Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XVIII

Unterdessen lebte und wirkte in seinem kleinen Reich so glücklich wie möglich Jakob Zahler, der König von Loh Hut. Die Untersuchungs- und Vorarbeiten hatte er zu einem gewissen Abschluß gebracht. Gruben- und Brennholz lag in großen Haufen bereit, Schuppen und Stampfmühlen waren errichtet, eine neue Waschbahn – alles wartete aufs Erz. Der Zugang zum Startplatz des »Crosscut«, von dem so vieles abhing, war von Erde und Schutt freigelegt, nichts fehlte zu der großen geplanten Arbeit, nichts als die Zündschnüre und Patronen. »Härrgott, wie lange es dauert, bis endlich der Dynamit kommt!«

Um die Erlaubnis, in Loh Hut mit Sprengstoff schießen zu dürfen, war Parker, der die Verhältnisse im Minenoffice besser kannte, statt des landes- und sprachenunkundigen Neulings Zahler selber eingekommen. »Vor Monaten,« sagte Parker, »habe ich die Applikationsscheine in Sridharmaray eingereicht.« Jeden Tag, dachte Zahler, kann der »permit« ausgestellt werden, und jedesmal, wenn er den Parker, der wieder in Long Rek saß, traf, fragte er bekümmert: »Kommt mein Dynamit?« Dann zuckte Parker gelangweilt mit den Achseln: »No, not yet, noch nicht.«

Wenn Parker wenigstens nicht fortwährend in Zahlers Pläne hineinkorrigieren würde, immer gleich dumm: »Große Ausgaben verträgt unsere Mine nicht. Ihre Balken sind dreimal zu stark, die ganzen bisherigen Arbeiten dreimal zu teuer!«

Gut sah der Platz Loh Hut nicht aus. Erfreulich 136 war die Ueberwachung durch diese englische Schnauze nicht, aber Jakob Zahler hoffte und hoffte. So außerordentlich schlecht gings ihm nicht. Er besaß ein eigenes Häuschen, wo er Herr und Meister war, er hatte Hühner, die Eier legten, endlich hatte er eine ziemlich hübsche Frau, wirklich ohne allzugroße Komplikationen. Er hatte einen Koch, der französisch kochte, er hatte seinen Hals zu besorgen, hatte nicht nur einen Hund, den er liebte, sondern zwei.

Darling! Die hatte sich als brauchbares, williges Weibchen erwiesen, war gut veranlagt, sanft und schön weich. Zahlers Feldbett hatte sie sogleich als zu schmal und anstrengend empfunden und durch eine fußdicke mit Kapok gestopfte Riesenmatratze ersetzt. Die lag nun auf dem Stubenboden aus geflochtenem Bambus. Ach, Zahler gings, seit er ein Weibchen hatte, gut. Ausgenommen dieser eine Umstand vielleicht, daß weder er Darling, noch sie ihn mündlich verstand, aber nachts redeten die zwei mit ihren Gefühlen, und diese Gefühle waren die der Liebe, und Liebe ist stark; sogar der flatternde Schnurrbart war dieser Liebe gewichen. Es war gut, einen Diener zu haben. Eine Frau wie Darling als Dienerin war besser! Sie sorgte für das Essen, sie flickte die Kleider, sang durch die Hütte, machte Zahler sein unseliges Warten leichter. Und nicht zu vergessen, Darling half Jakob beim Bad. Sie wusch ihm den Kopf, seifte ihm die Beine ein, die dem dicken Jakob schwer erreichbar waren und über den Rand der Badewanne weit herausragten. Darling feilte die Nägel an den rosaroten fleischigen Zehen, blätscherte mit schlanker Hand ein wenig vor Zahlers 137 Bauch, und nach dem Abtrocknen tätschelte sie ihren Speckbrocken zweimal auf die Speckseite, daß es lustig durch die Hütte klatschte und der Zahlenkünstler selig lächelnd sich erinnerte, was für einen kostbaren Apparat er an Darling Fleisch für 40 Dollar im Monat hatte.

So war es anfangs in Zahlers Flitterwochen, so soll es gewesen sein, niemand wußte etwas Genaues.

Jetzt saß Zahler oft da und dachte. Er saß am Tisch oder saß auf dem Bett, die Beine verschränkt, legte die Stirne in Falten und dachte. Er dachte an das Erz, das er heben wollte, er dachte an seine Prozente. Seit einiger Zeit saß Zahler so untätig da, er fühlte sich verloren ohne Dynamiterlaubnis, er fühlte sich sogar allein trotz der Frau. Etwas bohrte in ihm, vor einiger Zeit schon begann etwas in ihm zu bohren. Ihm war auf einmal, als sei Loh Hut nicht der Ort, wo man Vermögen machte. Es war ihm, als ob er etwas ahne, das man nicht genau berechnen kann, als erlebe er etwas, das er schon früher erlebte, als sei er trotz allem schon glücklicher gewesen als hier, ach ja, wie schön und eben so warm war es doch am Kongo!

Und nun kam etwas Trauriges, das sehr ungeschickt aussah, und dem Zahler neue »trouble« bringen sollte, wobei es um mehr als um Schnurrbart und goldene Ringe zu gehen schien – das Leben bleibt selten längere Zeit ohne Komplikationen! In diesen Monaten fiel es nämlich plötzlich der Grippe ein, nach ihren glänzenden Triumphen auf den kalten europäischen Schlachtfeldern einmal zu versuchen, wie eigentlich diese Menschen naher der Sonne, die Malaien und 138 Chinesen auf ihre Angriffe reagieren würden. Und damit hatte diese Grippe einen guten Einfall. So tragisch-komische Scherze wie hier nahe dem Aequator gelangen der Seuche bei keinem andern Menschen. Die Chinesen vor allem starben großartig, in Schwärmen wie die Fliegen im Spätherbst. Auf den Straßen, hinter den Dörfern, auf den Bahnhöfen, überall lagen tote Chinesen als Opfer nicht in erster Linie der Grippe selber, als vielmehr ihrer eigenen raffinierten Heilkünste. Wer das chinesische Heilverfahren kennt, das man als »Therapie des Gegenteils« bezeichnen könnte, wird manches begreifen. Fieberhitze korrigieren diese schlauen Chinesen durch Applikation von Kälte und umgekehrt. Ganze Scharen dieser Fieberkranken wußten nichts besseres zu tun, als mit ihren Lungenentzündungen und vierzig Grad Fieber ins nächste kühle Wasser zu sitzen, welche Kur meist schnell und radikal half. Ein glänzendes Beispiel dafür, wie mit den Völkern zugleich die Sitten ändern.

Aber nicht nur die Chinesen litten entsetzlich, auch mit dem alten Vater David Fleisch in Sridharmaray, dem dürren Männlein mit den Zündholzbeinchen, beliebte der Fieberteufel jetzt plötzlich splitternackt im Dorf herumzurennen und dann jählings in ungeheurem Satz in einen kühlen Teich zu gehn, welcher des Telegraphisten letztes Bad wurde. Frau David (mit dem langen Unterkiefer) geriet so auf die Straße, die zwar in Indien hinten weder so kalt noch so unfreundlich wie das europäische Pflaster ist, aber die arme Frau lamentierte doch kläglich herum, nicht so sehr des verstorbenen Ehegatten wegen, als namentlich deshalb, 139 weil sie fortan die Amtsbretterhütte, die David als staatlicher Angestellter bewohnt hatte, mit ihrem Söhnchen verlassen mußte. Sie kam nun täglich auch ins Office der Firma Almeira und redete so lange auf den ebenfalls kranken Imfeld, bis sich dessen Herz erweichen ließ, bis Robert endlich zu einem Brieflein ansetzte, das ihm große Mühe machte, weil er den Ton zur Schilderung dieses Familienunglücks lange nicht fand.

»Lieber Freund Zahler,« begann er schließlich zu schreiben, »Eure liebe Frau Schwiegermutter, d. h. die Mutter von Darling Fleisch ist plötzlich Witwe geworden, weil Euer Schwiegervater, der Postoffice-David erst verrückt geworden und dann unvermittelt gestorben ist. (Gott segne ihn, er war getauft!)

Nun finden wir hier (namentlich auch Mr. Clark) es sei Ihre Pflicht, sich der ältlichen Dame und Ihres kleinen Schwagers anzunehmen. Das bischen Reis, das die beiden Ihnen wegessen, ist ja nicht der Rede wert. Hier gibts nicht viel Neues, hoffentlich haben Sie inzwischen einiges Erz aus Ihren Schächten herausgebracht.

Auf Wiedersehen!

Imfeld.

Bei Zahler hatte sich daraufhin sofort die Gönnerlaune geregt: es sei ihm eine Kleinigkeit, trotz.... es freue ihn sehr, wenn.... schrieb er zurück, und die Schwiegermutter reiste mit Zahlers sechsjährigem Schwager, mit Sack und Pack und Betelkau-Ausrüstung und mit den besten Hoffnungen ab nach Loh Hut.

140 Und wie gings denn bei Schneider? Der saß jetzt, so hieß es, oft zu Hause und schrieb Briefe. Wie, Briefe schrieb Schneider? Schrieb er denn etwa so viele Liebesbriefe an seine Frau? Wollte er vielleicht wissen, wie er sein Haus einrichten, die Zimmer ausstaffieren sollte? »Meinst Du, liebe Frau, ein Dutzend Teetassen genügen?« Schrieb Schneider dergleichen? – Ja, ja, und nein! Aber seiner Frau konnte Schneider nicht mehr schreiben, die war jetzt unterwegs auf der Ausreise, war ohne Adresse. Nein, Schneider schrieb an George.

Möglichst kurz nach bewährten kaufmännischen Methoden tippte er an Almeira, Bangkok: »Send hammer, twenty pounds, one barrel nails, two inch, urgent. Dringlich.« Und wehe! Wenn George seine Bitte nicht sofort erhörte, sandte er nochmals eine Kopie seines Briefes »express«, in dem er, wenn nötig, elegisch und himmeltraurig mit Streik und Arbeitsniederlegung drohte wegen der Verzögerungen, oder aber die wichtigsten Wünsche und Drohungen, manchmal sogar seinen ganzen, sowieso schon rot getippten Brief der Deutlichkeit halber mit dem Rotstift unterstrich. Jeden Brief bestätigte er durch ein Telegramm, jedes Telegramm durch einen Brief gleichen Inhaltes. Alles das zur Sicherheit in diesem unsicheren Land. Und von Zeit zu Zeit depeschierte er noch obendrein: »Ich warte. Schneider. Urgent.« Er hielt sich extra einen Kuli, einen guten Läufer, der hatte nichts anderes zu tun, als mit Briefen und Depeschen nach der Station zu rennen. Alles ließ Schneider von Bangkok kommen. Was man in Sridharmaray bekam, war Gerümpel, und 141 wenn etwas in Bangkok nicht vorrätig war, sollte Almeira es in Singapur oder Saigon bestellen.

Armer Mr. George Almeira, wußten Sie schon, daß es so unruhig zugeht beim Erschließen einer Mine?

»Send blinds.« telegraphierte Schneider, und diese Storren für sein schönes Haus gaben zu korrespondieren. »Wir meinen, chinesische Tuchstorren, wie sie in Sridharmaray zu bekommen sind, genügen für unsere Zwecke,« versuchte George abzulenken. Schneider telegraphierte nochmals, schrieb einen feuerroten Brief und blieb fest bei seiner Bestellung. Schneider hatte in Bangkok im Oriental Hotel »blinds« neuester Konstruktion gesehn, mit Schnapp- und Stopp-Mechanik und Schrägstellung in halber Höhe. Solche schöne, praktische Storren wollte er jetzt.

»Und bitte, recht bald einen Kassenschrank (es ist für Ihr eigenes Geld, Mr. Almeira!) endlich einen Revolver mit Munition, zwei Zimmerklosets, einen »set« besseres Eßgeschirr, einen Filtrierapparat (größtes Kaliber!) zwei rechte Sättel für meine Ponys, Matratzen, Moskitonetze, alles wie ichs schon früher bestellte, ich kann als Europäer doch nicht mein Haus mit Siamesen-Garnituren ausstaffieren. Und Geld! Und hundert weitere Säcke Zement! Wo bleibt der Zement?

Und schickt zweihundert Liter Teer zum Bestreichen der Fußböden des Hauses. Einen Spiegel für das Wohnzimmer, zwei Wanduhren (eine anständige für mich und eine für das Kulikongsi). Eine große Pfanne, hundert Liter, da ich die Kuliküche selbst übernehme, für alle hundert Leute selber haushalte der Ordnung 142 wegen. Sendet für mein Office ein Diplomatenpult (es gibt so viele Akten und Pläne zu versorgen) eine große Hausapotheke, hundert Flaschen Dessertwein und Schnäpse, eine Kiste Berner Alpenmilch, Käse (holländischen und Schweizer, Packung »Alpina«) alles anständige Ware bitte, damit Almeira & Co. nicht lächerlich dasteht, falls Morison oder ein anderer vornehmer Engländer auf Besuch kommt. Ferner: Tischtücher, ein halbes Dutzend und so groß wie möglich, Dessertgeschirr, Messerchen, Löffel und Kuchengabeln, Kaffee- und Teeservice. Schickt mit Gemüsesamen, laut Spezialliste.«

George wehrte mit Händen und Füßen. Ausreden waren glücklicherweise nicht schwer zu finden. Nicht alle die schönen Dinge, die Schneider wünschte, waren in einer solchen indischen Stadt wie Bangkok ohne weiteres aufzutreiben.

Und dann gab Schneider einen Bericht über den Stand der Arbeiten: »Ah Joy hat gestartet. Er leitet die Arbeit in der Chinesenmine persönlich, hat das Loch durch einen Damm in zwei Teile geteilt, die eine Hälfte war nach vierzehn Tagen Arbeit trocken; alles sieht ermutigend aus, Zinn ist massenhaft vorhanden.

Sendet hundert Pickel, die Eisen, die wir in Sridharmaray bekommen, sind weich wie Butter, zweihundert Meter Hanfseil, Aexte, so viele Ihr bekommen könnt, schwere und leichte, einen Reparaturkasten für Schlosser, englische Schlüssel.... Und wo bleibt die Schleuse für den Damm?« Solche unersättliche Bettelbriefe schickte Schneider nach Bangkok.

»Und, bitte, auch einen Lawnmower, System 143 Smith!« Snyder wollte nicht nur auf der Visitenkarte Engländer sein; war man nun einmal in diesem englisch getünchten Land und besaß eine Villa, mußte auch ein schöner Lawn dabei sein, und dazu war eine gute Rasenmähmaschine nötig.

»Und ein Dutzend Farbbänder für den Type writer, halb rot und halb blau, Kuvert, große und kleine, Papier und überhaupt Büromaterial, und.... und.... und....«

 


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