Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XXI

Merkwürdig, wie gut es Robinson ging. Er hatte nie sehr viel mehr Lohn als die Schweizer Ingenieure, die bei mühsamer Arbeit im Dschungel Leib und Seele zerrauften, und doch war er jetzt in letzter Zeit immer in Seide gekleidet. Hatte George ihm vielleicht den Monatsgehalt erhöht? Automatisch erhielt Robinson die neuesten Preislisten der großen Bazargeschäfte der Metropolen Pinang, Singapur, Bangkok, seine Villa war fertig gebaut, Rosenbäumchen standen in seinem Garten, – Robinson hatte einen Motorcar, sein Pferdeboy war Chauffeur geworden, die Ponys hatte er verkauft, die Garage neben Robinsons Bungalow war bald unter Dach. Robinson war größer als je. Die Einheimischen kannten die Klassenunterschiede: derjenige ist der Herr, welcher am wenigsten tut! Und so spazierte denn unser G. W. R. anstrengungslos durchs Leben, bis es ihn eines Tages überschlug.

Keng Hui, sein Schreiber war nicht minder hoffärtig geworden, aber das war nicht zum Erstaunen, alle chinesischen Handels-Commis tun möglichst vornehm. Sobald ein solcher chinesischer Typewriter-Typ ein paar Dollar erspart hat, kauft er sich Seidensocken und Glanzhalbschuhe – genau wie bei uns in Europa.

G. W. R. schien sich endgültig von aller Arbeit dispensiert zu haben. Morgens schon lustwandelte er fern von der Stadt in seinem Garten, barfuß in leichten chinesischen Seidenhosen, um zehn Uhr, um elf Uhr warteten die reichen chinesischen Dawkays umsonst 159 vor dem Office, warteten und warteten auf den gnädigen Herrn und hatten doch nichts Schlimmeres im Sinn, als Mr. Robinson, dem Agenten von Almeira & Co., ihre gesamte riesige Erzausbeute in schönem, ihrerseits schon unterzeichnetem Vertrag anzubieten.

Robinson aber lustwandelte in seinem Garten, von Rosenstrauch zu Rosenstrauch, vielleicht ging doch noch eine regelrechte europäische Blume auf! Von den Rosen spazierte Robinson zu den Tomaten, die nicht sehr saftig zu werden versprachen, Robinson kniete nieder auf seinem Rasen, zielte mit zur Erde gebeugtem Kopf, ob dieser schwer zu behandelnde Lawn wirklich schön eben sei, und wo ein widerspenstiges Büschel die Fläche der Rasenharmonie störte, wurde G. W. R. rasend, begann auf siamesisch zu fluchen, bis der Gartenkuli mit der Rasenschere das vorwitzige Grasbüschel köpfte. Hie und da, aber nur selten, wurde der noble Engländer doch morgens schon fertig mit seinem Spazieren und kam um zwölf Uhr noch schnell ins Büro, aber um eins war er schon wieder draußen zum Essen; das war der Segen des Automobils!

Das war, was Parker, der doch auch nicht sehr ordentlich war, schon immer an Robinson rügte, diese gottlose Nachlässigkeit, dieses fortwährende tägliche Verspielen von großen Summen, die bei etwas mehr Disziplin ohne besondere Anstrengung leicht zu gewinnen wären. Daß George als Chef einen solchen Bummler nicht einfach rausschmiß! Schon begannen sich die Folgen zu zeigen. Konkurrenz kam auf, ein schlauer Bangkok-Europäer ließ seinerseits durch einen flinken Chinesen Erz aufkaufen. Und dieser chinesische 160 Aufkäufer hatte chinesische Bürozeit. Von morgens nach Tagesanbruch bis abends saß er lächelnd und empfangsbereit in seinem Kontor und füllte bei guten Tantiemen die Lagerschuppen seines weißen Herrn.

Robinson war ein erledigter Typ, hatte sich durchgesoffen. Mit Robinson stand's so: Er war noch nicht alt, er war teilweise noch rüstig und hatte einen guten Appetit für gute Sachen, aber eines war doch auch sicher: der erste beste Malariaanfall konnte endgültig ein Wrack aus ihm machen. Hingegen der rote Fleck hielt sich in letzter Zeit merkwürdig gut. Und doch, wenn Robinson auch nie mit dem Nastuch drauf tupfte, nie davon sprach, so ahnte man, daß er sich sehr dafür interessierte. Der Alkohol- und noch ein anderer Wahnsinn wohnten nebeneinander in Robinson. Der Grundsatz, dem er zu leben schien, hieß: das Leben ist sowieso ein Unfall mit tötlichem Ausgang! Und mit solchen Havaries geschieht nun das eine von zwei Dingen: entweder sie kommen sich verraten vor und gehen unweigerlich bachab, krakeelende Kerle und dann steckt immer noch etwas Göttliches, nämlich Satanisches in ihnen.... oder aber – und dann werden sie scheußlich! Sie lernen es, trotzdem ruhig auf ihre Art mit dem Leben fertig zu werden. So entstehen die tropischen Philister. Robinson hat einwenig von beiden Sorten. Seine eingedrückte Nase, seine ganze lange Schlottergestalt ging prachtvoll als Symbol für eine ruinierte Seele: »Ich bin faul, aus- und inwendig!« sagte sie in einem fort. Außerdem hieß es, seine Chinesin habe an Robinsons Untergang das Ihrige beigetragen. Aber wie war das denn möglich?

161 Um später – wenn es für Robinson überhaupt ein »später« gab – die Minen seines Schwiegervaters zu erben, hatte sich Robinson nicht gescheut, Baby regelrecht auf dem Papier vor dem englischen Consul General zu heiraten. Was man aus Liebe begreifen könnte, war hier, aus Habgier arrangiert, ebenso dreckig wie gefährlich, denn Baby hatte viele junge Verwandte, von denen keine Macht der Welt verlangen konnte, diesen Robinson zu lieben. War Robinson deshalb oft so brutal und viehisch gegen die Eingeborenen? »You son of a bitch, you bloody coconutheaded bastard! Sohn einer Hündin, blutiger kokosnußköpfiger Bastard!« So titulierte er seine einheimischen Angestellten, nicht etwa Keng Hui – Keng Hui war ein feiner Herr und außerdem führte er die Rechnungsbücher! – nicht seinen Sekretär behandelte G. W. R. so roh, sondern die Köche, Boys, den Chauffeur und die Diener.

Nein, ganz so einfach war es nicht, mit einer Chinesin verheiratet zu sein, und wenn auch Baby einst sehr stolz auf ihren weißen Prinzgemahl war, so war das anfangs der Reiz der Neuheit und später das Automobil. Niemand sollte sich aber deshalb irren, nicht wahr, es war klar, daß der heruntergekommene Haut- und Knochenmensch als Konkurrent zu gesunden Saft- und Kraftchinesen schließlich unterliegen mußte. Und unterlegen war Robinson längst....

Heute war Imfeld in Sridharmaray, und statt im öden, halb zerfallenen Officehaus zu sitzen, wo kaum eine rechte Lampe brannte, ließ er sich, trotzdem er Robinsons Gespräche nicht liebte, von diesem abends 162 in seine Villa schleppen. Wenn einer lang genug unter Eingeborenen lebte, verzehrte ihn eine tiefe Sehnsucht nach weißen, heimatlichen Menschen, so daß er gern auf jenen Honig kroch, der in jedem Gespräch mit Miteuropäern zu liegen schien, jedoch bei näherem Zusehen so selten drin lag.

Imfeld schwieg, Robinson schwatzte: »Habe ich nicht eine prächtige Hängelampe? Ist das nicht eine herrliche Suppe, Imfeld, die ich Ihnen heute Abend serviere? Mein Hund ist europäischer Abstammung, Sie Imfeld, hören Sie, mein lieber Hund ist nicht ein gewöhnlicher siamesischer Hund, sondern von europäischem Blut: little doggy! Nicht wahr, ich habe Almeira & Co. mit Gadscha puti eine wundervolle Baggerproposition verschafft! Ich habe seinerzeit Tully zu George gebracht und zum Verkauf bewogen! Glauben Sie, Imfeld, unser Bagger wird 1000 Zentner im Monat fördern?«

Wie dumm alle diese Ignoranten von Gadscha puti redeten! Als ob eine Mine ein Mittagessen sei, das man in einer guten halben Stunde, seinen vollen Wert ausnützend, verspeist. »Eine Mine ist ein Organismus, fast wie ein lebendes Wesen, und so kompliziert wie ein Mensch, braucht oben und unten, vorne und hinten ihre besondere Sorgfalt und Pflege!« so hätte Imfeld Robinson aufklären mögen.

Jetzt hörte man draußen den Motor vorfahren, und Baby mit Elsy erschien: »Schönen guten Abend!« Elsy war nicht richtig europäisch, aber auch nicht chinesisch, hatte ein rundes hübsches Gesichtchen von Meerschaumfarbe, wie mit dem Pinsel gemalt saßen 163 zwei Augenstriche drin, daß Imfeld bei dem frischen Anblick immer das Wort »Ewigkeit« in den Sinn kam. Was würde einst aus Elsy werden, bei Elsy später zum Durchbruch kommen? Der defekte europäische Vater vielleicht? Oder die chinesische Mutter? »Guten Abend, Mutter Robinson, Sie haben ein schönes, liebes, süßes Mädelchen!« sagte Robert scherzend zu Baby. Aber Robinson erklärte: »Nein, Baby ist nicht die Mutter! Elsys Mutter war Siamesin, ich hatte sie rauszuschmeissen, weil sie mich bestahl; jetzt ist sie eine der stärkstbegehrten Huren im Dorf....«

Almeira & Co., die Firma stand trotzdem fester da als je zuvor. Trotz einem solchen Robinson. Die Firma war mächtig und besaß tatsächlich immer mehr ausgedehnte Ländereien. Robert durfte sich vor diesen stolzen, eiskalten englischen Herren mit ihren gutversorgten Herzen besser sehen lassen. Vor diesen ungekrönten Königen, die sich so gnädig bedienen ließen und einen Schweizer kaum besser ansahen als einen nackten gelben Chinamann. Herrjeh, was war ein Schweizer? Was für ein unwesentliches Instrument spielte er im Konzert der Welt! Nicht daß der Schweizer ganz unbekannt war da draußen, ohne Gewicht und Bedeutung wie ein nackter armer Aschanti, man wußte allgemein etwas von der Schweiz, sogar von Wilhelm Tell schien etwas Teufels in den englischen Schulbüchern zu stehn: der Schweizer ist eine Art europäischer letzter Rest von Naturkind, von Eingeborenem, haust in den Alpen oben, im ewigen Eis, trinkt Milch, hat darum rote Backen, – etwas anderes und völlig Sicheres aber weiß man eigentlich nicht von 164 ihm; nur das Eine steht fest: ein ernstlich mitzählender Faktor, eine Gefahr oder auch nur eine Macht ist er für uns Engländer ganz gewiß nicht!

Statt etwas Vernünftiges zu reden, fragten sie immer das gleiche dumme Zeug: »Morning, wie groß ist Almeiras Ausbeute diesen Monat? Wie viel prozentig ist ihr Gadscha puti-Erz, Mr. Imfeld? Arbeitet Parker, dieses Schwein, eigentlich immer noch mit Ihrer Firma? Stimmt es, daß Robinson von seinem schönen Chinaweib vergiftet wurde?«

Einige wenige englische und französische Prospektoren und Mineningenieure waren übrigens immer da, die Imfelds Lage wohl begriffen und die, selber am erfolgreichen Ende einer Carriere stehend, wohl wußten, daß es nicht leicht ist, in einem solchen Land, unter diesen Bedingungen eine neue Minenfirma zu starten. Und Imfeld spürte dankbar, daß einige darunter ihn, den gebildeten Geologen und seriösen Berufsmann deutlich von der kühnen, tollkühnen spekulativen Firma zu unterscheiden wußten. Das war Trost und tat wohl. Und übrigens gings überall rüstig vorwärts.

Dieser Parker! Man mußte zugeben, daß er ein großer Biersäufer war, aber unterdessen hatte er eine tüchtige Addition gemacht: siebenhundert Morgen waren gut, zwei Pfund per Kubikyard, und noch vermutete er schöne Reserven im Boden. Sogar der Sternenjakob, sogar der Zahler schrieb in letzter Zeit optimistische Briefe. Er hatte in einem seiner Erzgänge plötzlich drei riesige Wolframitblöcke gefunden von je etwa einem halben Zentner und die, schlug er vor, möge bitte Almeira & Co. als Förderer der 165 Wissenschaft und weil es laut Literatur die größten derartigen Erzblöcke der ganzen Welt seien, dem British Museum in London schenken: ein solches Geschenk des Schweizers an das englische Reich mache sich gut....!

In Gadscha puti fehlte ja nichts als die Druckleitung, der Damm stand ja da, und Rohre, so schien's, müßten doch aufzutreiben sein. Herrgott, wenn man nicht einmal mehr Rohre auftreiben könnte! Und sobald einmal Gadscha puti schaffte, dann sollten diese Herren Engländer nur ruhig nach Almeiras output und nach der Reinheit des Erzes fragen.

So ging es auf und ab mit Imfelds Stimmungen, mit Almeiras Minen. Der eine Tag brachte Enttäuschungen und Verdruß, und schon der nächste schnellte den Geologen in die höchsten Sphären beruflicher und bürgerlicher Glückseligkeit hinauf, wenn es so billige Glückseligkeit überhaupt gibt.

 


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