Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XXXVII

Etwa drei Monate später, als Robert von einer neuen Inspektionsreise nach Bangkok zurückkehrte, zerbrachen unerwartet und plötzlich die letzten Nötigungen zu einem weitern Bleiben. Als er müd und sonnverbrannt unterm Wellblech seiner Residenz im Juchhee von Almeiras Hinterhaus seine Dschungel-Reiseköfferchen auspackte, sich rasierte und den Reisestaub von seinem müden Menschen wusch, brachte ihm der dicke Josef ein Telegramm: »Etwas für Sie, Imfeld, es kam vor einigen Tagen.«

»Halloh! Woher? Ein Telegramm von zu Hause! Was mag da drin stehn? Aber was sehe ich, es ist schon geöffnet. Mordio! Wer hat dieses Telegramm geöffnet, das deutlich an meinen Namen adressiert ist? Doch nicht etwa der alte Almeira?« Keine Angst, ein Verbrecher ist Arthur Almeira noch nicht! Er hat nur zu seinem chinesischen Lieblingsschreiber gesagt: »Ein Telegramm für Mr. Imfeld. Das sollte man vielleicht öffnen. Es könnte sein, daß Imfelds Vater gestorben ist.« Der Chinese hatte es sogleich aufgebrochen. Das Telegramm enthielt aber nur das Wort »Dreiunddreißig«. Das konnte auch eine Geburtstagsgratulation oder so etwas Harmloses bedeuten. Robert lachte jetzt froh, lustig und zufrieden. Jetzt war keine Gefahr mehr, den mühselig verdienten Lohn zu verlieren. Ein schöner Teil, fast alles vertragsmäßig ihm Zukommende war endlich bezahlt. Jetzt adieu Siam! Diese Idee mit dem Telegramm war gut.

Am heiligen Weihnachtsabend war ihm die 260 Methode eingefallen, damals in jenem Tempel. Auf dem Deckel seines Reiseköfferchens hatte er an seinen Vater geschrieben und ihn gebeten, in Genf einige Hebel in Bewegung zu setzen und ihm sofort die runde Summe telegraphisch zu melden, falls Almeira, wenn auch nur einen Teil, zahlte. Würden die Aussichten nicht rosigere sein, gedenke er nicht länger für die Firma zu arbeiten.

Jetzt galt es zu handeln. Ruck um Ruck löste er sich aus seinem unerquicklich gewordenen Arbeitsverhältnis los. Es ging nicht ganz leicht. Vorsicht war nötig. Er durfte, schutz- und machtlos, wie er in diesem fremden Land der mächtigen, reichen Firma gegenüberstand, sich keine vertragswidrigen Handlungen zu schulden kommen lassen.

Sein erster Gang führte ihn deshalb zu einem Arzt, einem imponierenden, tonangebenden Bangkok-Weißen. Es war ein Leichtes, bei dem abgerackerten Zustand, in dem Robert sich befand, ein kurzes, einen Urlaub befürwortendes ärztliches Zeugnis zu bekommen: Tropische Nervosität, bedingt durch Malaria! Robert brauchte sich zur Untersuchung nicht einmal auszuziehen; einen abgehundeten Dschungelwanderer kann man sogar durch die dünne Tropenbluse hindurch auscultieren!

Und jetzt brauchte Robert noch Geld. Am nächsten Morgen ließ er sich im Geschäft eine letzte runde Summe geben unter der allgemeinen Angabe ›Für Prospektionen‹, unter der er früher schon immer Geld bezog – er hatte doch noch seine Bedienten auszuzahlen, ihnen ihre Billete heim nach dem Süden zu 261 verschaffen, er hatte außerdem eben einen größern Betrag für die Firma auf dem Minendepartement ausgelegt, – zweitausend Dollar ließ er sich, um freie Hand zu haben, geben, und am gleichen Nachmittag noch sandte er seine Demission samt einer Kopie des ärztlichen Zeugnisses an die Firma. Gleich darauf siedelte Robert lachend von seinem Wellblech- und Bretterbudenjuchhee ins behagliche, moderne Oriental Hotel über.

Alles war durchaus mit rechten Dingen zugegangen, aber trotzdem nicht vorsichtig genug! Es folgten einige ganz unerwartet tumultuöse Tage, da – Imfeld und Almeira der zweitausend Dollar wegen nicht gleicher Meinung waren, da auf einmal das ganze indische Wunder Junge bekommen, die tropische Sonne junge Sonnen gebären und Robert verrückt werden zu sollen schien. Zum Abschied die freundliche Beschuldigung auf dem Buckel, lächerliche zweitausend Dollar unterschlagen zu haben, ein Heimreisebillet zwar von der Firma garantiert, aber für einen vor acht Tagen schon überfälligen Dampfer, der jeden Augenblick abpfeifen konnte, seine paar Heiligtümer und Habseligkeiten, die Skizzen-Tagebücher, Andenken und Photographien tausend Kilometer weit entfernt in Robinsons Office, in der Gewalt seiner Feinde, nervös und tropenmüd – in einem Hotelzimmer, wo der Lärm aus der Bar bis tief in die Nacht nicht verstummte, in diesem wüsten Durcheinander seelischer und körperlicher Art sollte der arme, geprellte Robert jetzt seinen Endrapport zusammenstellen und ihn samt allen Erzmustern, die er noch besaß und mit den zweitausend Dollern, die er 262 nicht mehr besaß und nicht ohne weiteres herzaubern konnte, abliefern.

Statt daß er jetzt in aller Ordnung noch ein paar Andenken kramen und in Behaglichkeit abziehen konnte, ein geehrter, danküberhäufter Mann, der sich für seine Firma Mühe gegeben, mußte er jetzt im letzten Moment mit Händen und Füßen um seinen guten Namen kämpfen, bevor er Hals über Kopf, fast wie ein Dieb, aus diesem liebenswürdigen Elephantenland wegkam....

Alle Prüfungen haben ein Ende.

Eines Mittags saß Robert nicht nur tatsächlich an Bord des kleinen Dampfers »Matahari«, zwar nur bis Singapur mit einem Billet versehen (das dortige Zweigbüro Almeira werde für die Weiterreise sorgen!), sondern er hatte außerdem im letzten Moment seine sämtlichen Skizzenbücher und kleinen Heiligtümer unversehrt erhalten. In Singapur hatte er sogar noch drei Tage auf den überfüllten Dampfer zu warten. So kam er, völlig unvermutet, doch zu einem ruhigen Abschied vom Osten.

An jenen Abenden saß er als einziger Europäer in der Opera malaju.

Am ersten Abend wurde Shakespeare in malaiischer Sprache gegeben, am zweiten ein chinesisches Familienstück, am dritten eine malaiische Tragödie. Wie gewandt diese malaiische Truppe operierte, Europa, China imitierte und doch selber malaju blieb. Als das chinesische Stück gegeben wurde, war das Theater voll Chinesinnen. Robert saß in einem Meer brandschwarzer, von Goldpfeilen durchbohrter, tintenschwarz von 263 schneeweißen Nacken abstechender Chinesinnenfrisuren. Mandarine, Könige, Göttinnen starben an diesen Abenden auf der Bühne, Zauberer verdrehten ihre Gliedmaßen, Hanswurste jonglierten mit improvisierten, derben Witzen. Das aber, was Imfeld nie mehr vergaß und nie mehr vergelten würde, war eine Malaiin, die ganz in schwarz gekleidet, die unscheinbare Nebenrolle einer unansehnlichen chinesischen Dienstmagd spielte.

So hatte Robert nie vorher, nie später Theater spielen sehen! So wie diese kleine Malaiin sich in ihre undankbare chinesische Nebenrolle zu finden und selber zur Hauptfigur zu werden verstand, das war mehr als menschliches Können. Das war schlechthin Religion ausüben, war Beten, dem Schicksal vertrauen. Und die kleine chinesische Magd in ihrer demütigen Rolle wurde Robert zum freundlichen Stern, der ihm zum Abschied von Indien schien....

 


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