Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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X

Parker auf dem Kau Dam wehrte sich wie ein Verzweifelter, als plötzlich die offene Feindschaft allen klar war. Er hatte allerlei Vorteile in der Hand, und die benützte er blind und brutal. Es ging um Geld, um Geld, das er erwerben wollte. Da er die 79 Eingeborenen-Sprache besser verstand, aber namentlich auch, da er eine (oder sogar zwei!) Chinesinnen zu »Frau« hatte, war es ihm ein Leichtes, die Kuli und Arbeiter gegen seine weißen Gegner aufzuhetzen. Diese selbst, unerfahren und in mancher Hinsicht im Nachteil, verstanden das Intrigenspiel schlecht. Sie wollten weiter nichts als arbeiten. Auch sie wollten Geld, aber ehrlich verdientes.

Mit der ganzen Ueberlegenheit des erfahrenen Gauners legte Parker los. Alle Kuli, die Imfeld und Schneider angeworben hatten, wurden widerspenstig. Die meisten legten die Arbeit nieder, gingen zum Engländer über. Dieser inszenierte ein lächerliches Spiel. Auf einmal war er erwacht. Wie von Ehrgeiz und Arbeitslust plötzlich gestochen, hatte er die Bierflaschen verlassen. Jetzt riß er mit seinen Arbeitern den ganzen Wald auf und versprengte Hunderte von Dynamitpatronen so recht maßlos-größenwahnhaft.... Bis weit ins taube Gestein hinein verfolgte er lächerliche, wertlose Erzspuren, um George später etwas vorzurechnen, möglichst etwas Großes, Blendendes. Nur abends stärkte er seinen Mut mit Bier. Der »Tuan Besar Bangkok« war angemeldet. »Mr. George Almeira kommt auf Inspektionsbesuch,« hatte Schneiders Boy ausgekundschaftet. Aha!

Parkers zwei Frauen wandelten wie frisch gekrönte Königinnen, die wissen, daß ihr Herrscher mächtig ist, in dessen liederlichem Reich herum. Die zwei Schweizer begegneten ihnen einmal beim Bad. Im stark vereinfachten Kostüm waren sie ähnlich wie junge Zwillinge, kaum zu unterscheiden.

80 Von Tag zu Tag wurde es ungemütlicher, blödsinniger, sinnloser auf dem Kau Dam. Man darf nicht vergessen, es ging hier um etwas, das den Europäern im Osten mehr gilt als Ehre, Familie, Liebe und Leben, es ging um Geld. Parker würde, wenn der Kauf zustande käme, vom Chinesen in einem Augenblick mehr an Tantiemen erhalten, als Imfeld oder Schneider in zehn Jahren verdienten. Vor schwerem Schaden wollten die beiden ihre Firma zu bewahren versuchen, dem Biersäufer und Wüterich Parker zum Trotz. Die Erinnerung an Räubergeschichten, wie er sie in Bubenzeiten gelesen, erwachten in Imfeld, an Märchen, in denen Dolchmesser blitzten.... Aber vielleicht war das seine allzu wache Fantasie.

Die Kuli und namentlich die Vorarbeiter schnitten immerhin Imfeld und Schneider Gesichter, als hätten sie schon das Dinggeld in der Hand, die zwei Fremden gelegentlich totzuschlagen. Deren eigene Boys wurden eingeschüchtert, wußten bald nicht mehr, wem sie glauben sollten, ob ihren Meistern oder am Ende doch vielleicht dem zwar verrückten, aber offenbar mächtigen chief engineer, der wie ein besoffener Gott im Wald herumwütete und Patronen verschoß und mit einem Heer blindlings ergebener Kuli die Mine aufriß.

»Der Teufel soll da mitmachen!« Schneider und Imfeld waren beide gleich voll Wut, voll Ekel und Ueberdruß. An einem Samstag Abend – sie waren mit ihren Untersuchungen zu dem Schluß gekommen, den sie von Anfang an erwartet hatten, nämlich: daß Parker mit Lien Kui im gleichen Sack stecke – an 81 diesem Abend, da sie definitiv wußten, was sie ihrem obersten Chef rapportieren würden, da zog Schneider allem Ungemach zum Trotz seine Violine hervor und begann zu spielen. So hatten sie beide sich das Dschungelleben vorgestellt: Am Tag harte Mühe bei der Arbeit, der eine weit draußen auf Entdeckung, der andere in der Mine selbst. Harte, geordnete, fleißige Arbeit und dann abends gemütliches Beisammensein mit Geplauder, mit Musik, einem Trunk und frohen Plänen. Wie man in den Bergen nach einer schweren Tour in der Hütte um den Herd sitzt.

Schneider spielte etwas ziemlich Trauriges an diesem Abend, nichts Fröhliches, und dazwischen fluchte er im Takt. Er saß auf einer Werkzeugkiste. Türme von Ueberseekoffern mit liebem Hausrat, zwischen denen ihr Herr zur lächerlichen Karikatur wurde, erzählten von fernen Hoffnungen. Imfeld versuchte zu trösten: »Nur den Mut nicht verlieren!«

»Sie können gut reden, Sie riskieren nichts, Imfeld.«

Schneider spielte. Auf einmal schob sich wie ein bleicher Schatten Parker zu den zweien hinein. Die ungewohnte Musik, die vielleicht wirklich seltsam und lockend durch den Dschungel tönte, schien Parker angezogen zu haben. Ueberaus freundlich setzte er sich hin, eine Flasche Malaga wurde ihm angeboten – selbstverständliche Gastfreundschaft, trotzdem der Engländer offenbar schon betrunken war. Parker siebte seine Stimme von allen rauhen Tönen, schmolz in jene Freundlichkeit aus, die darauf lauerte, sich in Haß und Wut umzukehren.

82 Schneider spielte gut, ebenso gut wie er immer aussah. Rotwangig war er und stark wie ein junger Stier. Ich glaube, vermutete Imfeld jetzt wieder, daß dieses gute Aussehen, diese große, prächtige Kraft, diese ganze Ausstellung von tüchtigen Eigenschaften, die Schneider darstellt, den Zorn dieser Parker, Robinson und Konsorten, dieser Verkommenen gegenüber Schneider besonders zum Kochen bringt.

Schneider legte die Geige weg. Jetzt, pfui Teufel, bat der Engländer um die Erlaubnis, spielen zu dürfen. Seine absichtlich falsche Weise riß Abgründe auf, angefüllt mit Abscheu. Seine Musik war schrill, brach Herzen, tötete letzte Vernunft. Parker wußte, was er wollte, wußte, warum er falsch spielte. Und nicht umsonst trank er sich Mut an. Schneider bedankte sich für diese Art Musik. Er bedankte sich in einem Englisch, das nicht besser war als eben diese Musik selbst. Parker spielte mit Inbrunst falsch. Wenn einer, der weiß, daß es für ihn keine Rückkehr mehr gibt, kein Zurück ins Geordnete – wenn ein solcher loslegt in ungezähmter Leidenschaft, in Haß und Bestialität, dann wird das Mitdabeisein schwer. Auch dem zimperlichsten Hähnchen schwillt in den Tropen der Kamm, jedem Mann die Leber zu irgendeinem raschen, unbedachten Verbrechen an. Hier aber wütete ein Teufel, einer, der seine ganze Kultur im Eingeborenen-Hurenhaus gelassen hatte und herauskam, nackt, alle Erziehung abgestreift, ursprünglich, wild, nur noch ein Mann und Bock.

Auf einmal brach wie bei einem Wahnsinnigen der verhaltene Zorn aus. Parker hatte auch die 83 Malagaflasche bereits geleert, die letzten Zäune des Anstandes niedergetrampelt; jetzt flog die Geige in einen Winkel! »Du Hundsdreck!« schrie Schneider, und Parker taumelte hinaus, durch die Tür, kopfüber in den Abzugsgraben. Er quietschte wie ein Schwein. Daraufhin kamen seine zwei Chinesinnen wie hungrige Hühner herangestürzt, pickten nach ihrem Gemahl und schleppten ihn heim.

»Auf Sie ist der Hund nicht gut zu sprechen.«

»Und auf Sie nicht besser.«

»Wenn ihm einfiele, zu schießen!«

»Nichts leichter, als die Kopflage Ihres Feldbettes festzustellen. Wenn er von seiner Hütte aus handbreit unter das mittlere Querholz in der Bambuswand zielt....«

»Ein Schuß geht durch sechsunddreißig Dutzend solcher Farnwedelwände....«

»Und im Haß trifft ein Blinder!«

»Es ist nicht das,« sagte Schneider, und Schneider war Offizier, er wußte was er sagte: »Ich fürchte mich nicht, aber.... ist vielleicht dies der Weg zum Erfolg: blindeste Gewalt und Unvernunft?« Alim seufzte herein, Schneiders Boy: »Sir, der chief engineer hat nach seinem Browning gesucht. Meh Sih hat ihn aber versteckt.«

»Was für ein lustiger Trost. Die Hexe soll leben!«

Es war stockdunkle Nacht. Die Bäume waren in den Himmel hineingewachsen. Verschmolzen war die dunkle Erde mit der Ewigkeit. Niemand ahnte, was Schneider und Imfeld planten, wozu sie sich rüsteten. »Alim, ist die Laterne bereit?« Es war zwar kein 84 Vergnügen, nachts im Dschungel herumzulaufen, vielleicht war das sogar gefährlich, aber die Tiger fürchteten das Licht. »So...., und jetzt nur ein wenig rasch! Es könnte ihm einfallen, hinter uns drein zu schießen.«

Das war ein holpriger Pfad, und auf der stelzbeinigen, schmalen Fußgängerbrücke, die die ersten tiefen Schächte querte, waren einige Bretter verschoben. Nur immerzu der Wasserleitung entlang. Alles blieb ruhig. Nur der dunkle Wald rauschte. Achtung! Nicht danebentreten – Vorsicht! Robert trug die Laterne dicht über dem Boden, kroch den Wegspuren entlang, die Nase tief wie ein Jagdhund auf der Fährte, erlas sich den Pfad aus dem Gestrüpp und aus den Schutthaufen. Da kam endlich der kleine Engpaß, die letzte Arbeitsstelle, so.... und jetzt in langen, mächtigen Schritten den breiter werdenden Weg hinab.

Der Nachthimmel schaute wieder durch die Kronen der Bäume, man näherte sich Gadscha puti. Sterne schwammen groß und fettig glänzend über der fernen Waldsilhouette, Alim trug jetzt die Laterne, Schneider und Imfeld dampften vor Hitze. Als die nächtlichen Wanderer durch das Dorf kamen, heulten ein paar halbverreckte Pariahunde auf, in einer dunklen Nische neben dem Hotel wand sich ein vom Schnaps überwältigter Kuli und im japanischen Freudenhaus am Ausgang des Dörfchens sang mit eintönigen Takten eine späte, müde Frauenstimme ein malaiisches Hurenliedchen:

Tu-Tup klam-bu,
Bu-ka kain,
Sten-gah ring-git
Bu-lih main!

85 Imfeld und Schneider durften sich keine Rast gönnen. Sie wollten recht demonstrativ und unerwarteterweise George Almeira entgegentreten. Heute sollte er die erste Etappe der Eisenbahnreise in den Süden zurücklegen. Heute abend würde er in Tschumpon sein.

So steuerten Schneider und Imfeld gradaus durch die Reisfelder, um möglichst bald den Bahndamm nordwestlich von Sridharmaray zu treffen. Diesem immerzu folgend – Achtung bei den vielen geländerlosen Brücken! – erreichten sie gerade zur rechten Zeit, nämlich bei Tagesanbruch Tung Song, bestiegen den Frühzug nach dem Norden, lagen totmüde einen Tag lang in den heißen Polstern (alles ging ganz vortrefflich, man tut manchmal gut, nicht lange unnütze Worte zu verlieren!) und abends – was ist denn nur los! – traten sie mit ernsten Gesichtern, als wäre im Süden ein Stück Himmel samt allen Sternen heruntergefallen, vor George, angefüllt mit Zorn und Beschwerden. George Almeira empfing seine Landsleute lächelnd und erfreut, man ist dazu fast verpflichtet in den Kolonien. Dann erst war er erstaunt, sie in Tschumpon zu sehen; dann lächelte er wieder – »solche kleine Reibereien gehören dazu!«

Robert und Schneider, so totmüde sie waren, konnten an diesem Abend im Rasthaus lange nicht einschlafen. »Yes, es scheint, jeder hat bei George einen Stein im Brett. Wir sind seine Landsleute, sehr schlecht meint er es wahrscheinlich nicht mit uns, Robinson braucht er beim unangenehmen Verkehr mit den Minenchinesen, Parker scheint sein Spezialfreund zu sein, 86 vielleicht ohne daß George es will. Mit Freundschaften gehts manchmal rasch und merkwürdige Wege.«

Als die beiden Schweizer mit ihrem Chef zusammen auf dem Kau Dam anlangten, war Parker frisch rasiert, sehr bleich und hatte sogar einen Hemdkragen an. Die Arbeit schien ziemlich geordnet vor sich zu gehn. In seiner unterdrückten Wut war Parker nicht schöner als früher. Sein Gesicht war noch schiefer geworden, Runzeln zogen sich neben seiner Nase vorbei wie Regenwasser-Abzugsgräben bei einer Dschungelhütte. Er machte die lächerlichsten Anstrengungen, George zu überreden. Sein Ansehn stand auf dem Spiel, vielleicht mehr. Jetzt schmolz er erzhaltige Brocken, rechnete 70, 80 und mehr Prozent Erz aus Bruchstücken heraus, hing wie ein Kind am Einzelnen und versuchte hartnäckig den unsichern Eindruck, den das Ganze machte, zu verdecken. War er wirklich so dumm?

»George,« dachten Robert und Schneider, »du wirst dich zu entscheiden haben; entweder dein englischer Säufer oder wir zwei!« Direktor sein und die erste Geige spielen, ist manchmal bei aller Autorität nicht leicht. Schneider war äußerst grimmig. Leider war er völlig von George abhängig. Aber schließlich wagte er die ungeheuerliche Frage doch: »Wäre es nicht das Beste, Parker und solche Leute im Interesse einer geordneten Arbeit einfach zu entlassen?« Aber George schien die Frage überhaupt nicht ernst zu nehmen. Er lächelte sanft: »Das ist rein unmöglich.«

»Unmöglich ? Almeira ist doch eine mächtige Firma.«

87 »Parker muß zuerst die Long Rek Konzessionen transferieren.«

»Long Rek Konzessionen transferieren!« Was heißt jetzt nur das?

»Unsere Konzessionen in Long Rek sind in Parkers Namen aufgenommen. Als Schweizerfirma hatten wir seinerzeit keine andere Möglichkeit, als einen englischen Strohmann unterzuschieben.«

Was machte Schneider für ein Gesicht? War das Entrüstung oder Abscheu? »Schleppen Sie Parker schon morgen vor das Minenoffice zum Transfer! Wenn nötig mit Gewalt. Ich helfe gern. Mit beiden Fäusten.« sagte er laut zu George.

»Das hilft nichts. Die Uebertragung der Konzessionen auf unsern Firmanamen, nicht wahr, ist erst möglich, wenn die Pläne sanktioniert sind. Zwei, drei sind es schon, bei den wichtigsten, für die wir erst kürzlich applizierten, kanns aber leicht noch ein Jahr dauern bis dahin.«

»Besonders wenn Parker auf dem Minendepartement und bei Rattawutt privat dagegen schafft,« platzte Schneider bitter heraus.

 


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