Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XXXIV

Seinen zweiten hinterindischen Weihnachtsabend verbrachte Imfeld an der Grenze von Cochinchina, drei Tagereisen von der sagenumwobenen Ruine des Angkor Tempels entfernt, in einem ähnlichen der vielen kleineren Waldtempel, die in diesen menschenleeren Landesgegenden allgemein als Rastplätze benützt werden und ebensogut dem reisenden Edelmann wie jedem armen Teufel von pilgerndem Wanderbruder offen stehen. Es war tropischer Winter, angenehme Jahreszeit, der Regen endlich vorüber, und der 240 wolkenlose Abendhimmel erstrahlte in intensivem Violett. Der Tempel war keine Sehenswürdigkeit, war primitiv und halb zerfallen, aber groß angelegt und weit, eine kleine Pfahlbaustadt für sich. Drei, vier Gebäude waren durch verandaartige federnde Böden aus Bambus miteinander verbunden, so daß man auf diesem schwankenden, auf Stelzfüßen stehenden Rost auch zur nässesten Zeit trockenen Fußes vom heiligen Schrein mit den Buddhastatuen zu den Wohnkammern der Priester gehen konnte.

Imfeld hatte eben zu nacht gegessen. Die Priester, die abends nüchtern blieben, hockten, in ihre gelben Mäntel vergraben, vor ihrem Allerheiligsten, und die kahlgeschorenen Schädel glänzten im Abendschein wie Knochengerippe oder wie die nackten Hinterköpfe einer im Halbkreis um ein Aas versammelten Schar Geier. Kleine Buben, die Schüler der Mönche, mit tief dunkeln Funkelaugen, aus denen unverbrauchte Kraft sah, – wie bald ist alles Feuer verlodert! – standen und höckelten in dienenden, unterwürfigen Stellungen herum, während das Gemurmel der betenden Priester bald in großen Wellen, bald wie das Plätschern einer verborgenen Quelle durch den Abend rann. Aus großer Ferne, über den Wald trug der Wind die langweilig regelmäßigen Schläge eines Gongs hinüber.

Robert saß auf seinem Reisematratzlein. War er müde, daß er den Kopf in die Hände stützte? War er so schrecklich weit gewandert? Fürwahr, diese ewigen Wanderungen durch den Dschungel ermüdeten. Der Gong hatte etwas Einschläferndes. Nichts Aufpeitschendes hatte dieser Murmelgesang der Priester. Es war 241 Weihnachten. Dachte Robert vielleicht an die ferne Heimat?

Sorgen wenigstens brauchte der Geolog sich keine zu machen. Sorgen waren gut für Leute, die zu hohe Wünsche mit sich schleppen, für Leute, die reich werden, Millionär werden möchten, wahnsinnige Ambitionen nähren nach zwanzig Prozent, nach Villen und hohen lebenslänglichen Renten. Robert hatte einen fixen Monatsgehalt, der bis zum Abschluß seiner Mitarbeiterschaft zu einem hübschen Häuschen angewachsen sein würde. Er schämte sich fast. Was hatte er getan, um all das viele Geld zu verdienen? Er hatte zwei Jahre lang immer wieder »Nein!« gesagt, »Nein!« und – »Vorsicht!« War das nicht ein komischer Beruf?

Nun, es würde nett werden, ein bischen bei dem großen Geld ausruhen zu dürfen zu Hause. Ausruhen, an die frische Berg- und Gletscherluft zu sitzen, würde gut tun, und über dieses heiße Indien und den Dschungel nachzudenken. Wandern in Ehren – aber sitzen und denken tat manchmal auch gut! Wenn nur.... ach ja, auch in Robert waren in letzter Zeit ein paar Zweifel aufgestiegen, häßliche, dumme Zweifel. Almeira hatte vieles versprochen.... Almeira hatte auch vieles gehalten, aber.... daß er aus einem Mißverständnis meinen Lohn ein volles Jahr lang einzuzahlen vergaß, das ist etwas stark, dachte der Geolog. Was nützt mir so der beste Vertrag!

Nun, Robert wollte jetzt nach Hause schreiben, er hatte einen guten Plan, vielleicht ließ sich das Mißverständnis wiedergutmachen.

242 Das wars, was Robert in letzter Zeit auf dem Magen lag. War man vielleicht Zinn- und Goldsucher zum Vergnügen? Riskierte die Gesundheit, lebte wie ein Schwein im Morast, hungerte und fieberte, um schließlich als kranker Bettler abgeschoben zu werden? Ja, natürlich war man zwar Abenteurer aus lauter Spaß, keiner würde dies aufreibende Leben ertragen, wenn nicht freiwillig, aber – Gerechtigkeit mußte sein in der Welt....

Als Imfeld von dieser Fahrt in die Hauptstadt zurückkam, fand er einen alarmierenden Brief von Schneider: »Wenn bis in drei Monaten Gadscha puti nicht besser aussieht, laufe ich fort. George wagt weder das eine noch das andere Arbeitssystem, weder einen Bagger in die Mine zu stellen noch die Druckleitung fertigzumachen; wo bleiben meine Prozente?«

Armer Schneider, dachte Robert. Wäre es nicht das Beste, wenn er Almeira & Co. wirklich einfach fortliefe? Aber wohin? Klein war der Bedarf an andern als kommerziell gebildeten Weißen da draußen im Osten, selten waren die offenen Stellen in diesem Land, das seine neuen europäischen Angestellten gern frisch und kräftig und jung direkt von Europa bezog.

Und dann hieß es da noch in Schneiders Brief: »Neulich war ich in Sridharmaray. Da kam plötzlich auch Parker daher, ganz verwandelt und retabliert, rasiert und den Kopf gewaschen. Ich sprach natürlich weder mit ihm noch mit Robinson, verkehrte vielmehr nur mit Keng Hui, hörte aber den Chiefengineer zu G. W. R. sagen: ›Das Harmonium und meine Frau sind gut in Long Rek angekommen.‹ Es stimmte also: 243 Parker sitzt fest im Vertrauen von George.

Imfeld, stellt es Euch vor: seine wirkliche englische Frau hat dieses Scheusal Parker wiederbekommen! Welch ein Anblick; eine dicke, ältere Matrone im Dschungel von Long Rek, mit Brille, Bibel und Harmonium. Nicht zum Ausdenken, diese Dame bei Parker im Bett. Und er bei ihr. Parker, diese Schönheit von einem Biersäufer, dieser Meh Sih Chinesenverehrer. Aber keine Angst! Mrs. Parker scheint voll Religion zu sein, ruhig schaut sie durch die Brille, ihr Blick besänftigt, stimmt ernst und brav wie die schwarzen Deckel einer Bibel.«

Halloh, dachte Robert lachend. Aber, und die Meh Sih? Ach ja, da stand noch etwas am Rand hingekritzelt: »Seine Chinesin hat Parker rausgekickt, es heißt bereits, sie sei am Dickwerden, von – Parkers Koch!«

Imfeld suchte auf alle Fälle Schneider zu raten. Einige geeignete Adressen von Firmen, die für Schneider im Notfall in Betracht kamen, konnte er auftreiben; die schickte er nach Gadscha puti.

Noch einen andern Brief hielt Imfeld stirnrunzelnd in den Händen. Der dicke Josef hatte ihn gegen ein gutes Nachtessen und eine Flasche Whisky aus Almeiras Geschäftsbuchhaltung in Imfelds Hände geschmuggelt. Das war gut. Es verhielt sich so damit: während der Brief von Almeira in Genf Imfelds Vater die rückständige Lohnauszahlung auf den heimatlichen Konto in nahe Aussicht stellte, schrieb dieser gleiche Almeira-Vertreter unterm gleichen Datum nach Indien hinaus: in Wirklichkeit denke er natürlich nicht im 244 entferntesten dran, bei dem nicht ganz normalen Kurs Imfelds Salär zu bezahlen. So hätte Robert also jederzeit Beweise dafür, daß Almeira sich nicht die geringste Mühe gab, ihn vertragsgemäß zu behandeln.

 


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