Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XIV

Roberts Leben war zweigeteilt, in Tage der Reise und Wanderung durch den Dschungel, und in jene Zeiten, da er mit andern Weißen zusammen sein mußte. Das brachte Abwechslung und Kurzweil. Ein derart zweigeteiltes Leben zu haben, das erleichterte manches, aber eigentlich war die eine Hälfte nicht weniger hart als die andere. Auch Robert lernte im Zwang seines Berufes unter der heißen Tropensonne, wie rasch man lebt. Er wurde dürr, ein harter Zug kam in sein Gesicht, wer am Aequator arbeitet, wollte zur Zeit etwas zustande bringen. »Donnerwetter! eine Millionenmine zu finden wäre nicht übel! Bummeln und Träumen in Ehren, ja, aber Geld ist auch nötig dazu,« sagte sich Imfeld. »Wäre ich vielleicht in Indien, wenn Almeira nicht seine Dollar riskierte? Das verfluchte Geld! Geld ist, wenn man es richtig betrachtet Dreck, ja, aber es hat doch auch seinen Segen: Geld befreit vom blöden Geldverdienen-Müssen. Nicht zwar, daß mein Lebensziel ist: in Samt und Seide zu 110 schneuzen! Aber reich sein heißt doch«, dachte er, »genug zum Leben haben, daß ich es jederzeit gestalten kann, daß ich vieles erleben, daß ich Wunder schauen, erfolgreich denken und nachher ungestört schaffen kann, irgend etwas Großes, etwas Schönes aus Erlebtem.«

Der Geolog machte verzweifelte Anstrengungen, weite, lange Reisen. Neues Minenland finden, heißt: durch dick und dünn in den Urwald gehn, wo nie vorher ein Weißer war, wo kaum die Eingeborenen je nach Erz suchten. Ein Stück gutes, freies Kronland finden, das man um eine Kleinigkeit vom Staat auf neunundneunzig Jahre zur Ausbeutung bekam – so dachte Imfeld, und es war wirklich ein Weg zu denken. Zudem waren solche Reisen schöner und interessanter als jener andere Weg, der zu Minen führt: jener furchtbare Schleichweg, in nächtelangen Gelagen von Gaunern und Schelmen Kaufverträge über schon bekannte gute Minen zu forcieren.

Der Erwerb einer Mine im Urwald war auch in Siam, wie in jedem anständigen Land, genau reglementiert. Hatte Imfeld eine Gegend aufgespürt, die eine nähere Untersuchung wert schien, schnitt er sich eine »Exclusive Prospecting Licence« aus dem Wald heraus. Innerhalb eines Jahres mußte man die Konzessionen, die Stücke, die man gut fand und ausbeuten wollte, herausschneiden. Und wer endlich Arbeits-Konzessionen hatte, mußte sich schleunigst an die Ausbeute machen, denn auch der Staat wünschte »output-Prozente« und zwar, nämlich wie Schneider und Zahler, auch möglichst bald.

111 Monatelang war Robert jetzt im Dschungel, fern der Welt, tief in den Wäldern, allein mit Bäumen, Halbwilden und Tieren. Alle diese Reisen waren ein fortwährendes Eilen von Wunder zu Wunder und vollwertige, schwere Arbeit zugleich. Ja, so viel Zeit brachte Robert im Urwald zu, so viel erlebte er im Dschungel, daß er sein »anderes Leben«, nämlich das zusammen mit den andern Weißen, so haarsträubend es manchmal war, im Dämmer des Waldes völlig vergaß.

Wenn man nur ein wenig lustig zu sein vermochte, (indem man an die zukünftige Freiheit dachte, die man sich in diesem rauhen Land verdienen wollte!) dann war der Verkehr mit diesen unkultivierten Waldeingeborenen das reinste Vergnügen. Es kam zwar immer ein wenig auf Detektivarbeit heraus, auf Schnüffelei in diesem minenseligen Lande Siam: man hatte irgend einen mehr oder weniger schweren Jungen nach irgend etwas zu fragen, der log einem faustdick ins Gesicht und – man ahnte die Wahrheit. Und lügen und gaunern mußte man selber tüchtig mit.

War man schlau und brachte man das nötige Interesse zu derart hinterlistigen Dingen auf (und Robert war noch nicht dreißig und besaß noch Humor!) dann gab es hie und da eine Chance: Einmal kam der »Krani-Schreiber« eines reichen Chinesen Ho Tschin Si ein Stück Minenland empfehlen. Imfeld ging mit auf Inspektion. Mit waldkundigen Leuten wurde der fragliche Platz erreicht. Die Grenzen waren noch frisch, Erz war da, aber Imfeld sah auf den ersten Blick, daß der Chinese sein Stück nicht sehr glücklich 112 herausgeschnitten hatte. Besserer Grund würde weiter flußabwärts liegen. Nun galts den chinesischen Krani zu überlisten. Imfelds Vorarbeiter Aris half dabei.

Dieser sowohl wie sein Meister fluchten nun sehr entrüstet, für nichts und wieder nichts derart weit in den Wald verschleppt worden zu sein, in diese Steineinöde, wo zwar Zinn vorhanden, aber mit einem Bagger nichts zu machen sei, Almeira & Co. wünsche dredgebares Land. Daß man in dieser Steinwildnis nicht baggern konnte, begriff sogar dieser Bürochinese. »T'a bulih kita orang makan batu – nicht können wir Menschen Steine fressen!« fluchte Aris auf malaiisch. Unauffällig und immer heftig zornig merkte sich Imfeld einen Fixpunkt, ein paar genaue Richtungen mit seinem Taschenkompaß, etwa an der Gabelung eines Nebenflüßchens, dessen Namen die Eingeborenen kannten, und ohne daß der Chinese ahnte, was vorging, hatte Robert bald die Daten zur Aufstellung eines ungefähren Planes, der das wahrscheinlich bessere Terrain überdeckt, in der Tasche. Dann ging er heim, immer gleich böse und entrüstet, und noch während der Krani enttäuscht seinem Herrn berichtete, Almeira & Co. wolle nichts von seiner Offerte, wanderte schon Imfelds geheimer Plan ins Minenoffice und sein Vorarbeiter war unterwegs zu dem Platz zurück, um die neuen, günstigeren Grenzen zu schneiden. Ein paar Tage noch und nicht der Chinese, sondern Almeira hatte das Hauptstück am Nam Keo. Und wenn die Konzession des Ho Tschin Si doch besser war, als es auf den ersten Blick schien, kaufte Almeira sie später hinzu....

113 Wenn das schöne, schlaue Manöver wirklich gelang! Wenn nicht etwa nach einigen Tagen das Minenoffice berichtete, es könne Almeiras Plan nicht registrieren, es existiere bereits eine alte Lizenz über jenes gleiche Gebiet...., ein Siamese habe leider bereits vor Jahren.... Alte Mineningenieure behaupten, es gebe wirklich Länder, wo die Beamten, wenn sie im großen Grundbuch Lizenzen, Konzessionen und dergleichen registrieren müssen, hie und da ein paar Zeilen Platz lassen (aus Versehen natürlich), um später den Namen eines der ihren als prior und erstberechtigt vor den rechtmäßigen Besitzer eines guten Grundstückes ins amtliche Buch hineinzuzaubern.

Imfeld bezog ein Biwak, er allein mit zwei Kuli und seinem Koch. Bisher hatte er nur ganz wenige Stunden so innig mit dem Dschungel verbracht wie diese Tage und Nächte. Mit Händen und Füßen kletternd, an großen Wurzeln und dicken Lianen über die Felsen hinabrutschend, hatte er den Grund des Steilgrabens erreicht, wo ein Schirmdächlein und eine Herdstelle aus großen Steinen war und von wo aus Imfeld die Umgebung absuchen wollte.

Wunderbar, die Vollmondnächte, die der Geolog da verlebte! Nur ein ganz kleines Flecklein Himmel ließ der Wald hoch über ihm frei. Noch schwammen ein paar trübe Sterne darin, dann stieg der Mond hinter den Bergen auf und zauberte Schlaglichter und Schatten durch den träumenden Wald, hellglänzend standen die Stämme einzelner Bäume kerzengerade über ihm an steiler Fluh, daß er wie am Grunde eines silberhellen Märchenweihers zu liegen schien, aus dem 114 die Räuchlein des Lagerfeuers wie Luftblasen aufstiegen.... Und seine Seele war erfüllt von hunderttausend seltenen Düften und Stimmen....


Schwieriger aber als alle Urwaldmühsale und oft fast unerträglich war für einen einfachen und allem Aeußerlichen fernstehenden jungen Mann wie Imfeld eines – der Verkehr mit manchem dieser andern Weißen. Die europäische (Geld)kultur ist überall lächerlich, dort draußen im Osten ist sie mächtiger als sonstwo. Und gegen ihre äußerlichen Gesetze, die in der englischen Gesellschaftsordnung ihren Gipfel finden, zu verstoßen, ist für jeden, er sei denn ein völlig unabhängiger Krösus, mit Erniedrigungen verbunden.

Wäre es schon schwierig, in seiner eigenen Sprache mit solchen Menschen zu reden, dieses Englisch, diese Fremdsprache, in der man bestenfalls ein paar totgedroschene, eklig internationale, konventionelle Phrasen sich anzueignen vermochte, niemals aber, auch im besten Fall nicht, seine Gefühle aussprechen konnte, dieses seelenlose »Dinnertime«- und »Five o' clock«-Englisch, dieses eiskalte, primitive Affenkauderwelsch hing Imfeld bald zum Hals heraus. Als kleiner Schweizer in der Welt draußen mußte man noch viel mehr kriechen, sich bücken und an die lächerlichsten Sitten und Moden anpassen als etwa ein Engländer oder Franzos mit einem mächtigen Vaterland im Rücken. Wenn ein Engländer in der Tropenstadt zu Fuß herumläuft, gilt er als Sportsmann und lustiger, origineller Bruder, tut ein Schweizer dasselbe, riechts nach Geiz oder armem Teufel.

115 Und manches, was in früheren Jahren vielleicht leichter gewesen wäre, erschwerte jetzt der Krieg. Man lebte ja in schrecklichen Kriegszeiten, und vieles da draußen war nicht halb so paradiesisch wie die guten, harmlosen Schweizer es sich geträumt hatten. Imfeld mußte in diesem Palmenparadies sogar einen Reisepaß lösen, mit Photographie, siamesischen Stempeln und Extraerlaubnis für jeden einzelnen Distrikt, für jeden einzelnen seiner Schritte. Nicht daß die Siamesen argwöhnisch gewesen wären, doch hinter Siam stand England und Frankreich. Siam war zwar ein unabhängiges Königreich, (das letzte unabhängige buddhistische Reich im Osten) aber – regieren tat, wer die Macht hatte. Große Reichtümer, unerschöpfliche Hülfsmittel, riesige Kriegsmaterialien an Zinn und seltenen Eisenerzen lagen auf siamesischem Boden. England wollte nach Möglichkeit verhindern, daß verkappte Deutsche unter der harmlosen Maske von Schweizern diese reichen Minen in Besitz nahmen. Almeiras reiche Mittel fielen auf, sein Wunsch nach Minen, der an und für sich verständlich gewesen wäre, machte ihn jetzt zur Kriegszeit verdächtig. »Alle diese Schweizer sprechen deutsch, was wir Engländer nicht verstehn, es ist schwer, die Schweizer von richtigen Deutschen zu unterscheiden,« dachten die Parker und Robinsone, und wenn nicht alles trog, berichteten sie solch dummes Zeug sogar ihrer Majestät, dem englischen »Consul General« in Bangkok. 116

 


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