Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XXVIII

Gut, daß Almeira & Co. jetzt dieses Automobil in Sridharmaray besaß. Es fuhr in zwei Stunden wie nichts nach Gadscha puti, wenn nicht etwa unterwegs auf einer der vielen Holzbrücken in den Sümpfen von Sala matschai ein Rad oder der ganze Wagen durchbrach.

Robinson hatte natürlich wie immer zuerst sich wichtig machen wollen: »Ich gebe mein Automobil heute nicht bei dem schlechten Zustand des Weges, und so spät.« Imfeld mußte mehrmals sehr kalt und klar wiederholen: »Ich wünsche in wichtiger Sache den Wagen der Firma zu benutzen!« – dann dauerte es noch einige Zeit, bis der Chauffeur gefunden war, nun 202 aber war Robert endlich unterwegs auf seiner seltsamen Fahrt. Schön zurückgelehnt saß er in den Polstern, und wer saß neben ihm? Ein auffallender, vornehmer Siamese schien der Mann neben Imfeld zu sein, so viel man sehen konnte in der Nacht, und offenbar sollte der Wagen mit den beiden trotz den Fluten der kleinen Regenzeit nach Gadscha puti.

Kilometer weit reichte das flutende Wasser dem Ford an die Rädernaben, die elend lange Stelz- und Knüppelbrücke zitterte und schwankte bedenklich, eine andere war halb eingefallen, so daß es einfach ein Wunder war, wie der Wagen trotzdem durchkam. Die Scheinwerfer durchdrangen das Dunkel, manchmal sprang ein unbekanntes Tier im Lichtkegel auf, eine Urwaldkatze, ein kleiner Tiger, hüpfte und sprang angsterfüllt in die Luft und verschwand wieder. Das war keine sehr gemütliche Fahrt durch die Nacht, aber sie mußte gelingen. Von Schneider war heute ein Eilbote gekommen: »Schicken Sie sofort einen Arzt, meine Frau gedenkt niederzukommen!«

Und da hatte Imfeld in Sridharmaray gedacht: der siamesische Wunderdoktor und Assistenzarzt am Spital wird immerhin besser sein als keiner. Studiert hat er zwar nicht, nein, kein einziger studierter Arzt ist gegenwärtig in diesem Spital tätig, aber dieser siamesische Doktor Ling hat früher assistiert, und man denke sich, welch ein Kunststück, er hat vor kurzem sogar einem hindustanischen Pferdehändler den Blinddarm ohne Narkose herausgenommen. Großartig. Wirklich großartig! und der Patient ist nicht einmal gestorben. 203 Nein, er hat noch längere Zeit trotz dem Eingriff weitergelebt, starb erst drei volle Monate später.

Der braune stille Hebammerich saß sehr ergeben in den Kisten, ließ sich rütteln, sammelte seinen Mut, freute sich vielleicht im Stillen auf das weiße Wunder, das ihm offenbar werden sollte. Die seidenen Hosenbeine gekreuzt saß er da, dicke, großformatige Bücher mit Abbildungen jüngster Menschen mit und ohne Mütter auf dem Schoß, einen Kasten voll Zangengeräte zu Füßen. Es war vollkommen Nacht, der Tag völlig vorbei, das Wasser spritzte bis in den Fond des Wagens, am Himmel über den ziehenden Fluten zwischen hastig zerreißenden Wolken stand für Minuten wie ein Fragezeichen der junge Mond....

Endlich gegen Mitternacht war Schneiders Bungalow erreicht, jetzt konnte es losgehen. Imfeld legte sich in den Liegestuhl auf der Veranda. Dieses Jammern und Wehbern ging ihm auf die Nerven. Im Gastzimmer war es nicht auszuhalten. Drum hatte er sich in den entferntesten Winkel verzogen. Es dauerte lange, nachts sind Wartestunden immer länger als tags. Robert versuchte ein wenig zu schlafen, aber es ging mit dem Schlafen schlecht. Und nun schien die Nacht doch herum zu sein, es dämmerte langsam im Walde. Ja, da war schon der weiße Elephant zu erkennen, und jetzt polterte Schneider mit der Faust an die Gastzimmertüre: »Imfeld!«

»Hier draußen bin ich,« rief Robert. Schneider kam: »Das Aergste ist überstanden.«

»Ich gratuliere.«

»Eine Tochter!«

204 »Bravo!«

Inzwischen hatte es völlig getagt, und Schneider mußte schleunigst auf seine Mine. »Gehen Sie ruhig,« sagte Imfeld, »ich bleibe im Haus. Sie können den dunkelbraunen Arzt ruhig bei Ihrer Frau lassen. Er ist ein Gentleman und außerdem Mitglied der evangelischen Mission....« Jetzt hatte dieser Mordsschneider sogar ein Töchterlein, Johanna Marguerita, jetzt hatte er eine Villa, eine Dampfmaschine, die regelrecht lief, und innert einer Woche würde er schon das erste eigene Zinn verkaufen....

Diese Dampfmaschine! Endlich hatte George sich ausbesonnen und kurz vor den Sommerregen ein uraltes Möbel von Lokomobil geschickt. Ein ausrangiertes Ungeheuer von einem Holzfresser, ein Maschinentier ohnegleichen, eine vorsintflutliche Karrikatur von einer modernen Maschine. Da inzwischen die siamesische Eisenbahn, die früher stolz an dem kleinen Gadscha puti vorüberschneuzte, beschlossen hatte, der Minen wegen anzuhalten und eine Station zu bauen, war es nicht allzu schwer, das Maschinenmöbel an den Ort seiner Bestimmung zu bringen. Schon zum voraus hatte Schneider die Pfützenreihe durch den Wald, die sich Weg nennen ließ, ausgebessert, dicke Walzen hatte er aus tausendjährigen Stämmen schneiden lassen, und schließlich machten neunzig Kuli, die rund um den eisernen Götzen sangen und johlten, und ein Dutzend der stärksten Büffel den Weg von sechs Kilometern in weniger als zwei Tagen mit ihrer Last....

Ganz bleich kam Schneider nach einer halben Stunde zurück. Was fehlte ihm? Fieber? Ja! dachte 205 Imfeld, daß einer Fieber bekäme, nervös werden könnte als neugebackener Vater, nachdem er den Tag hindurch schafft und nachts statt zu schlafen entbindet, das könnte ich leicht begreifen...., aber was soll dieses Kummerfaltengesicht? »Was ist?« rief er dem Kommenden entgegen. Schneider brüllte: »Kommen Sie, kommen Sie auf die Mine, Imfeld!«

»Was ist?« fragte Robert wieder während des kurzen Marsches.

»Sie werden es sogleich sehen!«

Nun, nun, irgendetwas Unerfreuliches konnte Imfeld wirklich beim besten Willen nicht entdecken. Wundervoll fundamentiert saß das Maschinentier auf einem kleinen künstlichen Plateau, wie für Ewigkeiten fundamentiert, mit einem Strohdach überdeckt gegen Sonnenschein und Regen. Zweihundert Wagenladungen Holz waren in langer Zeile aufgestapelt, fünfzig Kuli mit Werkzeug wohlversehn; alles zur Arbeit Notwendige war reichlich vorhanden. Nicht das Geringste fehlte. Die Maschinisten hatten den Dampf, die Maschine brüllte, daß die Affen im Wald erschraken, die Pumpen schluckten großartig. Deutlich ging das Grundwasser mit jeder Minute zurück. Immer gröberer Kies wurde sichtbar, die Steine und Blöcke nahmen zu an Größe und Anzahl mit jedem neuen Zoll Tiefe. »Im nächsten Augenblick sind wir im Karang!« Und jetzt! Der Vorarbeiter brachte eine Handvoll wunderbares Zinn. Grobkörnig wie Erbsen, schwer wie Blei: »Tengo Tuan, sieh da Herr!«

»Tiefer!« kommandierte Schneider, »wir sind noch 206 nicht am Grund. 15 Fuß, 18 Fuß ist hier die Alluvion.«

»Halt, halt, da ist schon der anstehende Fels, tiefer gehts hier überhaupt nicht. Wo ist das Zinn?«

»Hier, sehen Sie Imfeld: eine ganze Tasche im Bedrock unter einem Steinblock von Küchenschrankgröße, den weder Pumpe noch Stemmeisen wegzuheben vermag. Und da drüben ebenso schönes unter diesem andern großen Block. Herrlich' grobes, schweres Zinnerz. Und schön rein gewaschen, von Natur sortiert, daß man's mit der Schaufel herausheben und ohne weiteres verkaufsbereit in Säcke abfüllen kann, ohne auch nur eine einzige Minute mit Waschen und Schlemmen zu verlieren. Prachtvoll!«

»Ja, aber wo ist denn eigentlich der zinnhaltige Sand, den man hier überall zwischen den Blöcken, überall auf dem Bedrock als meterdicke Schicht erwarten möchte, hingekommen?«

Weggeschafft vor Jahren durch die Chinesen, rein und glatt ausgeschafft ist alles, was an Karang erreichbar war. Nur gerade unter den allergrößten Steinblöcken, die die frühern Besitzer der Mine nicht wegzuheben wagten, aus Angst, sich die Finger zu zerquetschen (was sich selten rentiert!), nur in ein paar winzigen, fast unzugänglichen Rinnen und Nischen unter diesen größten Felsbrocken haben die Chinesen gerade so viel an Erzresten zurücklassen müssen, daß Almeiras europäische Ingenieure heute noch sehen können, was ursprünglich da war, was für unerhört schönes, reines Zinn, was für riesenhafte Schätze....

207 Kann das Schicksal einem großen Unternehmen gemeiner ins Gesicht schlagen?

Schneiders Miene war ernst und düster wie eine Granitlandschaft am St. Gotthard. Tränen fliegen ihm in die Augen, als Imfeld Abschied nahm. Es war ein trüber Abend, und über die grünen, regenfeuchten Wälder schaute stumm der weiße Elephant.

 


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