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Der Ruf nach dem Glück

Eine originelle Art von Anknüpfung ist die durch Inserate. Sie wird ebenso von Männern benutzt, die auf diesem Wege ein Verhältnis suchen, wie von Frauen, die das gleiche wollen. Es handelt sich hier nicht um eine kurze, einmalige Bekanntschaft, sondern in den meisten Fällen um den Versuch, ein länger dauerndes Verhältnis miteinander zu beginnen. Selbstverständlich wird das in den Inseraten nicht ausgesprochen. Aber die Rubrik »Heiratsgesuche« wird meist zu solchen Anknüpfungen benutzt. Das geschieht nicht erst seit heute. Solange überhaupt Inserate bestehen, besteht auch das Heiratsinserat. Hier soll jedoch keine Geschichte dieser Methode geschrieben werden. –

Täglich sieht man Hunderte von Inseraten in den Zeitungen: »Anständiger junger Mann wünscht die Bekanntschaft eines jungen Mädchens behufs evtl. späterer Heirat« und so weiter. Diese eventuelle Heirat ist eine geniale Erfindung.

Gewöhnlich erhält man, wie Luc Gersal 1892 schrieb, auf eine solche Annonce je nachdem 5 bis 20 Briefe: »Mein Herr! Ich sehe, daß Sie liebenswürdig sind; ich bin es auch, wir passen also zueinander. Bitte, seien Sie morgen abend 9 Uhr an der Normaluhr am Spittelmarkt. Erkennungszeichen: Dame in Trauer, mit einem Taschentuch in der Hand.«

»Ihre Annonce gefällt mir,« schreibt eine andere, »ich sehe, daß wir füreinander passen. Ich bin Witwe, 25 Jahre alt, welterfahren und voll guten Humors. Wollen Sie mir angeben, wo wir uns treffen können?« – »Ich bin brünett, habe fast blaue Augen, regelmäßige Nase, einen kleinen Mund und eine vorteilhafte Figur. Wenn Ihre Wahl auf mich fallen sollte, so werden Sie es nicht bereuen ... « usw.

Man gibt sich Stelldicheins und trifft auch das junge Mädchen. Dieses weiß genau, was der junge Mann will, aber es hält sich in kluger Weise zurück. Es ist ein wenig liebenswürdig und entwickelt großen Appetit. Wenn man es eine Weile in Restaurants und Theater geführt hat und zudringlicher wird, bleibt es auf einmal aus; es hat eine andere Annonce beantwortet. Oft freilich kommt es auch zu wirklichen Verhältnissen.

Die Eltern des jungen Mädchens wissen in solchen Fällen ganz genau, wie die Sachen stehen; aber solange der Beschützer ihres süßen Kindes sich freigebig zeigt, sagen sie kein Wort. Nehmen aber seine Zuschüsse ab, so bedeuten sie ihm im elegantesten Berlinerisch, er habe seine Zudringlichkeiten einzustellen. Das junge Mädchen wird dann wieder tugendhaft, senkt die Augen, findet einen Bräutigam und verheiratet sich.

Nicht immer ist der Hergang so wie ihn der Franzose zeichnet. Nicht immer handelt es sich um junge Familienangehörige. Anbei ein Brief nach dem mir vorliegenden Original, der auf ein Inserat eingegangen ist:

 

Geehrter Herr!

»Auch ich suche Bekanntschaft. Bin jedoch schon 38 Jahre alt. Witwe, korpulent, dunkelblond. Jedoch lebenslustig und liebenswürdig, außerdem das Herz auf dem rechten Fleck. Pardon, nicht zu viel. Im allgemeinen nennt man mich ein ganz schickes Weibchen. Und wenn sie mich bitte sehen wollen, dann schreiben Sie bitte zum Freitag fürs erstemal anonym an Bertha 38. Postamt 59. Böckhstr. lagernd.«

 

Andere erbitten von Edeldenkenden ein Darlehen und versprechen Dankbarkeit. Manche sind noch viel deutlicher und schreiben z. B., sie hätten ihre ganze Liebe noch.

Der Verkehr zwischen den Geschlechtern wird immer alle irgend gangbaren Wege benutzen. Einige Inserate aus Berliner Zeitungen mögen zeigen, wie vielseitig sich der Liebesverkehr dort abspielt.

 

Anregende
Korrespondenz sucht Privatier.

 

Dieser Mann ist offen, er verspricht nicht gleich die Heirat wie der nächste, dem es allerdings auch mehr auf die anregende Korrespondenz anzukommen scheint:

 

Heirat.

Junger Mann sucht anregende Korrespondenz mit lebensfroher Dame in reiferen Jahren.

 

Die Damen sind meist nicht so sachlich. Sie fragen manchmal vielsagend »Wer hat den Mut zum Glück?« wie in dem nächsten Inserat:

 

Ernstgemeint!

Ich suche zwecks Heirat gebild., gedieg. Herrn, bis Anf. 40, d. hauptsächlich an liebev. versteh. Lebenskameradin gelegen. – Bin 30, freidenk. Jüdin, feinsinnig, ernste Natur, berufstät., nicht begütert. – Wer hat d. Mut z. Glück?

 

Wie schon aus dem ersten Beispiel hervorgeht, suchen nicht alle Inserenten Heiratsinteressenten, sondern viele sagen ganz deutlich, daß sie nur Bekanntschaft mit dem andern Geschlecht suchen – was auch nur zu oft jene nur wollen, die von einer Heirat sprechen. In den nächsten Beispielen zeigt sich das ganz deutlich:

 

Anschluß

an gemütvollen älteren Herrn bis 60 Jahre, in angesehener Position, sucht gebildete, lebensfrohe Dame, blond, evang., Eigenheim, Monatszuschuß, Anfang 50 zwecks Heirat.

 

Gemeinsame

Haushaltführung mit geb. Herrn wünscht Dame, 36, sympathische Erscheinung, evgl., dunkel, Vierzimmerheim, spätere Heirat nicht ausgeschlossen.

 

Bekanntschaft

wünscht Dame, Witwe, 30, evtl. sp. Heirat.

 

Gedanken-Austausch

zw. spät. Heir. s. höh. Beamt. (Jur.), Anf. Vierz., dunk., m. sympath., intell., jüng. Dame. Zuschrift., mögl. mit Bild erb.

Unabhängige

elegante Frau, 36, erwünscht idealen, großzügigen Kameraden gleichen Alters zwecks späterer Ehe. Vermittler verbeten.

 

Manchmal glauben arme Mädchen Erfolg zu haben, wenn sie ihre Armut betonen. Sie rechnen wohl auf einen einträglichen Verkauf. Möglicherweise steckt auch Verschlagenheit und Betrug hinter diesem Etikett. –

 

Armes

Mädchen, 19 J., ev., blond, zierlich, tadellose Vergangenheit, sucht Herrenbekanntschaft zwecks Heirat. Nur ernstgemeinte Offerten.

 

Besitzerin

erstklassigen Modesalons, Zentrum, charmante Dreißigerin bester Familie, feingebildet, lebenspraktisch, immer frohlaunig, ersehnt tüchtigen Lebensgefährten.

 

Andere wieder sagen deutlich, daß sie im Besitz sind. Bald ist es Geld, bald ein Geschäft, bald auch nur die Ausstattung und das »Eigenheim«, das in der wohnungsknappen Zeit nach dem Kriege eine große Rolle spielte. Ja, viele Inserate lockten direkt durch die bedeutungsvolle Überschrift »Eigenheim«. Manche sprechen zwar von Neigungsehe und Kameradschaftsehe, suchen aber deutlich nur ein Eigenheim oder die Einheirat.

Häufig lassen auch Damen ihre Verwandten inserieren, um nicht unmittelbar in Erscheinung zu treten und um dem Vorgang ein ernsthafteres Aussehen zu geben.

 

Witwe.

40, geb. alleinst. 6 Zimmerwohn. s. Bekanntschaft mit Herrn i. ges. Stellg., höh. Beamt. zwecks Heirat.

 

Suche

für Verwandte, berufstätig, intelligent, schuldlos geschieden, lieber Mensch, tüchtige, sparsame Hausfrau gediegenen, gebildeten Herrn 50-60 mit Eigenheim zwecks Ehe.

 

Und schließlich inserieren auch jene Männer, die von der Erscheinung irgendeiner ihnen begegnenden Frau oder eines Mädchens ergriffen worden sind, und die keinen andern Weg der Annäherung finden. Da die jungen Berlinerinnen täglich, mindestens jedoch sonntäglich den Inseratenteil gewisser Zeitungen, die gerade an solchen Tagen Hunderte von Heiratsanzeigen veröffentlichen, mit größter Anteilnahme lesen, kommt der Inserent oft zum Erfolg und zum Ziel seiner Wünsche ...

 

Stadtbahn Nikolas

see – Zoo Donnerstag, 17. 7., 7 Uhr abends junge Dame in Begleitung älterer Dame, die sich auf der Fahrt nach Berlin befand (lila Kleid, schwarzer Hut, graue Schuhe, goldene Armbanduhr mit Ripsband, goldener Reif), wird von in Nikolassee einsteigendem u. vis-àvis sitzendem Herrn (Hornbrille, brauner Anzug) höflichst um Lebenszeichen gebeten zwecks ehrbarer Annäherung.

 

Bergstr., Neukölln.

Die hellblonde Dame im grauen Mantel, welche am Freitag, abends 8 Uhr in Begleitung mit einer älteren Dame die Bergstraße entlang ging, wird von dem Herrn ohne Hut um paar Zeilen gebeten. Gef. Nachricht.

 

Es ist nun einmal leider so, daß in Berlin wie an anderen Orten der Mensch unter all den vielen Menschen nicht zum Menschen kommt, einsam bleibt und nichts weiter weiß, seine Einsamkeit zu überwinden, sich einem Wesen des andern Geschlechts zu nähern, als daß er das Zeitungspapier zum Vermittler anruft. Das ist nur ein Zeichen, wie wenig gewandt viele Berliner in der Galanterie sind – obwohl nicht geleugnet werden soll, daß gerade auch wiederum zahlreiche Personen mit galanten Absichten des Inserats sich bedienen, um »Anschluß« zu finden. Eine große Zahl der Inserate sind nur Mittel zum Zweck, um mehr oder weniger flüchtige Bekanntschaften zu schließen, um sich Stelldicheins auf der Untergrundbahn, in Konditoreien oder bei anderen Gelegenheiten zu geben und schließlich auch möglichst rasch intimer zu werden. –

Daneben blüht seit ewigen Zeiten der Heiratsschwindel, der sich gern und fast stets des Heiratsinserates bedient. Und immer fallen wieder Unzählige hinein auf die Versicherung, daß später geheiratet werden soll. Besonders Frauen werden Opfer des Heiratsschwindels. Sie glauben es immer wieder, wenn der Heiratskandidat behauptet, er brauche ihr Geld, um eine gemeinschaftliche Einrichtung preiswert kaufen oder um sich eine glänzende Existenz für die gemeinsame Zukunft schaffen zu können. Und in den meisten Fällen hat der Kandidat auch seine ernste Liebe durch die Tat bewiesen – zum mindesten allerlei Gunstbeweise erhalten. Gerade dies ist es, was so viele Frauen blind macht. In der unüberwindlichen Sehnsucht, aus der Einsamkeit herauszukommen, verfallen sie immer wieder den Galanterien der Schwindler – und immer wieder müssen sich die Gerichte mit diesen Fällen beschäftigen, in denen das Heiratsinserat als Lockmittel mißbraucht worden ist.

 

Adliges Ehepaar

erstklassige Beziehungen, arrang. bess. Ehen. Vorschußlos. Favorit Wilmersdorf, 4-7, Rückp.

 

Die Unmöglichkeit vieler oder auch ihre Unfähigkeit, sich anzuschließen oder den richtigen Gefährten für Liebe oder Ehe zu finden, hat zahlreiche Ehevermittlungsstellen der verschiedensten Art hervorgerufen. Für manche geschäftsgewandte Frauen ist es eine lukrative Tätigkeit, solche Himmelsverbindungen zusammenzubringen. Dann wieder bietet ein adliges Ehepaar seine erstklassigen Beziehungen an. Und schließlich haben sich sogar mehrere Vereine und Bünde aufgetan, um die Menschen zu beglücken. Selbstverständlich steht hinter solchem Verein irgendein Mann oder eine Gruppe, die dabei ihren Vorteil findet. Aber daß so etwas nötig und möglich ist, zeigt doch, wie gern der Berliner in galanten Dingen sich helfen läßt – oder wieviel Galanterie in Berlin herrscht, um auch solche Geschäfte zu ernähren.

 

Ein neuer Weg

bietet sich Damen und Herren durch den D. B. und Geselligkeitsklub in diskretester Form, Ehebekanntschaften zu machen. Persönliche Bekanntmachungsn erfolgen in vornehmer, zwangloser Art. Namhafte Künstler wirken an Gesellschaftsabenden mit. Schriftliche Anbahnung mit überraschend schnellem Erfolg.

 

Das Vereinswesen spielt ja überhaupt auf dem Gebiet der Galanterie eine ganz gewaltige Rolle. Es bestehen nicht nur Hunderte und aber Hunderte von reinen Geselligkeits- und Vergnügungsvereinen. Auch in allen andern Vereinen und Gesellschaften wird dem Liebesmarkt sein Recht eingeräumt. Kein Verein kommt ohne Tanzfeste aus. Stiftungsfeste, Kunstabende, Gesellschaftsabende – alle bieten der holden Weiblichkeit Gelegenheit, Anschluß zu suchen und Anschluß zu bieten. Allerdings wird meist ein Anschluß für's Leben, eine Heirat gemeint. Das hat also mit der eigentlichen Galanterie wenig zu tun.

Immerhin wird in allen diesen Vereinen und in ihren Tanzgesellschaften mit Eifer und Nachdruck geflirtet. Vielfach kennt man sich untereinander aus dem Büro, aus dem Warenhaus, aus der Werkstatt oder aus dem Fabriksaal. Da sitzen immer Gruppen und Gesellschaften beisammen. Und wenn hier ein Tänzer seine Tänzerin verläßt – dann geht sie nicht immer hin und tanzt gleich mit einem andern – dann geht sie wohl in den Garten, sieht, wie dort Paare im Dunst am Waldrande verschwinden – wie neben ihr eine Schwindsüchtige nach frischer Luft schnappt und eine andere sich in Glut an ein drittes Mädchen lehnt oder verzückt nach dem See hinüberstarrt oder zum Himmel hinaufsieht – und legt dann wohl selbst den Kopf auf den harten Gartentisch und heult. – –

Drüben aber zieht ein fröhlicher Verein zum Vorortbahnhof. Kichern und Lachen schallt über die Laubenkolonien und Bauplätze herüber.

siehe Bildunterschrift

H. Zille: Der Eindringling.
Kellner: »Entschuldigen Sie mein Herr, hier tagt ein Verein – geschlossene Gesellschaft!«

Fritz geht vorauf. Den Hut hat er ins Gesicht gedrückt, in das der greisenhafte Zug jener jungen Leute geätzt ist, die nur für Fabrik und Tanzboden leben. Den Mantelkragen und die Beinkleider hochgekrempt, den Spazierstock in der Tasche stelzt er den Weg entlang und singt:

»Hopsa Lene, hopsa Rike!
Himmlisch war heut die Musike!«

Und dann schreit er: »Galopp, Galopp, der Zug kommt!«

Der Schwarm fängt an zu laufen. Der Zug steht schon da. Stolpernd hinein. Abfahren!

Nicht alle finden einen Sitzplatz. Fritz und noch einige müssen stehen. Einzelne junge Männer lehnen sich an ihre Mädchen, die mit ihren Schultern den Kopf ihres Schatzes stützen. Die Mädchen, noch die Lust des Tanzes und den Glanz des Saales in den Augen, werden heiß. Ihre Köpfe glühen. Jede preßt sich fest an ihren Liebsten. Ihre bunten Hüte verschieben sich, die Kleider werden zerknüllt. Keine achtet darauf. –

Der Zug schleudert. Fritze wankt. Er läßt sich auf den Schoß eines Mädchens fallen: »Bloß mal 'n bißken sitzen!«

»Ja, det jloob ick – hier sitzt es sich jut!«

Der Schatz des Mädchens sieht finster hinaus auf die Geleise. Hohe Lichtmaste erheben sich über langen Wagenreihen, Lokomotivschuppen und Kohlenhaufen. Bunte Signale. Der Zug fährt knarrend in die Bahnhofshalle.

Rasch noch ein paar heiße lange Küsse. Dann Hüte auf, der Zug hält. Hinaus aus dem Wagen.

Und schließlich bringt nicht der Schatz, sondern Fritz das Mädchen nach Hause. – – –

Diese kleinen Bilder aus den Volksvereinen beleuchten die Galanterie, die in ihnen üblich ist. Anders ist sie natürlich in den bürgerlichen Vereinen. Da geht sie vielmehr unter dem Gesichtspunkt: Wer mich heiratet, den habe ich lieb!

Es kommt natürlich auch vor, daß der Fabrikantensohn nicht nur die Studienratstochter gern sieht und mit ihr mal auf kurze Zeit oder auch wohl gar im Garten verschwindet – sondern auch die Tochter vom Druckereidirektor beim Tanz zu überreden weiß, daß sie nächstens heimlich mit ihm in einer kleinen verschwiegenen Konditorei zusammentreffen wird. –

Und auch hier ein Aufwand von Seide, Spitzen, Flitter, Tüll, nackten Schultern, gepuderten Gesichtern – um ein wenig Zärtlichkeit, um ein begehrendes Auge, um sehnsüchtig umfassende Arme – um ein wenig Leidenschaft ...


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