Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XXX

Imfeld stand in Sridharmaray am Bahnhof, um zehn Uhr morgens; es war ein schöner, sonniger Tag, aber schwül; es gibt Tage in den Tropen, die sind schon am frühen Morgen unausstehlich schwül. Imfeld erwartete Herrn Arthur Almeira.

Er hatte diesen schwülen Morgen kommen sehn, aber umsonst immer gedacht: sobald der Alte naht, 212 gehst du in den Wald, George kann seinen Onkel allein einführen. Jetzt war Robert extra aus den Wäldern heimbeordert worden, wahrscheinlich wünschte George seinen Geologen und Vertrauensmann sofort persönlich vorzustellen. In fünf Minuten würden die zwei schrecklichen Almeiras miteinander da sein. Gut, dachte Imfeld, auf und ab spazierend, daß ich meinen Sang Lung-Brief an George persönlich adressierte; ihn kenne ich wenigstens ein wenig, und er kennt mich.

Ein spitzes, straffes, graues Männchen mit gelbem Lederteint und grauen suchenden Augen, entstieg jetzt der hohe Chef gelassen dem Zug, als wäre er immer schon in der Nähe und nicht die verflossenen fünf Jahre weit weg in Europa gewesen. Aber wo blieb denn George? »Mr. George ist unabkömmlich.« Nur einen Brief brachte der alte Almeira von seinem Neffen mit: »Mr. Imfeld als der auf unsern Minen allgemein versierte Mann und als Geolog möge bitte Mr. Arthur Almeira einführen.« Hui! dachte Imfeld. Aber diese Aufgabe, die man Robert stellte, war nicht halb so schwierig, dieser alte Herr mit den weißen Haaren war überaus freundlich und jovial. Imfeld dachte jeden Moment: jetzt fängt er bald Witze zu reißen an, aber nein, er tat es doch nicht. Hingegen war der alte Herr voll Achtung für seinen Geologen, keine Spur von jenem bekannten, schon zum Voraus tief eingesessenen Mißtrauen, wie man es sonst so oft bei Handelsleuten den Studierten gegenüber findet, zeigte Mr. Arthur Almeira. Manchmal sah's geradezu aus, als warte der hohe Chef sehnsüchtig auf die Gelegenheit, seinem Geologen ein Gläschen anbieten zu können.

213 Hui....! mochte auch Robinson heute morgen gedacht haben, als es an seinem Whiskyhimmel dämmerte; schon gleich nach zehn, wie Imfeld mit dem Alten einrückte, war G. W. R. im Office.

Arthur Almeira schien überhaupt nicht der gewalttätige Mensch zu sein, als der er verschrien war. Sogar den langen Robinson, von dem er doch allerlei gehört haben mußte, behandelte er anständig. Unschön und tadelnswert fand Imfeld an Mr. Almeira nur das Eine, daß er so bald die dicken Bürobücher der Unterhaltung mit Menschen vorzog. Es wurde nun das Programm zu einer Blitzinspektionsreise entworfen (je höher ein Chef, umso kostbarer seine Zeit!), eine Vorstellung mit möglichst rasch wechselnden Szenen sollte im Theater Almeira aufgeführt werden, und als Clou und Gala-Akt: in Gadscha puti ein weißer Elephant den andern begrüßen!

Sobald Robert sah, daß trotz Arthurs spitzem Blick in die Bücher G. W. R. noch unversehrt lebte, kam ihm sein alter Humor. Wird er trampeln oder mit dem Rüssel schneuzen? dachte Robert, an Almeiras Seite unterwegs nach Gadscha puti, als das starre Felsenprofil des weißen Elephanten über den Wäldern auftauchte. Aber nein, es war wirklich bewundernswert, wie der Alte sofort und ohne vorherigen Imbiß seine unnütze Dampfmaschine sehen wollte, wie erstaunlich gefaßt er das Gadscha puti-Mißgeschick ertrug, und wie wenig er dran dachte, seinen in Dampf und Rauch aufgegangenen, in den Wald hinausgeschmissenen Dollaren nachzutrauern. Das war ein feiner Alter, trotz allem, was man etwa hörte: ein flottes, 214 unternehmendes Geschäft, ein flotter, wagemutiger Chef!

Mr. Arthur Almeira schien durchaus zu begreifen, daß die kleine, seichte, ausgeraubte Unglücksecke nicht das Wesentliche an Gadscha puti sei, und daß das eigentliche Becken nicht nur diese Extraausgaben zurückzahlen werde, sondern auch noch gewaltig viel mehr. Immerhin versuchte er ein wenig zu reklamieren: »Hat man denn nicht vorher gebohrt?«

»Die Zeit war knapp, Bohrgerät fehlte, Mr. George Almeira mußte kaufen.«

»George, hm, ach ja!«

Auch mit Schneider, der so gar nicht von Almeiras Art war, sprach dieser eigentlich freundlich. Freundliche Worte verpflichten zu nichts; wenn's galt, machte es ein Krämer wie Almeira schriftlich. Und Minen, das wußte der Alte von der Börse her, rentieren, wenn's endlich gelingt, besser als Reis- und Tuchhandel.

Schneider hatte sich nicht unklug auf des hohen Chefs Empfang vorbereitet. Er lächelte im Stillen über seine eigene Schlauheit. Imfeld würde mitlächeln, dachte er, wenn er alles sieht. Zwar das schöne, stolze Bungalow hatte er natürlich nicht in eine lottrige Dschungelhütte verwandeln können, mit durchlässigem Palmblattdach und Lücken in den geflochtenen Wänden, daß es dem Alten auf den Rüssel regnete, aber im Innern war es ihm doch gelungen, manches allzu üppige Luxusstück beiseite zu schaffen, so daß Mr. Arthur leicht zu überzeugen sein würde, das Leben in diesem Haus im Dschungel draußen sei nicht so überaus angenehm.

215 Jetzt schaut da, dachte Robert, was dieser Schneider alles fertig gebracht hat! Alle Liegestühle und bequemen Sessel hatte er, ausgenommen einen, der für die Dame des Hauses reserviert blieb, fortschleppen lassen und gut versteckt. Dafür hatte er einen gewöhnlichen Stuhl, einen Chinesenschemel und sogar eine Kiste bereitgestellt, und seinen früheren Feldstuhl (der jedesmal umklappte, wenn sein Herr drauf in Gedanken versank). Die Schnitzereien am Büffet waren abgeschraubt, eine Nacht oder zwei im Bambusgebüsch hinter der Küche würde ihnen nicht schaden. Teppiche und Matten gabs keine mehr in dem vornehmen Haus, die »blinds« hatte Schneider abnehmen lassen, die Fensterladen am Gastzimmer ebenfalls. Selber kam er daher zerfetzt und zerschlissen, die Zehen guckten durch die Segeltuchschuhe heraus; ein Blinder konnte sehen, daß in Gadscha puti zu leben nicht gerade ein Vergnügen war. »Wir sind noch etwas primitiv eingerichtet, der Teufel solls holen; sobald die Mine läuft, wirds hier anders aussehen, Herr Almeira.«

»Sie wohnen schön in dem Haus!« rühmte der Alte. Man setzte sich auf die elenden Sitzgelegenheiten, der Hausherr bot einen Trunk an, aber der alte Almeira war noch nicht durstig. Man konnte jetzt schön über manches reden. »Mr. Imfeld, Sie glauben also auch, Gadscha puti sei sehr reich?« »Ja, gewiß!« antwortete Imfeld. Dieses Ja genügte dem Chef. Zu solchen Meinungsäußerungen hatte er den Geologen von Europa hinausgeschickt. Auf solche Sachverständige mußte man sich stützen, wenn man der Direktor einer großen Firma war.

216 Merkwürdig, alle Augenblicke klopfte es jetzt an der Officetüre, Schneider mußte ins Büro hinüber, mußte einen Vorarbeiter, einen Boten, einen Kontraktor, den Schreiner, den Holzlieferanten empfangen, und da glänzte er nun in Malaiisch vor dem Alten, der diese Sprache nicht verstand, sondern nur siamesisch. Es ist so dankbar, in einer Sprache, die der Vorgesetzte nicht versteht, zu glänzen!

Schneiders Boy begann unterdessen zum Abendessen zu decken, jedoch das weiße Tischtuch schien er vergessen zu haben. Herrgott! und diese blechernen Teller! Seine alte Wander- und Urwaldkochgarnitur hatte Schneider wieder zu Ehren gezogen, ein halbes Dutzend Kuligeschirre dazu, die Aluminium-Löffel und Gabeln. Die Becher, aus denen Tee getrunken wurde, waren eckig und verbeult. Imfeld, der hinterm Wohnzimmer auf dem Steg vor der Küche Schneider schnell unter vier Augen traf, mußte lachen. Der Hausherr sagte: »Kommen Sie, Imfeld, in mein Allerheiligstes.« O jeh! das ganze Inventar, das Porzellan, die schönen Teller, das Neusilberkaffeeservice, die Tischtücher, die Hängelampe und alles, alles hatte dieser Schneider unterm Ehebett versteckt....

Ein schöner Braten wurde nun aufgetischt, viereinhalb Pfund, auf einem Kistendeckel serviert, aber der alte Herr kaute umsonst lange. Auch Robert wurde mit seiner Tranche nicht fertig; die Hausfrau hustete verlegen: »Es ist so schwer hier nebenaus, eßbares Fleisch zu bekommen!« In Wirklichkeit hatte ihr Mann den alten Büffel, der beim Dampfkesseltransport verletzt wurde, abtun lassen.

217 Nach dem Essen zog sich Herr Arthur Almeira ins Gastzimmer zurück. Da sah's jedoch nach weitern Strapazen aus. Das Bett mit der weichen Matratze hatte Schneider hinausgeschafft. Die Bude war leer, Wände, Wände – sonst nichts. Nichts als Schneiders Feldbett stand in einer Ecke, achtzig Zentimeter breit, wer sich im Schlaf zu wälzen pflegte, erwachte zwanzigmal jede Nacht. Das Moskitonetz war von jeher knapp, außerdem war es zerrissen. Da drin würde der alte Herr versuchen müssen zu schlafen. Den Waschtisch hatte Schneider entfernt, den Spiegel herausgenommen: »Im Baderaum, Mr. Almeira, hats Wasser.« Aber das Allerbeste war jetzt noch das: sogar das hübsche Zimmerklosett hatte Schneider aus dem Gastbad herausnehmen lassen, so daß am Morgen der vornehme Chef mit dem geringsten seiner Kuli und Angestellten würde hinterm Gartenzaun ins Gebüsch müssen. O dieser Schneider! »Es tut mir leid, wir wohnen noch etwas primitiv. Sobald ich Prozente habe, solls gern besser werden. Gute Nacht Herr Almeira!«

Und jetzt mußte Schneider dem Imfeld noch schnell etwas ins Ohr flüstern: »Wir haben den ganzen Tag ein großes Stück des toten Ochsen im Gastzimmer aufbewahrt.« So wird es heute Nacht dem Alten weder an Kammermusik (Mückenkammermusik, hat man schon von so etwas gehört!), noch an Gesellschaft und Zeitvertreib fehlen....

Sehr aufmerksam und mit weitaufgesperrten Augen schaute der alte Herr sich am nächsten Tag den australischen Dredger an. Und ließ sich, als wäre er 218 Morisons Freund und nicht dessen Konkurrent und Todfeind in Millionenangelegenheiten, alle nur irgendwie erhältlichen Daten über Rentabilität und Wirkung des Baggers geben; welche Auskünfte er auch wirklich zuvorkommend und freundlich erhielt. Diese schöne, starke Maschine, die Dreck fraß und sozusagen blankes Geld von sich gab, imponierte Mr. Arthur Almeira gewaltig. Auf einen Besuch in Sang Lung hingegen, wo die eigentliche Arbeit noch immer ruhte, und überhaupt auf alle weitern Inspektionen, verzichtete Herr Almeira gern nach dieser einen Nacht im Bereich des weißen Elephanten: »Meine andern Minen werde ich später mit Mr. George gemeinsam besuchen.« Wollte er vielleicht den erfreulichen Eindruck, den er vom australischen Dredger bekommen hatte, nicht durch andere Eindrücke verwischen? Dieses Eine war klar: sollten dem Schneider neuerdings Gelüste nach einem ähnlichen Maschinchen kommen, so würde er fortan im alten Almeira jederzeit einen begeisterten Verfechter seiner Wünsche finden....

Das waren diese ersten kurzen Tage gemeinsamer Arbeit und Diskussion, die zu Imfelds und des Alten Zufriedenheit ausfielen und jenes heillose Unglück nicht brachten, das wie eine dunkle Drohung in der Luft zu liegen schien. Bald sagte Imfeld: »Mr. Almeira, wenn Sie mich nicht mehr brauchen, will ich sofort an den großen Waldberg auf meinen aussichtsreichsten Platz zurück; er scheint mir sehr wichtig.«

»Gut so, und auf Wiedersehen, Mr. Imfeld.«

Imfeld verschwand, der Chef-Senior fuhr heim nach Bangkok, Robinson atmete erleichtert auf, und 219 einige Stunden später erschien – im Office in Sridharmaray – George Almeira!

»Halloh Robinson! Wo ist mein Onkel?«

»Er fuhr soeben nach Bangkok zurück.«

»Verdammt, dann müssen sich unsere Züge halbwegs Tung Song gekreuzt haben.«

 


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