Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII

»Und schauen Sie dem Herrn ein bischen auf die Finger!« mahnten die letzten Sätze in Georges Brief. »Er wohnt jetzt seit mehr als einem halben Jahr am Kau Lek und hat in dieser langen Zeit noch nicht ein einziges Mal rapportiert. Er scheint ein alter, gewiegter Fall zu sein von einem Nichtstuer – Geld bezogen hat er von uns allerdings nicht viel.«

Allright. Und Robert war unterwegs. Nach allem, was er bei Robinson und Parker über diesen Mr. Clark, den er jetzt inspizieren sollte, gehört hatte, mußte dieser ein älterer, erfahrener Mann sein. Beide hatten immer mit Achtung von Clark gesprochen, mit jener Art Bewunderung, wie man sie in Europa etwa einem gewiegten Ein- und Ausbrecher nicht völlig verweigern kann. So wurde dem jungen Geologen der Gang nach Kau Lek zum Ereignis. Er 95 fürchtete ebensosehr als Anfänger, sich lächerlich zu machen, wie er hoffte, viel seinem Beruf Nützliches über dieses seltsame Land zu vernehmen.

Eine nächtliche Bootfahrt und anderthalb Tage Marsch durch lichten Dschungel, in dem es von Blutegeln wimmelte, durch Reisfelder und schließlich einen verzweifelt steilen, rauhbockigen Pfad hinauf, brachte ihn in Clarks Mine. Dieser Clark, ein nicht mehr ganz junger, strohblonder Schotte mit Vergißmeinnicht-Augen und auffallend leidendem Zug um den Mund, empfing Imfeld kühl, aber höflich. Er hat das Gesicht eines merkwürdigerweise trotz allem (unsoliden Lebenswandel) altgewordenen Schlaumeiers, dachte Robert. Imfeld war angemeldet und erwartet gewesen. Man würde jetzt ein paar Tage zusammenleben, gemeinsam wohnen, gemeinsam auf der kleinen Veranda essen, und wenn der uralte, gefährlich altersschwache, riesige Mangobaum, der über Clarks windschiefe Hütte hing, zusammenbrechen sollte, würde man sogar gemeinsam sterben.

»Wie zierlich alles eingerichtet ist!« dachte Imfeld. »Wie lustig, diese Tapeten aus alten Zeitungen mit Bildern aus aller Welt. Wie hübsch und sauber Clarks Koch gekleidet ist. Wie er artig auf seinen Herrn hört. »Häuslichkeit«, dieses ordentliche Wort fiel Robert immer wieder ein. »Wie niedlich alles aussieht,« sagte Imfeld, als er am nächsten Morgen mit dem Ingenieur die nähere Umgebung der Mine abschritt: dieses Gärtchen zwischen den Kulihäusern, das Badeplätzchen mit der Schutzwand aus geflochtenem Bambus, dieser Vorratskeller, in den Felsen eingelassen hinter der 96 Küchenecke des Hauses! Schmale, saubere Weglein führten von der Mine zu den Wohnungen der Kuli, vom Werkzeugschopf zu den Erzwaschplätzchen. Im Vorraum der Kulikantine waren hübsche Plakate mit den Namen der Arbeiter zu sehen, pflichtbewußte Arbeit und Ziel. »Das alles ist Meh Liengs Werk,« sagte Clark, »Meh Lieng ist ins Dorf, in einigen Tagen kommt sie zurück. Sie werden Meh Lieng sehen.«

»Meh Lieng?«

»Meh Lieng – meine malaiische Frau, mit der ich seit fünfzehn Jahren zusammenlebe.«

Es ging ganz unbegreiflich sauber zu in Clarks Mine, ähnlich genau wie bei Zahler, aber billiger, alles ging fließender und sah fast nach Erfolg aus. »Oft hat mir Meh Lieng wichtige Dienste im Verkehr mit den Eingeborenen geleistet. Wissen Sie, Mr. Imfeld, es macht sofort einen guten Eindruck auf die Eingeborenen, wenn sie sehen, daß man eine rechte Frau hat.«

Imfeld blieb einige Tage in Kau Lek. Manchmal unternahm er Inspektionsreisen in die Umgebung, ohne Clarks Begleitung; abends saßen sie dann wieder vereinigt bei kaltem Thee und Whisky, und erstaunlich rasch und ganz unerwartet bahnte sich zwischen dem alten Mann und dem jungen eine Freundschaft an, die von Herzen kam. »Wie gehts in Loh Hut, in Long Rek....?« fragte etwa Clark, »waren Sie schon dort? Was ist los, daß Parker anfing zu saufen? Er war doch sonst ein vernünftiger, gebildeter Mann.«

Mr. Clark wußte mehr als andere Weiße von Minenangelegenheiten. Er durchschaute die lächerliche und schwierige Lage Imfelds, der überall rasch sein 97 Urteil abgeben sollte, ohne Zeit zu wirklicher Inspektion zu haben. Und Clark war gescheit genug, um zu ahnen, daß auch Imfeld erkannte, er, Clark, sei schlau und gescheit. Dieses gemeinsame Wissen (um den Unsinn der Dinge) war es, was die beiden rasch näher verband.

Oft floß aus Clark eine Rede heraus, die für Robert Goldeswert besaß: »Ich erwarte wenig Gutes von den Angeboten der Chinesen. Ich kenne das vom Süden. Jeder dieser Kokosköpfe meint, er möchte rasch reich werden. Ich habe selber Dutzende solcher Minen-Angebote erledigt, bin oft selber in den Dschungel hinausgewandert, und wenn wir den Platz des Gewährsmannes erreichten, war alles ein Schwindel. Die Eingeborenen haben einen Sinn mehr als wir Weiße, einen Sinn, der ihnen Träume von Geld und Reichtum so intensiv vorgaukelt, bis sie dran glauben. Glauben Sie mir, Mr. Imfeld, Miner sein heißt zweifeln und immer wieder zweifeln. In Siam gibts auch weiße Elephanten! Manch einem war ich auf der Spur.«

Man lag bequem auf Feldbetten. Man rauchte. Ein Schrittlein weiter und schon sprach man mit vollem Vertrauen vom Leben. Jetzt erzählte Clark von seiner eingeborenen Mißis: »Sie hat so viel für mich getan, sie schaut für mich. Haben Sie das kleine Gärtchen gesehn; sie hat sogar richtige Kartoffeln gesetzt und fragt mich jeden Tag, ob sie wohl aufgehn?« Wenn Clark beim Thema »Weib« angelangt war, ließ er nicht so bald los. Und all die vielen Schnurren, die er vor Imfeld ausbreitete, schlossen mit dem Reim: »Auch Sie, Mr. Imfeld, haben ein Bini nötig, ein strammes, 98 tüchtiges Weib!« Robert sagte jedesmal ebenso tief überzeugt wie abwehrend: »O yes!«

»Have one more!« Clark schenkte nochmals ein. »Ich bin ein wenig traurig. Sie haben mir einen Brief mitgebracht, Mr. Imfeld, mit der Nachricht von der schweren Erkrankung meines alten Vaters.« Robert horchte auf. Clark fuhr halb lächelnd, halb mit beschwerter Stimme fort: »Er ist ein guter Alter und hat nicht viel Freude an mir erlebt. Man bereitet seinen Eltern Schmerzen, ohne daß man es will. Warum ist die Welt so schlecht? Ich lief früh weg vom Gut meines Vaters, ich liebte die Großstadt und die Ferne, segelte früh, kehrte zurück und besuchte vorübergehend doch eine technische Schule.« Clark schwieg, die Nacht sang im Wald, der alte Mangobaum rauschte.... »Ich ging seit fünfzehn Jahren nie mehr nach England zurück. Was sollte ich dort? Die alten Freunde sind vergessen, Vater und Mutter alt oder tot; hier draußen ists gut. Ich habe Meh Lieng ein Häuschen gekauft drunten in Malakka, in ihrem Heimatkampong, ich werde hier bleiben, hier leben und....«

Da mußte Robert an seine Heimat denken. Wie anders war es für ihn! »Wir mit unserm kleinen Ländchen, wir Schweizer können nicht so leicht verloren gehn. Wir finden die alten Freunde und Bekannten leichter wieder. Ja, einige werden tot, andere vergessen und unwichtig geworden sein, wir selbst aber, wir, die aus der Ferne heimkehren, sind gewachsen, haben gegenüber unsern eingesessenen Bürgern eines winzigen Binnenländchens so viele Qualitäten uns erworben, sind selber so stark Persönlichkeit geworden, 99 daß es möglich sein muß, irgendwie zu bestehen und in Laufe der Zeit vielleicht sogar im kleinen Vaterland ein großer Jemand zu werden. Arme Engländer! Was heißt das in London: ich komme von Indien. Aber einen großen Vorteil genießt ihr doch – ihr seid überall zu Hause auf der ganzen Erde.«

Jetzt predigte Clark wieder weiter: »Ich liebe die Großstadt und liebe den Urwald, die Metropole, wo die Sittengesetze ohnmächtig werden im Gewimmel der Häuser, Straßen und Menschen. Ich liebe den Dschungel, wo meine eigenen zehn Gebote gelten, Urwald und Großstadt, wo ich unbekümmert um die Ansicht gesetzgebender Narren so leben kann, wie ich will, wie ich bin.« Ist das vielleicht ein Verbrechen, sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten? Ist es ein Verdienst, einem reichen Mann zu noch mehr Geld zu verhelfen? schien Clarks Gesicht zu fragen. Der Ingenieur war merkwürdig lebhaft geworden, und Robert fühlte, daß er jetzt sein Herz vor ihm bloßgelegt habe. Aber als wäre Clarks Antlitz mit seinem Herzen nicht einverstanden, als schämte sich dieses, daß jenes sein tiefstes Geheimnis preisgab, nahm es plötzlich wieder jenen gepeinigten Zug vom Spitzbuben an, und Imfeld erkannte: in den leidenden Zügen steht nichts von Untaten geschrieben, oder gar von Verbrechen. Es ist eher die ewige Sorge um ein zähangeborenes Recht, die fortwährende Angst, dieses Recht zu verlieren: so leben zu dürfen, wie es mir behagt – das Clarks Gesicht alt und bekümmert macht. Das ist die Angst vor der europäischen Hast, vor Zwang und 100 Vorschrift, die Clark bis tief in sein Leben verfolgte und in die unwirtlichen Wälder vertrieb.

Es war ganz still geworden. Die Oellampe flackerte trüb, gedämpft klangen Stimmen von den Kulihütten herüber, der Vollmond stand silbern über den Bäumen, und der Dschungel rauschte leise sein ewiges Lied....

Kling, kling, klang es am nächsten Abend durch den Wald, »sie ist da!« sagte der Ingenieur, ein mächtiger Elephant, ein altes Tier mit kreuzweise übereinandergewachsenen Zähnen schob sich aus den Stämmen und setzte Meh Lieng ab.

»Tabek Tuan!« Das war ein verrückter Abend im Wald. Meh Lieng schnatterte und erzählte, lachte und schaffte, packte hundert Kleinigkeiten aus, und Nang Nuy, das kleine, gazellenbraune Mädchen, das ihr wie ein Schatten folgte, ging schön und leicht gekleidet aus und ein. »Willst Du nicht bei unserm Gast schlafen?« fragte Clark. Nang Nuy schaute Imfeld prüfend an. »Sie ist das Kind des ältern Bruders von Meh Lieng,« fuhr Clark fort, »sie ist gleichsam bei uns in den Ferien und gut aufgehoben.«

»Sehr gut!« sagte Robert lachend. – –

Man muß das gesehen haben, dachte der Geolog auf seinem Heimweg nach Sridharmaray, ganz erfüllt von jenem Waldidyll, dessen Zeuge er wurde, – wie diese wilden, unbändigen Gesellen am Rand aller Kultur von einer Frau gemeistert werden. Wie auch im verlorensten Kerl noch ein Fünklein des Göttlichen glimmt, ein Fünklein Wissen und Ahnen von Herrlichem, von Treue, Glauben und Anhänglichkeit. Ist das nicht die gleiche Liebe, der das Höchste im Leben 101 entspringt, ist das nicht die gleiche göttliche Liebe, unter deren Stern Dichter und Künstler geboren werden? In diesen Hinterwäldlermenschen! Das ist der selbe Glaube, das selbe Sehnen nach dem Echten, das selbe Suchen nach der Mutter und Natur – ein Suchen um jeden Preis, selbst um den des irdischen Todes. Und wenn auch einem solchen, der dem Bürgertum bis an den Rand der Welt auswich, und wenn auch Clark die Rückkehr ins Land der Weißen durch allerlei verpönte Taten schwer, ja unmöglich ist, – Clark ist ein Mensch mit Herz und darum ein Ganzer!

Etwas von seiner Achtung und Bewunderung floß ganz ungewollt in Imfelds Kau Lek Rapport. Es hieß darin zum Schluß: »Daß die Mine arm ist, ist nicht seine Schuld. Er wurde nie um seine Meinung gefragt. Almeira & Co. haben ihn dort als Ingenieur eingesetzt: schauen Sie das Beste draus zu machen! Und das hat er wahrhaftig getan. Freilich auf seine Art.«

 


 << zurück weiter >>