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Rede zur Vorfeier des Geburtstages des Kaisers

18. März 1880. Monatsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1880 S. 311-323.

Zwischen zwei Feste fällt unsere heutige Feier. Vor wenigen Tagen vereinigte der strahlende Frühlingsmorgen des zehnten März wohl die meisten von denen, die heute hier anwesend sind, und andere Tausende unserer Mitbürger in dem schönen Garten, der längst durch das Gedächtnis der Königin Luise geweiht ist. Wir sahen dort die holden, auch der späteren Generation so wohlbekannten Züge zum erstenmal im Schein der Kaisersonne leuchten, ihr Auge blicken auf den Sohn, auf welchem ihr Muttersegen ruht, mit dem Stolze, den die Liebe gibt. Viele unvergleichliche Gestalten weist unsere Geschichte auf, aber keine gleich dieser. Jene Frau, in welcher die heilige Dreieinigkeit der Schönheit, der Tugend und des Leidens ihren ewigen Ausdruck gefunden hat, in welcher es sich wieder offenbart, daß allein das ewig Weibliche auf die volle Höhe des Menschendaseins führt, die in ihrem kurzen Dasein ihrem Volke ein dauerndes Ideal hinterlassen hat, ist wie die reinste so auch wohl die eigenartigste Gestalt der Geschichte unserer Heimat. Nun steht sie für immer in unserer Mitte, das einzige Frauenbild unter all den Helden und Staatsmännern, welche unsere Plätze füllen, eine ewige Erinnerung für das Fürstengeschlecht wie für unser Volk an den notwendigen endlichen Sieg des Edlen über das Gemeine, eine Erinnerung, deren wir freilich bedürfen.

Die andere Feier, welche uns bevorsteht und welche uns heute vorweg schon in diesem Saale vereinigt, ist die zwanzigste dieser Art, welche die Akademie begeht. Die Geburtstagfeier des Königs und des Kaisers Wilhelm ist mit den Gewohnheiten unsres Tuns ebenso verflochten wie mit den teuersten und stolzesten Erinnerungen, die nicht bloß uns dauernd bleiben, sondern die auf unsere Kinder sich vererben, und deren Nachklang in der Seele des deutschen Volkes fortschwingen wird, solange es ein solches gibt. Langes Leben, wie es unserem erhabenen Herrscher beschieden ist, ist in diesem Fall ein langer Segen gewesen; die Geschichte wird es schärfer und gewisser hinstellen, als es den Zeitgenossen gestattet und geziemend ist, wie ganz undenkbar die gewaltigen Vorgänge der letzten zwei Decennien gewesen sein würden ohne diese in den Mittelpunkt der Entwickelung gestellte und wie keine andere zum Mittler geeignete Persönlichkeit. Wenn der wesentliche Segen der Monarchie, die Stetigkeit und Festigkeit derjenigen staatlichen Verhältnisse, welche unter allen Umständen durch die Persönlichkeit des Oberhauptes bestimmt werden, nur bei längerer Dauer des Regiments sich in vollem Umfang realisiert, so ist in jenen Krisen, die wir erlebt haben und in denen alles an alles gewagt werden mußte und gewagt worden ist, der volle Erfolg ohne Zweifel nur dadurch erreicht worden, daß es einem und demselben Manne beschieden war sein Volk durch dieselben hindurchzuführen. Der Ruf: lange lebe der König! ist das Symbol der Monarchie. Werden die späteren Generationen empfinden, mit welcher Betonung, mit welchem Bangen, mit welchem Hoffen er derjenigen Generation auf den Lippen gelegen hat, welche den Weg vom Königreich zum Kaisertum, von Preußen zu Deutschland mit Wilhelm, dem König von Preußen, dem Kaiser von Deutschland, gegangen ist?

Freilich, wo viel Licht und Glanz ist, da fehlen auch die dunklen Schatten nicht, und sie werden im Gegensatz um so stärker empfunden. Wir haben viel Herrliches, aber auch viel Entsetzliches erlebt; unserem Volke sind nicht bloß jene Wunden geschlagen worden, die von allen großen Krisen ein notwendiger Teil sind und die im Siegesjubel rasch vernarben; auch andere und schwerere, zum Teil fressende und eiternde, haben sich geöffnet. Das gute Einvernehmen unter den führenden Nationen der Welt besteht nicht mehr in dem Umfang, wie es vor einem Menschenalter bestand; und wenn wir stolz darauf sein dürfen und stolz darauf sind, daß dem starken und großen Volke da Neid und Argwohn entgegentreten, wo das geteilte und geringgeschätzte ein gleichgültiges Wohlwollen fand, so fühlen wir dennoch, wo es hintrifft, das Unbehagen der vielfach gestörten Beziehungen und die Gefahr für die Weltcivilisation, die in dieser stillen Fehde der Geister sich verbirgt. Dies ist ein notwendiges Übel und hoffentlich ein absehbares; die Zeit wird ja kommen, wenn wir sie auch nicht erleben, wo es sich von selbst versteht, daß unter den führenden Völkern der Welt das deutsche den Anspruch erhebt keinem voran, aber auch hinter keinem zurückzustehen. – Ernster und peinlicher sind die Erscheinungen, welche die geistige Entwickelung unseres eigenen Volkes unter der Sonne des Glücks aufweist. Wie der Soldat leichter den Gefahren und Entsagungen des Krieges widersteht als dem Rausch des Sieges, so stehen auch wir vor und in einer spontanen Rekrudeszenz alter, einer spontanen Generation neuer moralischer Seuchen, die mit epidemischer Gewalt um sich greifen und an den Grundlagen unserer Gesellschaft rütteln. Ich will hier nicht reden von Dingen, die jedem, der sein Vaterland liebt, nur zu stetig im Sinn liegen, und die zunächst sich in Kreisen und Zielen bewegen, welche uns nicht unmittelbar berühren. Aber nicht bloß in jenem äußersten Extrem offenbart sich der sittliche Zersetzungsprozeß, welcher auf unsere stolzen Errungenschaften unmittelbar gefolgt ist, und dessen Verwindung und Überwindung jetzt die nicht minder große und nicht minder schwierige Aufgabe des innerlich gesunden und kräftigen Teils der Nation ist. Alle alten Vorurteile und Befangenheiten sind wiedererwacht. Wir sehen uns in ernsten Kämpfen mit Mächten, die wir, als wir jung waren, verachteten und verachten durften. Ist das Reich Kaiser Wilhelms wirklich noch das Land Friedrichs des Großen, das Land der Aufklärung und der Toleranz, das Land, in dem nach Charakter und Geist, und nicht nach Konfession und Nationalität gefragt wird? Ist es nicht schon beinahe ein gewohntes Unheil geworden, daß die politische Parteibildung, dieses notwendige Fundament jedes Verfassungsstaates, vergiftet wird durch Hineinziehung des konfessionellen Haders? Regt man nicht in den socialen und den wirtschaftlichen Fragen das Element des Egoismus der Interessen wie des nationalen Egoismus in einer Weise auf, daß die Humanität als ein überwundener Standpunkt erscheint? Der Kampf des Neides und der Mißgunst ist nach allen Seiten hin entbrannt. Wirft man uns doch die Fackel in unsere eigenen Kreise, und der Spalt klafft bereits in dem wissenschaftlichen Adel der Nation.

Ist es unangemessen, bei der heutigen Feier so schwerer Übel, so ernster Gefahren zu gedenken? Ich meine nicht. Wir können uns der Segnungen der bestehenden Ordnung von Staat und Gesellschaft gar nicht bewußt werden, wir können die Dankbarkeit gegen das greise Oberhaupt unsres Staates nicht empfinden, ohne zugleich alles das mitzufühlen und mitzuleiden, was die Gegenwart bewegt. Die Zeiten sind glücklicherweise vorüber, wo die sogenannte gelehrte Welt in dem Wahne stand sich von der realen Gegenwart emancipieren zu dürfen, ja zu sollen. Nicht ohne einige Beschämung gedenken wir heute der Erscheinung, daß die genialsten Dichterwerke unsrer Nation in einer Epoche entstanden sind, wo diese selbst schließlich zusammenzubrechen schien; der Isolierschemel, auf dem jene hohen Männer saßen, erscheint uns als eine der Verkehrtheiten, an denen der so oft durchkreuzte Entwickelungsgang der deutschen Nation nur zu reich ist. Wir wollen es gar nicht verbergen, daß die Festfreude an dem heutigen Tage eine andere geworden ist als in früheren Jahren, daß wir die schweren Schatten, die in diesen Freudentag hineinfallen, aus unseren Gedanken heute nicht bannen können, nicht bannen wollen. Vielleicht ist unser Dank noch herzlicher, vielleicht sind unsere Wünsche noch inniger geworden; aber wer beiden Worte zu leihen hat, wird nicht umhin können auch tiefes Leid und ernste Sorge zugleich zum Ausdruck zu bringen. Das hat man erreicht, daß es den deutschen Bürgern, mögen sie im Festsaal oder auf der Wiese, in der Kirche oder in den Hallen der Wissenschaft sich versammeln, schwer gemacht worden ist, nicht die Feste zu feiern, aber sich der Feste zu erfreuen.

Wir trennen uns aber von unsern Volksgenossen nicht, wenn wir, auch heute unsers besonderen Berufes eingedenk, an diesem Tage zusammenfassen, was in diesem zwanzigjährigen Regiment durch unsere Akademie für die Wissenschaft geschehen ist. Unter dem Kriegslärm, der die Regierung unseres Kaisers großenteils erfüllt hat, ist dieser Teil der Wirksamkeit desselben vielleicht nicht genügend aufgefaßt worden; nicht einmal von den beteiligten gelehrten Kreisen, von denen ja jeder nur einen Bruchteil jener Gesamttätigkeit an sich selber erfährt, geschweige denn von dem ferner stehenden Publikum. Der heutige Tag fordert besonders dazu auf. Wenn unsere Statuten vorschreiben, daß am Geburtstag des regierenden Herrschers die Akademie den Jahresbericht über ihre Leistungen erstatten soll, so dürfen wir dies, nach jener alten Art der Hohenzollern im Königtum die Königspflicht zu erkennen, wohl dahin auffassen, daß an diesem Tage bei der Rückschau auf das vergangene Jahr darüber öffentlich Rechenschaft gelegt werden soll, was während dieses Jahres aus öffentlichen Mitteln für diejenige höchste Gattung der Wissenschaftspflege geschehen ist, für welche die Akademie die hohe Ehre und die ernste Verantwortung hat das Organ der öffentlichen Munificenz zu sein. Dann aber wird es auch wohl angemessen sein die Vicennalien Kaiser Wilhelms durch einen Rückblick auf unsere Tätigkeit in dieser Zeit zu begehen. Freilich kann ein solcher Überblick nur ein sehr unvollkommenes Bild geben, teils weil die Fülle von Einzelheiten, die hier sich aufdrängen und von Rechts wegen sämtlich vorgelegt werden müßten, den Rahmen eines akademischen Vortrages weit überschreiten würde, teils weil kein einzelner im stande ist die Bedeutung wie die Individualität der verschiedenartigen hier in Frage kommenden Arbeiten genügend zum Ausdruck zu bringen. Nehmen Sie meine Darstellung in diesem Sinne auf als die eines Akademikers, der zwar für das Individuum sich zu dem Glauben bekennt, daß die rechte Einseitigkeit die wahre Vielseitigkeit ist, aber für die Akademie vielmehr zu dem umgekehrten Credo.

Vor allen Dingen gedenken wir jener großartigen Erweiterung, welche unmittelbar nach der Beendigung der schweren Kriege unserer Akademie zu teil ward und den tatsächlichen Beweis lieferte, daß der Nachfolger Friedrichs des Großen die Fürsorge für die Wissenschaft hinter keiner andern zurückstellt als derjenigen um die unmittelbare Sicherheit des Staats. Denn indem der bisher für wissenschaftliche Zwecke der Akademie zur freien Verfügung gestellte Jahresbetrag ungefähr vervierfacht wurde, ward derselben zum erstenmal die Möglichkeit gegeben nicht bloß einzelne Gelehrte bei ihren Forschungen zu fördern, wie dies bis dahin fast ausschließlich geschehen war, sondern auch größere Unternehmungen und Berufungen hervorragender Männer aus eigener Initiative und im wesentlichen auf eigene Verantwortung herbeizuführen; und ebendies ist die Absicht der Regierung gewesen. Sie hat selbstverständlicherweise auch ihrerseits nicht auf die Initiative bei wissenschaftlichen Unternehmungen verzichtet und verwendet alljährlich erhebliche Beträge für dergleichen Zwecke, wie denn die Akademie selbst mehrfach in die Lage gekommen ist in außerordentlichen Fällen, wo ihre Mittel versagten, außerordentliche Unterstützungen zu erbitten. Aber innerhalb jener weit gezogenen Grenzen verfügt die Akademie im wesentlichen selbständig, und wenn anderswo die Selbstregierung mehr gehofft als erreicht wird, so haben wir sie in liberalem Sinn und in ausreichendem Maße empfangen. Jene Etatziffern werden nie herabgemindert werden, solange es ein preußisches Budget gibt, und sie werden ein dauerndes Denkmal bleiben der Regierung Kaiser Wilhelms.

Hierzu tritt ein zweites allgemeineres Moment. Wenn teils durch Zufälligkeiten, teils durch die auch auf diesem Gebiet sehr fühlbare Einwirkung desjenigen Systems, das man Bundesstaat nannte und das vielmehr Staatenbündel zu heißen verdiente, früher bei der deutschen Nation verschiedene Institutionen sich entwickelt hatten, deren Wirksamkeit wesentlich in den Kreis unsrer Akademie fiel, ohne daß dieser darauf eine Einwirkung zugestanden hätte, so wurden dagegen in dem letzten Decennium zuerst das erweiterte Archäologische Institut in Rom und Athen, alsdann die Direktion für Herausgabe der deutschen Geschichtsquellen mit unsrer Akademie vereinigt, so daß die Einigung der deutschen Nation in gewissem Sinne auch in diesen Kreisen zur Geltung kam. Die Vereinigung erfolgte, ohne daß die Selbständigkeit beider Institutionen, wie sie deren specielle Zwecke forderten, und ihre freie Bewegung dadurch beeinträchtigt worden wäre. Es wurde damit nur der Weg weiter verfolgt, den eine Reihe von Privatstiftungen bereits gewiesen hatte, vor allem die Humboldtstiftung, deren Entstehung ungefähr mit dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms zusammenfällt, und die von Haus aus jene freie, die Teilnahme von Nichtakademikern an der Leitung der Stiftung nicht ausschließende, sondern vielmehr fordernde Verknüpfung mit der Akademie der Wissenschaften zu ihrem Ausgangspunkt nahm. Ihr sind später die Boppstiftung, die Savignystiftung, die Charlottenstiftung, ganz kürzlich die Diezstiftung gefolgt. Wenn es diesen Stiftungen, vor allem der erstgenannten, gelang den Ruhm des deutschen Namens in alle Zonen zu tragen und im wissenschaftlichen Internationalverkehr den Deutschen eine Stellung zu sichern, deren freiwillige oder widerwillige Anerkennung unser Stolz ist, so darf dies mit darauf zurückgeführt werden, daß die Regierung wie die beteiligten Kreise, ungeirrt durch die kleinen Velleitäten korporativen Selbständigkeitsdünkels, ungeirrt auch durch die politische Doktorfrage, ob ein Institut des Deutschen Reiches der Königlich Preußischen Akademie angeschlossen werden könne, beharrlich nach allen Seiten hin festhielten an dem Gedanken, daß die deutsche Wissenschaft überhaupt und vornehmlich dem Ausland gegenüber einheitlich vertreten sein müsse. Es hat sich jene Verbindung in ihrer verständigen Beschränkung sowohl für die Akademie wie für die einzelnen Institute niemals lästig und nicht selten förderlich erwiesen. Höher aber als die einzelnen Vorteile, die sie gewährt, werden wir es anschlagen dürfen, daß wir auf unserm Gebiet berechtigt sind uns als Vertreter der deutschen Nation zu fühlen und als solche aufzutreten.

Wenn ich mich, nicht ohne Zagen wegen des Zuviel oder Zuwenig, zu dem einzelnen wende, so tritt auf dem mathematischen Arbeitsfeld zunächst das Bestreben der Akademie hervor die Werke der großen Meister dieser Wissenschaft, welche hier mit einer anderswo unbekannten Pietät von den Nachfahren geehrt werden und länger als anderswo lebendige Wirkung behalten, vollständig und würdig dem immer zahlreicher werdenden Kreise der Fachgenossen vorzulegen. Nicht bloß mit Leibniz' mathematischen Schriften ist dies ausgeführt worden, sondern es ist geschehen und geschieht gleichermaßen für Jacobi, für Steiner, für Dirichlet; ganz kürzlich ist der merkwürdige Briefwechsel zwischen Gauß und Bessel durch die Akademie erworben und in ihrem Auftrag veröffentlicht worden. Aber auch in fernere Zeiten reicht diese Pflege zurück; die einst von Jacobi beabsichtigte Herausgabe des griechischen Mathematikers Pappus ist von philologischer Seite aufgenommen und durchgeführt worden. Die eigenen Arbeiten der reinen Mathematik sind in der bevorzugten Lage nicht häufig der Staatsunterstützung zu bedürfen. Um so mehr ist dies der Fall bei den auf der Mathematik ruhenden angewandten Wissenschaften, insbesondere der Astronomie; und wenn die umfassenden Aufwendungen, welche für diese Arbeiten von unserer Regierung gemacht worden sind und werden, zum größeren Teil mit der Akademie nicht im Zusammenhang stehen, so dürfen wir doch daran erinnern, daß an den durch das Phänomen des Venusdurchgangs hervorgerufenen Arbeiten auch sie ihren Anteil hat, insofern eines ihrer Mitglieder in ihrem Auftrag sich in hervorragender Weise an jenen wichtigen Beobachtungen beteiligte. Auch sonst hat es nicht an Gelegenheiten gefehlt in Anschluß an die unter der vorigen Regierung von der Akademie hergestellten Sternkarten geeignete Materialien zu sammeln und Beobachtungen hervorzurufen.

In Betreff der beschreibenden Naturwissenschaften ist zunächst jener zahllosen Specialuntersuchungen und Specialpublikationen zu gedenken, welche die Akademie auf ihre Kosten entweder hat ausführen lassen oder doch veröffentlicht hat. Ein sehr großer Teil der eigenen akademischen Publikationen ist derartigen botanischen, zoologischen, mineralogischen, paläontologischen Untersuchungen gewidmet; und wenn aus den auf diesem Gebiet in den letzten zwanzig Jahren erschienenen Werken diejenigen verschwänden, welche mehr oder minder durch unsere Beihülfe in die Öffentlichkeit gelangt sind, so würde der Stand dieser Disziplinen ein wesentlich anderer sein. Ich darf erinnern an die Arbeiten unseres Mitglieds Hrn. Roth über den Vesuv, des verstorbenen Boll über den Torpedo; berufenere Stimmen würden leicht zahlreiche weitere Beispiele hinzufügen. Besonders aber hinweisen will ich auf das Zoologische Institut in Neapel, das nicht bloß sein Dampfschiff geradezu der Akademie verdankt, sondern auch überhaupt ohne deren Schutz schwerlich zu stande gekommen sein würde – wieder ein Beispiel mehr, wie die deutsche Wissenschaft, wo sie auf das Ausland sich angewiesen sieht, an unserer Akademie ihren rechten Vertreter sucht und findet.

Daß das Gedeihen der chemischen, physikalischen und physiologischen Studien in Deutschland überhaupt und insbesondere hier in Deutschlands Mittelpunkt eng zusammenhängt mit der Wirksamkeit der Akademie, begnüge ich mich hier anzudeuten, weil es in diesem Falle sich mehr um Personen als um sachliche Fragen handelt und es nicht angemessen erscheint hier auszuführen, wie wesentlich die Akademie dazu beigetragen hat, daß die Universität Berlin die gegenwärtige Stellung einnimmt. Dafür wende ich mich zu derjenigen Seite unserer Tätigkeit, die man wohl im allgemeinen als Erdkunde bezeichnen möchte, und deren Förderung von ihren verschiedenen Standpunkten aus beiden Klassen gemein ist. Hier ist es vor allem die Humboldtstiftung, deren planmäßig ausgeführte Reisen Brasilien durch Hensel und den zu früh hingeschiedenen Sachs, Südafrika durch Buchholz und Hildebrandt, vor allem aber das Nilland durch die glänzenden Leistungen Schweinfurths aufgeklärt haben. Die deutsche Nation wird es nicht vergessen, daß jene wundervolle Erschließung des Landes der Elefanten und der Pygmäen, nächst dem genialen Reisenden, in zweiter Reihe dieser Stiftung verdankt wird. Daran schließen sich die Unterstützung der den Resten der alten Kultur jeder Art und jeder Epoche gewidmeten Forschungen: ich nenne die Arbeiten Helbigs über die primitiven Ansiedlungen in der Poebene, die Bereisung Mesopotamiens durch Sachau, die Aufnahme Nordafrikas durch den leider schon uns entrissenen Wilmanns, die für Athen und Attika überhaupt durch Curtius und Kaupert unternommenen ausgeführten Pläne und Karten, die Bereisung des südlichen Kleinasien durch G. Hirschfeld, die von Nissen unternommene Chorographie Italiens, die Publikation des alten Stadtplans von Rom durch Jordan. Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, daß der lang ersehnte Atlas der alten Welt diese vereinzelten Leistungen krönen wird; es ist das der Segen unserer Institution, daß, wo der Meister da ist, die Mittel immer bereit sind.

Für die Studien der Archäologie hat das junge Deutsche Reich in den ersten morgenfrischen Tagen seines Daseins – dies Reichsinstitut stammt, wie die deutsche Kaiserkrone, aus Versailles – in so ausgiebiger Weise gesorgt, daß die beteiligten Gelehrten einen schweren Stand haben werden, um der ersten Kaiserstiftung Würdiges zu leisten. Indes es ist damit nur das Richtige geschehen, denn vielleicht kein anderes Wissenschaftsgebiet bedarf zu seiner Pflege gleich ausgedehnter Hülfsmittel. Noch ist die neue Einrichtung zu jung, um eigentliche Früchte aufweisen zu können; die Ziele wenigstens hat sie sich hoch genug gesteckt. Die leitenden Männer denken an nichts Geringeres als an eine systematische Publikation des Gesamtschatzes der Werke der alten Kunst, gegliedert nach Kategorien und innerhalb dieser nach Zeit und Ort; an die Befreiung des einzelnen Forschers von dem jetzigen unerträglichen Zustand, wo es meist vom Zufall abhängt, ob ihm die Gegenstände seiner Forschung in den Büchern oder den Museen zu Gesichte kommen oder nicht, und keiner sicher sein kann mit voller Kunde des Materials zu arbeiten. Dies ist ein Ideal und wird es bleiben; aber es ist schon etwas, wenn Mut und Mittel sich zusammenfinden, um solche hohe Zwecke wenigstens annähernd und teilweise zu verwirklichen. Ebenjetzt geht der erste bescheidene Anfang dieser neuen Veröffentlichungen in die Welt, eine Bearbeitung der in Pompeji ausgegrabenen Tonwerke; vielleicht wird die Zeit kommen, wo man diese an sich unscheinbare Publikation bezeichnen wird als nicht unwert der Vicennalien des ersten Deutschen Kaisers. Die Akademie wird auch an ihr einen gewissen Anteil sich zuschreiben dürfen und zugleich sich erinnern, daß ihr Mitglied Gerhard es war, welcher zuerst und mit ihrer Hülfe durch seine kritische und vollständige Sammlung der etruskischen Spiegel den neuen Weg gewiesen hat.

Für die Inschriftenkunde hat die Berliner Akademie der Wissenschaften zur Zeit das Privilegium, wenigstens solange das Corpus inscriptionum Semiticarum unserer Schwestergesellschaft noch ein Wechsel ohne Verfalltag bleibt. Wir dürfen hier das Verdienst in Anspruch nehmen, daß wir nicht auf den Lorbeeren einer älteren Generation ruhen, sondern in frischem Schaffen fortfahren, auch wenn wir dabei unser altes Haus selber einreißen müssen. Das Corpus inscriptionum Atticarum gibt dafür den redenden Beweis; auch für die ebenfalls dringend notwendige Neubearbeitung der Abteilung Italien und Sicilien sind die Vorarbeiten ihrem Abschluß nahe. Es gibt dies, sowie unser neu geschaffenes athenisches Institut, die Bürgschaft dafür, daß für die anderen Abteilungen, namentlich für Hellas und Makedonien, das gleiche geschehen wird, daß wir die bei diesen Sammlungen schlechthin notwendige Konzentration, da wir einmal im Besitz sind, uns nicht entwinden lassen werden, auch wenn, wozu es freilich kaum den Anschein hat, andere Nationen bestrebt sein sollten um diese nur harter Arbeit und festem Entschluß winkende Palme mit uns zu ringen.

Das äußerlich noch viel umfassendere Unternehmen der lateinischen Inschriftensammlung naht sich seinem Abschluß. Wir haben davon den Anlaß genommen, bleibende Fürsorge für dessen Fortführung zu treffen; wenn die folgende Generation so, wie wir hoffen, sich die Freudigkeit der entsagenden Arbeit bewahrt, so glauben wir dafür gesorgt zu haben, daß der mit schwerer Not endlich schiffbar gemachte und jetzt verhältnismäßig leicht in Gang zu haltende Strom nicht abermals versandet.

Neben dem, was für die alte Epigraphik geschieht, nimmt unsere Tätigkeit für die verwandte Münzkunde einen sehr bescheidenen Platz ein. Es sind wohl Privatwerke von uns unterstützt worden, wie v. Sallets Arbeit über die baktrischen Münzen, Dannenbergs deutsches Münzwesen im Mittelalter; aber die große zusammenfassende Arbeit, deren es hier bedarf, ist zur Zeit nicht einmal in Aussicht. Und doch ist im ganzen Kreise der Altertumswissenschaft, nachdem so viele berechtigte Wünsche befriedigt worden sind, jetzt keine Stelle, wo ein solches Zusammenfassen so dringend gefordert würde als hier. Wenn jetzt oder später der geeignete Träger eines solchen Unternehmens auftreten sollte, so werden hoffentlich wir, oder die dann unsere Plätze einnehmen, um die Ausfüllung der Lücke bemüht sein, obgleich die eigenen Mittel der Akademie für ein so kolossales Unternehmen sicher nicht ausreichen werden. Talente schaffen können wir nicht, und ebensowenig mit unbewährten Persönlichkeiten aufs Geratewohl experimentieren.

Ich eile zum Schluß und deute nur im kürzesten an, was für die Philologie aller Zeiten und Zonen in diesen zwanzig Jahren geschehen ist. Aristoteles, gewissermaßen der geistige Vater aller akademischen Forschung, steht nach wie vor im Mittelpunkt unserer Tätigkeit. Der akademischen Ausgabe ist in dieser Epoche das unschätzbare Aristoteleslexikon unseres Kollegen Bonitz gefolgt. Ferner ist die Gesamtpublikation der Aristoteleskommentare, als das erste derartige Unternehmen, bald nach der Erhöhung unserer Dotation von uns beschlossen und sind dafür die sämtlichen Bibliotheken Europas systematisch durchforscht worden; der Beginn der Publikation steht bevor. Daneben darf genannt werden, was für die Quellen des römischen Rechts von akademischer Seite geschehen ist. Gaius' Wiederentdeckung ist nicht minder wie die Aristotelesarbeit mit den Traditionen unserer Akademie verwachsen: es ist uns vergönnt gewesen durch Studemunds meisterliche Revision den kritischen Boden hier so weit zu säubern, als Ungeschick und Unglück einer früheren Epoche es irgend gestatteten. Auf Anregung unserer Savignystiftung hat die Justinianische Verordnungensammlung endlich durch Hrn. Krüger eine sichere Textgrundlage erhalten. Noch erwähne ich eine ebenjetzt erscheinende akademische Publikation der Hrn. Bruns und Sachau, weil hier, wo ein lateinisches Rechtsbuch aus syrischen, arabischen, armenischen Übersetzungen wiederzugewinnen war, die Initiative und die Kooperation, wie sie unserem Institut eigen sind, ihren Nutzen in glänzender Weise bewährt hat. Vieles andere übergehe ich unsere Versuche die verunglückte Gesamtausgabe der byzantinischen Historiker wenigstens in ihren wichtigsten Teilen durch Besseres zu ersetzen; die zahlreichen Unterstützungen einzelner Ausgaben kritischer Schriftsteller; die von Hrn. Hübner vorbereitete Paläographie der lateinischen Quadratschrift; die Beteiligung an der Herausgabe der arabischen Annalen des Tabari, des armenischen Eusebius, des Mutanabbi, des Rigveda und einer Reihe anderer orientalischer Werke; die Vorbereitungen für die Publikation des ägyptischen Totenbuchs, der assyrischen Keiltexte, der karthagisch-phönikischen Inschriften. Ich übergehe nicht minder, was zu sagen wäre über die Unterstützung der mittelalterlichen Geschichtsforschung. Sie tritt in der unmittelbaren akademischen Tätigkeit insofern zurück, als durch unsere Filialanstalt der Monumenta Germaniae dafür in anderer und genügender Weise gesorgt ist; doch sind auch durch die Akademie selbst zum Beispiel Hübners Sammlungen der mittelalterlichen Inschriften von Spanien und England und die Fortsetzung der Jafféschen Papstregesten veranlaßt oder doch gefördert worden. Nur darauf soll schließlich hingewiesen werden, daß in dem letzten Decennium die neuere und insbesondere die preußische Geschichte in den Kreis der akademischen Unternehmungen hineingezogen worden ist. Von Holsts Untersuchungen über die Geschichte der Vereinigten Staaten würden ohne die von uns in ausgedehntem Maß gewährte Unterstützung nicht zum Abschluß gedeihen; und die Herausgabe der Staatsschriften Friedrichs des Großen und seiner politischen Korrespondenz wurde beschlossen, als die Erweiterung ihrer Mittel der Akademie die Möglichkeit gab auch den Kreis ihrer Bestrebungen weiter und freier zu gestalten.

Dieser unvollständige und unvollkommene Abriß dessen, was die Akademie unter der Regierung Seiner Majestät des Kaisers Wilhelm unternommen und großenteils ausgeführt hat, ist unser heutiger Festgruß. Wir vergleichen nicht, was in anderen Nationen auf dem gleichen Wege geschaffen worden ist und fragen nicht, wie der Unterschied der Civilisationsentwickelung und des nationalen Reichtums in diesem stolzen Wettkampf der Völker zum Ausdruck gelangt. Das aber dürfen wir sagen, daß wir gewissenhaft bemüht gewesen sind mit den uns anvertrauten reichen Mitteln alles wissenschaftliche Streben zu fördern, ohne Unterschied des Kreises und ohne Ansehn der Person. Gewiß verkennen und vergessen wir nicht, daß nicht alle jene Früchte gereift sind. Auch uns ist es nicht erspart geblieben bald unter Dornen zu säen, bald fröhlich keimende Saat durch Schicksalsschläge vernichtet zu sehen. Die Aufgabe der Akademie bringt es mit sich, daß sie oft gewagte Unternehmungen beginnen muß, und der Einsatz auch wohl verloren geht. Aber sie bringt auch mit sich, daß manches gesäete Korn hundertfältige Frucht trägt. Wir nehmen das eine mit dem andern hin und hoffen, daß unsere Wirksamkeit auch außerhalb der Akademie in dieser ausgleichenden Weise beurteilt werden wird. Wir brauchen Geduld, nicht bloß weil manches fehlschlägt, sondern mehr noch, weil unsere Früchte, wie es nun einmal bei diesen Verhältnissen und diesen Personen nicht anders sein kann, im besten Falle langsam reifen. Wir finden aber auch diese Billigkeit und diese Geduld; und wer immer mit der Leitung akademischer Arbeiten beauftragt worden ist, wird sich bekennen zu der tiefen und ernsten Empfindung des Dankes gegen den Staat, der uns die Pflege der Wissenschaft anvertraut, gegen den Kaiser, für den zu arbeiten wir stolz sind. Auch wir sind seine Beauftragten, und wir ehren ihn heute, indem wir zusammenfassend aussprechen, was in den zwanzig gesegneten Jahren seiner Regierung die Akademie der Wissenschaften getan oder veranlaßt hat.



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