Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XXVII

Ein schrecklicher Komet stand plötzlich am Himmel, der Krieg mit der Unterseebootsgefahr war zu Ende, der alte Arthur Almeira, der oberste Chef in Genf wollte jetzt die Indienreise in eigener, kostbarer Person wagen. In einem Monat oder zwei konnte er da sein.

195 George saß im Korbstuhl, im Schein einer rußenden Lampe, Käfer, Moskitos summten tanzend ums Licht. Er griff nach der Zeitung, legte sie nervös wieder weg: nein, besser nicht lesen, da drin standen ja all die großen Zinnminenerfolge der Konkurrenzkompanien in den Straits Settlements, da konnte man lesen, was glücklichere Unternehmen verdienen. Er erhob sich, »wir müssen einfach einen output haben!« und begann langsam auf und ab zu gehn. Auf und ab gehen ist manchmal leichter als sitzen.

Arthur Almeira, der oberste Chef, verstand natürlich erst recht nichts von Minen. Das war Georges Zuversicht. Drum stellte sich dieser jetzt eine Art General-Rapport fertig, notierte sich in langer Zeile all die vielen Optionen, die er gehabt hatte und noch hatte, die Pläne und Hoffnungen, die er in den verschiedenen Provinzen nährte; wenn hie und da in der Liste etwas dabei war, etwa ein Stück von dreitausend Morgen, das längst als schlecht ausgemerzt wurde, so erhöhte das die Größe der Liste und den guten Eindruck, den Georges Verzeichnis machte: und seine Untersuchung hatte doch auch Arbeit erfordert, und diese Arbeit mit all den hohen Ausgaben und Kosten galt es jetzt zu beweisen.

In der letzten Hauptrubrik der Liste führte er die Werte auf (roh und in Millionen!), die im Boden zu erwarten waren. Schließlich addierte George: puh, mit nicht weniger als 85,000 Morgen Minenland hatte die Firma bisher zu tun. Großartig! Und jetzt die Millionen. Für sechzig Millionen Straits Dollar oder fast 200 Millionen Schweizerfranken Zinn lag offenbar in 196 Almeiras Besitz. Das war nicht wenig. Das war ein schöner Zahlenzusammenzug. Das würde dem Onkel Almeira gefallen.

Und ja, punkto output! George überlegte sich wieder und wieder, was er tun könnte.

Gadscha puti stand von allen Minen der Vollendung am nächsten. Wenn nur die Maschinen weniger teuer wären. Die Preise für Eisen standen fabelhaft hoch, daß es unverantwortlich wäre, jetzt eine Mine einzurichten, statt etwa ein Jahr auf billigere Zeiten zu warten. Ob er Schneiders Rat doch folgen sollte: vorläufig eine kleine, seichte, leicht bearbeitbare Ecke von Gadscha puti mit Pumpen auszunehmen, à la China, nur damit endlich der Beweis erbracht wäre, daß auch Almeira Minen ausbeuten konnte. Und damit der Onkel, wenn er kam, etwas Schönes sah. Maschinen, wenn sie schaffen, wirken immer gut. Ein Dampflokomobil war in Bangkok erhältlich. Ein Wort, und es fuhr per Bahn oder Schiff nach dem Süden. Aber verrückt war es schon, mit Dampf zu schaffen, wenn man einen Fluß und einen so schönen Damm hatte. Wie dumm, daß Röhren zur Druckleitung nicht aufzutreiben waren....

Auch Robert Imfeld hatte jetzt richtige Sorgen. Eine fast unerträgliche Last von Erkenntnis und Erfahrung ruhte nachgerade auf seinen Schultern. Auch er rekapitulierte jetzt mit schriftlichen Notizen und verfaßte, eigentlich fast ohne zu wollen, einen Generalrapport. Dieses Long Rek zum Beispiel, dachte er, hatte Erz, schönes Erz, viel Erz, Imfeld hatte alles seinerzeit mit eigenen Augen gesehn. Dieser Parker 197 verstand etwas. So und so große Stücke guten Grundes hatte er, was nicht sehr schwierig war, durch Bohren nachgewiesen und zweifellos – so viel die Bodengestaltung versprach, würde Parker noch mehr Erz nachweisen können. Nein, ganz nur eine Bierleiche war Parker nicht. Trotz Loh Hut, trotz der wüsten Szene am Kau Dam stand George mit Parker sehr gut. Eine einzige Unart könnte er seinem Ingenieur nicht recht verzeihen: daß Parker die britischen Farben auf Almeiras Mine hissen wollte. »Sie wohnen auf Schweizer Besitz und haben nicht das Recht dazu. Die Schweizer Fahne, ja, oder meinetwegen aus Klugheit den siamesischen Elephanten, ja, aber niemals....«

Parker schrieb zurück: »Ich bin Engländer. Mit England befreundet zu sein, kann einem Schweizer nur nützen!« Wie die kleinen Schulbuben um einen Fetzen Tuch stritten die beiden miteinander. Schließlich fiel aber die heikle Frage ohne Blutvergießen dahin, weil es Parkers Eingeborenen überhaupt nicht gelang, den riesigen Fahnenmast ihres großen Herrn aufzustellen, der Chief engineer aber viel zu faul war, seinen Kuli bei diesem Kunststück zu helfen.

Wie dieser Parker die Zeit vertat, war aber wirklich nicht schön. Ob er nicht wußte, daß ein Platz wie Long Rek in wenig Monaten erbohrt werden konnte! Viel Erz war da, aber was hieß »viel« in einem solchen langsamen, in Wald und Wildnis versunkenen Land, wo nur »sehr viel« genügte. Und schlimm, das hatte Imfeld inzwischen beurteilen gelernt, stands mit der Arbeitswasserfrage. Das hätte Parker wirklich nicht so lange vor George verheimlichen sollen.

198 Ueberhaupt war dieser nördliche, siamesische Teil der Malakkahalbinsel nicht im entferntesten so viel wert wie der Süden, wie Perak mit dem Kinta-Valley und andere weltberühmte Distrikte, weil vom Aequator her mit jedem Breitengrad die jährliche Trockenheit an Länge und Intensität derart zunimmt, daß schon in der Gegend von Sridharmaray drei Monate im Jahr in vielen Minen jede Arbeit ruhen muß. Einen einzigen guten Distrikt gab es, und der war natürlich, als Almeira begann, längst gänzlich belegt von andern Konkurrenten.

War es etwa nicht gut, vorsichtig gewesen zu sein? Gabs vielleicht so etwas wie geschäftliche Feigheit, die verachtenswert war? War es vielleicht schade um den Kau Dam, um jenes Loch Loh Hut? Ach Gott, Loh Hut! Was mochte denn nur aus Jakob Zahler geworden sein, nachdem George auf Imfelds letzten Rapport hin beschloß, dort kein weiteres Geld zu vergraben? Aus Zahler, dem Zahlenmann und Besitzer eines malaiischen Weibchens?

Der Zahler! Der blieb in Loh Hut sitzen, und so viel man weiß, sitzt er heute noch dort. George, so Vieles und Kühnes er unternahm, so viel Arbeit er für Imfeld und Schneider und manchen andern seiner Angestellten hatte, dem Zahler schrieb er kurz und knapp im Befehlshaberton: »Sie warten am besten in Loh Hut die Zeit ab, bis wir für Sie neue geeignete Arbeit haben.« Und da Almeira & Co. dem Ingenieur sein Monatssalär von 300 Dollar regelmäßig zahlte – was George immer noch billiger fand, als wenn der schwerfällige Zahler mit zweifelhafter Arbeit irgendwo große 199 unnütze Auslagen gemacht hätte – darf Zahler nicht einmal murren; oder wo in der Welt hätte man es einmal gesehen, daß einer Recht bekam auf seine Reklamationen, solange die Firma so überaus generös war, ihm, ohne den geringsten Entgelt an Arbeit, den vollen Monatslohn zu zahlen? Ein klein wenig hoffte George Almeira dabei: Vielleicht merkt ers mit der Zeit.... Aber Jakob Zahler merkte nichts.

Zahler wartete, wartete auf irgendetwas, auf eine Lösung. Vielleicht würde George ihn nächstens an einen bessern Platz versetzen. Inzwischen half er rein zum Zeitvertreib Parker als Assistenz. Ja, er hatte es sogar fertig gebracht, sich mit ihm anzufreunden. War Loh Hut nichts wert, dieses Long Rek war doch offensichtlich besser. An Parkers Chinesin hatte Zahlers Malaiin sich rasch angeschlossen, Tag und Nacht sah Parker es gern, wenn Darling ihm ins Haus lief....

Daneben wand und drehte sich Jakob Zahler unter dem Druck seines sinnlosen Daseins, den er doch deutlich empfand, ähnlich wie seinerzeit der alte Arthur Almeira in der Schweiz sich gewunden haben mochte, als er auf Georges dringenden Rat hin sein Minenbusineß startete und die vielen verzwickten Verträge mit Prozenten und Hausausstattungen, mit Ueberseeluxusdampferbilletten, Jahresbonus und Gratifikationen abzufassen hatte. »Das Leben,« sagte sich Ingenieur Zahler, »hat nur einen Sinn, wenn man gewinnt. Wer verliert, hat verloren!« Und verloren hatte Zahler schon zwanzig Monate output, verloren hatte er zwanzig Monate Zeit und Geduld, viel Gesundheit, Ausdauer und Kraft. Drum dachte er 200 allmählich dran, das Schicksal auf eigene Faust zu zwingen.

Trotzdem er erfolglos dasaß, wußte Zahler natürlich genau, daß nicht etwa er und seine technischen Künste, und vielleicht auch nicht die Mine selber am jämmerlichen Versagen von Loh Hut schuld waren, sondern Almeira & Co., die Firma, die zu wenig half. Almeira & Co. war ein williger Sündenbock, war niemand und haftete für alles. Und warum ließ dieser George sich an allen Ecken und Enden auf zweifelhafte Unternehmen ein, statt seinen diplomierten Schweizer Ingenieuren zu vertrauen....

Zahler war es aus der Zeitung genau bekannt, ebenso bekannt wie George, daß tatsächlich da und dort im Lande Siam Millionenwerte im Boden lagen. Man brauchte sie nur zu heben. Also: warum sollte Jakob Zahler nicht, da Almeira & Co. ihn so schlecht unterstütze, diese Arbeit auf eigne Faust unternehmen? Darling machte sich jetzt bezahlt. Wenn man eine eigne einheimische Frau besaß, hörte man manches, wovon andere Europäer, z. B. Leute wie dieser Imfeld, der jedenfalls zu vornehm war, um eine Frau anzurühren, nicht einmal träumten. Dem Ingenieur und Astronom war schon lange unter vier Augen (plus die schwarzen Augen Darlings) eine Mine angeboten worden, von der kein anderer weißer Mann etwas wußte. Die wollte Zahler sich jetzt etwas näher ansehen. Sobald er das Projekt berechnet hatte und Kapital brauchte, gedachte er seinen Fund gegen einen hübschen Finderlohn Almeira & Co. anzubieten.

Der Platz lag hoch oben in den Bergen, am obern 201 Long Rek-River, wo kein verständiger Mensch alluviales Zinn vermuten würde. Aus gänzlich unmotivierten Gründen floß da oben der River eine Strecke weit fast horizontal, möglicherweise hinderte ihn einst ein Querriegel, so daß er hinter den Bergen ein wenig zu meandern und herumzubögeln genötigt war und einiges Erz im Bereich dieses Beckens liegen ließ. Es handelte sich nicht um eine Sandanschwemmung, überall guckte immer wieder der nackte anstehende »bedrock« durch den spärlichen Sand: es war eher eine Art Blockmeer, Felsenmeer, in dessen Ritzen, unter dessen Felsblöcken da und dort, eigentlich überall, Zinnerz, rein und blank und schön gewaschen lag. Also zweifellos eine originelle Proposition!

 


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