Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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I

Was war das wieder für ein unsinniger Krach und Streit, ein Gefluche und Getue wie kein Teufel es sich besser ausdenken kann. Die weite Verandabaute widerhallte von Scheltworten und Fußgestampfe, es dröhnte bis in die lange Dorfstraße hinaus. »Sie haben sich nicht damit zu befassen, Robinson, Sie sind Kaufmann, in die Minenangelegenheiten sollen Sie nicht hineinreden,« schrie immerfort der Mann mit dem bleichen Gesicht und Hängeschnauz, »Mineningenieur bin ich! Verstanden!«

Robinson, genauer: G. W. R. Robinson, wie er gern genannt sein wollte, da in der Welt draußen ebensoviele Robinsons herumlaufen wie etwa in der Schweiz Meier, Robinson regte sich nicht sonderlich auf. Es war nicht ganz klar warum er so kühl blieb; am Ende fühlte er sich als gebildeter Mann. Er hockte in einem Rohrstuhl, die Füße auf der Tischkante, englische Methode zu sitzen; es war bequem so. Er hörte zu, mit spöttischem Lächeln in den Mundwinkeln.

Robinson, der kaufmännische Vertreter der Weltfirma Almeira in Sridharmaray war städtisch gekleidet, helle Hose, Jacke aus Seide, Kragen und Schlips. Der Mann, der so schrie und dem jetzt der Bierschaum im Schnurrbart hing, sah neben Robinson in Kaki und 8 Segeltuchschuhen wie ein gewöhnlicher Erdarbeiter aus. »Tun Sie etwas genauer, was Ihre Pflicht ist,« brüllte der Ingenieur weiter mit wutverzerrtem Gesicht, »die Chinesen beklagen sich, daß sie oft stundenlang vor dem geschlossenen Office warten müssen, wenn sie nichts weiteres wollen, als Almeira & Co. ihr Erz verkaufen!«

»Almeira hat letztes Jahr im Erz Hunderttausend rein gemacht!« lächelte Robinson.

»In diesem Brief« – der Ingenieur zog ein verrunzeltes Kuvert hervor – »in diesem Schreiben« – und der wilde Mann rannte wie besessen über die Veranda hin und her, als wollte er rechte böse Worte durch die Bewegung aus seinem Innern hervorholpern, – »in diesem Brief beklage ich mich über Sie bei George Almeira in Bangkok, Sie Lump!«

Jetzt stellte Robinson seine großen Füße einen um den andern auf den Boden und richtete sich in seiner ganzen unglaublichen Länge auf. Es sah ganz so aus, als wollte er richtig grob werden. Die Ohren standen von seinem Kopf ab wie bei einer Giraffe. Wer ihn so stehen sah, dachte: vielleicht kann er sie bewegen. Auswärts unter seinem rechten Auge hatte Robinson einen weinroten Fleck. Die zerbissene Pfeife zitterte in seinem Mund. Er war soeben beleidigt worden. Er machte giftige kleine Aeuglein. Jetzt spie er weit in die Veranda hinaus und – setzte sich wieder, die Füße auf dem Tischrand. Das waren nämlich Kleinigkeiten. Unter Leuten am Rand der Kultur regt man sich nicht so schnell auf, und erträgt auch mehr als zu Hause. Unglaublich was man »draußen« alles erträgt!

9 Wenn Robinson und Parker aneinander gerieten, ging es nie anders. Das scheußliche Wetter heute machte die Sache nicht besser. Die einzelne Kokospalme vor dem Office-Eingang schwang im Wind, in der Ferne rollte der Donner, es regnete wieder, wie es nur am Aequator regnen kann. In Strömen klatschte der Regen herab, manchmal ergriff ein Windstoß ein paar lose Atap des Palmenblattdaches, und ein rascher Guß spritzte lustig ins Haus herein auf Tisch und Boden. Die zwei Europäer flüchteten sich aus der Veranda ins Office hinüber. Das war der einzige anständige Raum in dem großen Bau, das einzige Zimmer mit einer Decke, wo man nicht vom Boden aus direkt ins nackte Dach hinaussah. Hier saß Keng Hui, Robinson's chinesischer Schreiber beim Zahlenbeigen. »Morning Sir,« sagte er ergeben. Er kannte seinen Herrn, und dieser kannte ihn.

Die Regenzeit hätte eigentlich auch hier in Südsiam bereits vorbei sein sollen, tatsächlich war sie es noch nicht. Ingenieur Parker hatte die Gelegenheit benutzt, nur deshalb war er von Long Rek nach Sridharmaray herabgekommen, weil man bei diesem Hundewetter doch nicht im Dschungel arbeiten konnte. Oder kam er wirklich, um nach dem Rechten zu schauen? Uebrigens war er viele Monate nicht mehr in Sridharmaray gewesen, und als Ingenieur hatte man im Hauptort manches zu tun. Sridharmaray, das fast städtische Dorf im gleichnamigen Minendistrikt hatte neues Leben erhalten. Zinn und Wolfram standen hoch im Preis. Das Minenfieber hatte die Einwohnerschaft ergriffen. Armselige Kuli wurden reich.

10 Kaum hatten die zwei Engländer es sich im Office bequem gemacht und waren gerade dabei, den groben Faden ihrer Unterhaltung weiterzuspinnen, da kam ein Ponywagen angerast und ein dritter Ostindier erschien. Er paßte zu den zwei andern. In Kniehosen, wildost gekleidet, sah er noch dschungelmäßiger aus als Parker. Er hatte ein Gesicht wie ein Kinokönig. Der Nase nach konnte er von einem Steinadler abstammen. Er setzte sich auf Robinsons Pult.

»Entschuldigen Sie einen Augenblick,« wandte sich Robinson jetzt unheimlich freundlich an seinen Feind Parker, und den eben angekommenen stattlichen Räuberhauptmann fragte er: »Tully, Sie wünschen?«

»Geld, aber schnell!« und Tully fuhr fort: »Stimmts, man munkelt, Almeira & Co. bekomme neue Ingenieure?«

Parker zitterte vor Wut.

Robinson fragte: »Wieviel wünschen Sie?«

»9000!« Tully quittierte und war fort. Auf der Treppe rief er zurück: »In Gadscha puti gehts los!«

Arbeitete denn eigentlich auch Tully für Almeira & Co.? Das war nicht ganz sicher. Wohl kaum, aber vielleicht würde er seine Besitzung in Gadscha puti an Almeira verkaufen. Ach was, dieser Räuber Tully war Minenbesitzer! Parker hatte auch davon schon gehört, von diesem Unsinn. Er hatte vieles gehört. »George Almeira«, sagte er entrüstet, »ist glaube ich verrückt. Ich bin Ingenieur; aber mich fragt er nie um Rat. Und doch bin ich sein Freund!«

Und dann ging's im Office wieder los. Als wäre es schade um jede unbenützte Minute, keiferten die 11 beiden grobianisch weiter. Jeder hatte Trümpfe in der Hand, jeder spielte überzeugt, jeder konnte leichte Siege erringen. Alle Europäer im Osten haben Schwächen, alle müssen neben Gewinnen Verluste registrieren. »Sie Parker, können natürlich auch Geld bekommen, – bis zu tausend Dollar im Monat. Mehr erträgt Ihr Platz nicht!«

Der Ingenieur war sprachlos vor Wut und Scham. Aber dieser freche Robinson war plötzlich angriffslustig und fragte spitzig weiter: »Wann gedenkt eigentlich Ihre Mine in Long Rek Ausbeute von sich zu geben?«

Parker heulte vor Wut heraus. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser in Scherben gingen: »Verdammt, nicht Ihnen, Robinson, bin ich Rechenschaft schuldig!« Robinson lächelte still vor sich hin. Gewiß, seine Frage war scharf, wenn man bedachte, daß Monat um Monat seit bald zwei Jahren zweitausend Dollar nach Long Rek hinaufwanderten »für Prospektieren«, für die Entwicklung der dortigen Minen. Wenn auch Robinson nicht mehr viele Qualitäten besaß, rechnen hatte er immer ordentlich können. Ihn reute das Geld, das er in Erzaufkäufen von den Chinesen gewann, und das die Firma jetzt in diese unergiebigen Minen hineinfließen ließ. Auch er wurde schließlich wild bei solchen Gedanken: »Wenn George Almeira wenigstens selber nach Sridharmaray herunterkäme, um diese Parker und Konsorten, diese Ingenieure zu überwachen! Aber George sitzt weich in Bangkok.« Nun wurde Robinson entschieden unvorsichtig, auf einmal predigte er wie ein anarchistischer 12 Apostel: »Es herrscht keine Ordnung in der Firma! Es ist nicht recht, daß Almeira, dieser kleine Schweizer, so viel Geld macht! Was wäre Almeira & Co. ohne uns Engländer! Ein Nichts! Und dafür, daß wir uns für ihn um einen Hundelohn in diesem Urwaldnest kaputschinden, mit Chinesen zu Tod ärgern, bekommen wir des Teufels Dank. Sobald der Chefsenior von Europa zurückkommt, will ich meine Tantiemen von den letztjährigen Hunderttausend!« –

»Von jenen Hunderttausend, die Sie durch Ihre Faulheit verbummelt haben,« spöttelte Parker prompt. Er schien sich erholt zu haben. »Unsere treuesten Chinesen verkaufen bereits an die Konkurrenz. Das steht auch in meinem Brief an George!« und Parker fuchtelte wieder mit seinem Kuvert vor Robinsons Nase herum. Parker war seit Tully's Blitzbesuch ganz verändert. Nicht daß er weniger wütend gewesen wäre, im Gegenteil, aber mitten in seinen Zornausbrüchen, während er schrie und fluchte, schien er an etwas herumzudenken, etwas vorzubereiten, das schwer zu sagen war. Irgend etwas außerordentlich Wichtiges wollte aus ihm heraus. Und plötzlich sagte der Ingenieur ganz freundlich zu Robinson: »Have a drink!« Neue Gläser wurden aufgestellt. Aber G. W. R. trank kein Bier, er trank Whisky. Uebrigens, was sollte das eigentlich bedeuten? Fluchte man vielleicht mit seinem Feind, um ihm im nächsten Augenblick einen Trunk anzubieten?

Robinson war mißtrauisch. Parker schnitt ein immer wichtigeres Gesicht. Endlich schien er zu wissen, was er wollte und platzte heraus: »George Almeira 13 hat bestimmt, daß ich nächstens einen wichtigen Posten in der Firma bekommen soll!«

»Vielleicht den meinigen?« fragte Robinson belustigt. Parker jedoch ließ sich nicht verwirren und fuhr prächtig stolz fort und blagierte frech: »Ich bekomme zwei Assistenten. George Almeira hat mich als ›Chef Engineer‹ über das Ganze gesetzt!«

Was sollte jetzt dieser wunderbare Blender von einem Ausspruch heißen? Wollte Parker mit dieser Ankündigung vielleicht sagen: unerfreuliche Dinge bereiten sich vor, das weißt du so gut wie ich, aber, wenn du mich als Chefingenieur und bedeutenden Kopf in der Firma anerkennen willst und zu mir hältst, halte ich zu dir im kommenden Kampf mit den »Neuen«! Jedenfalls merkte man jetzt, an was die zwei Engländer litten: Die Neuen! Nicht wahr, es wäre denkbar, daß Parker nicht ewig Almeiras Ingenieur bliebe, und Robinson, mein Gott, nichts schiene einfacher, als einen verbummelten Robinson durch einen frischen Meier von zu Hause zu ersetzen.

 


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