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Liebessalons

Die luxuriösen Salons, von deren Vorhandensein mehrere sensationelle Prozesse der letzten Jahrzehnte uns überführten, sind, wie so vieles, durchaus nicht erst eine Einrichtung von gestern und heute. Schon immer gab es fürsorgliche Kuppelmütter, die auch irgendwelchen Damen der Gesellschaft ihre gastlichen Räume zur Verfügung stellten. Vom Haus der Madame Schowitz, die in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirkte, ist schon in den ersten Teilen dieses Werkes die Rede gewesen. Von einem Salon aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts berichtete ein Zeitgenosse:

»Mit dem Namen Seraphinenhain belegte man in der Sphäre der Vertrauten der neuesten Zeit das Hoffmannsche geheime Bordell.

Die Besitzerin, Witwe eines sächsischen Offiziers, hatte es unter dem Schutze dieses Titels einer Offizierswitwe verstanden, sich in zahlreiche aristokratische Familien einzuführen und die jungen, anständigen Töchter derselben alten und jungen Lüstlingen aus der hohen Geburts- und Finanzaristokratie in die Arme zu führen.

Die Frau Emilie Marie Hoffmann, separierte Fleischer, vorher verwitwet gewesene Schuhmacher Noack, aus Storkow gebürtig, wohnte erst Louisenstraße 41, wo sie sehr mysteriöse Dinge trieb; dann zog sie nach der Dessauerstraße 4, wo sie – da sie inzwischen die Aufmerksamkeit der Polizei erregt und in Untersuchung gezogen worden war – die Anklage wegen gewerbsmäßiger schwerer Kuppelei und eine Vorladung zur Verhandlung empfing.

siehe Bildunterschrift

M. Fingesten: Wo er nur bleibt?

Bis zu diesem Augenblick hatte die Frau immer noch mit Bestimmtheit darauf gerechnet, daß die vielvermögenden Personen, die angeblich in jene Affäre verwickelt sein sollten, zu ihren Gunsten eintreten würden; als indes der bittere Ernst entgegenstarrte – es drohte ihr nach den vorliegenden Fällen eine Zuchthausstrafe bis zu 5 Jahren –, hielt sie es für geraten, die ihr gelassene Freiheit zu benutzen und sich aus dem Staube zu machen.

Ihr Mobiliar hat sie zwar in ihrer Wohnung in der Dessauerstraße zurückgelassen, indes hat sie, wie von Hausgenossen beobachtet worden ist, neben ihren Wertsachen und dergleichen eine ganze Menge Briefe und einige Zeitungen sorgfältig eingepackt und mitgenommen.

Wie umfangreich die Frau Leutnant das schändliche Gewerbe betrieben hat, kann man aus dem Umstande entnehmen, daß in der Voruntersuchung nicht weniger als 35 Zeuginnen verhört wurden, die in den Salons der Dame verkehrt hatten. Von denselben waren allerdings 12 notorisch der höheren Prostitution ergeben; die andern 23 sind erst durch die Vermittlung der Kupplerin vollständig verführt worden.«

Der Verfasser, ein höherer Beamter, deckt hier rasch den Schleier über eine Angelegenheit, die, wenn sie nur Personen niederer Klasse betroffen, ihn zu ausführlichster Darstellung gereizt hätte. Doch sagen auch die mitgeteilten Zahlen schon genug. Zwei Drittel der Zeuginnen entstammten der besseren Gesellschaft. Wahrscheinlich verkehrten in jenem vormärzlichen Salon noch viel mehr solcher Gelegenheitsmädchen. Die geschlechtliche Not der höheren Kreise treibt sie in die Salons. Nur zu viele junge Mädchen aus besseren Familien sind längst geschlechtsreif und heiratsfähig, müssen aber jahrzehntelang auf die Hochzeit warten. Der volkliche freiere Verkehr der unteren Klassen ist ihnen versagt – trotzdem sie doch durch ihre Lebensweise außerordentlich früh gereizt werden. Die Frauen bekommen dann Männer, die ihnen an Alter nur zu oft überlegen sind und die ihre beste Kraft und ihre Triebe in den Armen der Venus vulgivaga verloren haben. So ist es wohl zu verstehen, daß heißblütigere Wesen den schwülen Lockungen solcher Salons folgen – leichter folgen, als der Verführung durch einen Mann ihres Kreises. Im Salon stehen sie Fremden gegenüber, von denen ihnen nicht so leicht eine Kompromittierung droht, wie von einem in ihrem Hause verkehrenden Manne. Außerdem reizt sie das Fremdartige.

Ein Franzose, Victor Joze, schilderte 1894 seine angeblichen Erfahrungen in einem Berliner Salon in seinem Buch »Babylone d'Allemagne« wie folgt:

»Mutter Fritz war eine Kupplerin, die sich einer großen Beliebtheit bei der Berliner Lebewelt erfreute. Sie bewohnte ein ganzes dreistöckiges Haus in der Chausseestraße, dessen Eigentümerin sie übrigens war. Sie besorgte reichen Männern junge Mädchen oder Frauen aus besseren Kreisen, die sich entschlossen hatten, ihren Körper zu verkaufen, aber sonst ganz ›anständig‹ waren.

Man konnte sicher sein, bei Mutter Fritz ziemlich hübsche Mädchen zu finden. Töchter von Kleinhändlern und Handwerkern, Beamtenfrauen, junge Witwen, stellungslose Erzieherinnen. Des Abends traf man hier außerdem Modistinnen, Verkäuferinnen, Buchhalterinnen, die hastig herbeieilten, sobald ihr Geschäft geschlossen war. Aber um in Beziehungen zu treten zu den Perlen des Hauses, zu den feineren Vertreterinnen der heimlichen Prostitution, mußte man besondere Zusammenkünfte erbitten.«

Joze schildert eine solche Zusammenkunft:

»Die Husaren gingen mit hinauf zu den jungen Mädchen und begrüßten sie mit bedeutungsvollem Lächeln. Es waren vier dicke Blondinen, alle vier hübsch und sehr jung. Sie saßen um einen runden Tisch mit gelbem Tischtuch und strickten an Herrensocken. Fortwährend hielten sie bei ihrer Arbeit ein, um aus großen Tassen Kaffee zu trinken und abwechselnd Schinkenbrötchen, Kuchen, Konfitüren und Eier zu verzehren. Beim Anblick der Offiziere senkten sie einen Augenblick ihre Augen, aber dann lächelten sie alle zusammen.

Die Aufwärterin brachte Champagner, den die Offiziere bestellt hatten, und die Unterhaltung begann.

Während Graf Rau an seine Witwe dachte, hatten die andern schon ihre Wahl getroffen und setzten sich jeder zu derjenigen, die ihnen am besten gefallen.

Allmählich nahmen die Offiziere die Mädchen in ihre Arme und setzten sie auf ihre Knie. Aber die einzige Freiheit, die sie sich erlauben durften, war ein Kuß. Man mußte anständig bleiben, solange man in Gesellschaft und bekleidet war. Wenn die Herren es eilig hatten, warum riefen sie nicht die Wartefrau, um hinauf zu gehen?

Der Baron nahm eine abweisende Bemerkung seiner Dame nicht übel. Er entschuldigte sich bei dem jungen Mädchen und küßte sie auf den Mund. Die junge Dame gestand, sie dürfe nicht zu spät nach Hause kommen. Wenn der Herr Leutnant sich also wirklich mit ihr in reeller Weise amüsieren wolle, so zöge sie es vor, lieber sofort in eins der chambres séparées zu gehen, statt noch mehr Zeit zu verlieren.

Als die beiden gegangen waren, erinnerte die Tochter des Roßarztes auch ihren Nachbar daran, daß sie um eins zu Hause sein müßte. So verschwand auch dieses Paar.

Plötzlich wie ein Gespenst, erschien Mutter Fritz in der Türe und rief mit einer geheimnisvollen Stimme: ›Herr Graf, bitte schön!‹

Schnell stand dieser vom Klavier auf und folgte der Alten.

›Sie ist da!‹ flüsterte sie und führte den Grafen in ihr Boudoir, wo auf einem kleinen Sofa in nachlässiger Haltung die junge Frau saß und in einem Modejournal blätterte. Die Alte zog sich diskret zurück.

Eine Viertelstunde später stieg Rau mit der jungen Witwe, geführt von der Alten, zur zweiten Etage empor, wo ein prachtvoll eingerichtetes Zimmer sie erwartete.«

Der Franzose hat zweifellos manches erdichtet. Und chauvinistische Gehässigkeit hat dem Franzosen auch oft genug die Feder geführt. Aber der Feind zeichnet oft wahrhaftigere Bilder, als der Freund. Zahlreiche skandalöse Gerichtsverhandlungen haben bewiesen, daß Joze im Ganzen richtig schilderte. Vor nahezu dreißig Jahren wirbelte die Schließung des Salons Hartert, der am Magdeburger Platz gehalten wurde, viel übelriechenden Staub auf. Frau Hartert hatte ihren Klienten als besondere Spezialität »junges Gemüse« – recht junge Mädchen – besorgt, vielfach aus besseren Kreisen. In den Jahren um 1900 kam ein Fall Schettler zum Vorschein und wurde breit getreten, weil ein bekannter Abgeordneter, ein wohlhabender Junggeselle bei der im Westen wohnenden Frau Schettler, der geschiedenen Frau eines Redakteurs, mit einer jungen Schauspielerin zusammengetroffen sein soll.

Im Anfang dieses Jahrhunderts kam der Fall der jungen verwitweten Kanzleirätin Smigielska in die Öffentlichkeit. Sie bezog damals in der Hedemannstraße eine Wohnung für 1500 M., die recht elegant eingerichtet gewesen sein soll. Trotz der zahlreichen Gäste, die bei ihr ein- und ausgingen, trotz der luxuriösen Gesellschaften, die sie gab, erregte das Treiben in der Wohnung der jungen Witwe kein Mißtrauen bei den Nachbarn. Man hielt sie für reich und lebenslustig und da sie fleißig die Rennplätze besuchte, häufig auf Reisen ging, acht bis zehn Wochen fortblieb und außer einem Hunde kein Wesen dauernd um sich duldete, konnte kein Verdacht sich festsetzen. Bei ihr verkehrten Damen aller Art, auch Frauen aus den besten Kreisen, deren Bekanntschaft sie in eleganten Lokalen zu machen pflegte. Die erste Anzeige gegen sie soll von einem betrogenen Gatten ausgegangen sein, der davon Kenntnis erhielt, daß seine Ehefrau nicht nur vor der Verheiratung im Salon der Rätin, sondern auch nach der Verheiratung im Quartier der Smigielska mit Herren zusammentraf, die sie aus ihrer Mädchenzeit kannte. Viele Frauen und Mädchen waren der S. von einer Kartenlegerin, Frau Dietrich, überwiesen worden. Frau D. wahrsagte ihren hübschen und jungen Kundinnen von einem großen unverhofften Gewinn; wenn sie dann gierig auf das Geld gemacht worden waren, schickte die Kartenlegerin die Frauen und Mädchen nach dem Salon in der Hedemannstraße, wo sich die Prophezeiung in schlichter Weise erfüllte. Bei dem gegen die beiden Frauen geführten Prozesse kamen neben zahlreichen Halbweltlerinnen auch andere Damen zur Vernehmung.

Gleichzeitig mit der Smigielska wurden andere Saloninhaberinnen verfolgt. Der »Vorwärts« berichtete darüber:

»Die Geheimnisse eines Instituts für ›Massage und Maniküre‹ gelangten gestern in einer längeren Verhandlung vor der 10. Strafkammer unter Vorsitz des Landgerichtsrats Haberstroh zu einer eingehenden Erörterung. Wegen gewerbs- und gewohnheitsmäßiger Kuppelei war die ›Masseuse‹ Elisabeth Heller angeklagt. – An dem Hause Lützowstraße 85 prangte vor einiger Zeit ein Schild, nach welchem die Masseuse Heller ihre Dienste für die Haut- und Nagelpflege wie auch für Massage anbot. Der Kriminalpolizei fiel es bald auf, daß sich die Kundschaft des ›Salon Heller‹ lediglich aus Herren der besseren Stände zusammensetzte. Weitere Ermittlungen des Kriminalkommissars Dr. Kopp ergaben, daß es sich um eine Lasterhöhle der schlimmsten Art handelte. Die Inhaberin des ›Salons‹ erließ Inserate, nach welchen sie junge Damen ›zu selbständiger Beschäftigung des Tages über‹ suchte. Es meldeten sich auch zahlreiche junge und unerfahrene Mädchen, die nach anfänglichem Widerstreben sich in die Geheimnisse der Massage einweihen ließen und bald jeden sittlichen Halt verloren hatten. Nach und nach engagierte die Angeklagte vier ›Assistentinnen‹. Als eines Tages das Kuppelnest genügend mit Herren der Lebewelt, unter denen sich ein Gardeleutnant, ein Referendar und – ein 60 jähriger Herr befanden, besetzt war, wurde das Idyll durch das Eindringen des Kriminalkommissars mit mehreren Beamten gestört. Die Angeklagte Heller wurde vom Schöffengericht I wegen Kuppelei zu einem Jahre Gefängnis, 300 M. Geldstrafe sowie drei Jahren Ehrverlust verurteilt. Hiergegen legte die H. Berufung ein. Die Berufungsstrafkammer hielt das erste Urteil mit Rücksicht darauf, daß die Angeklagte in frivolster Weise junge unerfahrene Mädchen dem Laster in die Arme geführt hatte, vollständig aufrecht.«

Die Besitzerinnen der Salons verbargen sich gern hinter solchen Instituten für Massage oder Maniküre oder richteten auch solche ein, um sie als Lockmittel benutzen zu können. In vielen Kreisen der Reichshauptstadt weiß man, daß solche Institute eigentlich fast immer einen gewissen Zweck verfolgen. Viele solcher Salons wurden als Absteigequartier benutzt. Doch bestand ihre Eigenschaft darin, daß ihre Inhaberinnen den ihnen bekannten Männern nicht nur Angehörige der Halbwelt, sondern auch andere junge Mädchen und Frauen zuführten und Orgien veranstalteten. Hier war der Ort, der gerade dadurch Reiz für die Männer hatte, daß nicht nur berufsmäßige Halbweltlerinnen, sondern auch Damen der Gesellschaft und sonst nur schwer zugängliche weibliche Geschöpfe sich preisgaben. In dem Kapitel über »Heimliche Liebesnester« wird hierzu noch einiges gesagt.

Die Salons waren ziemlich häufig. Ihre Verbreitung war größer, als die mitgeteilten Fälle ahnen lassen. Viele andere Gerichtsverhandlungen wiesen darauf hin. Und manche in den Zeitungen mitgeteilte Skandalgeschichte, vor allem aber die vielen Inserate der Masseusen und Frauen, die unter ähnlichen Bezeichnungen sich verhüllten und doch jedem bekannt waren, lassen ahnen, wie weit das Salonwesen im Berliner galanten Leben sich eingenistet hatte.


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