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Julie von Voss

Den König Friedrich Wilhelm II. hatten die Geisterbeschwörungen der Wöllner und Bischoffswerder derart erschreckt und ins Innere getroffen, daß er sein Versprechen, die intimen Beziehungen zur Lichtenau abzubrechen, von 1780 an getreulich innehielt und sich nur mit einem freundschaftlichen Umgang mit dieser Frau begnügte, die zweifellos seinem ganzen Seelenleben und Charakter am nächsten stand. Den großen Einfluß, den sie auf ihn hatte, konnten also die Rosenkreuzer nicht ganz überwinden. Immerhin hatten sie ihn vermindert. Sie konnten und wollten wahrscheinlich auch nicht den Einfluß eines galanten Umgangs des Königs mit anderen Frauen ausschalten. Jedenfalls wurden die Augen des noch als Thronfolger lebenden Prinzen bald angezogen von andern weiblichen Reizen, nun ihm die Reize der Lichtenau versagt waren.

Im Jahre 1784 hatte der Prinz von Preußen, spätere König Friedrich Wilhelm II., sich in Julie von Voß verliebt. Sie war Hofdame bei der Königin, der Frau Friedrich II., die im Schloß Schönhausen wohnte. Ihre Tante, die Oberhofmeisterin von Voß, die als Fräulein von Pannwitz einst den Werbungen des Vaters von Friedrich Wilhelm II. hatte ausweichen und ihre Neigung für ihn hatte unterdrücken müssen, verstand es, dem Prinzen ein Gelöbnis abzuverlangen, der Sache ein Ende zu machen. Doch brachte das Frühjahr 1786 neue Anknüpfungen, die nur durch das strenge Auftreten der Oberhofmeisterin unterdrückt werden konnten. Sie hielt ihn durch Erinnerungen an sein Versprechen in Schranken und entfernte Julie auf drei Monate. Das schien sie vor dem Prinzen zu retten.

siehe Bildunterschrift

Bolt: Julie von Voß. die als Gräfin Ingenheim Friedrich Wilhelm II. als Nebenfrau angetraut wurde.

Seine Neigung aber überdauerte diese Frist, ohne zum Ziele seiner Leidenschaft zu kommen. Julie von Voß muß wohl einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn gemacht haben. Sie war von ebenmäßigem Wuchse, ihr zartes, blendend weißes Antlitz wurde von üppigem, rötlich schimmerndem Haar umrahmt. Kunstkenner meinten, sie sei wie eine jener Schönheiten Venedigs, deren bestrickender Reiz sich mit Marmorkälte vereinige. Mirabeau schreibt unterm 26. Juli 1786 kurz vor dem Tode Friedrich des Großen:

»Immer dieselbe respektvolle Leidenschaft für das Fräulein von Voß. Auf einer kleinen Reise, die sie mit ihrem Bruder machte, begleitete ein vertrauter Kammerdiener des Prinzen ihren Wagen in der Entfernung, und wenn die Dame, die nach meiner Ansicht sehr häßlich ist, das geringste Begehren kund tat, z. B. nach weißem Brote, so fand sie das, was sie gewünscht hatte, eine halbe Meile davon. Sie hat sich noch nicht ergeben, das scheint unzweifelhaft.«

In den »Bemerkungen eines reisenden Franzosen« wurde von ihr erzählt:

»Fräulein von Voß hat einigen natürlichen Verstand, einige Kenntnisse, mehr Raserey als Begierden, eine sehr merkbare Schiefheit, welche sie durch einen Anschein von Naivetät zu verbergen sucht. Sie ist garstig, und zwar in einem hohen Grade. Statt aller Reize, hat sie eine Bauernfarbe, die ich überdies mehr bleich als weiß gefunden habe, einen Mund, der schön genug ist, den sie auch einstmals bey dem Herausgehen aus der Komödie des Prinzen Heinrichs, als sie bey den Appartements vorbeyging, mit zwey Sacktüchern bedeckte, indem sie zur Prinzessin Friederike sprach. »Wir wollen uns recht verwahren, denn er läuft uns nach!« Urtheilen Sie von ihrem Tone, weil so was die Friederike lachen machte. Man sagt, ein Gemische von Ausgelassenheit, die einzig in ihrer Art seyn soll (die sie mit dem Scheine einer unschuldigen Unwissenheit vereinbart) und von vestalischer Sprödigkeit, habe den König bezaubert.«

Mitte August 1786 kehrte sie nach Schönhausen zurück. Abends kam schon der Prinz von Preußen. Seine Leidenschaft war gewachsen, nichts konnte sie abschwächen. Er dachte nicht an die Pflichten seines Herrscheramts. Nicht die Leichenfeier für den verstorbenen Friedrich II, nicht die mannigfachen Eindrücke der Huldigungsreisen, nicht die Fülle der Regierungsarbeit hinderten ihn, beinahe jeden Abend in Schönhausen zu verbringen. Sein häufiges Kommen konnte er nur wenig begründen.

Mit Blicken und Gebärden, im ernsthaften Zwiegespräch und durch leise zugeraunte Worte warb er leidenschaftlich um Julie. Er machte sich sonst nichts aus dem Kartenspiel, und Gewinn und Verlust konnte ihm gleichgültig sein; jetzt spielte er gern, und schönster Gewinn war, mit der Geliebten an einem Tisch zu sitzen. Er liebte mit dem lodernden Feuer des Jünglings und mit der unbeugsamen Ausdauer des Mannes. »Er folgt seinem Zweck ohne Rast und Ruh'.« Die Tante der Hofdame, die Oberhofmeisterin Frau von Voß, wünschte vergeblich: »Um seiner selbst willen möchte ich, er könne ein Mann sein und sich besinnen.«

Fräulein von Voß entschloß sich nochmals zum Guten, wie Bleich in seinem Buch über Friedrich Wilhelm II. schildert. Allein, es war nur das letzte Sichaufraffen. Die Wirkung auf den König war überraschend. Sei es, daß er nun alles verloren gab, oder daß er einen neuen Weg zu den alten Zielen verfolgte, genug, er fand plötzlich an Fräulein von Viereck Gefallen und wendete sich von Julie sichtlich ab. Das hatte sie am wenigsten erwartet, das konnte sie nicht ertragen; und die Kälte des Königs war ihr um so empfindlicher, als er gerade in jenen Tagen eine selbst an ihm noch nicht bemerkte Freundlichkeit und Güte gegen alle Welt bezeigte. Julie war trostlos. Sie liebte ihn zwar nicht, wie sie selbst äußerte, aber seine zähe Standhaftigkeit machte sie weich.

siehe Bildunterschrift

Cornelis van Harlem: Gastmahlszene
(Aus Friedrich II. Bildergalerie in Sanssouci)

Der König lebte in traurigen Verhältnissen: die Königin, seine Gemahlin, konnte er nicht lieben, und ihr Benehmen stieß ihn zurück; die frühere Geliebte konnte er nicht achten, aber ihre freundliche Art beherrschte ihn. Sollte es ihm nie vergönnt sein, Liebe und Wertschätzung zu vereinigen? Andererseits wäre es Julie als der Geliebten des Königs nicht möglich gewesen, diese Wertschätzung zu behaupten. So verbanden sich die Forderungen der jungfräulichen Ehre mit den Ansprüchen auf gesellschaftliche Stellung, und es ergab sich der Ausweg einer morganatischen Ehe, einer Ehe zur linken Hand. Freilich ist diese Form nur statthaft, wo eine vollgültige Ehe nicht besteht, denn die rechtmäßige Ehe macht die morganatische unmöglich. Allein hier zeigte sich die Gattin bereit, eine Nebenbuhlerin zu dulden, weil sie hoffte, den allmächtigen Einfluß der Freundin auszuschalten. Und nicht bloß die Lichtenau sollte ihrer Macht beraubt werden, sondern auch die Günstlinge, die den Sinn des Königs mit mystischem Zauber umfangen hielten. Es waren große Dinge, welche man von Juliens Einwirkung erhoffte: eine moralische und religiöse Läuterung des Königs, dazu eine veränderte politische Stellungnahme. Das letztere war bedenklich genug, denn es bezweckte ein Abgehen von erprobten friderizianischen Grundsätzen, ein Einlenken in die Bahnen englischer Politik, wofür Julie gewonnen war.

Kaum hatte Friedrich Wilhelm den Thron bestiegen, so ließ sich Fräulein von Voß, ohne, wie sie gestand, in den König verliebt zu sein, durch seine dreijährige treue Anhänglichkeit gerührt, bewegen, ihm sich zu ergeben, jedoch unter dreifacher Bedingung: daß die Bewilligung der Königin eingeholt werde, daß der König sie sich heimlich zur linken Hand antrauen lasse und daß die Lichtenau mit ihren Kindern nach Litauen exiliert werde. Letztere Bedingung schlug der König ab, die beiden ersten erfüllte er. Das devote Konsistorium erklärte vor der Trauung mit Berufung auf die von Luther und Melanchthon tolerierte Doppelheirat des hessischen großmütigen Philipp die Ehe des Königs zur linken Hand für zulässig. Die Königin gab ihren Konsens, da der König ihre Schulden bezahlte und ihr Nadelgeld erhöhte. Fräulein Voß erhielt nun in Potsdam eine Wohnung, 1787 ward sie zur Gräfin von Ingenheim erhoben. Ihr Bruder Otto Carl Friedrich von Voß, Schwiegersohn des Kabinettsministers Finkenstein seit 1780, ward zum Staatsminister befördert. Öffentlich hatte man der Gräfin die Stellung einer Ehrendame bei der verwitweten Königin im königlichen Palaste gegeben.

Dampmartin schildert sie als nicht besonders hübsch, sogar etwas »harzardiert blond«, aber sanft, anständig, kalt und wenig für den Ehrgeiz empfänglich. Sie war eine Schönheit im Genre Tizians und als solche ward sie im Berliner Wochenblatt bei Beschreibung der kleinen Feten und Hofbälle verblümt und inkognito gefeiert. Bei Hofe hieß sie die Ceres oder wegen ihrer Vorliebe für England Miß Bethy. Die neue Favoritin wurde durch ihre Verwandten, namentlich den Grafen Finkenstein, bewogen, sich dem Könige zu überlassen, indem man ihr vorstellte, daß sie das Glück des Landes fördern werde, wenn sie dazu beitrage, eigennützige und verkehrte Personen durch ihren Einfluß von dem König zu entfernen; sie müsse sich großmütig dem Ruhm desselben opfern. Sie opferte sich, nachdem sie, wie die Gräfin Lichtenau in ihrer Apologie sagt, vorher »ihr ganzes Fortune völlig in Sicherheit gebracht hatte«.

Die »Bemerkungen eines reisenden Franzosen« berichteten darüber:

»Er hat fünfhunderttausend Thaler in die Landeskasse niedergelegt, und die Anweisung darauf an die Fräulein von Voß geschickt. So wird sie, es mag gehen, wie es will, beständig wenigstens vierundzwanzigtausend Livres Einkünfte haben, außer den Diamanten, Tischgeschirren, Schmuck, Meublen, der Wohnung, die man für sie zu Berlin kaufte, die sie aber nicht bewohnen wird, und dem Hause auf dem Lande. Ihr königlicher Liebhaber hat alle diese behaglichen Geschenke selbst ausgedacht, und das Resultat davon ist dieß, daß das uneigennützige Mädchen ihr Glück besser gemacht hat, als es die schlaueste Kokette hätte tun können. Die Zeit wird uns lehren, ob sich ihr Geist zum Rang einer Favorit-Sultanin emporschwingen werde.«

Die Königs-Gemahlin zur linken Hand mußte es erleben, daß sie nicht die erwarteten Freuden genießen konnte. Sie wurde in Heimlichkeit getraut und wagte erst acht Tage nach der Eheschließung ihrer Tante zu gestehen, daß sie mit dem König heimlich getraut sei. Sie blieb noch bis zum September als Hofdame bei der gealterten Königin Elisabeth. Erst dann bat sie um ihre Entlassung und sprach von ihrer Hochzeit. Die alte Königin nahm die Nachricht als unvermeidlich hin. Sie hatte die glühenden Werbungen des Königs gesehen und wußte, was das bedeutete. –

Der König umgab Julie mit Liebe und ließ ihr das Schloß Charlottenburg einräumen. Ihretwegen veranstaltete er große Bälle, besuchte mit ihr die großen Diners seiner Verwandten und seiner Minister und nahm sie mit auf die Jagd nach Wusterhausen.

Die Minister und Hofleute beugten sich zwar alle vor der Favoritin. Aber sie mußte trotzdem peinliche Augenblicke in dem glänzenden Gesellschaftsleben hinnehmen. Ihre Jugendfreundin, die Prinzessin Friederike, wich ihr aus. Sie wollte die morganatische Gattin ihres Vaters nicht sehen. Da zwang der König die Tochter und auch den Kronprinzen zu einem Wiedersehen mit Julie.

Diese Erregungen und Demütigungen erbitterten Julie. Sie grämte sich auch über manches andere. Vielleicht weniger über die Geisterseher, die in Amt und Würden blieben, als über die Tatsache, daß der König seine Freundin Wilhelmine nicht entbehren konnte und jeden Abend bei ihr soupierte. Julie begnügte sich nur in bitterer Selbstbeschränkung mit der Zuneigung des Königs und verlebte das Frühjahr 1788 an seiner Seite in Potsdam.

Am 2. Januar 1789 gebar sie dem König den Grafen Gustav von Ingenheim. Wenige Wochen darauf nahm sie, trotzdem sie noch von einer über einen Unfall des Königs entstandenen Aufregung geschwächt war, an der großen Cour teil. Seitdem kränkelte sie ernstlicher und verfiel in eine in ihrer Familie erbliche Lungenschwindsucht. Der König vermied es, sie ferner zu besuchen. Sie starb schon am 25. März 1789. Der König kehrte wieder zu seiner lieben Rietz zurück, in deren Gesellschaft er sich ungezwungener fühlte. »Sie hatte« – schreiben die »vertrauten Briefe« – »so genau des Königs Reizbarkeit studiert, daß, wenn er durch häufigen Wechsel sich abgestumpft hatte, die alte Freundin noch Reizmittel im Rückhalt hatte, wodurch sie ihn so zu fesseln wußte, daß er immer wieder zu ihr zurückkam. Die Natur hatte ihr alle Reize verliehen, um Männerherzen zu fesseln; tändelnde Liebe war ihr nicht eigen, dagegen gab sie vollen Genuß der Sinnlichkeit. Ihr Körper war wunderschön, ganz Ebenmaß ohne Gleichen. Besonders ihre Arme waren von seltener Schönheit; sobald sie Handschuhe im Laden Paskels am Schloßplatze kaufte, fanden sich Kunstdilettanten ein, um zu bewundern, wenn sie beim Anprobieren ihre schönen Arme entblößte. Auch fehlte es ihr an Unterhaltungsgabe nicht.«

siehe Bildunterschrift

Sophie Juliane Friederike, Gräfin von Dönhoff. Zweite morganatische Gemahlin Friedrich Willhelm II.

Der Hofadel verbreitete das Gerücht, die Rietz habe die Gräfin Ingenheim vergiftet, und das Publikum glaubte es, besonders auch deshalb, weil der Leichnam, der in dem Erbbegräbnis der Familie Voß in der Kirche zu Buch beigesetzt worden war, nicht in Verwesung überging. Nach dem Tode des Königs, als der Volksunwille gegen die Lichtenau ausbrach, zirkulierte das Gerücht, daß der Tod infolge einer Vergiftung mit einem Glase Limonade in der Oper erfolgt sei; man wollte das in den Papieren der gestürzten Sultanin gefunden haben.

Da der König dem Gerüchte, das unbegründet war, keinen Glauben beimaß, versuchte der Hofadel den Sturz der verhaßten Rietz durch eine neue Favoritin.


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