Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XXII

Zahler, der einige Wochen trübselig verbracht hatte und vor Langeweile im Schlamm von Loh Hut zu versinken drohte, ging es jetzt besser. Nicht nur hatte seine Schwiegermutter ihm zweiunddreißig richtige malaiische Wörter nebst einigen ehelichen Kunstgriffen beigebracht, sondern inzwischen kam auch der Dynamit, und jetzt bohrte und pulverte Zahler drauflos, daß das Zuschauen eine helle Freude war. Zahler war, seit er arbeiten durfte, verliebt in seine Mine, sammelte jedes Körnchen Erz, das die Sprengung zu Tage 166 förderte, in seine prächtigen Hartholzkästen, die jetzt in einer Reihe dastanden, Tag und Nacht von einem bärtigen, finstern Kerl von Wächter gehütet. Allernächstens gedachte er seinen Erzvorrat zu pochen, zu mahlen und zu waschen.

»Sehr schön!« sagte Jakob zu sich, stapfte munter nach Long Rek hinaus und kaufte im Uebermut Darling einen goldenen Ring.

Dann sah alles wieder anders aus. Merkwürdig wars mit diesen Wolfram-Zinnerzgängen! Acht Tage lang fand man kein Gramm, konnte leeren, tauben, milchigen Quarz herausnehmen und wenn man verzweifeln und aufhören wollte, tauchte beim nächsten Sprengschuß ein Erznest, ein Doppelzentner-Erzblock auf, und rechnete man schließlich das Mittel aus, blieb trotz den schönen Erzblöcken fast nichts. Aber, wäre es recht, eine Mine jetzt schon leichthin zu verdammen, die Arbeit und output für Jahre versprach? Weiterforschen und warten! In die Tiefe des Geheimnisses tapfer eindringen, nirgends liegt der Kern der Weisheit an der Oberfläche, und Ingenieur Zahler, der sich im Leben der Sterne auskannte, in Lichtjahren lebte und Ewigkeiten berechnete, war ein zu seriöser Mann, als daß er in einem schwachen Moment ein Lebenswerk missen mochte. So rechnete und pulverte er weiter.

Er mußte immer scharf aufpassen: da die Chinesen die Bohrlöcher für die Schüsse mühsam mit Hammer und Meißel herstellen mußten, wie mans vor fünfzig Jahren tat, bekamen sie oft zu früh den Verleider, mochten nicht warten, bis der daumenweite Zündkanal 167 tief genug war, schieferten, statt ganze Berge mit einem einzigen Schuß zu zersprengen, blöde, flache Oberflächenplatten los. Zahler mußte wie ein Hexenmeister aufpassen. »Tiefer! tiefer!« hustete er den Kuli ins Gesicht, die ihren Meister dumm-freundlich anglotzten, »tiefer die Löcher!« und er streckte den Arm als Maßstab aus: von der Fingerspitze bis zum Ellenbogen ist das Maß, das Zahler sich gemerkt hatte für Sprengschußbohrlöcher.

Das fleißige Leben Zahlers hätte noch lange weitergedauert, wenn nicht am Ende eines der folgenden Monate die Abrechnung und Vergleichung des gefundenen Erzes mit den Kosten der Arbeit ein derart scheußliches Bild ergeben hätte, daß sogar der nervenlose Zahler in Angst und Entsetzen geriet. In seiner Not lernte er beinahe kunstgerecht fluchen, dann saß er eine Weile trostlos im malaiischen Kostüm auf seinen Bücherkisten, schließlich hatte er sich ausbesonnen, und schrieb an Imfeld den folgenden, zwar geschäftsmäßigen, aber doch von Herzweh und Kümmernis diktierten Brief:

F./82

Herrn Robert Imfeld,

Geolog c/o Almeira & Co.

Sridharmaray.

Ganz wie Sie, geehrter Herr, voraussagten, ist auch die Loh Hut Mine (völlig) wertlos. Das gewonnene Erz bezahlt kaum die Zündschnüre.

Wo bleiben meine Ausbeuteprozente? Wo werde ich hinversetzt werden, nachdem Schneider Gadscha puti übernommen hat? Beiläufig gesagt: George hat 168 mir die Feldzulage verweigert, die ich laut Vertrag dann bekommen soll, wenn ich keine Mine mit Ausbeute habe.

In der Hoffnung, daß doch bald bessere Zeiten kommen, und daß der alte Herr Almeira alles ins Geleise bringen wird, sobald er selber von Europa kommt, schließe mit den besten Grüßen

Jakob Zahler.

Einige entrüstete Briefe Zahlers an George, in denen dieser bald über die schlechte Mine, bald über die unerwünschte Einmischung Parkers sich beklagte, brachten Robert Imfeld nach ein paar weitern Wochen die Aufforderung, nochmals nach Loh Hut hinaus zu gehn zu einer Nachinspektion. Das war keine sehr angenehme Aufgabe. Mit diesem Zahler kann man nicht diskutieren, nichts in Ruhe besprechen, und mit Parker, dessen Wohnhaus man zwar umgehen kann, bin ich Todfeind, dachte der Geolog, aber aus manchen Gründen freute er sich nach seinen erlebnisreichen Monaten, diesen Anfangspunkt seines östlichen Wirkens und diesen komischen Zahler und – vielleicht auch Darling wiederzusehen.

Als Imfeld nach Loh Hut kam, wohnte Zahler immer noch im gleichen Bambuskäfig, den Imfeld vor Monaten mit ihm geteilt hatte. Aber er hatte ihn inzwischen doch etwas vergrößert; die Hühner hatte Zahler an die Luft und die Stirnwand der Hütte um drei Meter weiter auf den Dorfplatz hinausgesetzt. So hatte die ganze Familie Zahler-Fleisch in einem Loch Platz.

169 Unrasiert, mit tiefliegenden Augen unter den Brauenwäldchen, in schmutzigem Malaiensarong, ein weitmaschiges Netzleibchen am hellen, unappetitlich durchscheinenden Leib, um den Hals, der wieder dick und bläulich war, einen gelblichen Flanellumpen, so saß Zahler an seinem Tisch: »Was wollen Sie hier? Hm?« Auf dem Tisch lagen aufgeschlagene Zahlenbücher, Logarithmen- und andere nützliche Tafeln, Lohnlisten, angefangene Rapporte, Maßstäbe, Bleistifte, Lineale, schließlich der Uhrensarg, etwas gegen die Wand gestützt, so daß er nicht fallen konnte. Aber auch halbgeleerte Medizinfläschchen standen herum, mit Chininpillen und farbigen Wassern, ein Glas mit grasgrünem Tee; ein wenig verschüttete Suppe schien die Fliegen zu freuen, eine Handvoll Erzkörner, eine Gabel, ein Löffel neben einer halbgegessenen Banane – alles das und noch manches andere lag friedlich vor Zahler: »Was wollen Sie hier, Mr. Imfeld?«

»Ihr Loch ein wenig näher anschauen!«

»Hm?«

Neben den vier grünen, halbgeleerten Blechkoffern standen ebensoviele Bücherkisten voll Papiere und Werkkram, und im Hintergrund, im Dunkel lag drei Meter auf drei die Bettmatratze, eine Art kleine Theaterbühne, was manches Bett ja im Grunde ist. Und wer lag auf dem Haufen schmutziger Kissen und Lacken? Frau Ingenieur Zahler, zigarettenrauchend in ihres Fleisches Beschaulichkeit, eine ziemlich verblühte Blume: »Tabek Tuan!«

»Tabek Dar....« Robert mochte das hübsche Wort nicht fertig sprechen.

170 Er fand es interessant, Frau Ingenieur Zahler-Fleisch mit ihrem eigenen Bild von ehemals zu vergleichen. Sie war jetzt breiter geworden, nichts Jugendlich-Schlankes mehr an ihr, sie kauerte da wie ein halbgefüllter Ballon zusammengesunken. Ihre Lieblichkeit war Leiblichkeit geworden, aber keine gesunde.

»Was fehlt Ihrer Frau, Zahler?«

»Hm?«

Zahlers Gehör schien sich nicht gebessert zu haben, sein Hals war dicker als je, sein Auge mißtrauisch. »Darling war krank,« klagte Zahler, um etwas zu sagen, »wir lagen alle krank an Ruhr.« Robert dachte: Herzruhr hat die Frau. Cholera der Gefühle und keine brauchbare Medizin. Ein paar Wochen des Zusammenhausens mit dem ungeliebten Elephanten haben sie erdrückt. »Es ist alles Schwindel!« brummte Jakob Zahler. Imfeld dachte und studierte: Darlings Augen haben aufgehört zu glänzen. Sie scheint wieder Betel zu kauen wie ein gewöhnliches Kuliweib; rot schäumt der bittre Speichel auf ihren dicken Lippen, in Kleidung und Haltung ist sie schlapp und lahm, ihr schwarzes Haar ist wirr und ungekämmt, ihr Gesicht fragt gequält: »Wozu sich Mühe geben, wenn der Traum vom weißen Mann so ausgeht!« Möglich war aber, daß Robert nur träumte. »Was macht die Mine?« fragte er jetzt Zahler.

»Es ist nicht erfreulich mit Almeira & Co. zu arbeiten!« Zahler fuchtelte mit den Armen, wußte nicht, sollte er sich dem Imfeld anvertrauen oder schweigen. Der hatte sich auf eine Kiste gesetzt und dachte: was mag schlimmer sein, mit einer ungeliebten Frau zu 171 leben, oder seine Frau zu lieben, aber zu wissen, daß man ihr nicht geben kann, was sie braucht? Merkwürdig, daß man nicht auseinandergeht! Bei Robinson ist der Fall klarer. Sie, die fast reine Chinesin ist, haßt den ekligen fremden Teufel. Und er – hofft immer noch auf ihres Vaters Minen. Aber dieser Zahler hier, was will er von Darling? Als Dienerin ist sie zwar treu, wäscht dem Zahler, wenn er in der Wanne sitzt, hübsch die Schultern und Beine, und nachts, wenn man dies schwarze Loch von einem Betelmaul nicht sieht, ist Darling immer noch weich und versteht wie irgendein Weib, ihres Meisters Bett mit ihrem braunen Fleisch zu füllen. Was will man da ändern? Zahler schickt sie nicht fort und sie bleibt. Das ist manchmal trotz allem die Lösung.

Ueber Länder, Meere und Völker hinweg sah Imfeld in diesem Moment.

»Wollen Sie auf die Mine?« fragte Zahler dumpf, »ich will Ihnen zeigen, was ich gefunden habe!« Der Ingenieur polterte auf der Veranda herum, einige Kuli kamen gerannt, man trat vors Haus. Der dunkle Nachtwächtermann schloß die sieben Erzabtritte auf. Im ersten standen drei Säcke mit verkaufsbereitem Erz, die übrigen waren leer, Zahler brauchte jetzt nichts mehr zu sagen, auch schien er so wenig wie Imfeld Lust zu haben, mit seinem Kollegen auf der Mine herumzudisputieren.

Der Geolog ließ sich einen von Zahlers Vorarbeitern, den er von früher her als zuverlässig kannte, mitgeben und kam so viel klarer und rascher, als wenn Herr Direktor Zahler samt allen seinen Hm und Ach 172 mit gewesen wäre, zu einem Bild vom Stand der Arbeiten. »T'a Baik! t'ada bidji, Tuan!« klagte der Malaie bei jeder neuen Arbeitsstelle, »nichts gut, kein Erz!« Was Imfeld geahnt und Zahler in seinem Brief bestätigt hatte, stimmte: »Hier wollen wir endgültig schließen,« sagte sich der Geolog und machte seine Notizen zum letzten Loh Hut-Rapport.

Als er nach ein paar Stunden zum Pavillon Zahlers zurückkam, hatte Jakob ihm einen Zettel gelegt, offenbar beleidigt und wütend: »Ich mußte nach Long Rek in privaten Angelegenheiten.« Schlaumeier! dachte Robert. Wahrscheinlich ging er Parker rufen. Gut, daß der Chiefengineer jedenfalls fest beim Bier sitzt. Robert machte es sich, völlig im Einklang mit den östlichen Sitten, in Zahlers Wigwam bequem und ließ sich auftischen, als wäre es sein eigenes Haus.

Darling Zahler-Fleisch setzte sich dicht neben ihn, schaute ihm in die Augen. Sie war verändert, ja, leider, aber eigentlich immer noch schön, noch – schön genug. Den Mund hatte sie inzwischen gespült, die Haare gekämmt, und ihre dunkeln Funkelaugen glitzerten wieder.

»Fehlt dir etwas?« fragte Robert.

»Warum fragst du, Tuan?«

»Gibt er dir nicht genug Monatsgeld? Prügelt er dich?«

»Es ist nicht dieses, Tuan.«

Ganz zutraulich höckelte Darling neben Imfeld. Manchmal berührten sich ihre und seine warmen Arme. Das gab ihm ebenso schöne, verrückte Gefühle wie ihr. »Schönes Weibchen!«

173 Zahlers Boy setzte Robert ein Abendessen vor. Wäre es ein Unglück, fragte sich dieser, während er soupierte, wenn ich Darling jene Freude machen würde, die sie meint? Wäre ich ein schlechter Kerl? Oder sie? Der chinesische Boy ging hinaus, kam herein: wollte er gut für den fremden Gast sorgen? Robert lag es im Magen, als hätte er lebende Tauben verschluckt.

Jetzt gab Darling mit der Hand ein Zeichen. Der chinesische Boy blieb draußen. Die Schwiegermutter mit dem langen Unterkiefer setzte sich diskret vor die Tür....

 


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