Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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VII

Imfeld hatte die gemeine Art, auf welche Parker Loh Hut hinter seinem Rücken empfahl, wie einen Faustschlag empfunden und sofort beschlossen, in Zukunft von niemandem mehr Bier, chinesische Schwalbennester und Reisvögel en sauce als Geschenk anzunehmen.

Ein Glück, daß jetzt dieser Schneider da war. In ihm entdeckte der Geolog in den ersten zehn Minuten einen Bundesbruder. Das war umso erfreulicher als mit Ingenieur Zahler keinerlei Kollegialität möglich war und Robinsons Freundschaft ähnlich wie diejenige Parkers höchst verdächtig nach Alkohol roch. »Es fehlt 56 an Ordnung und Organisation!« hatte Schneider sofort sicher und selbstbewußt erklärt. Gut, daß dieser fundamentale Schneider da war! Es war eine wahre Pracht, wie er im Leben stand. Breitschultrig und kräftig gebaut, schaute er in die Welt wie der geborene Fabrikdirektor. »Schneider könnte Großgrundbesitzer sein oder Oberst werden, irgend so etwas,« dachte Imfeld. Dieser Schneider war da, kein Zweifel, und jetzt begehrte er weiter nichts als zu leben, lächerlich, daß man das erst erzählen muß, er wünschte zu leben, zu arbeiten wie es sich für einen rechten Ingenieur schickt: »Ich habe eine Frau zu Hause; sie wird zu mir herauskommen, sobald Almeira & Co. ihr die Reise bezahlt!«

Robinson lächelte. Aber es gab da wirklich nichts zu lächeln. So wie Jakob Zahler hatte auch Schneider sein schönes, wohlerwogenes Programm. Auch ihn hatten Prozente nach Indien geführt, auch er rechnete tüchtig, aber es schien, er habe im Sinn, beizeiten fertig zu werden mit seiner Addition. Geld wollte auch Schneider verdienen, nicht viel Geld, sondern sehr, sehr viel Geld und zwar ein bischen bald, bitte, in den Tropen verlodert die Jugend schnell. Und als Entgelt wollte Schneider gern seine ganze Person einsetzen, seines starkgewachsenen Leibes Kräfte, seine ganze Bärenenergie, sein Leben.

So lieb und angenehm es nun Imfeld war, einen Gleichgesinnten gefunden zu haben – was es hieß, für Almeira & Co. das beste zu wollen, dem System und diesem verbummelten Hinterindien zu Trotz, das sollten die zwei Schweizer erst noch erfahren.

Am nächsten Tag trat plötzlich Parker ins Office. 57 Was wollte jetzt der in Sridharmaray? Gehörte er nicht nach Long Rek? Kam er vielleicht, um möglichst rasch Snyder, den neuen Ingenieur kennen zu lernen, mit ihm sich anzufreunden? Imfeld begrüßte er kameradschaftlich und warm, als läge nicht Loh Hut zwischen ihnen. Sein Gesicht verriet auch dann nichts, als Imfeld nur sehr frostig reagierte. Es spielte sich nun manche seltsame Szene unter Almeiras weitausladendem Verandadach ab. Das waren alles Mordskerle von Schauspielern, die da die Bühne füllten. Niemand konnte den Gang des Stückes ändern. Man hatte gleichsam Spielleitung von oben herab. Jeder spielte mit Inbrunst und ganz nur seine eigene Rolle.

Robinson mit den Feldstecheraugen lag in einem Langstuhl. Schneider saß aufrecht, hatte glänzend schwarze Schaftstiefel an. Parker trank Bier. Das Furchtbarste für Robert war wieder das endlose Geschwätz. Parker schwatzte so breit, weil er sich als »chief engineer« fühlte; Robinson, um ebenso wichtig und effektvoll dazustehn wie Parker.

Für den Abend schlug Parker vor: »Es wird sich gut machen, wenn wir in corpore einen der einheimischen Adeligen und Würdenträger begrüßen!« Und zu Imfeld und Schneider gewendet fuhr er fort: »Sie beide verstehen leider Gottes die einheimische Sprache zwar nicht, aber Sie können vieles lernen.«

Jetzt kam Keng Hui, Robinsons Schreiber aus dem Office herüber: »Ein Brief für Mr. Imfeld.«

»Aus Bangkok?«

»Yes, Sir.« – Der Geolog setzte sich abseits ans Geländer und las, las einmal, las zweimal. Dann steckte 58 er das Schreiben ohne eine Miene zu verziehen in seine Brusttasche. Was mochte Parker denken? und Robinson? Ja, wahrhaftig, dieser Imfeld schien nicht das leiseste Bedürfnis zu empfinden, seinen Brief von George aus Bangkok öffentlich vorzulesen. Eine Stunde später wagte es Parker doch: »Mr. Imfeld, Sie haben einen Brief von George in Bangkok erhalten....?«

»Yes.«

Unter Kneipen und Schwatzen, Schelten und Krakeelen wurde es Abend, wurden die sauberen Brüder allmählich reif, ihren geplanten Besuch in Tat umzusetzen. »Der siamesische Baron Rattawutt, dem die Visite gilt,« so erzählte Robinson, als die vier Europäer die lange Straße im Ponywagen hinabfuhren, »ist der Direktor of mines für den Sridharmaray-Distrikt, erster Beamter am hiesigen Office und mein bester Freund.« Die beiden Engländer voran, betraten die vier Rattawutts Bretterhaus, das ähnlich wie etwa das Heim eines europäischen Beamten und Menschen mit billiger Philosophie voll Andenken und Beweisstücken bürgerlicher Tüchtigkeit hing: Bilder vom König, Photographien von Vorgesetzten oder Kollegen, alles genau so verschossen und abgeschmackt wie der Kranz von Schützenbrüdern in der Wohnung von Metzgermeister Meier in Basel – Europa erobert den Osten.

Es war schon spät, und die vier Europäer drangen ähnlich in Rattawutts Haus, wie man unter Matrosen und Seeleuten morgens vier noch eine Schnapsbude im Hafenviertel entert, obschon sie schließen will. Der Besitzer der Villa blieb zwar nicht nur von den ärgsten Widerwärtigkeiten verschont, sondern er wurde sogar 59 mit Bücklingen und saccharinsüßen, einem Imfeld wirklich unerträglich süßen Worten begrüßt – mußte aber gleichzeitig deutlich erkennen, wozu man kam. »Hier bringe ich Dir, einflußreicher, hoher siamesischer Herr eine Flasche Whisky ins Haus, von der ich zwar sogleich die Hälfte selber wegsaufe, ich, Almeira & Co.'s Agent G. W. R. Robinson, und beim Rest in der Flasche ersuche ich Dich, zu passender Zeit an mein schönes Geschenk zu denken« – diese Methode wählte Robinson, unser langer Freund mit dem roten Fleck unterm Auge, um sich zu empfehlen.

Parker dagegen ließ – ebenso einfach wie wirkungsvoll Fünf- und Zehndollarnoten flattern, nahm das kleine nackte Kindchen des siamesischen Würdenträgers wie eine zoologische Rarität auf seinen Männerschoß und stopfte ihm Münzen ins Mäulchen, als wäre das kleine Menschenkind ein lebender zinstragender Sparhafen. Von der mit Getöse geführten Unterhaltung verstanden die staunenden Schweizer, außer dem einen Wort »Dibuk – Zinn«, nichts. Bald war es lustig wie auf einer Schützenwiese. Die alte Dame Rattawutts ließ sich, ehrfürchtig durchs Zimmer schleichend, blicken, zu hinterst an der Wand saßen zwei junge Mädchen, sauber und glatt zum abschlecken. Imfeld hatte etwas für seine Augen! Jedermann schien auf seine Rechnung zu kommen. Sogar Herr Schneider, Großgrundbesitzer und Inhaber seriöser Pläne, lachte manchmal amüsiert mit.

Tief in der Nacht kam es noch zu einem zweiten Akt und einer Art Gegenbelustigung in Almeiras Office. Drei weitere hohe Beamte wurden 60 herbeigeschleppt. Da aber das Vorspiel reichlich teuer geworden war, hatte jetzt weder Parker noch G. W. R. überflüßiges Geld, und die Gäste mußten sich mit billigem einheimischem Getränk begnügen, mit sogenanntem »Whisky-Siam«. Dieser schöne, starke Alkohol wirkte glänzend. Halb im Dunkeln, halb im Schein von ein paar ausgedienten Krüppeln von Petrolfunzeln sah man wenig Wirklichkeit; Imfeld hatte nur dumpf das Gefühl: »Hier säuft es tüchtig!« Später fand Parker es wieder für gut, den »Chief engineer« zu spielen, seine Bildung zu demonstrieren, seine Kräfte zu zeigen. Leere Flaschen warf er herum, dann Gläser, die Lampen, Stühle; alles, alles flog über die Veranda hinaus, zuletzt der Tisch, kurz und klein und in Fetzen geschlagen.

Als aller bewegliche Hausrat fort, Robinson wie ein ausgezogenes Paar Hosen über der Brüstung der Veranda schlafend zusammengeklappt war und die hohen »Gäste« siamesisch singend sich verzogen hatten, kam plötzlich Parker im Dunkel der Nacht auf Imfeld zu: »Sie haben heute einen Brief mit Instruktionen erhalten?«

»Yes.«

Und als der Ingenieur sehen mußte, daß Robert Imfeld nicht gewillt sei, mit seinen Geheimnissen herauszurücken, lenkte Parker ab, indem er Imfeld bat: »Wollen Sie mir fünf Dollar leihen, ich habe nichts mehr in der Tasche; in meiner Kammer wartet ein Mädchen auf mich!« Er erhielt das Geld. –

Der Brief, den der Geolog aus Bangkok erhalten hatte, enthielt, wie zu vermuten war, Georges 61 Antwort und Meinung über Loh Hut. Einer Art Gruß vergleichbar, im ganzen aber wenig ermutigend für den Geologen, hieß es darin: »Danken Ihnen für den Loh Hut Bericht. Die Mine selbst, die Mr. Parker sehr empfahl, haben wir dem Lien Kui, der extra nach Bangkok kam, bereits persönlich bezahlt. Auf Mr. Imfelds Rat kaufen wir das neue Stück vorläufig nicht. Ingenieur Zahler wird weiter prospektieren. Hingegen verbitten wir uns Mr. Imfelds Ratschläge betreffend Ausbeutungsmöglichkeiten. Es wird Sache der Ingenieure sein, entsprechend billige Arbeitsmethoden zu finden....«

....und so weiter.... hatte Imfeld gedacht, als er diesen Brief sehr sorgfältig in seinem Portefeuille barg, über die Ausbeutung soll ich meine Meinung für mich behalten – gut. Ich bin nicht Ingenieur. Aber jetzt, wie er neben Schneider in einer Ecke der Veranda im Feldbett unterm Moskitonetz lag, mußte er reden: »Es scheint, teilweise hat George immerhin im Sinn, auf uns zu hören. Er hat in Loh Hut wenigstens nichts Neues hinzugekauft.«

»So, hoffentlich nicht! Das ist eine verdammte Gemeinheit, wie George uns in den Klauen dieser englischen Räuber läßt, während er selbst hübsch weich in Bangkok sitzt.«

Nach einer Weile fuhr Imfeld fort: »Uebrigens sollen wir zwei, Sie Schneider und ich mit Parker auf den sogenannten Kau Dam in der Nähe von Gadscha puti. Parker sei instruiert und werde die Untersuchungsarbeiten leiten.«

62 »Und Ihnen, Imfeld, gab George keine nähern Instruktionen?«

»Nein, mit keinem Wort.«

 


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