Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XI

Da der Kau Dam der hohen Kaufpreise wegen, und auch deshalb vorläufig aufgegeben werden mußte, weil das Minenoffice ad interim den ganzen Berg mit Arbeitsbann belegt hatte, sah George Almeira sich genötigt, für Schneider ein neues Feld der Betätigung zu 88 suchen. Niemand war glücklicher als dieser, daß der steile Berg außer Frage kam, er selber aber in das sanfte, liebliche Becken von Gadscha puti übersiedeln durfte.

In Almeiras Office in Sridharmaray sah's jetzt natürlich besser aus. George war jetzt da. Das windzerrissene Palmenblattdach war geflickt, die Löcher in den Stubenboden waren mit neuen schneeweißen Brettern zugeschlossen, ein extra Office-Koch war angeworben; der kochte, wusch, bettete für die Leute der Firma. George, der jugendliche schöne Chef mit dem Kräuselhaarschnäuzchen und den prachtvollen Augen war überaus fleißig. Um acht Uhr morgens setzte er sich ans Pult. Almeira war eine große Firma, eine weitläufige Korrespondenz war zu erledigen, mittags, selbst während der heißen Zeit, zückte George von halb zwei an jede Minute die Uhr, um zwei scharf wanderte er ins Office hinüber. Brief um Brief erledigte er persönlich. Durch seine Schreibmaschine pulste das ganze Unternehmen. So hatte er es in Europa gelernt. War diese eintönige Arbeit eigentlich eines gebildeten Ingenieurs würdig, fragte sich Imfeld, Brief um Brief derart stupid in tagelanger Arbeit zu schreiben! Ware nicht manchmal ein klares, in Menschenverstand gegebenes Wort mehr wert?

George fuhr jetzt alle acht Tage in der Kühle des Abends zum großen wellblechernen Lagerschuppen am Fluß, worin es mittags so heiß wurde, daß kein Weißer es lang drin aushielt; George machte die Lagerkontrolle, zählte die Erzsäcke nach, griff von Zeit zu Zeit ein Muster heraus, das auf seiner weißen zarten Hand 89 glitzerte, prüfte mit der Lupe die Reinheit des Erzes, ließ Säcke nachwägen. Das alles war nicht sehr kurzweilige Arbeit; vielleicht darum hatte sich Robinson davon dispensiert. Und es war wiederum George und nicht G. W. R., der mit den chinesischen Dschunken den Sridharmaray River hinunter ans Meer fuhr und in der Brandung draußen wartete – bei Monsun oder schlechtem Wetter ein zweifelhaftes Vergnügen, daß es oft geradezu aussah, als hielten die plumpen Segelschiffe ein Wettschaukeln ab – Tage und manchmal Nächte lang mußte George da draußen auf den Küstendampfer, auf den »Krat«, den »Scharfen« warten, und schließlich froh sein, wenn er ihm auf offener See seine kostbaren Säcke abgeben konnte, bevor das Meer seine lumpigen Schaukel-Dschunken umschlug. Früher hatte Robinson das alles besorgt und überwacht, man wußte wie viel er für Almeira mit Erz verdiente, jetzt hatte er genug von solcher Hundearbeit, schlief lieber oder trank in seinem behaglichen Bungalow.

Keng Hui, der Officeklark war ein fleißiger, zuverläßiger Chinese. Unglaublich, welche Summen seiner chinesischen Zahlenkunst anvertraut wurden. Wenn George in Sridharmaray anwesend war, hatte Keng Hui strenge Zeiten: »Keng Hui!« rief's hier, »Keng Hui!« dort, niemand sonst konnte George raten. »Wie stehts mit unserm Tschi Fa Sun? Wer ist eigentlich der Nai Seng? Wieviel Schulden hat er bei uns, können wir ihm den verlangten Vorschuß geben?« Keng Hui wußte alles: »Tschi Fa Sun ist ein reicher Mann, sein Erz ist sehr rein, Sir, Sie können ihm das Geld geben.« Keng Hui sprach fließend chinesisch, siamesisch und 90 englisch, er tipte die Briefe, die ihm George diktierte, er übersetzte, notierte, zog Summen ein, zahlte Summen aus.

Dem gebildeten Imfeld kam manches chinesisch vor: Komisch, dachte er, wie in diesem Land die großen Banknoten aufbewahrt werden, die 1000 und 5000 Dollarscheine. Sie sind alle mitten entzweigerissen und die linken und die rechten Hälften werden je für sich in einem besondern Tresor verwahrt, so daß nur wer beide Geldschränke zugleich aufbricht und beide Hälften stehlen und zusammensetzen kann, etwas von seinem Diebstahl hat. Und diese lumpigen Minenchinesen, mit allen Taschen voll Geld, die ihre 1000 Dollarscheine wie die Bauernweiber ihren Plunder ins Schnupf- oder Halstuch binden! Was für ein armer Teufel, dachte Imfeld, ist daneben ein europäischer Ingenieur oder Doktor der Wissenschaften, und tut doch manchmal so stolz. Und dann hat jeder dieser Chinesen ein eigenes Haus oder zwei, und Frauen so viel er will, mit vielleicht noch geringern Komplikationen als Jakob Zahler sich's erhofft.

Um fünf Uhr punkt machte George Feierabend, ergriff seinen Malakkastock, spazierte durchs Dorf. Wenn Imfeld da war, ging er mit. Dann lustwandelten die beiden wie richtige europäische Büroherren unter Palmen durch den kühlen Abend. Imfeld schaute ringsum nach indischen Wundern, nach schönen Frauen aus, George meist in tiefe Gedanken versunken, blieb stumm. Nur hie und da, beim Schein der sinkenden Sonne öffnete er Robert gegenüber sein Herz: »Zahler hat einen verrückten Brief geschickt.«

91 »So –«

»Imfeld, was halten Sie von Zahler?«

»Man sollte für ihn eine kleine gute Mine mit Ausbeute haben.«

»Ja, zweifellos ist Schneider und nicht Zahler der Mann, um unsern besten Platz, Gadscha puti, zur Entwicklung zu bringen.«

»Ist Gadscha puti wirklich so gut?«

»Wir haben noch nicht gekauft, zu bohren ist gar nicht nötig; jedermann weiß, daß Gadscha puti sehr gut ist!« antwortete George; und da er Imfelds erstauntes, mißtrauisches Gesicht besser verstand, als ihm lieb war, fuhr er fort: »Unser Vertrag mit Tully kann übrigens nicht mehr rückgängig gemacht werden. Man muß etwas wagen. In Geschäften kann man nicht immer die geordneten Wege der Vorsicht gehn. Man käme zu nichts. Wir hatten uns rasch zu entscheiden. Den Tully, diesen Räuber, kennen Sie noch nicht. Es handelte sich darum, der Konkurrenz zuvorzukommen. Nicht wahr, von Gadscha puti gehören die unter dem Namen Fortuna-Mine bekannten Konzessionen einer australischen Kompanie, und die bessere, direkt am Gadscha puti River gelegene Hälfte des Grundes war ihr ebenfalls angeboten. Ich sah diese Option, welche die Australier mit Tully hatten, persönlich: sie war rechtskräftig ausgestellt mit der Unterschrift ihres Managers Morison. Dieser verreiste auch sogleich nach Australien, um das Geld aufzutreiben, muß aber unerwartete Schwierigkeiten bei der Beschaffung angetroffen haben. Die Option lief ab, und Tully 92 verlängerte sie trotz flehenden Telegrammen Morisons nicht, sondern kam zu mir.«

George beobachtete mit einem Seitenblick die Wirkung seiner großartigen Enthüllungen auf Imfelds Gesicht; dann fuhr er fort: »Uebrigens einen dicken Strich hat Tully damit durch Morisons Rechnung gezogen, mit blutroter Tinte. Morison gelang es nämlich in Australien, kurz bevor Tully die Verlängerung der Kaufsofferte verweigerte, die Gesellschaft doch zu gründen, und wenn er nun Tullys Land nicht bekommt, werden ihn seine eigenen Aktionäre mit Stumpf und Stiel auffressen.« George bekräftigte diese kannibalische Prophezeihung durch einen unsanften Stockhieb.

So geht's hier zu, dachte Robert. George verstand es, seine Position glänzend herauszustreichen.

»Wir hatten kein Bohrgerät, das für die Untersuchung des steinigen Grundes stark genug ist. Ohne Dampframme kann man in Gadscha puti nicht bohren.«

»So kann man das nötige Werkzeug kaufen. Wir brauchen es früher oder später.«

»Dazu ist jetzt nicht mehr Zeit. Wollen wir Tullys Grund, müssen wir die Option innert vierzehn Tagen ausüben. Und übrigens, wozu unnötige Ausgaben machen! Morison und andere haben längst gebohrt, glauben Sie, Morison wäre derart von Gadscha puti begeistert, wenn er nicht wüßte, daß große Werte im Boden liegen....!«

Ja, das war der Trost in der unerquicklichen Sache, bei der als unbefragter Experte mitzumachen Imfeld 93 nicht rühmlich schien: diese berühmte, australische Gesellschaft ging breitspurigstens vor, bald sollte ihr Bagger laufen, Hütten und Bungalows schossen über Nacht wie Pilze aus dem Boden. Almeira war direkter Nachbar dieser Fortunaleute und noch näher am Fluß, also war Almeiras Gadscha puti-Besitzung gut.

Imfeld war bereit, wo immer die Zukunft lachend durch einen Spalt in Almeiras Minen hereinschaute, seinen Segen dazuzugeben.

»Eine einzige gute Mine wie der Kau Dam,« meinte George, »wenn nicht zu teuer angezahlt, ein einziger Platz wie Gadscha puti reißt alle unsere andern Unternehmen heraus, gibt jedem einzelnen und dem ganzen Betrieb das Leben.«

Manches allerdings wollte Robert lange nicht einleuchten. Die ganze Weltordnung schien in diesem Land auf Borg und zukünftige Gewinne zu laufen. Almeira & Co. warf das Geld schaufelweise chinesischen und weißen Zinnsuchern und Abenteurern in den Rachen, gleichgültig fast wieviel. Almeira würde später eine Aktiengesellschaft gründen und sich für seine Ausgaben und Aufwendungen glänzend bezahlt machen. Die Aktionäre würden das bischen Schulden nicht spüren. Frisch war das Geschäft, frisch-fröhlich war das ganze östliche Leben.

»Mr. Almeira, Sie haben heute Tschang wieder einen Vorschuß gegeben. Ist sein Land etwas wert?« fragte Robert beim Abendessen. George befahl: »Sie gehen am besten morgen hinaus und schauen es an.«

»Yes.«

Und als er am fünften Tag enttäuscht von seiner 94 Inspektion zurückkehrte, hieß es in Sridharmaray, George Almeira sei nach Bangkok heimgereist. Als Robinson mittags ins Office kam, fragte er erstaunt: »Wie, schon zurück, Imfeld? Ist es denn möglich, 3000 Morgen Zinnland in fünf Tagen zu prüfen?«

»Es ist möglich, ja, wenn dieses angebliche Minenland Almeira & Co. angeboten ist. In diesen 3000 Morgen gibts so wenig ein Körnchen Erz als in Spitzbergen Kokospalmen. Ich wette meinen Kopf darauf!«

»Hier ein zurückgelassener Brief von Mr. Almeira an Mr. Imfeld,« sagte Robinson.

 


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