gelernt hatte, der sie veranlaßte, mit ihm nach Berlin zu kommen und eine gemeinsame Wohnung zu beziehen. Beide verkehrten von nun an ständig in den Luxuskaffees und Dielen der Friedrichstadt, in den Spielklubs und auf den Rennplätzen. Sie beschäftigten die teuersten Schneider, machten viele Reisen in Seebäder und Kurorte der eleganten Welt. Nebenbei machte sie Herrenbekanntschaften in einer Bar in der Jägerstraße. Schließlich wurde ihr Freund wegen Zuhälterei angeklagt und Beide wegen des Brillantschwindels. Sie behaupteten allerdings, sie hätten sich nur gegenseitig ausgeholfen. Und weil der beschwindelte Großindustrielle es vorzog, zum Termin nicht zu erscheinen, wurde die Verhandlung vertagt. –

Diese 5000 Mark waren vielleicht eine Kleinigkeit für den Großindustriellen. Ein Bankier aber ließ sich vor einigen Jahren um 125 000 Mark von einer galanten Dame prellen. Die hübsche junge Frau ließ bei geschäftlichen Verhandlungen durchblicken, daß sie nicht glücklich sei mit ihrem Mann. Sie sei eine geborene Fürstin Hohenlohe. Sie habe sich schon von ihrem Manne scheiden lassen. So kam es zu zärtlichen Zusammenkünften. Schließlich wollte sie ihren Mann wieder heiraten, weil sie angeblich nicht ohne ihn leben könne. Der nachsichtige Mann räumte sogar ein, daß der Bankier Hausfreund werden könne. Man war schon einmal zu Dritt nach Schierke gefahren. Der Bankier half der jungen eleganten Frau, die einmal aus Verzweiflung einen »Selbstmordversuch« unternahm, gern aus. Seine Neigung wuchs ständig und zuguterletzt beschlossen die Drei, die immer enger gewordenen Beziehungen zu einer Lebensgemeinschaft auszubauen ...

Als er schließlich merkte, daß das Pärchen ihn genasführt hatte und ausgekniffen war, lief er zur Polizei. –

Ein Spektakel, der im April 1924 vor Gericht verhandelt wurde, ging ziemlich unbemerkt vorüber. Früher hätte er die öffentliche Meinung bis ins letzte Winkelchen aufgeregt. Ein junger blonder Polizeibeamter hatte Dienst in der Wache am Zoo zu versehen. Er brachte schließlich den vielen schönen Mädchen vom Kurfürstendamm, die wegen kleiner Übertretungen eingeliefert wurden, nicht genug Energie entgegen und zwang einzelne, ihm zu Willen zu sein. Die vielen ständigen Zusammenstöße der Polizisten mit den »Mädels vom Kurfürstendamm« hatten schließlich zu freundschaftlichen Beziehungen geführt, die den nicht sehr taktfesten Polizisten hingerissen hatten, seine Macht zu mißbrauchen.

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B. Wennerberg, Gleiche Chancen.
»Heut abend bleib ich zu Haus und spiel mit dir, Mieze. Gestern abend hab ich's im Spielklub getan und es war auch für die Katze.« (1919)

Nicht immer sind nur Männer die Opfer der Galanterien. Auch Damen fallen auf Galanterien hinein, die nicht immer erfreulich enden. Im August 1923 hatte eine Dame, die viel Schmuck trug, sich von einem Herrn, der sich als holländischer Baron vorstellte, in der Leipziger Straße ansprechen lassen. Er half ihr galant die eingekauften Pakete nach Hause tragen und verabredete dann mit ihr für einen der nächsten Abende einen Theaterbesuch. Beim Verlassen des Theaters trafen sie zufällig einen Freund, mit dem sie noch ein Lokal aufsuchten. Hier erhielt die Dame eine Zigarette und einen Kognak.

Von da ab fehlte ihr das Erinnerungsvermögen. Sie erwachte erst am nächsten Tage in der Charite, wo sie mit vieler Mühe ins Leben zurückgerufen worden war. Die Dame war in ein Pensionat Am Zirkus verschleppt worden. Dort müssen die Verbrecher weitere Narkotika verwendet und ihr den ganzen Schmuck geraubt haben – sechs Brillantringe, ein paar goldene Ohrringe mit je drei erbsengroßen Brillanten und andere Stücke. Die Wirtin fand die Dame am nächsten Morgen bewußtlos im Zimmer liegen und benachrichtigte die Polizei.

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A. Kampf: Tänzerin

In die Gewohnheiten der Fremdenpensionate und in die betrübenden Zustände, in die Deutschland durch den verlorenen Krieg und seine Folgen geraten ist, führt ein Prozeß hinein, der im August 1923 verhandelt wurde. Einer Pensionsinhaberin wurde vorgeworfen, daß sie aus ihrem Pensionat, in der hauptsächlich Japaner lebten, ein förmliches Yoshiwara gemacht hätte. Ein Kriminalkommissar bekundete, daß gegenwärtig in Berlin 40-50 Frauen eine Anzahl junger Mädchen in Bereitschaft halten, die sie auf telephonischen Anruf in die »Fremdenpensionate« liefern. Bei den Bestellungen bedienen sich diese Frauen besonders verabredeter Stichworte, die über das Äußere der Mädchen genauen Aufschluß geben. Bei Razzien in solchen Pensionaten werden meist zahlreiche Zeitgenossen festgestellt, die mit ihren Freundinnen über die Zeitnöte hinwegkommen wollen. –

Früher hätten solche Verhandlungen und Feststellungen gewaltigen Staub aufgewirbelt. Die ganze Bevölkerung Berlins und wohl gar des gesamten Deutschen Reiches wäre erregt worden. Solche Erscheinungen wären wohl gar im Reichstag zur Sprache gekommen. Eine Fremdenpension, wo eine größere Anzahl deutscher Mädchen exotischen Jünglingen zugeführt wurden!

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Aus der Jugend Blick durchs Schlüsselloch.

Man ist in diesen Fragen leider sehr ruhig und nachsichtig geworden. Berlin ward nun einmal international allen Dingen. Ferner weiß man, daß hier die Not manches erzwingt und man regt sich über Dinge nicht auf, die aus der Not entspringen oder die sonst unvermeidlich sind. Auch bringt der Berliner nicht mehr jene Heuchelei auf, die in andern Ländern manches zum Knalleffekt und zum Skandal aufbläht, was nur krankhafte Auswüchse unserer Zivilisation sind.

Auch die Spielwut, die ja nur zu oft mit Galanterie verbunden ist, in wenn Frauen ihr verfallen, führte zu manchen Skandalen – ebenso wie die Nackttanztendenz. Doch der Berliner bauschte die Vorfälle nicht auf. Das gehörte zur Zeit.

Er ging an seine 1922 Arbeit. –


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