Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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VI

Parker saß bei einer Flasche Bier, japanisches, Marke »Schlüssel«, und Schaum hing in seinem Schnurrbart, als Robert bei ihm eintrat. Auf dem Stubenboden, in Ermangelung eines genügend großen Tisches, hatte der Ingenieur Minenpläne ausgebreitet. Er zeigte Imfeld seine doppelt durchgeschriebenen Rapporte im Buch. Da war vieles erwähnt von den Tücken des Dschungels; Robert schaute in manches Geheimnis hinein, und fast alle zwei Seiten stand etwas zu lesen von der Furchtbarkeit und den Qualen der Regenzeit. Jede Arbeit mußte während des Regens wochenlang ruhn, das Leben war schrecklich ungesund, man konnte kaum seine Hütte verlassen und wurde fast krank vor lauter Alleinsein und Untätigkeit.

Die Berichte und Pläne sahen wunderschön aus. Alles schien auf den Millimeter zu stimmen und war mit der Genauigkeit des studierten Ingenieurs 50 ausgeführt. Nur eines fehlt, dachte Robert, wie er die Zinnminen ausbeuten will, sagt er nirgends. Aber hatte George in seinen Briefen, die zahlreich wie die Blätter eines Baumes verstreut auf dem Boden lagen, jemals danach gefragt? Es war klar, George Almeira selber hatte es nötig, auf etwas stolz sein zu können. In drei und vier Farben waren die Werkpläne ausgezogen, blau eingezeichnet die Bohrlöcher, die Zinn ergaben, gelb die Grenzen der Konzessionen und rosarot die geplanten Bohrungen, rosarot die Zukunft.

Jetzt zupfte Parker einen Brief aus der Tasche: »Ein neuer Ingenieur ist in Bangkok angekommen.« Er sagte dies nicht sehr erfreut. »Sein Name ist Snyder.« – »Schon wieder ein Engländer oder sogar ein Amerikaner!« vermutete Robert. Mehr als den Namen wußte Parker jedoch nicht von dem Neuen.

Der Geolog blieb zwei, drei Tage bei Parker als Gast, nicht deshalb, weil er reichlich Bier vorgesetzt bekam, sondern weil er hier manches lernen konnte. Gemeinsam wateten sie bis an den Gürtel im Wasser durch die Bäche und Sümpfe von Long Rek. Das Erz in der flachen Holzschüssel aus dem Sand herauswaschen lernte er, und wie man beim Bohren die großen Steine, und den alle Röhren verstopfenden, die Arbeit verunmöglichenden losen »Quicksand« überlistet.

Noch einen Tag und noch einen blieb Imfeld. Eines Morgens sagte Parker: »Heute abend werde ich ein chinesisches Galaessen geben, Lien Kui zu Ehren.« Konnte da vielleicht Imfeld einfach weglaufen? Es war gut, daß er blieb. Der Abend wurde bedeutend. Das eine Wort »Wettfressen« kam Imfeld fortwährend 51 in den Sinn, und der Chinese, dem die Veranstaltung galt, sah nicht aus, als wäre er die neunundzwanzig verschiedenen Gerichte wert, die aufgestellt wurden. »Was frißt er jetzt für einen Dreck zusammen?« Ah, das waren die berühmten, konservierten, d. h. leise angefaulten Eier. Und jenes dort, nun das ging an, Pfeffersauce mit Krabben. Aber diese Schweinerei, und wie er es herunterwürgte – »Importierte Schwalbennester,« sagte Parker.

Das Einzige, was Imfeld schmeckte, war geschabte Kokosnuß mit Speck, und vor allem Reisvögel in Büchsen, die man mit Knochen und Krallen bis zum Schnabel verspeiste und die knusperig schmeckten wie Schnecken samt Häuschen. Dazu trank man Bier, lauwarmes Bier, Bier, bis der Vollmond viereckig schien. Der chinesische Gast war eine geheimnisvolle Figur. Seinen Namen hatte Imfeld, kaum gehört, wieder vergessen. Daß der Bier-Parker gerne Feste machte und trank, war schließlich begreiflich, aber daß er diesen ekelhaften Chinesen einlud und fast umarmte, war etwas stark. –

Als Robert endlich nach Loh Hut zurückkehrte, war Zahler sehr argwöhnisch und neidisch, wie etwa ein Stundenarbeiter oder Bürosesselmensch auf einen zeitlosen Künstler, und er wurde es umso mehr, als Parker, der bald darauf zu einem kurzen Gegenbesuch kam, Imfeld überaus freundlich und kameradschaftlich begrüßte, während er Zahler anschnauzte: »Solch komplizierte Bauarbeiten, wie Sie sie begonnen haben, verträgt der Platz nicht; alles muß ohne große Unkosten gehn!«

52 Zahler hatte sich Gesellschaft zugelegt in Form eines Wurfes junger Hündchen, von denen er auch Imfeld eines schenkte. Eines Mittags kam dieser wieder vergnügt, wenn auch müd von einer seiner Entdeckungsreisen heim. Zahler war hinterm Werkzeugschopf zu sehn, gebückt am Theodolithen; mit den Armen winkte er einem braunen Meßgehilfen Zeichen zu. Das gemeinsame Mittagessen war reif. Aber auch noch etwas anderes war reif geworden. Die drei jungen Hunde kläfften.

Zahler und Robert aßen mit schlechtem Appetit Süßkartoffel, Reis, Huhn und Bananen. Immer nur Reis und Huhn und »Sweet potatoes« ist nicht ein liebliches Gericht, es nährt zwar, aber eine rosige Laune, auf die doch jeder Mensch ein gewisses Anrecht hätte, gibt dieses ewig gleiche Dschungelessen nicht. »Die Hunde kläffen abscheulich. Schweineviecher!«

Ich möchte gern jemand von meinem herrlichen Streifzug von heute Morgen erzählen, dachte Robert, aber... dieser Zahler! Und seine... »verfluchten Krampolhunde!« polterte er heraus.

Zahler ging nachsehen, was los war. Es stellte sich gleich heraus, daß Imfelds Hündchen den Zahler-Hunden das Futter weggefressen hatte; darum heulten diese wie beleidigt. Jetzt geschah etwas Unerwartetes. Zahler, schrecklich verärgert, stellte sich plötzlich als ganzer Mann hin und schleuderte auf einmal Roberts Hündchen über die Veranda hinaus mitten auf den Platz zwischen den Kulihütten, daß es wie aus den Wolken gefallen, wimmernd liegen blieb.

Wie Robert das sah, rührte sich blitzschnell ein 53 uraltes Gefühl in ihm, sein Anrecht auf gleiche Behandlung kam ihm in den Sinn, und im nächsten Moment trat auch eines von Zahlers Hündchen die unfreiwillige Luftreise an und zwar so rasch und prompt, daß offenbar bei dem Anblick des Ingenieurs Gehirn in Unordnung geriet, – wenigstens besann sich dieser nicht lang, sondern schwang nun eigenhändig sein eigenes, vielgeliebtes zweites Hündchen auch mitten auf den Dorfplatz hinaus, als wollte er um jeden Preis reinen Tisch haben.

Als die chinesischen Kuli – Zahlers Zimmermann mit der ewigen Opiumpfeife saß gleichsam in der Loge dieses Theaters – den Hunderegen fallen sahen, erhoben sie nicht etwa plötzlich ein Gelächter, sondern ließen ihre Mäuler mit den gesunden Zähnen weit offen stehen, streckten erst nach einer Weile (die Hündchen waren alle mit dem bloßen Schrecken davongekommen!) ihre Köpfe zusammen und tuschelten miteinander. Und es war seit diesem Tag, daß Robert und Zahler ihre endgültigen Uebernamen trugen. Zahler hieß künftig der dicke –, Robert der schmale – Verrückte!

Es war wie eine Erlösung, wie eine gütige Fügung von oben, als am nächsten Tag der Sridharmaray-Bote kam. Der Brief von George Almeira an Imfeld enthielt die Aufforderung, bald nach Sridharmaray zurückzureisen. Man erwarte umgehend seinen Loh Hut-Rapport.

Am gleichen Abend noch stellte der Geolog seine Beobachtungen zum ersten Rapport zusammen. Diese Arbeit war nicht sehr erfreulich, aber schwierig war 54 sie keineswegs: 1. Wir empfehlen Ihnen, hier nicht weiter Zeit und Geld zu verlieren. 2. Die angrenzende Besitzung des Chinesen empfehlen wir nicht zum Ankauf. Erz wurde hier nur in Spuren gefunden, und eine lohnende Ausbeute ist undenkbar. Sig. Imfeld.

Robert versiegelte sein Schreiben mit ernstem Gesicht. Diese Loh Hut-Mine war immerhin ein Objekt. Es handelte sich um Tausende, wenn auch nur um solche, die gespart würden.

Da Imfeld die Rückreise im Boot machen konnte, erreichte er am übernächsten Tag früh um acht Sridharmaray. Seinen Rapport brachte er eigenhändig auf die Post: »Eingeschrieben! Mr. George Almeira, Bangkok. – Yes!«

Schon vor zehn Uhr kam Robinson ganz aufgeregt ins Office: »George verlangt, daß wir acht Tausend Dollar für Loh Hut sofort auszahlen. Hier sein Telegramm!«

»Ich sandte soeben meinen Bericht an George.«

»Der kommt zu spät!«

»Parker sagte mir, ich hätte bis heute in acht Tagen Zeit mit dem Rapport.«

»Irrtum. Uebermorgen läuft die Frist ab. Wenn George die Mine will, muß George morgen zahlen.«

Parker hatte offenbar hinter Imfelds Rücken den Kauf empfohlen. Der Geolog telegraphierte sofort dringend: »Loh Hut ungenügend.«

Während Robinson und Robert weiter sich über Parkers Intrige entsetzten, hörte man plötzlich den Frühzug hinterm Tempel herunterrasseln. Gleich wäre er in der Station. Robinson sagte: »Mr. Imfeld, Sie 55 könnten an den Bahnhof gehn. Mit diesem Zug kommt...«

»Wer kommt?«

»Mr. Snyder.«

Es war höchste Zeit. An der Station stand einer spähend, genau so wie seinerzeit Imfeld und Zahler dastanden. »Das wird er sein,« dachte Imfeld, »das ist wenigstens ein schöner Engländer!« Aber es stellte sich bald heraus, daß Snyder nur auf seiner Visitenkarte ein Engländer war. »Gott sei Dank,« dachte Robert, wie er das entdeckte, unter Landsleuten heißt er ganz gern Schneider, und auch »Mining Engineer« ist er erst seit gestern. »Ist Robinson besoffen?« fragte er Imfeld auf der Fahrt ins Office. Aha! – und Schneider kannte sich sogar schon aus.

 


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