Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XXXV

Mit sich selbst und der Welt im Streit, hauptsächlich aber bös auf Almeira & Co., ein heim- und heimatloser Vagabund, zog Robert durch den siamesischen Wald, Streifzug um Streifzug. »Arbeit«, dachte er auf seinen Märschen, »ist...., wenn man dabei fast verreckt!« Trockenzeit herrschte. Zwei endlose Tage war Imfeld gewalzt, über endlose, abgeerntete Reisfelder, die von Sonnenglut und Steppenbrand rauchten, dann nahm der Wald ihn auf. Der Blick verlor sich im Staub, ungewiß über alle Entfernung, und nur die Wegpfähle, die alle vierhundert Meter dastanden und manchmal halbdutzendweise hintereinander vorauszusehen waren, ergaben ein Maß für Distanzen. So traurig eben und flach lag das Land, daß Robert zwischen den verbrannten, laublosen Bäumen die natürliche Rundung der Erdkugel zu spüren vermeinte und immer wieder umsonst beim nächsten Schritt hoffte, endlich einmal zur Abwechslung und Erholung für die ermüdeten Augen hinabsehen zu dürfen, gleichgültig wohin, irgendwie hinab, vielleicht auf ein frisches Flußtal, auf saftiges, grünes Wiesenland oder gar auf einen See. Die Luft zitterte nervös. Die Sonne saß staubverhängt, eine mattrote Scheibe am Himmel, 245 Imfelds Gedanken verloren sich widersinnig im schattenlosen gequälten Wald, während seine Schritte im dürren Laub des Weges zeitlos verrauschten. Ausgebrannt, müde und leer bezog er am siebenten Tag ein kleines Dorf, um von da die Mine in der Nähe zu untersuchen.

Alles, alles, die größten Strapazen, die schwersten Mühsale kann ein Mensch ertragen, wenn er eine Belohnung ahnt, die ihm genügt. Nur eine Art Lohn gibts im Leben: Freude und Liebe, dachte der Geolog; wer will es mir wehren, wenn ich hier in diesem Dorf mich selber belohne?

Imfeld, statt nach dem erschöpfenden Marsch der Ruhe zu pflegen, wanderte im Bann einer tiefen Sehnsucht im Licht der sinkenden Sonne von Hütte zu Hütte. Da war viel Schönes zu sehen. Er trat in einen Tuchladen mit Cochinchinaseide und Stickereien, er betrat die Werkstatt eines chinesischen Silberschmiedes, der wundervolle Dosen verfertigte, wunderbar massive Silberarbeiten, handgearbeitete Etuis mit eingravierten Bildern aus dem Leben Buddhas, mit Lotosblumenmotiven, mit Fledermäusen in allen Ecken und dem in unruhiger und doch majestätisch und herrschaftlich wirkender Zickzackschrift ausgeführten chinesischen Namenszug des zukünftigen Besitzers auf dem Deckel. »Thau rai, Dawkay, thau rai – was soll das schöne Ding kosten?«

»Yisip bat – zwanzig Tikal.«

»Das ist ein wundervolles Stück,« sagte Robert zu seinem Reisemarschall, der wie ein Schatten hinter ihm war. »Kaufen!« – Aber Imfeld konnte solche Dinge 246 immer noch kaufen, bevor er einst heimging nach Europa zurück. Vielleicht wäre es verfehlt und lächerlich, heute schon Siam-Erinnerungen zu sammeln.

Dann saß der Geolog müde unter der Verandatür seines Gastgebers, eines einfachen Reisbauern, der ein paar Aecker in der Nähe des Dorfes besaß. Tschit war ein dürrer Biedermann, gekleidet in das blaue Hosenrocktuch der siamesischen Nationaltracht. Die Hände um die obligaten zerkratzten, eitrigen Kamelbeine gelegt, hockte er da, an der Wand, und gab ehrfürchtig Auskunft, grunzte vor Freude über den hohen Besuch. War bereit, nach Landessitte für seinen Gast zu sorgen.

Robert war müd und nicht müd. Man ist voll Feuer nach solch heißer Wanderung, bis zum gemeingefährlichen Uebermut, dachte Robert für sich. Ja, man ist aufgeregt, voll eines unnennbaren Dranges, als hätte man die Sonne selber oder sonst eine ungeheuerliche Kraft in sich.

Jetzt trug Hollukki, der Cook, seinem Tuan das Essen auf. Aris, Imfelds Reisemarschall, hatte sich in ein Gespräch vertieft mit dem Gastgeber Tschit, der an der Wand hockte und die Eiterbeulen an den Knien streichelte. Imfeld, der Aris Gesicht nachgerade kannte und auch die Landessitten, glaubte zu wissen, was verhandelt wurde. Und jetzt lockte Aris seinen Herrn wirklich: »Tuan, Tschit weiß von schönen Frauen.... mau, Tuan, willst Du?«

Imfeld blieb stumm, hörte und hörte nicht, dachte: dieser Tropentag durchglüht mich wie ein Feuer, warm und feucht ist die Haut, heiß ist mein Atem. In der 247 kühlen Nacht strahlt man wie ein Ofen die Hitze des Tages wieder aus.

»Tuan, wenn der Tuan etwa möchte.... Tschit weiß von zwei Frauen....«

Wanderer an solchen Wanderabenden, dachte der Geolog Imfeld, sind nicht sie selber. Als Sammelgefässe des Erlebens zum Zerspringen gefüllt mit Sonne, flammen jähe Wünsche auf in ihrem Innern wie Gewitter, die unter der Herrschaft des Tagesgestirnes in Wolkentürmen über der Unendlichkeit des Dschungels aufsteigen.

»Tuan, es handelt sich um eine Mutter und ihre Tochter. Die Junge sei noch feucht und weich wie frisch im Fluß gesammeltes Wassergemüse, die Mutter aber voll Erfahrung und Geschicklichkeit.«

»Diam – schweig!« befahl nun der Herr seinem Knecht, als wäre er ein Hund. Dieser aber, seinen Meister kennend, wußte, daß er von diesem Thema trotz dem Verbot weitererzählen sollte.

»Tuan, es ist das zweite Haus links von hier. Sie nehmen jede zehn Dollar. Damit kaufen sie ihrem Vater und Gatten Arak.«

Jetzt ging ein plötzlicher Ruck durch den Meister. Er zog sein Portefeuille aus der Tasche, gab seinem Diener einen zwanzig Dollar-Schein: »Geh – hole mir die schöne Silberdose, die wir heute miteinander auslasen!« Und nachdem Aris das köstliche Silberstück gebracht hatte, streichelte Robert mit der Hand über die prächtige Arbeit, ganz langsam, wie man seiner Geliebten über den Hals streichelt.

Schlaflos wälzte sich Imfeld in der Dunkelheit. Die 248 tausend Geräusche der Nacht summten in seinen Ohren. Eintönige Weisen eines siamesischen Orchesters klangen vom Dorf herüber, ununterbrochen, sinnlos und mit gewaltiger, unmenschlicher Kraft. Alle zehn Minuten steigerte sich die Musik zum Gerassel, schwere Gong- und Paukenschläge fielen ein, fielen schmerzhaft wie Prügelschläge auf Imfelds armen Menschen. Robert war ein rauher Dschungelmann geworden, mit derben Sitten und holperigem Gang. Er wohnte in den Hütten der Eingeborenen wie ein Wilder, wenn wirklich das Milieu, in dem ein Mensch lebt, abfärbte, könnte das nächstens gefährlich werden. Er hatte etwas gefunden, das er nicht suchte, und Werte, die, tief in ihm liegend, ihm kostbar schienen, rutschten von ihm ab in den Sumpf. Alles das verwirrte ihn. Sollte Robert vielleicht für immer in dieser Unschuldswelt des Ostens bleiben? Wäre das ein Ziel?

Nein, trotz vielem Schönen wußte er, daß er das nicht konnte. Anders waren seine Träume. Er wollte nochmals heim, es nochmals unter Seinesgleichen versuchen. Wenn er lang genug, Tier unter Tieren, die Strapazen dieses Lebens, dieses Berufes ertragen haben würde, nicht etwa blöd und lahm schon vorher im Urwald zusammenbrach, wenn er überhaupt so etwas Schönes noch wert sein würde, wollte er vielleicht einst sogar ein eigenes Häuschen in der Heimat bewohnen dürfen in der Nähe einer großen Stadt, deren geistige Werte er doch nie ganz würde verleugnen können; vielleicht würde er als wohlhabender Mann, als Weitgereister sogar einen Kreis bedeutender Menschen um 249 sich haben und, wer weiß, eine schöne, stille, gute Frau als höchsten Wert finden.

Auch hier im nackten Land noch, im Urwald, in dessen geilfeuchter Hitze man nicht sich selber war, nicht sich selber lebte, sondern gelebt und zu allerhand Schabernack geführt wurde, damit man etwas Tüchtiges, Originelles werde vor lauter Freude, vor lauter Angst, selbst hier im letzten Winkel der Welt, wo man von einem Moment zum andern vom Schicksal zermalmt, ausgelöscht werden oder derart in Schuld und Hoffnungslosigkeit geraten konnte, daß der Tod eine Erlösung war –, selbst hier glaubte Imfeld an eine Bestimmung und wollte sich Mühe geben, dem Leben immerhin erhalten zu bleiben zu späteren, vielleicht wieder edleren Versuchen, die das Leben (in den Jahren der weißen Haare) mit ihm noch vorhaben könnte. »Aber das alles ist schwer zu ertragen und das Leben brennt. Um so schwerer ist das alles zu ertragen, als man doch schon lange ein zweifelhafter Bursche ist,« dachte Robert in der Nacht, »und vielleicht nichts mehr zu verspielen hat.«

Wenn es nur nicht so schwer wäre! Aber, ist das nicht deine Pflicht: Heimzukehren, um zu zeigen, wer du bist. Um wie ein Prediger aus der Wüste wiederzukehren: sehet da einen, der nahm viele Mühsale auf sich und hat ein hartes Leben ertragen. Sehet da einen, der tapfer das Leben aushält, das ihm sein Herrgott bestimmte!

Endlich, endlich sank Robert in Schlaf, und als er am andern Morgen erwachte, stieg ein neuer glühendheißer Tag am Horizont seines Lebens herauf. 250

 


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