Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XX

Ein Jahr war herum, Almeira & Co. war im Begriff, eine große Minenfirma zu werden. Niemand sonst im ganzen Land hatte so viele Angestellte wie George, so viele einheimische, englische, schweizerische Prospektoren und Ingenieure. Noch immer stand, wenn auch vorläufig nicht an erster Stelle, die Riesenproposition des Kau Dam auf dem Programm. Schneider gedachte in ein paar Wochen Gadscha puti-Erz zu produzieren, und Imfeld, Almeiras Geolog, hatte nicht weniger als sechzehn weitere vielversprechende »claims« im Urwald zu begutachten. Kein Wunder, daß Almeira & Co. in aller Leute Mund war!

Ein Jahr war herum, es ging auf Weihnachten. Robert kam aus dem Wald nach Sridharmaray, wollte zwei, drei Ruhetage haben. Rapporte schreiben, sich erholen von den Dschungelstrapazen. Er war mit dem Boot gefahren, morgens beim Lagerschuppen am River gelandet, jetzt betrat er das Officehaus. Das Büro war noch geschlossen, niemand als der Koch und Diener war anwesend in dem ungeheuerlichen Bau. »Tabek Kuki. Wo ist Mr. Robinson?«

»Sakit, Tuan, pii Singapur.«

Was, krank ist Robinson? dachte Imfeld und fragte:

151 »Ist's etwa das Auge?«

»Das Auge?«

Robinson hatte unterm rechten Auge einen weinroten Flecken. Es war nicht eine eigentliche offene Wunde, nein, jetzt nicht. Vor einigen Wochen war der Fleck offen, in einem Monat, wer weiß, würde Robinsons Fleck wieder offen und feucht und richtige Wunde sein; oder war er's vielleicht schon jetzt? Wenn es dem roten Fleck einfiel, an Robinsons Auge heranzuwachsen, dann floß dieses Auge wahrscheinlich aus.

Jetzt kam in kurzen Schrittchen Keng Hui, der Schreiber: »Morning, Sir!« und wußte glücklicherweise Genaueres. Nein, Robinsons Krankheit schien mit seinem dritten Auge wirklich nichts zu schaffen zu haben, wer konnte auch so dummes Zeug denken, dieser kleine rote Fleck unterm rechten Auge tat doch dem riesenlangen G. W. R., Schuhnummer 46, nichts. »Es ist weiter nichts, als die Ferse des linken Fußes,« erklärte Keng Hui, »möglicherweise, Sir, hat sich Mr. Robinson in seinem schönen Garten beim Spazieren einen Bambussplitter eingetreten. Und da hat er,« fuhr Keng Hui fort, »seine Ferien zu einem Ausflug nach Singapur benutzt.«

Ein Jahr war vergangen, Schneider hatte gut gearbeitet, sein Bungalow war unter Dach und wohnlich ausgestattet; der Damm stand fix und fertig; meterdick und im Granit verankert; die Regenzeit hatte ihre Fluten über ihn ergossen, er hatte nicht gewankt. Morison und all die andern stolzen Engländer wanderten zum Damm hinauf, schauten sich das Bauwunder an: »Ach was, so bauen diese Schweizer Dämme!« – 152 »Yes!« jeder glaubte gern, daß dieser massive Damm sogar den Fluten der Regenzeit unbeschadet standhielt. »Damn it, was mag das Zementungetüm gekostet haben?«

Der Bagger der Australier lief. Er förderte noch kein Erz, er schaufelte nur Sand, »overburden« ohne eine Spur von Erz, aber er arbeitete, Tag und Nacht konnte man ihn rasseln hören, Eimer um Eimer stieg an der Kette ohne Ende auf, nächste Woche, spätestens in vierzehn Tagen gedachte der Baggerkapitän reichen Grund zu fördern....

Ein Jahr war vergangen, tausend Meilen weit war Imfeld durch den Dschungel gereist, mehr als zwei Dutzend Minenanfänge hatte er im Urwald untersucht. Ein Jahr war herum, Schneider hatte Freude: »Meine Frau ist da, Imfeld, feiern Sie Weihnachten bei mir!« schrieb er dem Geologen.

»Grüß Gott!« – es war Robert, als sei dies die erste Frau, die er nach mehr als Jahresfrist sah. Das war eine Weihnacht fast wie zu Hause, aber kein Schnee; es war schwül, die Regenzeit kaum vorüber. Die Feuchtigkeit ihrer unendlichen Wassermassen lag noch in der Luft, und die Sonnenstrahlen schnitten wie stumpfe Messer.

Frau Schneider hatte eine mutige Irrfahrt gemacht in diesen schweren Zeiten, um ihren Mann zu erreichen. Ueber Amerika nach Siam während der Torpedierungs- und Seeminengefahr, war eine Tat für ein junges Mädchen. Jetzt war sie da, – im »grünen Käfig«, wie sie den Urwald nannte, war bereit hier auszuharren, bis Schneiders Million auf der Bank lag. 153 Dann wollte sie heim in die Schweiz nach Lugano, wollte eine Villa, wollte das schnellste Motorboot auf dem See, ein großes, gastfreies Haus wollte sie führen, und solang als ihr diese Träume heilig waren, fürchtete sie sich vor nichts im Waldaffenland, vor nichts als vor den Schlangen. »Nein, die sind ungefährlich! Kaum daß Sie eine sehen werden,« durfte der walderfahrene Imfeld mit gutem Recht Frau Schneider trösten.

»Ist es hier immer so warm?« und jetzt horchte Frau Schneider auf, »....man hört den australischen Bagger bis hier.«

»Merkwürdig, diese Australier, und besitzen nur halb so viel Grund und Boden wie wir!«

»Wie wär's,« so schlug Schneider vor, »wenn wir heute am Weihnachtstag unsere alten unlösbaren geschäftlichen Fragen unterlassen würden?«

War er so nervös? Er schien es nicht gern zu haben, wenn man vor seiner Frau planlos von den Minen und von der Firma redete. – Nun, Robert wars recht, was könnte man statt dessen reden? Die neue, kaum erst in Gadscha puti angekommene Europafrau wünschte natürlich vom Urwald zu hören. So erzählte denn Imfeld von seinen Reisen. Er kam in Schwung, machte prächtige, lange Sätze, seine Zuhörerin war eine richtige weiße Frau, verstand sogar Berndeutsch. Robert Imfeld hatte schon lange nie mehr recht erzählen können.

»Und haben Sie etwas gefunden im Dschungel? Große, schöne Minen, und recht weit weg von diesen scheußlichen Sridharmaray-Engländern?« fragte Frau Schneider. Imfeld wagte nicht zu rühmen. »Nur 154 vorsichtig sein!« warnte Schneider, »zuletzt wird man alle Schuld auf Sie abladen, wenns etwa schief geht!«

Es ist schön, eine weiße richtige Frau in dieser Wildnis, dachte Imfeld, aber ich hätte Angst um sie. »Schneider, haben Sie Ihren Browning endlich bekommen?«

»Wenn mein Mann auf der Mine beschäftigt ist, trage ich ihn am Gürtel!«

»Haben Sie Ihren Nachbar und Räuber schon gesehen, Madame?«

»Den Tully? – Das ist ein komischer Kerl. Vor mir fürchtet er sich,« sagte Frau Schneider, »aber jedenfalls ein gutmütiger, viel besserer Mensch als er aussieht. Nur schrecklich unzivilisiert und verwildert.«

»Sie, Schneider,« fragte Imfeld, »was treibt Tully auf seiner Mine?«

»Es ist nichts damit, kein Wasser und wenig Zinn, Tully versteht es nicht, einen geordneten Betrieb zu leiten. Und er ist krank!«

»Kann er denn nicht zur Erholung in die Java-Berge oder nach Europa, nach Japan? Geld hat er doch jetzt nach dem Verkauf ?«

»Tully hat, was er für Gadscha puti in bar erhielt, zur Hälfte schon zum Voraus verspielt. Heute ist er ein erledigter Mann, liegt in seiner Hütte; mit dem malaiischen Sarong bekleidet gleicht er einer alten Frau. Es gibt Tage, ja Wochen, da Tully sich kaum mehr anders als gebückt herumschleppt.«

»Ist's wirklich so schlimm?«

»Ja, und drum träumt er neuestens davon, dieses harte Minenleben aufzugeben, sich wieder den großen 155 Städten und den Pferderennen zuzuwenden und wie früher »bookmaker« zu werden, trotzdem er manchmal selber meint, daß es nie ratsam sei, in diesem kurzen Leben ein zweites Mal auf die alten Liebhabereien zurückzukommen.«

Abends nach der Weihnachtsbescheerung, als die Kerzchen auf dem Bambusstrunk, der als Weihnachtsbaum diente, nett brannten, nachdem Imfeld von Frau Schneider ein paar rote Badehosen mit einem weißen Elephanten auf dem Bauch bekommen hatte und ihr seinerseits eine kleine silberne siamesische Elephanten-Rarität verehrt hatte, und daher die Stimmung leicht und ungefährlich war, so daß auch der Hausherr vergnügt mitlachte, schoß Robert, halb im Spaß, seinen Giftpfeil doch los: »Sie, Schneider, wenn Sie so freundlich sein wollen, wegen der Theorie, die ich jetzt verzapfen werde, nicht in Ohnmacht zu fallen, möchte und muß ich etwas für Sie sehr Wichtiges sagen, das mir einfiel!«

»Gadscha puti betreffend?«

»Ja, eine Erklärung dafür, warum die Australier möglicherweise doch sehr genau wissen, weshalb sie die Fortuna in jenem Winkel nebenaus starten!«

Statt zu erschrecken, zeigte sich Schneider sehr begierig, Imfelds neueste Entdeckung zu erfahren. Ja, er lachte sogar, ein wenig geringschätzig, als könnten alle geologischen Theorien der Welt ihm nichts schaden. »Wissen Sie,« begann Imfeld, »es schiene mir denkbar, daß unser schönes heutiges Flußbett ein ganz junges, erst kürzlich entstandenes sein könnte, dessen Wasser zwar wohl auch Erz mitgebracht haben, daß 156 aber der Gadscha puti-River jahrhundertelang und zur Zeit, da die Hauptablagerungen entstanden, dort drüben durch das Gebiet der Australier geflossen ist. Und das bischen Erz im heutigen Flußbett ist vielleicht geradezu bedeutungslos im Vergleich zu den Hauptlagerstätten dort drüben!«

»Wir wissen aber doch, daß Ah Joys Mine am heutigen Flußbett sehr reich ist.«

»Ah Joys Mine ist nur ein kleiner Punkt des Ganzen.

»Aber so gelegen, daß ein schönes Stück Nachbargebiet nach ihr beurteilt werden kann.«

»Ja, es ist wahr, es sieht nicht aus, als ob.... Aber die Frage kann nur durch Bohren entschieden werden. Und wir haben nicht gebohrt.«

»Wo der Fluß ist, liegt vermutlich das Erz. Mag Morison dort drüben nebenaus jenen toten Winkel für gut genug taxieren, das ist seine Sache, je mehr er dort drüben findet, umso sicherer ist unser offenbar noch besser gelegene Platz ein Unternehmen wert. Und warum wollten die Australier unsere Konzession ums Teufels willen von Tully kaufen?« Und nun lachte Schneider dem pessimistischen Geologen rundweg ins Gesicht, und hatte sogar ein Recht, das zu tun. Er müßte nicht Schneider heißen! Vieles und Erstaunliches hatte er schon ans Tageslicht gebracht, jetzt hatte ihn sein Schicksal ermächtigt, seiner Frau als Weihnachtsgeschenk nichts weniger als eine beglaubigte Kopie von Morisons Bohrplan von ganz Gadscha puti in den Schoß zu legen. Wo hatte er nur auf einmal diesen 157 Bohrplan her? Wie konnte ihm dieses Kunststück gelingen? Welcher Chinese war der Verräter?

Gloria. Jetzt stimmte alles! Jetzt war diese Weihnacht erfreulich, jetzt wollte Schneider gern vor seiner Frau von Gadscha puti, von Zukunft, Prozenten und »output« reden. Das vermutete viele Erz war wirklich da. Drei Pfund! Nicht nur in den Konzessionen der Australier, und dort nicht einmal übertrieben reich – unterm Wohnhaus Schneiders hindurch und durch den größten Teil von Almeiras Konzessionen, überall dem heutigen Flußbett entlang, lauteten die Einträge besonders günstig auf Morisons Bohrplan, den der chinesische Zahlmeister vom Dredger um eine Tausend-Dollar-Gratifikation für Schneider entwendet hatte. Der Ingenieur hatte ihn schon kopiert. Das Original war bereits unterwegs zurück ins australische Office. Nein, Imfelds geologisches Mißtrauen war nicht am Platz: Gloria, have a drink!

Aber verflucht merkwürdig war es doch, wie hartnäckig die Volksstimme von Gadscha puti behauptete, Morison habe lachend erklärt, in weniger als drei Jahren werde ihm Almeira seine Konzessionen gern halbumsonst abtreten. Was meinte eigentlich dieser stolze Morison damit? Wollte er diese guten Schweizer verwirren? Warum sollten denn diese mit ihrem prächtigen, energischen Gadscha puti-Manager nicht fähig sein, ihr Land selber auszubeuten? Geld, um Maschinen zu kaufen hatte doch dieser Almeira ohne Zweifel mehr als genug! 158

 


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