Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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IV

Von Robinson, dem die zwei Schweizer telegraphisch angemeldet wurden, war am Bahnhof in Sridharmaray keine Spur zu sehn. Niemand von der Firma war da. Sobald Imfeld aber den Namen Almeira nannte, stürzte sich ein Rudel Stationskuli kriechend und hochachtungsvoll heran. Die Herren »Neuen« setzten sich in einen ausgedienten, zerlumpten Ponywagen und fuhren ins Dorf; das Gepäck sollte auf einem Büffelkarren folgen.

In chinesischer Schablonenhaftigkeit standen lange Reihen von Bretterbuden am Weg, Sonne glutete, jetzt, kurz nach der Regenzeit dumpf durch die ziegelrote Bahnhofstraße, und ringsum reckten Kokos- und Arekpalmen ihre zackigen Köpfe hoch. Das Ponygefährt ging ruckweise, braune kleine Bengel hieben wie unvernünftig auf die halbverhungerten Pferdchen ein, und gerade als Zahler und Imfeld mit Schwung von der Bahnhofstraße in die eigentliche lange Dorfstraße abbogen, kam ihnen der gewünschte Mister Robinson entgegen.

Lange dünne Beine, die fast nicht Platz fanden, lagen in einem Wägelchen, obendran wie ein Halbmond ein Sattelnasengesicht: »Sehr entzückt, Sie 32 kennen zu lernen!« Man war gleich in der Firma. Auf der weiten Veranda ließ man sich nieder. »Have a drink!« Robinson bot den ersten Whisky an. Zahler interessierte sich dafür nicht. Robert Imfeld dagegen dachte: Ein Glas wird mich nicht unter den Boden bringen, zimperlich sein gilt hier draußen wenig, und er trank, trank sich am ersten Tag Robinsons Sympathie an. »Mr. Zahler, trinken Sie nicht?«

»Hm?«

Und zu Robert sagte Robinson: »Almeira wird eine große Firma werden. Ich kann das ruhig laut sagen, ich, als seine rechte Hand habe gesehen, was für Gewinne er machte.«

Robinson stand da, länger als die bekannten sechs Fuß sechs Zoll, ungemütlich dünn, die angefressene Stummelpfeife im Gesicht. Seine Augen waren wässerig. Rechts auswärts unter seinem rechten Auge saß ein roter Fleck; manchmal sah es aus, als hätte Robinson ein Auge mehr als andere Menschen.

Jetzt kam der Büffelkarren mit Imfelds und Zahlers Gepäck. Zwei nagelneue, prächtige Feldausrüstungen wurden ausgeladen, zwei Feldbetten mit Moskitonetz, Feldstühle, Abkocheinrichtungen, kleine Blechköfferchen, zum Kolonnenmarsch wie abgemessen, alles auf Kosten der Firma. Das heißt, Zahler hatte seine sechs grasgrünen, wasserdichten Blechkoffer schon am Kongo gehabt. Er war besonders stattlich ausgerüstet. George scheint die Neuen zu schätzen, vermutete Robinson. Zahler machte den Kragen auf: »Ich werde fest arbeiten! Ich habe Prozente vom Gewinn.«

Von Zeit zu Zeit ging Robinson ans Büffet, um sich 33 zu stärken. Er tat sich nicht den geringsten Zwang an. Das ganze Land wußte, daß Robinson trank. »Noch einen Stengah!« sagte er zu den Neuen. »Stengahalb«, halb Whisky, halb Soda heißt das Weltgetränk auf hinterindisch-malaiisch; Stengah ist ein schönes, starkes Wort.

Abends waren die zwei Schweizer ins Bungalow ihres englischen Mitangestellten eingeladen. Gemeinsam fuhren alle drei die lange Dorfstraße hinaus. Wundervoll diese viertelstündige Fahrt durch die Palmenalleen. Bretterhütte an Hütte zu beiden Seiten der Straße, weit aufgetan und voll Menschen. Schöne dunkle Frauen, die Wunder ihrer glänzend-braunen Körper ahnungslos offenbarend, mit Schulter und Armen weich wie Gummi, elastisch in Gang und Gebärde, zu beglückender Rast einladend. Kinder und Greise, Männer und Frauen, alle gleich göttlich, frei und nicht beschwert durch das Leben. Natur!

Nirgends in der ganzen Welt kann man wie hier in einem solchen Eingeborenendorf ins Leben selbst hineinschauen, Werden und Vergehen studieren, Kommen und Gehen, Wünschen und Hoffen der Menschheit. Nirgends sieht man besser, wie wenig oder wie viel schon erreicht ist im Vergleich zum Tier. Leicht und ohne sich zu bemühen, kann man bei selbstverständlich offenen Türen Zeuge der echtesten, tiefsten Familienspiele werden, die hier, Herrgott und Vater, einfach sind! Vaterstolz ist vielleicht das beste, und Eifersucht, wenn sie schön und deutlich wird.

Man fuhr am großen Tempel vorüber, dessen vergoldete Grabmalspitze zwischen Kokoshainen hindurch 34 weit in die grünen Reisfelder leuchtete, und Palmen voll dicker Früchte hingen schief über die Straße herein. »Sie wohnen hübsch vor der Stadt draußen, Mr. Robinson!«

»Es ist nicht weit. Ein Motorcar läuft die Strecke in zwei Minuten.«

Jetzt bog der Wagen in einen Garten. »Habe ich nicht einen schönen Rasen? Wie ein Golfgrund!«

»Yes.«

»Und sogar Rosen habe ich, die nächstens blühn.«

Dann gingen die Bambusbüsche auseinander. Sehet, das ist die Villa Robinson. Das Häuschen war noch nicht ganz fertig, auch war es nur klein; aber man würde leicht anbauen können! Robinson war sehr gesprächig, es war Abend, die Arbeit vorbei. Manchen Whisky hatte er heute schon getrunken; abends lustig sein, war nicht gerade eine Kunst. »Habe ich nicht einen schönen Lawn?« Engländer in den Tropen sind stolz darauf, europäisches Gras im Garten zu haben.

Robinsons Eß- Trink- Wohn- und Blagierzimmer war nicht groß, der Tisch stand mit einem Ende gegen die Wand, aber dieser kleine Raum war vollgestopft mit Kostbarkeiten. Budhas, die in Europa Liebhaberpreise gelten, standen auf dem Bücherschrank, silberne Vasen und Becher. Und was stand da in einer Ecke? Sogar ein Klavier! Aus dem Bücherschrank schauten kluge Werke über Indien, über die Menschen, Gott und die Welt mit vergoldeten Aufschriften heraus. Wie hübsch Robinson sich einzurichten wußte. »Have a drink!«

Auf Jakob Zahler schien das alles wenig Eindruck zu machen. Teilnahmslos saß er mitten in der Pracht. 35 Und doch war Robinson auch mit ihm freundlich. Imfeld fühlte: Man ist hier draußen aufeinander angewiesen. Etwas stimmt zwar durchaus nicht, aber.... Und das Gerippe, bei dem ich eingeladen bin und das so seltsam schwatzt, ist immerhin der Ueberrest eines einstigen Menschen.

»Meine Frau läßt sich entschuldigen,« sagte Robinson höflich, »sie wird erst nach dem Abendessen zu uns sitzen.« Er servierte die schönsten europäischen Gerichte. Die Spargeln und Erbschen, die Sardinen und die Sauce hätten von Huguenin in Zürich stammen können. Mußte man da Robinson nicht geradezu lieb gewinnen?

Jetzt richtete der Gastgeber seine wässerigen Feldstecheraugen fragend auf den Geologen: »Mr. Imfeld, freuen Sie sich auf das Leben im Dschungel?« Robinson glaubte zu wissen, wie er Imfelds Sympathie packen konnte, und er wußte es in der Tat. »Auch ich war einmal vor vielen Jahren im Urwald.... in Afrika.... in Nigeria.... als Gummiaufkäufer.... schöne Erinnerungen!«

Was wollte Robinson jetzt? Wollte er sentimental werden? Am ersten Abend schon! Es sah fast so aus, als wolle er sich bei Imfeld einschmeicheln. Genierte sich denn der erfahrene Tropenmann nicht? Was, von Büchern fing er sogar an! Robinson war doch nicht etwa gebildet? »Haben Sie Kiplings Junglebook gelesen? – Wissen Sie, Imfeld, das kommt tatsächlich vor, daß ein Kind wie Mowgly unter Wölfen aufwächst. Und wissen Sie, Mr. Imfeld, einen Rat möchte ich Ihnen geben: Nie hasten in den Tropen, nie die 36 Eingeborenen hetzen! Das ist das Fundamentale. Kennen Sie Kiplings Vers:

Es ist nicht klug vom weißen Mann,
Den beschaulichen Braunen zu hetzen!
Denn: Der Christenhund hetzt,
Der Indier grinst
Und plagt den Weißen zu Tod.
Und das Ende des Streits
Ist ein weißes Grab
Mit dem Namen des jüngst Verstorbenen.
Und die Inschrift heißt:
Ein Narr liegt hier,
Der den Osten zu hetzen versuchte!

Nach dem schwarzen Kaffee wartete Imfeld gespannt auf das Erscheinen von Missis Robinson. G. W. R. bat manchmal flehentlich durch die Wand, eine dünne Stimme antwortete auf siamesisch, aber Frau Robinson schien den zwei Weißen die Ehre nicht antun zu wollen. Wie kam das? Verstand sie nicht mehr Anstand? Sie, die Eingeborene, die die alten Kastengesetze wegwerfend einen Engländer geheiratet hatte! Hatte vielleicht jemand geringschätzig über Zahler und Imfeld geschwatzt? Die Neuen waren aber doch mindestens so schöne weiße Männer wie der Robinson. »Baby, kommst Du bald?« Robinson wurde ärgerlich. Baby kam nicht.

Jetzt hatte man sich zum Verdauen extra bequem hingesetzt, Robinson ließ sich von seinem Diener die Schuhe ausziehen. Seine Socken waren ziemlich weiß. Er streckte sie auf den Tisch. Was könnte man jetzt 37 beginnen? Da war eine gute Idee: das kleine Tischroulette wurde in Gang gesetzt. How much? Robinson gewann. Es wurde nicht um ganze Dollar gespielt, nur um halbe. Robinson gewann. Eine Flasche Whisky mindestens hatte Robinson schon gewonnen. »Baby, kommst Du bald?«

Robinson hatte auch die Nachtessen seiner Gäste nun herausgeschlagen. »Baby!« Baby erschien. Wie nett, dachte Imfeld, nein, nett ist nicht das richtige Wort. Frau Robinson war sehr chinesisch, auffallend chinesisch, mit goldenen Spangen und Ketten behangen, ein Produkt aus mondfremder Form und irdischer Unzulänglichkeit. Sie wußte, wer sie war. Keine Spur von eingeborener Unterwürfigkeit zeigte sie den zwei Weißen gegenüber. »Ich bin Frau Robinson,« blinzelte aus ihren Augenschlitzen, »ich weiß, daß das eine Art Ehre ist!« Aber schön war sie, nicht schön wie ein Mensch, schön wie ein Luxusgegenstand, ein Erbstück, nicht menschlich schön, sondern sachlich, glatt wie etwa Robinsons Klavier. »Uebrigens, Robinson, spielen Sie selber Klavier?«

»Nein!«

Es wurde unbegrenzt weitergesetzt. Baby setzte mit. Robinson gewann hartnäckig. »Es freut mich, daß Sie gewinnen,« hätte Imfeld zu Robinson sagen mögen; »es scheint mir, Sie haben höchste Zeit zu gewinnen!« Zahler, der Mathematiker hingegen war ein zu guter Rechner, als daß dieses Spiel ihn erfreuen könnte. Dollar um Dollar schmolz aus seiner Brieftasche weg. Er wurde ärgerlich: »Jetzt höre ich auf!« sagte er jedesmal, wenn er neu setzte. Robinson 38 gewann. Aber freuen konnte sich Robinson offenbar nicht mehr recht. »Er steht in jenen letzten Dreißigerjahren, da alle Mittel nicht mehr fruchten, einen verbrauchten, verspielten Menschen nochmals in die Höhe zu bringen. Und da der Ausgang des Spieles den Spieler nicht mehr stark interessiert.« dachte Imfeld.

Jetzt hatte Robinson genug. Aber das gewonnene Geld wollte er nicht behalten. Man kam überein, es Elfy zu schenken. Alle waren einverstanden, nur Baby runzelte die Stirne. Robinson erklärte: »Sie können Elfy, mein Kind, jetzt nicht sehen, es schläft!«

»Wie alt ist Elfy?« fragte Imfeld.

»So alt wie Almeiras Minenunternehmen, dreijährig.«

Als nach Mitternacht die zwei Schweizer ins Office zurückfuhren, sagte Robinson zum Abschied: »Imfeld, sollten Sie ein Mädchen wünschen, so nehmen Sie es aus der ersten besten Hütte am Straßenrand!«

Mondschein lag silbrig auf der Allee, die mit tausend Düften blühte, vereinzelte menschliche Figuren krochen hier und dort durch das silberne Licht; Robert fühlte: verrückte Möglichkeiten! Ist das nicht ein unsinnig herrliches Land?

 


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