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Giambattista de Rossi.

Die Nation, 12. Jahrgang Nr. 2, 13. Oktober 1894, S. 19-20.

Wiederum hat die Wissenschaft einen Mann verloren, der ihre Kreise erweitert hat und der, wiewohl hochbetagt, doch zu früh geschieden ist

Seitdem im Jahre 1578 unter dem neuen Rom die erste Spur der unterirdischen Stadt, des ungeheuren weitverschlungenen Netzes der alten Christengräber zum Vorschein gekommen war, hatte die Erforschung dieses in seiner Art einzigen Archivs, nicht des geringsten Schatzes jener Wunderstadt, um die sich nun seit mehr als zwei Jahrtausenden die Achse der Weltgeschichte bewegt, nach einem ersten ernstlichen Anlauf im wesentlichen gestockt. Es war unseren Tagen vorbehalten, diese für die Geschichte wie für die Kunst gleich wichtige Fundgrube zu Tage zu legen, und der Mann, dem dies Werk gelungen ist, war Giambattista de Rossi.

Einem angesehenen stadtrömischen Hause angehörig, ein Romano di Roma, zu dem Studium des Altertums weniger durch Lehre als durch eigene Arbeit und die Denkmäler selbst angeleitet, wendete er sich in frühester Jugend der Katakombenforschung zu, die völlig nie geruht hatte, und übernahm auf die Aufforderung der damit betrauten päpstlichen Behörde im Jahre 1842, damals ein Zwanzigjähriger, die Sammlung und Herausgabe der christlichen Inschriften Roms. Sehr bald erkannte er, daß diese Arbeit, groß wie sie war, für sich allein genommen ein Flickwerk bleiben mußte, und daß es überhaupt nicht ausreiche, das, was von ungefähr ans Licht gekommen war, zusammenzustellen, sondern daß eine umfassende und systematische Durchforschung der Gräberstadt erforderlich sei. Es ist ein Ruhmestitel in dem Regiment Pius des Neunten, daß es den jungen Mann zu würdigen wußte, bevor er weltberühmt ward, und daß man ihm sehr bald die Leitung des Unternehmens in die Hand gab und die erforderlichen nicht geringen Mittel zur Verfügung stellte.

Der Zufall ist der große Gott der Altertumsforschung; die Wissenschaft wandelt auf den Spuren des Pflugs und der Hacke. Aber in diesem Fall trifft der Satz ausnahmsweise nicht zu; hier wies umgekehrt die Forschung dem Spaten den Weg. Es ist nicht die geringste der Leistungen Rossis, daß er für die Ausgrabungen den Ausgang nahm von Urkunden des frühen Mittelalters, die bis dahin wohl gedruckt, aber niemals in ihrem Wesen erkannt noch der Zeit nach bestimmt worden waren. Die unterirdischen Grabstätten der römischen Christen sind, nachdem das Christentum zur anerkannten Konfession und bald zur Staatsreligion geworden war, der Sitz des Märtyrerkults geworden und dies Jahrhunderte geblieben, auch nachdem ihre Verwüstung zuerst durch den Goten Alarich, dann durch den Hunnen Attila um die Mitte des 5. Jahrhunderts ihrer regelmäßigen Verwendung zur Beisetzung der Leichen ein Ende gemacht hatte. Aber erst mit der abermaligen Verheerung der Grabstätten durch die Langobarden im Jahre 756 und der dadurch veranlagten Überführung der in den Katakomben damals noch vorhandenen Märtyrerreliquien in die innerstädtischen Kirchen hörte dieser Katakombenkultus auf. Bis dahin pflegten die zahlreichen nach Rom gelangenden Pilger diese heiligen Stätten in fester Folge andächtig zu besuchen, und die aus dieser Zeit einzeln erhaltenen Fremdenführer haben es Rossi möglich gemacht, zunächst die einzelnen Kirchhöfe ihrer Lage nach festzustellen und danach seine Grabungen zu leiten, welche schon im Jahre 1852 gekrönt wurden durch die mit Recht berühmte Entdeckung der Gräber einer Anzahl Päpste des 3. Jahrhunderts in der Lucinakapelle des nach Callistus benannten Cömeteriums. Aber bei diesem Erfolg, dessen Widerhall die Welt durchdrang, blieb der Werkmeister nicht stehen. Weitaus mehr als das einzelne Gelingen ehrt ihn die Treue, die Unermüdlichkeit, die Folgerichtigkeit der darauf folgenden vierzigjährigen Arbeit, welche die christliche Archäologie und die Christliche Epigraphik in der Tat erst geschaffen hat.

Nicht zum wenigsten ist dies dadurch gefördert worden, daß Rossi, neben den stadtrömischen Denkmälern der christlichen Epoche, die außerhalb Roms zum Vorschein kommenden aufmerksam verfolgte und namentlich in seiner von 1863 bis zu seinem Tode fortgeführten Specialzeitschrift behandelte. Wenn er eigentliche Schüler nicht gehabt hat, so sind alle auswärtigen Forscher auf dem gleichen Gebiet in schriftlichem oder persönlichem Verkehr bei ihm in die Schule gegangen und auf diese Weise hat die in Rom aufgehende Sonne der christlichen Archäologie ihr Licht über den gesamten orbis Romanus ausgegossen.

Es kann nicht versucht werden, an dieser Stelle auch nur annähernd die Summe dieses reichen Lebens zu ziehen. Aber das wenigstens mag hier gesagt werden, daß vielleicht nie alle Elemente der Forschung so vollständig in einer Hand sich vereinigt haben, wie dies bei Rossi der Fall war. Die Beherrschung der antiken, namentlich der patristischen Literatur; die Handschriftenkenntnis und die Kenntnis der lateinischen Paläographie; die Inschriftenkunde; die Vertrautheit mit der Geschichte der römischen Kaiserzeit und insbesondere mit dem spätrömischen Staatswesen; die gleiche Vertrautheit mit der so dunklen Geschichte des mittelalterlichen Rom; das Verständnis für die in den alten Wandmalereien und Mosaiken zu Tage tretende Kunst: die Geschicklichkeit und der Wagemut bei der Aufdeckung und der meist persönlichen Durchforschung jener unterirdischen nie von einem Sonnenstrahl erhellten Gänge – er hat dies alles in vollem Maße mit- und nebeneinander besessen und geübt. Wenn wieder und wieder die Arbeitsteilung als die Signatur der Zeit und die Hoffnung der Wissenschaft bezeichnet wird, so liegt dem doch zum guten Teil zu Grunde, daß es an Kräften ersten Ranges fehlt. Was von Helmholtz, gilt auch von Rossi, daß beide in ihrer Forschung keinen Ausschnitt kannten, sondern den ganzen Kreis erfüllt und beherrscht haben.

Über einen solchen Mann an seinem frischen Grab das Wort zu nehmen ist schwer. Aber dann aufzuhören ist auch schwer. Es mag gestattet sein über einige weniger bekannte Seiten seiner Wirksamkeit noch einiges hinzuzufügen, wie es sich eben fügt.

Rossis bibliothekarische Arbeit wird nicht ausreichend gewürdigt. Lange Jahresreihen hindurch hat er die bescheidene Stellung eines scrittore in der vatikanischen Bibliothek bekleidet, zunächst allerdings um deren überreiche Schätze für seine Studien genügend verwerten zu können. Aber auch hier war er ein pflichttreuer Mann. Tausende von ungeordnet aufgehäuften Handschriften hat er katalogisiert und dem allgemeinen Gebrauch zugänglich gemacht und an diese Handschriftensammlung, immer wohl noch die erste der Welt, einen guten Teil seines Lebens gewendet. Und auf diese sozusagen eigene Bibliothek hat er sich nicht beschränkt. Wenn der italienische Altertumsforscher, wenigstens in der früheren Epoche, wissenschaftliche Reisen nicht leicht unternahm, wenn Rossis ebenbürtige Vorgänger Gaetano Marini und Bartolomeo Borghesi Italien nicht oder doch nur unfreiwillig verlassen haben, so hat Rossi für seine Zwecke außer den italienischen alle großen Handschriftensammlungen selbst untersucht, in Paris, London, Wien und wo nicht sonst seine Untersuchungen persönlich geführt. Das Berliner Unternehmen der lateinischen Inschriftensammlung, deren schwierigster Teil und deren wichtigster Vorzug die Aufarbeitung des massenhaft in den Bibliotheken aufgehäuften epigraphischen Materials ist, hat wie in Rossi überhaupt einen Mitbegründer, so insbesondere durch jene Reisen einen grundlegenden Förderer gefunden. Noch seine letzte während der Todeskrankheit abgeschlossene Arbeit, die Herausgabe des Hieronymischen Martyrologiums, ruht auf diesen durch viele Jahrzehnte fortgesetzten Untersuchungen, und mit tiefer Wehmut liest man in der Einleitung wieder und wieder die Klage, daß dem Herausgeber die Ausführung des Gewollten und Geplanten nur in unvollkommener Weise verstattet sei.

Jenes deutsche Inschriftenwerk gehört mit zu den Leistungen Rossis und mit Recht nennt das Titelblatt der wichtigsten Abteilung auch seinen Namen. Wie tief er, wie alle Italiener, die enge Verwandtschaft mit den Franzosen empfand und in wie überschwenglicher Weise er auch von diesen gefeiert ward, er wußte deutsche Weise zu würdigen, deutsche Forschung zu achten, deutsche Männer zu lieben. Der letzte Wunsch von ihm, der hierher gelangt ist, war der, daß von seinem letzten Fund, der Entdeckung einer bis dahin unbekannten Prinzessin aus dem Hause des Gotenkönigs Theoderich, der Amala Amalafrida Theodenanda, dem deutschen Publikum durch Übersetzung des Artikels Kenntnis gegeben werden möge. Dem deutschen Institut in Rom ist er ein halbes Jahrhundert hindurch ein treuer Genosse und, wo es not tat, ein kräftiger Beschützer gewesen, und mit Recht schmückt seine Büste den Saal, in dem er so oft beredte Worte gesprochen hat. Die ausführliche Beschreibung der Katakomben mit den Plänen und den Abbildungen der wichtigsten Fresken und der sonstigen bedeutenderen Fundstücke, die Roma sotterranea cristiana hat er, so weit, wie er sie geben wollte, in drei großen Foliobänden zu Ende geführt. Die Sammlung der christlichen Inschriften der Stadt Rom, welche mit der Berliner ein Ganzes zu bilden bestimmt ist, hat er nicht abschließen können; aber von dem fehlenden Teil haben sich die wichtigsten Abschnitte in seinem Nachlaß ausgearbeitet vorgefunden und es steht zu hoffen, daß, seiner Verfügung entsprechend, Giuseppe Gatti das Werk zu Ende führen wird.

Die Ansichten des großen Forschers sind nicht ohne Anfechtung geblieben und es wird daran auch ferner nicht fehlen. Sein Herz war bei dem, was er sah und fand, und es kann ihn hie und da weiter geführt haben, als es sollte. Ob das vorkonstantinische Christentum in der ewigen Stadt so alt und so vornehm gewesen ist, wie er es geglaubt hat, mag bezweifelt werden; ein enthusiastischer Zug ging durch seine Rede, der all die vielen, die ihn in den Katakomben selbst haben sprechen hören, mit Bewegung und mit Entzücken gelauscht haben, und geht durch seine Werke, denen knappere Darstellung und gemessenere Haltung häufig zu wünschen wären. Aber der Mann im ganzen war ein ehrlicher und rechter Mann, an dem man wohl mäkeln kann, aber Makel nicht finden.

Der große Gelehrte war auch ein guter Mann. Selbstverständlich gehörte er zu den sogenannten Schwarzen, nicht bloß nach seiner Stellung, sondern auch mit seinem Herzen. Öffentliche Ämter hat er nie bekleidet, wohl aber im römischen Gemeinderat das Wohl seiner Vaterstadt in vieljähriger Tätigkeit gefördert und namentlich für die städtischen Sammlungen und die von der Stadt unternommenen wissenschaftlichen Publikationen eine folgenreiche Tätigkeit entwickelt. Als neben den Vatikan der Quirinal trat, blieb er selbstverständlich bei der alten Fahne; aber sein klarer Sinn und seine milde Natur ließen ihn in dem schweren Konflikt die zur Zeit allein möglichen Notbrücken finden und betreten. Nie hat er über dem Klerikalen den Italiener vergessen. Daß jenes Inschriftenwerk nach dem Sturz des päpstlichen Regiments von dem italienischen aufgenommen und fortgeführt worden ist, ehrt ebensosehr die Regierung, die dies anbot, wie ihn, der dies annahm. Er hat gern gelebt und es war ihm gegeben an der Anerkennung, die ihm im reichsten Maße zu teil ward, auch Freude zu finden; die Feier seines siebzigsten Geburtsfestes am 20. April 1892 war selbst in unserer der Jubiläen übermüden Zeit ein aufrichtiges und ein internationales Triumphfest. In einem glücklichen Familienkreis, insbesondere in treuer Gemeinschaft mit seinem bei der schwierigen Topographie der Katakomben mit ihm zusammen arbeitenden Bruder Michele hat er in dem angestammten Vaterhaus, dessen Wände von ihm gesammelte Inschriften bedecken, ein halbes Jahrhundert seiner Arbeit gelebt und, am 23. Februar 1822 geboren, am 20. September 1894 die Augen geschlossen.

Rossis Platz in der Wissenschaft bleibt leer; aber auch seine Werke werden bleiben.



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