Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XVI

Als der Geolog, von seiner neuesten Urwaldtour zurück, vor dem Office aus dem Ponyfuhrwerk sprang, standen oben an der Treppe Mr. Clark und Robinson, beide offenbar in der fröhlichsten Stimmung, und letzterer sprach sogleich mit vor Lachen halberstickter Stimme auf Imfeld ein: »Zahler kommt! Er will sich in Sridharmaray eine Frau holen, ich habe schon eine für ihn gekauft.« Und Clark fügte halb mitleidig, halb verächtlich hinzu: »Er hat nämlich in Loh Hut oben selber keine gefunden. So ist nämlich Zahler, so ungeschickt.« Ob Imfeld sie sehen wolle?

123 Was war das für ein Empfang! Robert Imfeld, der die Nacht im Boot auf dem Meer verbracht hatte, wäre lieber still bei Seite gesessen, auch war Post von Europa gekommen, schließlich ging er aber mit auf – Brautschau.

Darling, oder mit ihrem einheimischen Namen Daging, Fräulein Fleisch, die Tochter des malaiischen Telegraphisten David in Sridharmaray, machte ihrem Namen alle Ehre. Wie sie auf der elterlichen Veranda höckelte und an der Bastmatte flocht, fand Imfeld sie geradezu schön – von jener Schönheit, die jede reife Frucht ziert – und war erstaunt: Darling verfügte sogar über ein Vocabularium von einem halben Dutzend englischer Wörter. Mr. Clark sagte: »Darling versteht ein wenig europäisch zu kochen, sie ist das Ideal für einen Dschungelmann.«

Jetzt kam Darlings Mutter. Ihr Unterkiefer war merkwürdig lang, sonst war es aber eine rechte Frau. Malaiin ja, Tabek Tuan, war sie in Penang in die Missionsschule gegangen; David, ihr Mann hatte dort ein wenig Englisch gelernt und gelernt, den Telegraphen zu klopfen.

Robert, der in letzter Zeit bei seinen fortwährenden Märschen durch den Dschungel immer mehr Verständnis für die Reize eines eigenen Hühnerhofes bekommen hatte, wäre der Schönen am liebsten gleich selber um den Hals gefallen. Sie wäre nicht abgeneigt gewesen, das fühlte er. Er machte ein paar gute Witze. Und der Frau David gefiel Robert auch. Robinson sagte deshalb: »Imfeld, wenn etwa Sie wollen....«

Nein, Imfeld wollte nicht: »Thank you very much!«

124 Da kam auch David, ein komisches, unendlich dürres Eingeborenenmännchen auf zwei Zündhölzchen von Beinen, in europäischem Kittel, daß Imfeld nicht wußte, sollte er ehrfürchtig den Tropenhelm lüften, oder laut herauslachen. David war der Vater eines schönen Mädchens, und er wußte das selber. Stundenlang würde er die Vorzüge seines Kindes schildern, wenn man ihm zuhören möchte. Er wollte es verkaufen, ja, ja und nein!

Wie selbst diese einfachen Eingeborenen an Sitten und Konventionen klebten! Verheiraten wollte David Darling. Ja, gern wollte er eine große Summe einnehmen: ein schönes Mädchen, ein schöner Preis! – aber Bedingung war, daß Zahler einen Kontrakt unterschrieb, ordentlich vor Zeugen versprach, Darling nicht nach wenigen Tagen schon fort zu schmeißen. Nicht wahr, es sollte nicht aussehen wie Hurerei.

Darling war übrigens, dies stellte Mr. Clark fest, durchaus kein Kücken. Vielmehr hatte früher einer der barfüßigen einheimischen Polizeisoldaten bereits die Ehre und das Vergnügen gehabt, für einige Zeit Frl. Fleisch mit des Lebens Süßigkeiten nach bestem Wissen und Gewissen zu versehen. Nun also würde ihn Ingenieur Zahler ablösen für 400 Singapur-Dollar, schwarz auf weiß mit seiner bekannten ordentlichen Unterschrift beglaubigt. – Recht muß sein in der Welt!

»Ist das noch Almeiras Office oder ist das eine Theaterbühne? Ist das nicht ein herrlicher, ein verrückter Tag!« mußte Robert denken. Zahler war unterdessen angekommen. Er trug wie immer Kaki à la 125 Kartoffelsack. Aber er war frisch rasiert, und sein Hals war heute rosarot, nicht blau. »Ich werde heute eine Frau bekommen!« sagte er zu Imfeld, und scheute sich keineswegs.

Es würde selbstverständlich ein Fest absetzen diesen Abend. Man heiratete doch nicht ohne Lustbarkeiten! Mr. Clark, dem jedermann Autorität und Erfahrung in solchen Dingen zutraute, vermittelte, er setzte die Kaufsumme fest, er lachte durchaus nicht, nahm alles ernst, er hatte auch die Heiratsakte verfaßt. Robinson war außer sich. Etwas schien ihn komisch zu berühren. Er lief hier herum, dort herum, schlenkerte wie eine Windmühle mit seinen langen Armen, lief auffallend oft ans Buffet um einen Trunk. Er lachte und trank und gondelte von der Veranda ins Office, vom Office in die Veranda, er lachte mit Keng Hui, lachte mit dem indischen Wächter unter der Treppe, jetzt kam seine Frau. Auch Meh Lieng war da mit vielen Bekannten. Robinson und Clark waren beide seit vielen Jahren draußen im Osten, heute erinnerten sie sich der Heimat, redeten von Polterabend, redeten von Hochzeitsbankett, herrjeh und von Glück. Dann waren sie sinnlos besoffen.

»Aber, wo steckt denn der Bräutigam? Haben Sie Jakob Zahler gesehen?«

»Er sitzt in seiner Wohnkammer.«

Aha, er rüstete sich für das Fest. Als aber Imfeld bei Zahler eintrat, war da nicht eine Spur von feierlichem Sichschmücken, Frisieren, von Blumen oder irgend so etwas zu sehen. Vielmehr kauerte Jakob Zahler im malaiischen Kostüm – das malaiische Kostüm ist 126 eine der nächsten Erfindungen nach dem Adamskostüm! – auf einer am Boden ausgelegten Matratze, den Uhrensarg vor sich, die schwarze Lederkiste mit den drei Chronometern, die er auch an seinem Hochzeitstag nicht aus den Augen ließ, die er liebevollst nicht nur aufzog, sondern deren Takt und geordneten Gang er einmal morgens und einmal abends mit peinlicher Genauigkeit belauschte. »Eins, zwei, drei, vier,« zählte er – Imfeld ein Zeichen gebend, zu warten –, »eins, zwei, drei, vier, fünf,« und dann – offenbar freudig überrascht, daß irgend etwas an seinen Uhrenlieblingen stimmte, oder Gott weiß warum – heller und froher: »sechs!« Auf französisch fügte er bei: »Man muß zu seinen Kindern schauen, ich habe elfhundertsechzig Franken dafür bezahlt!«

»Wo bleibt denn nur die Braut?« Zahler und Imfeld saßen mit verschränkten Beinen wie indische Fürsten auf ihrer Matratze, feierlich den Moment erwartend, da Liebling Fleisch ihrem weißen Herrn und Meister übergeben würde. »Vierhundert Dollar soll ich bezahlen!« Jakob Zahler meinte: »Es dürfte schon was Rechtes sein!« Imfeld fühlte sich angewidert, doch war der Handel so interessant, daß er sitzen blieb. »Darling ist schön!« sagte er.

»So!«

Darling war schön, selbstverständlich, jede Braune, die man als Frau nimmt, ist schön. Jetzt traten auch Robinson und Clark in die kleine Wohnkammer zu den zwei Schweizern. Die Szene war nichts weniger als erhebend. Merkwürdig, daß man in der ganzen Welt mit diesen ernsthaften Dingen Allotria trieb.

127 Dann kam der Moment, der größer hätte werden können. Darling trug einen blauen Sarong, Seide, selbstverständlich, einen rosaroten Schleier, und setzte sich sehr lieblich wie ein Kätzchen zu – Imfeld!

Am erstauntesten, am enttäuschtesten war der alte Telegraphen-David. »Sir,« sagte er zu Imfeld, »solltest nicht du meine Tochter haben?«

»Ich....?«

»Yes, ich sah doch dich heute morgen, Herr, wie du dasaßest und Darling betrachtetest,« und er kauerte nieder nach Art der Eingeborenen, den linken Arm als Gegengewicht weit vorgestreckt, das Kinn in die rechte Hand gelegt, und schnitt ein verliebtes Gesicht, so gut ein alter Malaie dies kann – »so hast du, Sir, meine Tochter wohlgefällig betrachtet!« –

Robinson trank an diesem Abend eine Flasche Whisky pur. Seine Frau schaute Imfeld dreimal sehr nah und verliebt ins Gesicht. Darling sagte der Reihe nach ihre sechs englischen Wörter dem Mann, den sie vom Schicksal empfangen hatte, ins Ohr. Zahler griff manchmal an den Hals, saß aber durchaus nicht da wie ein Hochzeitskandidat. Dann wälzte sich Imfeld eine lange Nacht einsam und schlaflos unterm Moskitonetz.

Am Vormittag nach der Hochzeitsnacht – wie hoch weiß kein Mensch! – fand sich ein betelkauendes Kränzchen besserer Frauen (es gibt überall auf dieser Erde bessere Frauen!) im Officehaus ein, Meh Lieng, Missis Robinson, Frau David, die Frau des japanischen Photographen, Chinesinnen mit klugen, Malaiinnen mit schönen Augen, und sie ließen sich von der 128 neugebackenen Missis allerlei bis in die letzten Details hinein haargenau schildern und erzählen. –

Zahler sah nicht wie ein hochzeitlicher Bräutigam aus. »Sie hat mich schon in der ersten Nacht um ein goldenes Armband angebettelt, wie Missis Robinson eines hat.«

»Hat sie! So ist es in der Welt: wer Freude sucht, muß Freude spenden. Jeder ist genau so lieb wie er ist,« dachte Imfeld, und zu Zahler sagte er: »Glauben Sie vielleicht, diese Frau wünsche sonst etwas von Ihnen? Uebrigens, seien Sie froh, nicht jede Frau ist so leicht zu befriedigen wie diese. Mancher Ehemann würde sich glücklich schätzen, wenn er nur wüßte, was Teufels seine Liebste eigentlich von ihm will!«

»Hm?«

Auch Darling sah durchaus nicht froh aus. Was war nur los? Sie hatte doch das Armband versprochen bekommen. Jetzt sagte sie zu Imfeld: »Er will seinen Schnurrbart nicht abschneiden,« und ihre Augen jammerten: »Der Kerl!«

»Ein Schnauz ist schnell abgeschnitten,« versuchte Imfeld zu trösten, »schneller abgeschnitten als nachgewachsen.« Dann setzte er sich abseits und dachte: Armes Paradiesvögelein, das du mehr birgst an Schönheit, an Witz und natürlicher Anmut, mehr Werte als der weißeste Zahlenkünstler in hundert Jahren erfinden könnte – Gott sei mit dir!

»Bete ich jetzt eigentlich?« fragte sich Imfeld, und dann wurde er grimmig und wütend und war überzeugt: Die meisten Dinge im Leben, die als Vergehen beschrieben und mit Kerker bestraft werden, sind 129 eigentlich Bagatellen. Hingegen gibt es wirkliche nackte, häßliche Sünden, auch in Europa, zum Beispiel wenn Schönheit mit Häßlichkeit, Geist mit Stumpfsinn, Anmut mit Brutalität gepaart werden. Eine schöne Frau, die für einen großen Dichter allenfalls passen würde, kommt in solche Hände! Imfeld griff sich unter die Nase, nein, er, Imfeld hatte keinen Schnauz.

Am gleichen Nachmittag noch packte Zahler seine Koffern, frischen Proviant, die Uhren und seine neue Frau auf eines jener miserablen Sridharmaray-Ponyfuhrwerke und kutschierte, froh zu entrinnen, zur Stadt hinaus, heim in die Bambusvilla, in die Flitter-Splitter-Wochen. Er sah auf seinem Fuhrwerk oben nicht wie ein verliebter Prinz aus.

Pariahunde kläfften wehleidig, schöne Chinesinnen klatschten unter offenen Türen, das ganze Freilichttheater mit dem ewigen Spiel »Eingeborenenleben« lag offen da. Dann breitete sich der Abend über Sridharmaray und die Ereignisse aus, rasch und rücksichtslos, wie in den Tropen der Abend nun einmal kommt, und ohne sich wegen diesen paar komischen Menschen den geringsten Zwang anzutun.

 


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