Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XXV

Als Imfeld frisch aus der Einsamkeit des großen Waldberges zurückkam, war im Office großer Wirrwarr. Er hatte schon in der Gegend des Bahnhofes vor dem malaiischen Bordell einige magere Ziegenböcke und Opiumraucher von alten Chinesen die Köpfe zusammenstecken und blinzeln sehen. Jetzt gab Keng Hui bereitwillig die Erklärung: »Der chinesische Geheimbund ist überrascht worden.« Und Robinson führte breiter aus, wobei seine Pfeife zwischen den Zahnstummeln wackelte: »Es war höchste Zeit. Wenn Chinesen sich gegen Regierung und Ordnung verbünden, haben sie in diesem Land nicht nur enorme Gewalt, sondern schrecken auch vor keinen Mitteln zurück.«

Nun, nun, dachte Imfeld, mich hat noch keiner aufgefressen. Was eigentlich los war, vermochte er nicht recht zu erraten, er wußte zwar, daß etwa da und dort 184 das Gerücht ging, chinesische Wegelagerer machten die Gegend unsicher, raubten Erztransporte aus, lauerten geldführenden Boten auf, aber er seinerseits hatte es nicht einmal für nötig erachtet, den zur Ausrüstung eines Geologen als selbstverständlich gehörenden Browning, den ihm Almeira noch immer nicht schickte, aus eigenem Geld zu kaufen. Schließlich glaubte er zu verstehen. Es handelt sich um eine Verschwörung der Kau Dam-Minenbesitzer gegen das Minendepartement und die dortigen großen Herren. Millionäre und dergleichen Leute hatten in solchen unzivilisierten Ländern immer zu streiten. »Kuli wurden auf dem Kau Dam totgeschlagen. Es war sehr amüsant.« Keng Hui lachte ganz vergnügt.

Den Imfeld begann das alles zu langweilen. Was gingen ihn diese Chinesenhändel an. Jedoch jetzt kam das Wichtigste erst: »Lien Kui ist über Nacht verschwunden, es heißt, er sei nach China entflohen, jetzt hat er noch bei Lebzeiten einen legitimen Erben bekommen, der handelt im Versteckten für ihn, will diesen Kau Dam, der immer wieder Sorgen einbringt, neuerdings an Almeira & Co. verkaufen. Der Moment ist günstig. George ist auch dieser Meinung. Ein Telegramm für Sie, Imfeld. Sie sollen den Berg nochmals untersuchen.«

Imfeld ging tatsächlich wieder auf den steilen Berg. Da lag Parkers Pavillon, dort die Bambushütte, wo er mit Schneider wohnte, wo er mit Schneider.... und nun kam Imfeld etwas Lustiges in den Sinn: Wo er mit Schneider einen ganzen Tag hart schaffte, um eine Riesenschildkröte umzubringen, was ganz verteufelt 185 schwierig war (und eigentlich gesetzlich verboten, so modern ist Siam!). Wollte man ihr den Schädel mit dem Beil abhauen, zog sie ihn schleunigst in ihre Schildpattfestung zurück, henkte man sie in einem günstigen Augenblick, wenn der Schlangenkopf sich mit einer Schlinge erwischen ließ, über Nacht mit ihren fünfzig Pfund Gewicht frei auf, schien sie diesen Höhenaufenthalt in dünner Luft eher als lustige Kur und als Spaß denn als Abschiedsvorstellung von den Freuden dieser Welt zu empfinden, Sublimat schluckte sie mit wässerigem Mund in ganzen Tabletten als wär's Zucker, und legte man sie endlich für tot in eine Ecke, kroch sie nach einigen Stunden Ruhe frisch und fröhlich wieder davon. Und richtig tot war sie erst, nachdem man sie gegessen hatte – welch eine Suppe! –

Auch die Mine schaute Robert nochmals an. Lien Kuis Kongsi war verlassen und zerstört, sah nicht weniger traurig aus als die Löcher im Wald und Boden, die Parker mit seinen wütenden Versuchen schlug. »Dieser verdammte Berg,« dachte Imfeld, »sieht gut und nicht gut aus.« Warum wollte Almeira & Co. sich mit zweifelhaften Dingen abgeben, solange doch in diesem unerforschten Land immer noch die Möglichkeit bestand, etwas Vorteilhaftes zu finden? War Almeira eine so große, erfahrene Firma, um lachend der Vernunft ins Gesicht schlagen zu dürfen?

Nachdenklich stand Imfeld, wo er so oft mit Schneider gestanden, auf einem Uebersichtspunkt. Im Tal drunten, tief, tief unten, hämmerte und lärmte der australische Bagger, manchmal mit dem Wind wimmerte die Maschine langgezogen herauf, oder sie 186 knurrte bösartig knackend wie ein Riese, der wild wird und um Teufels Gewalt Fesseln sprengen will, die ihm angelegt wurden. Mild lag der Abendschein über der Ebene von Gadscha puti, der Elefant hob sich hell aus dem dunklen Wald heraus, und friedlich standen, wie von einem sanften Japaner gemalt, die neuen Häuser und Hütten von Morisons Mine in der Tiefe unter Kokospalmen.

War dieses Gadscha puti nicht das reinste Chamäleon? Alle Augenblicke wechselte es seine Farbe. Gadscha puti glich einem Feueropal, warf Lichtfunken aus, helle und trübe, gelbe, rote und grüne, je nachdem man es von oben, von unten, von hinten oder von vorne betrachtete. Gadscha puti war ein unerhört reiches Minenland. Zwei Riesenfirmen hatten sich darum beworben. Gadscha puti barg enorme Schätze – wer weiß? Wieviel? Wo? Was? Almeira wußte es vom Hörensagen, Morison hatte das ganze Grundstück in ungeheurer, teurer Arbeit abgebohrt, man konnte noch da und dort im Dschungel die Fundamente der Dampframme sehen, die sein Bohrzeug bediente. Bei Ah Joy in der Chinesenmine hatten alle Kompetenten schönes Zinn, schönen Karang mit Händen greifen und gleichsam das bloßgelegte Herz der Mine sehen können; allen gefiel der Platz gleich gut.

Und seit einigen Monaten arbeitete jetzt auch der Bagger der Fortunaleute mit schönem Erfolg. Wenn er auch hie und da Pausen für Reparaturen einschaltete, schaffte der Platz doch fast programmäßig; Monat um Monat stand das offizielle Bulletin der Australier in der Eastern Gazette: Fortuna, 50,000 Kubikyard à 187 1¼ Pfund, 500 Arbeitsstunden, Reingewinn: 25,000 Dollar. Die Australier waren Teufelskerle. Der Bagger hatte gar nicht so große Reparaturen, wie vorher vermutet wurde, lief sogar bis zu 560 Stunden im Monat.

Neben Mr. Morison, der im Büro saß, die Gewinne verteilte und gravitätisch die oberste Stelle ausfüllte, waren noch zwei andere Weiße und ein Heer chinesischer Sachverständiger fleißig: ein Baggerkapitän, ein wahrer Walfisch von einem Menschen, und ein zweiter Mechaniker, die abwechslungsweise mit ihren chinesischen Heizern der Maschine warteten. Ein solches kostbares Millionenungetüm darf nie allein sein. Der Schaden, wenn etwas passiert, wäre enorm. Nicht nur könnte die Maschine böse Havarien erleiden, wenn etwa der Dampfkessel zerspränge oder die Eimerkette oder der Ausleger überanstrengt würden – viel schlimmer noch wäre der output-Ausfall bei tagelangen Reparaturen. Ununterbrochen, mit nerventötender Regelmäßigkeit soll ein rechter Bagger schaffen.

Tag und Nacht in knarrendem, brausendem Gang lief die Maschine. Jede Minute tauchte ein Eimer aus den gelben Fluten auf, stieg zur Scheitelhöhe langsam an der ewigen Kette empor und spie die lehmigen Sand- und Kiesmassen, die er in unsichtbaren Tiefen des Baggersees fischte, wieder aus. Und die langsamen, zähschleimigen Massen glitten durch einen Schlund auf rüttelnde Roste, durch rotierende, röhrenförmige Siebe, von Dutzenden scharfer Wasserstrahlen getroffen, die auf die Lehmmassen eingespritzt wurden, sie zerteilend, zerschneidend, waschend. Allmählich im Fortschreiten lösten sich die leichten Sand- und Kiesbestandteile, 188 während das schwere, kostbare Erz auf den schrägen Auslaufbahnen auf dem Floß liegen blieb.

Fast ununterbrochen schnaufte und lärmte das Maschinenungetüm. 50,000 Eimer im Monat schaffte es aus der Tiefe herauf, jede Minute müßte einer überkippen, wenn nicht hie und da unter Erzittern und Beben, unter gewaltigem Fauchen und Brüllen das Maschinentier stoppen müßte, da etwa ein Eimer am Grund in einem allzugroßen Block sich verbiß, oder plötzlich ein anderer hochkam mit einem Felsbrocken im Maul, der mühsam mit Hebezeugen und Winden entfernt werden mußte, weil er sonst die ganze Maschine demoliert hätte.

So sah diese Dredgerarbeit der Australier aus.

Und was war los mit Almeira? Almeira schien Größeres selbst zu planen als dieser große Australier: zahlte schöne Löhne aus, hielt viele Angestellte samt einem flotten, kräftigen Direktor im prächtigen Bungalow-Haus. Ohne Spaß! Schneider hatte jetzt Morisons sorgfältig hergestellten Bohrplan von Gadscha puti in den Händen, der zeigte, daß Almeiras Konzessionen noch reicher waren als die der Fortunamine, aber – noch hatte George weder einen Bagger bestellt, noch die paar hundert Fuß Röhren, die für die Druckleitung nötig waren. Jetzt hatte er immerhin eine kühne Geste gewagt: »Wir haben einen berühmten Zinnfachmann engagiert und um ein definitives Urteil über Gadscha puti gebeten.« Solches schrieb er an Ingenieur Schneider.

Und plötzlich eines Tages tauchte dieses berühmte englische Tier wirklich in Gadscha puti auf, eine Art 189 General in Zivil, in Kaki, nackten Knien und dünnen, gelben Waden-Spiralen. Vornehm wie nur irgendein »englishman« von Rang, inspizierte er zuerst den steilen Kau Dam, wanderte von Minenloch zu Loch, ließ sprengen, halbtauben Quarz mahlen, waschen und wägen, schließlich fällte er aber so wenig ein definitives Urteil wie Almeiras eigene Prospektoren.

Aber jetzt hier unten in Gadscha puti selber wurde er ordentlich deutlich und schien die Erfahrung, die er besitzen sollte, wirklich von sich geben zu wollen à 100 Dollar im Tag. Nun wurde manches deutlich und klar. Nur zu deutlich! Denn dieser angesehene, würdevolle General in Zivil vernahm auch manches von den australischen Dredgerleuten, was Schneider, der Schweizer, nie vernahm. Und jetzt bezweifelte dieser Fachmann rund heraus und ohne sich die geringste Zurückhaltung aufzuerlegen, daß mehr als hundert Morgen von Almeiras Land dredgebar seien. Das heißt, möglich war alles, aber ob es sich rentierte, alle Augenblicke den Bagger zu stoppen und Felsblöcke aus der Eimerkette herauszulesen? Das war die Frage. Und jedenfalls mußte des schweren Terrains wegen ein Bagger extra stark gebaut sein und – extra viel kosten. Nein, ich rate Ihnen nicht, einen Bagger dahinzustellen, in diese lumpigen hundert Morgen; es wird Sache der benachbarten Konzessionäre sein, die hundert baggerbaren Morgen einst im Anschluß an den benachbarten Grund auszuarbeiten. Schneider war wütend. Er traute dem Urteil nicht: »Der Engländer will dem Engländer helfen. Wir Schweizer stehen ohne Recht in der Welt.«

190 So hatte der Geolog nicht ganz grundlos den Verdacht in sich wühlen gefühlt. Ein alter Haupt-run des Flusses lag wirklich im Gebiet der Fortunaleute, nur war er in anderer Weise von großer Bedeutung, als der Geolog dachte. Nicht die größten Reichtümer lagen in den australischen Konzessionen, aber außerordentlich günstige Arbeitsbedingungen bot dieses alte Flußgebiet, da in ihm, weil es schon etwas fern von den Bergen lag, kein solch mörderliches Steinblockmaterial vorhanden war. Und das war nun entscheidend. Daß Almeira diesen schwierigen Grund gekauft hatte, ohne selber zu bohren – wem sollte man das zur Schuld rechnen? – Dem George? – Wer unschuldig ist, erhebe den ersten Stein – an Steinen fehlte es wirklich nicht.

 


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