Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XXXIII

Eines Tages fuhr Imfeld in der Rickshaw durch die New Road, die Bandwurm-Haupt- und fast einzige richtige Straße von Bangkok, da hupte ein Auto, schneuzte vorbei...., Donnerwetter, wer war jener schöne Herr mit den Augen? Das konnte nur George sein. Halloh, George Almeira war wieder in Bangkok. Als Robert ins Office hinunterkam, richtig, da saß George. Aber wo wohnte er denn eigentlich? Das Officehaus war doch völlig besetzt. Ach, nun erinnerte sich Robert, wie schon in seinen ersten Bangkok-Tagen George, wenn er heimfuhr, mit dem Auto in ein schmales Gartensträßchen abbog. Dort wohnte er schön versteckt in Bäumen sehr gemütlich mit seiner Geliebten, allen neugierigen Augen verborgen.

Trotz dem zeitweise etwas scharfen Brief- und Notenwechsel begrüßte George seinen Geologen warm und kameradschaftlich. Er konnte dies umso ruhiger, als Imfeld ja nicht mehr im Süden nahe den Minen und seinen Kameraden, nahe bei seinem Landsmann Schneider, sondern ganz isoliert in Bangkok stationiert war. So konnte George ohne Einbuße an 235 persönlichem Ansehen Imfeld noch mehr Zutrauen zeigen als früher. Und jetzt wurde George Almeira geradezu liebenswürdig: »Mr. Imfeld, wollen Sie nicht zu mir zum Abendessen kommen?«

»Herrgott,« dachte Imfeld, er hatte ein halbes Dutzend sehr merkwürdiger Gefühle, machte seine Augen bereit zum Schauen: Ob Georges Dame wohl schön sein wird?

Sie saß schon wartend am Tisch, als George und Imfeld eintraten; ganz europäisch gekleidet war sie, alt und weißhaarig, ja, vielleicht sechzig oder siebzig jährig, aber dazu hatte sie noch etwas Schönes trotz den Jahren, gleichsam etwas Frischlackiertes, Poliertes, das alles Alte aufwog. Ach ja, diese Augen machten den Unterschied. Augen wie George. Dunkel, lodernd, glänzend.

»Sie können deutsch reden. Meine Mutter spricht deutsch, Herr Imfeld.« Man löffelte die Suppe, man sprach von der Schweiz, man aß Huhn und Reis, man redete von der Heimat, nach der niemand die geringste Sehnsucht zeigte; man sprach vom Wetter, vom Unterschied zwischen Westen und Osten, und – Achtung! – jetzt begann man von den Minen zu reden. »Mr. Imfeld«, jammerte die Dame, »finden Sie es wirklich vernünftig, all das viele Geld in diese teuren Minen zu stecken?«

Aha, dachte Robert und sagte: »Wir machen alles so vorsichtig wie möglich.«

»Es sind schon mehr als 500,000 Dollar.«

George lachte: »Das werden wir an einem einzigen Platz innert zweier Jahre wieder zurückgewinnen, in 236 einem Monat schon beginnt Gadscha puti zu rentieren.«

Was sollte Imfeld, der scheinbare Vertrauensmann, darauf entgegnen? Es war nicht sehr bequem, hier zum Essen eingeladen zu sein. Aber einige Ausreden sind erlaubt. Imfeld konnte mit guten Gründen erklären: »Madame Almeira, es tut mir leid, ich weiß es nicht. Ich war seit einigen Monaten nicht mehr im Süden!«

Sehr viel Günstiges schaute für George bei diesem Friedenskongreß, den er da inszenierte, nicht heraus; und so beschloß er, gewaltsam die unglückliche Stimmung zu heben, indem er etwas zu erzählen begann, das ebenso lustig wie klug und interessant klang: »Mr. Zahler hat einen eminenten Plan einer neuen Mine geschickt. Er sieht auf den ersten Blick etwas kühn und phantastisch aus, aber Zahler ist ein guter, ausgezeichneter Techniker.« Und George wandte sich an seine Mutter: »Mr. Zahler, der Astronom, Du weißt.«

Imfeld, ebenso erstaunt über Zahlers ehrenvolle Erwähnung wie darüber, daß offenbar der plumpe, schwere Jakob in den Urwald auf Entdeckung ging, hörte bescheiden zu. »Er gedenkt nun zu beiden Seiten seines neuen Platzes je etwa sechs große Turmkranen aufzustellen, die er elektrisch bedienen will, und die nichts anderes zu tun haben sollen, als die Steinblöcke aus dem engen Alluvionsbecken an die beidseitigen Berghänge hinaufzuheben, weil nirgends sonst für sie Platz ist.«

»Das ist originell, das ist noch in keiner andern Zinnmine geplant worden!« lachte der Geolog.

237 »Ingenieur Zahler ist ein guter Rechner und technisch sehr erfahren.«

George türmte jetzt noch ein paar Zahlen auf, und Imfeld, um den Endeffekt auf die alte Dame nicht zu zerstören, nickte hie und da beifällig....

Gewonnen, wenn es überhaupt zu gewinnen gab, hatte bei diesem Abendessen Imfeld und nicht George: er hatte jetzt gesehen, wo diese minensüchtigen zwei Almeiras ihre vielen Dollar hernahmen. Er hatte jetzt das eigentliche Almeira-Wesen gesehen, unter dessen Fittichen.... hihihi!.... dieser schöne Almeira-Muttersohn....

Aber Robert hatte auch noch etwas ganz anderes gesehn: die alte Madame Almeira, die Mutter von George war Halb-Siamesin. Halb Siam, halb Portugal, das ergab dieses edle Gemisch. Hatte vielleicht deshalb George so wenig Gewalt über die Vollblutengländer? Jedenfalls wars jetzt begreiflich, warum diesem George so viel an der Freundschaft der Herren Engländer lag. Trotzdem er, in der Schweiz erzogen, ein gebildeter Mann ohne Vorurteile sein sollte, und tatsächlich ein schöner, fast völlig weißer Mensch war, schien das bischen siamesische Blut in seinen Adern ihn zu plagen. Hier draußen in dieser englischen Welt der Vorurteile und Kastengesetze, hier im kulturlosen, für die Weißen kulturlosen Osten, wo es wie nirgends sonst in der Welt auf Aeußerlichkeiten ankam, schien ihn sein braunes Blut zu quälen.

Darum diese wahnsinnigen Anstrengungen Georges und seine Wünsche nach Macht und Geld, nach einer imponierenden Stellung, bis selbst diese stolzen, 238 rassereinen Engländer ihn gelten lassen müßten. George war einer, der restlos die Religion des Goldes, die draußen überall herrscht, anerkannte. Schade um die viele Mühe, die George sich gab. Das, was er eigentlich zu erringen meinte, würde er leider trotz allen Erfolgen nie erreichen. Vielleicht ahnte er das manchmal für Minuten selber. Und vielleicht war diese ganz gleiche Ursache schuld, daß er nie Ferien nahm, nie unter die andern Weißen ging, immer zu Hause in seinen vier Wänden hockte. Merkwürdig, daß er nicht zu begreifen schien, wie schön er gerade in Europa wirken müßte, dieser George mit seinem meist so liebenswürdigen, offenen, fröhlichen Wesen, mit dem Meerschaumteint, dem Schnäuzchen und den Augen. Es müßte so leicht sein für George, sich zurechtzufinden, er hatte Geld, er sprach deutsch und englisch mit der gleichen Leichtigkeit. Damen in der alten Heimat, schien es, müßten ihn mit offenen Armen empfangen.

Nachdem einmal Robert dem Wundervogel Almeira so tief unter die Flügel geguckt, konnten keine sieben Siegel mehr die letzten Geheimnisse des berühmten Federviehs auf die Dauer vor seinen Blicken bewahren. Die Familie Almeira sei natürlich ursprünglich portugiesisch gewesen, hieß es. Die alte Dame sei es noch heute. In der Schweiz könne sich aber jeder Ehrenmann für billiges Geld etwa in einem kleinen Dorf als Bürger einkaufen. Und dies hätten die Almeiras offenbar getan. Zeitweise in der Schweiz zu wohnen sei schön. Darum habe George Almeira dort studiert.

Mr. Arthur, der alte Chef der Familien-A.-G., so hörte Robert Imfeld weiter, habe immer so 239 gewirtschaftet wie jetzt, kühn und ein wenig unvorsichtig, so daß bald die Millionen auf der Bank lagen, bald der Konkurs vor der Tür stand.

Insbesondere habe dem alten Arthur Almeira immer wieder seine zurückhaltende Art seinen Angestellten gegenüber geschadet, denen er oft weniger vertraue, je länger sie mit ihm arbeiteten, ja, es sei geradezu üblich, daß jeder, der bei Almeira & Co. angestellt sei, schließlich mit einem großen Krach abgehe.

Wie stand es eigentlich mit dem eigenen in der Heimat ausbezahlten Lohn? Selbstverständlich glaubte Robert nur den allerkleinsten Teil von dem vielen Geschwätz. Manchmal bleibt einem aber leider gerade das im Ohr hängen, was man gar nicht will. Und da bohrt es sich tiefer und tiefer, bis man es eines Tages – ganz erstaunt – als Sorgenrunzel auf der Stirne eingegraben wiederfindet.

 


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