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Rede zur Feier des Geburtstages des Kaisers

24. März 1881. Monatsberichte der K. P. Akademie d. Wissenschaften 1881 S. 301-311.

Feste feiern ist ein ernstes Geschäft. Welchen Grundes immer die Feier sein mag, sie schließt entweder die Abrechnung mit der Vergangenheit oder den Ausblick in die Zukunft, häufig beides zusammen ein; und mag die Bilanz für jene noch so befriedigend, mag der Voranschlag für diese noch so hoffnungsvoll sein, das Aneinanderhalten des Erstrebten und des Erreichten wirft seine Schatten zurück auch auf die glorreichste Vergangenheit, die vollste und sicherste Hoffnung ist dennoch untrennbar verknüpft mit dem Gefühl des Bangens vor den unberechenbaren Wechselfällen der Zukunft.

Diese ernste Grundstimmung gilt vor allem für diejenige Feier, die wir am heutigen Tage begehen, nun schon als altgewohntes und mit jedem neuen Jahr in dankbarer Innigkeit sich steigerndes Fest der Preußen und der Deutschen überhaupt. Wenn die Geschichte das Buch der Könige gewesen ist und bleiben wird; wenn die älteste Zeitrechnung, nach welcher sie zählt, die ist nach Jahren der Könige, so ist es wohl in der Ordnung, wenn ein Staat wie der unsere, dessen Eigenart von jeher in scharfer Ausprägung des monarchischen Grundgedankens bestanden hat, in dem Jahresabschluß des Herrschers sozusagen sein eigenes Gründungsfest begeht; wenn es an diesem Tage allen zum Bewußtsein kommt, daß an dem mächtigen Baum der Nation wiederum ein Jahrring sich geschlossen hat und wieder ein neuer Kreislauf beginnt; wenn an ihm ein jeder einzelne dankend und teilnehmend zurückblickt auf die Vorgänge, welche im abgelaufenen Jahr den Staat und das untrennbar mit dem Staat verknüpfte Königshaus in Freude und Leid bewegt haben, jeder einzelne hoffend und sorgend hinausschaut auf die Vorgänge, welche im beginnenden Jahr beide in gleicher Weise bewegen werden. Denn gleichgültige Jahre kann es nicht geben in unserm großen Gemeinwesen, das so wenig stillstehen kann wie die Sonne. Das ist der unveränderliche Gedanke dieses Festes, gebunden nicht an den im Lauf der Zeiten wechselnden Tag; er wird kein anderer sein, wenn dereinst am achtzehnten Oktober und weiterhin am siebenundzwanzigsten Januar in diesen Räumen andere Stimmen ihm Ausdruck geben und andere Ohren ihm lauschen werden.

Aber neben dem allgemeinen und unwandelbaren Stempel, welcher, entsprechend den Institutionen der Königlichen Akademie der Wissenschaften, diesem Fest ein für allemal aufgeprägt ist, wird es immer noch einen besonderen und persönlichen Charakter an sich tragen. Es hat wohl Staaten gegeben, in welchen der Monarch zunächst und vor allem der sichtbare Ausdruck, die populäre Verkörperung der Staatseinheit ist und seine persönliche Tätigkeit nicht in Rechnung gezogen, ja vielfach als unberechtigtes Eingreifen empfunden wird – Staaten, welche ebensowohl von Frauen regiert werden können wie von Männern. Dies gilt von dem unsrigen nicht; er würde, erstarkt wie er ist, vorübergehend einen solchen Zustand zu ertragen vermögen, aber geworden ist er durch das Gegenteil davon und immer würde derselbe als seiner Natur zuwider empfunden werden. Die Herrscher des Hauses Hohenzollern haben von jeher ein eigenes und persönliches Verhältnis zu ihren Untertanen gehabt; das Verhältnis, welches der Städter zu seinem Bürgermeister, der Kreisangehörige zu seinem Landrat hat, überträgt sich hier in weiterem Kreise, in höherer Steigerung auf den Landesherrn und verschmilzt in wohltätiger Einheitlichkeit mit dem sozusagen symbolischen Gedanken der Monarchie. Es gilt dies selbst für die Vergangenheit. Wenn wir absehen von den wenigen der Bildung gänzlich entbehrenden und von den durch die unblutigen, aber darum nicht minder schweren National- und Religionskriege unserer Zeit mit der Staatseinheit verfeindeten Kreisen, steht jeder Preuße zu den einzelnen Herrschern bis wenigstens zum Alten Fritz hinauf in einem sozusagen persönlichen Verhältnis; bei aller Ehrfurcht, die dem Monarchen als solchem gebührt, werden die Verschiedenheit ihrer Verdienste um den Staat und die Gegensätze ihrer Persönlichkeiten sehr lebhaft empfunden. Schwerlich gibt es einen anderen Staat, welcher eine auch nur annähernd ähnliche Erscheinung aufweist Aufs engste hängt sie zusammen mit der eigentümlichen Kriegsverfassung unserer Monarchie. Es ist darum auch diese ihre Besonderheit dadurch in keiner Weise aufgehoben oder auch nur gemindert worden, daß dieselbe bei unserem Denken von dem formalen Absolutismus, der längst seine Berechtigung verloren hatte und anfing schwer auf den Gemütern zu lasten, zu der für unseren Staat vor allem unentbehrlichen und wohltätigen konstitutionellen Ordnung übergegangen ist. Unser Herrschertum ist wohl auch der Punkt auf dem i, der den Staat als solchen repräsentiert, aber zugleich das höchste Amt, vor allem das höchste Kriegsamt, und wird es bleiben. Wie sehr wir die durch einen hoffentlich nicht ewig währenden Gegendruck von außen uns aufgezwungene übermäßige Anspannung unserer militärischen und der dadurch bedingten ökonomischen Leistungsfähigkeit bedauern mögen, wie richtig es sein mag, daß diese Zustände nicht von Geschlecht zu Geschlecht dauern können, sondern die Krise mit solcher Notwendigkeit in sich tragen wie der Mutterleib das empfangene Kind: der ewige Friede ist unter allen Umständen nicht bloß ein Traum, den heute auch Kant nicht träumen würde, sondern nicht einmal zu wünschen. Wir Preußen, jetzt darf man sagen wir Deutschen beklagen uns keineswegs, daß uns ein Platz auf dem Erdball angewiesen ist, wo wir stets in der Lage sein werden uns unserer Einheit und Selbständigkeit zu wehren und wo kein Wassergürtel, kein machtloser Nachbar uns das Geschäft erleichtert Haus und Hof und Weib und Kind zu beschützen. Wir brauchen nicht den Krieg, seit wir unsere Grenzen gewonnen haben, aber wir brauchen die Kriegsrüstung und den Kriegsherrn. Des Amtes haben die Könige Preußens gewartet, und wie der erste Deutsche Kaiser die Erbschaft übernommen hat, so werden die folgenden Geschlechter, diejenigen die wir sehen und die, welche dereinst nachkommen werden, desselben Amtes Wärter sein und ihr Thron auf diesem ruhen.

Ist es dem Forscher auf dem Gebiet der alten Geschichte erlaubt daraus Parallelen heranzuziehen, so möchte ich in diesem Zusammenhang an eine mehr gescholtene als verstandene Institution des römischen Gemeinwesens erinnern, welche bei all ihren tiefgreifenden Fehlern und Schäden doch im Wesen auf demselben Grundgedanken ruht und deren abgeschlossen vorliegende Geschichte den Zuständen der Gegenwart einigermaßen zum Spiegel dienen kann. Ich meine den römischen Prinzipat. Kaum ist je eine geschichtliche Institution unter gleich ungünstigen Verhältnissen ins Leben getreten wie die Monarchie des Augustus. Sie ruht auf dem politisch, militärisch, ökonomisch und sittlich vollständigen Bankerott der damaligen Civilisation. Die griechische Nation oder richtiger gesagt die von griechischer Kultur erfaßten Nationen Osteuropas und Westasiens, momentan zusammengeballt durch den großen Makedonier, dann auseinandergebrochen in so viel Trümmer, als er namhafte Feldmarschälle in seinem Heer gezählt hatte, hatten sich untereinander in Nebenbuhlerkämpfen und Successionskriegen so vollständig aufgerieben, daß mit Armeen von der Stärke etwa, wie sie späterhin Venedig gegen die Türken aufgestellt hat, durch Feldherren von mäßiger Begabung der Senat der Stadt Rom ihrer aller Erbschaft einziehen konnte. Italien selbst hatte in hundertjährigem Bürgerkrieg die Blüte seiner Bevölkerung, seine freiheitlichen Ideale, seinen inneren Frieden eingebüßt. Keine gemeinschaftliche Nationalität hielt die Menschenmassen zusammen, welche äußerlich den Behörden der Stadt Rom Untertan waren; neben dem noch nicht einmal vollständig latinisierten Italien stand der weite Osten mit seinen unzähligen Nationen, für welche die griechische Sprache ungefähr die Dienste tat wie jetzt die englische in Ostindien, standen im Westen die unterworfenen Landschaften Nordafrikas, Spaniens, Frankreichs, des Donaugebiets, der damals herrschenden Civilisation ungefähr so fremd gegenüber wie der unsrigen China und Japan. Alle politischen Institutionen hatten abgewirtschaftet, das Königtum nicht minder in den Sklavendiademen und Brüderkämpfen Kleinasiens wie der Bürgerfreistaat in dem oligarchischen Schandregiment und dem Frevelregiment der Demagogen. Die städtischen Gemeinwesen in Italien wie im Osten und, soweit es deren noch gab, auch im Westen waren im tiefsten Verfall, eine geschlossene Militärmacht nirgends vorhanden, der Krebsschaden der Sklavenwirtschaft in dem allgemeinen Ruin aufgeblüht zum Land- und Seeräuberflor. – Und dennoch vermochte es der Begründer des römischen Prinzipats aus diesen Trümmern einen Staat zu schaffen, der ein halbes Jahrtausend bestanden hat, in dem Wohlstand und Ordnung wenigstens wieder möglich wurden, welchem es gelungen ist die lateinische und griechische Civilisation in der Weise zu verschmelzen, wie sie noch heute gemeinschaftlich unsere Bildung beherrschen, und den barbarischen Westen dem lateinischen Kulturgebiet anzueignen. Und dies alles ist nicht das Werk eines jener außerordentlichen Männer, in welchen die Macht des einzelnen Menschengeistes der Macht des Weltgeschicks ebenbürtig gegenübertritt, am wenigsten das Werk Cäsars, an dessen vermutlich nach dem Muster Alexanders geplante Monarchie die fast zwanzig Jahre nach seinem Tode vollzogene politische Konstituierung des Reiches keineswegs angeknüpft hat. Augustus war kein Cäsar, keineswegs eine geniale Natur, vielmehr eine vorsichtige, wenig tatkräftige, ausgleichende Persönlichkeit, auch das Werk, welches er schuf, eben infolge seines den Verhältnissen des Augenblicks allzusehr Rechnung tragenden und allzu ängstlich bedächtigen Naturells, mit Mängeln behaftet, die wohl hätten vermieden werden können und die späterhin verhängnisvoll geworden sind – ich erwähne nur die weit unter den Bedürfnisstand des Staats herabgedrückte Stärke des stehenden Heeres und den Mangel einer festen Erbfolgeordnung. Auch späterhin hat über dem römischen Prinzipat, was die Persönlichkeiten anlangt, geradezu ein Unstern gewaltet. In der langen Reihe dieser Herrscher begegnet während der ersten drei Jahrhunderte unter der Menge geringer, nichtswürdiger, alberner Individuen nicht eine einzige staatsmännisch wahrhaft hervorragende Gestalt; der geistig bedeutendste unter allen, Tiberius hat in verbittertem Fürstenwahnsinn geendigt; die besten unter den übrigen sind tüchtige Verwaltungsbeamte, wie Vespasianus, oder kriegslustige Offiziere zweiten Ranges, wie Trajan. Erst dreihundert Jahre nach Augustus bestieg ein Mann den Thron, welcher dessen organisatorische Arbeit wiederaufnahm und, namentlich indem er ein den Verhältnissen entsprechendes Kriegsheer schuf, den Staat des Augustus noch einmal zugleich regenerierte und denaturierte.

Wie ist es nun gekommen, daß Aufgaben so ungeheurer Größe, so unermeßlicher Schwierigkeit ohne unmittelbares Eingreifen überwältigender persönlicher Schöpferkraft dennoch in solchem Umfang von dem Prinzipat gelöst werden konnten? Die Antwort ist einfach. Der Prinzipat, wie Augustus ihn konstituierte, ist weder die Monarchie, wie sie das Altertum bis dahin gekannt hatte, noch die bisherige Republik, sondern aus beiden in der Weise zusammengesetzt, daß er von jener die Lebenslänglichkeit und mit gewissen Einschränkungen die Machtfülle, vor allem die Kriegsherrnstellung übernahm, von dieser den Amtsbegriff mit all seinen Konsequenzen. Insofern darf man, was in etwas anderer Beziehung einzelnen der Kaiser nachgerühmt wird, daß sie Fürstentum und Freiheit zu paaren verstanden haben, in höherem Sinn für die Institution als solche in Anspruch nehmen; und dieser selbst in dem schwachen und niederen Träger sich nie ganz verleugnende Grundgedanke ist es gewesen, welcher dem römischen Prinzipat jene beispiellose Kraft des Organisierens verliehen und bewahrt hat.

Wir nehmen die gleiche hohe Ehre, den gleichen zukunftsvollen Beruf auch für unsere Herrscher in Anspruch. Auch sie sind nicht bloß Fürsten, sondern zugleich Beamte; auch für sie bestehen nicht bloß Rechte, sondern zugleich Pflichten; auch sie sind verantwortlich, nicht dem Gericht oder der Volksvertretung, aber ihrem eigenen oder dem öffentlichen Gewissen. Wir wissen, was Friedrich II. und Friedrich Wilhelm III. dem preußischen Staate gewesen sind; wir wissen auch, daß ein deutscher Staat nicht werden konnte ohne Kaiser Wilhelm. In diesem Sinne ist es gemeint, wenn wir der Festfeier des 22. März einen persönlichen Charakter beilegen, und wenn wir es aussprechen, daß unseren erhabenen Herrscher und seine Untertanen ein Band verknüpft, das mit jedem Jahre seines Regimentes sich fester schlingt und das sein eigen ist und bleibt.

Nicht alles, was an diesem Tage die Herzen der Untertanen des Kaisers Wilhelm bewegt, darf über ihre Lippen kommen, vielleicht das Tiefste und Innigste am wenigsten hervortreten. Es gehört zu dem schweren Lebensernst der Höchstgestellten, daß sie ihres Amtes waltend zwar Schmeichel- und Schmährede genug vernehmen, aber das unparteiische Urteil einer Zeit anheimstellen müssen, in welcher ihr Ohr es nicht mehr zu hören vermag. Für die besonderen Gründe, welche die Liebe und die Treue gegen den Herrscher des Landes in jedem einzelnen Fall eigentümlich färben und besonders bedingen, gibt es kein entsprechendes Organ. Es muß auch den geliebtesten und geehrtesten von ihnen genügen, dieser Liebe und dieser Treue in unmittelbarer Empfindung sich bewußt zu werden. Dies Bewußtsein hat Kaiser Wilhelm; nicht bloß wenn das Kaiserwetter leuchtet, sondern vielleicht noch mehr an den trüben und schweren Tagen hat er es empfunden, wie das Herz des Landes für ihn schlägt, und jeder Aberwitz, jede Tollheit, jedes Verbrechen, die gegen ihn sich richten und an ihm sich vergreifen, haben diese Empfindung in ihm nur bestätigt und gesteigert.

Das Lebensjahr, das er heute abschließt, dürfen wir im ganzen genommen segnen. Mühe und Arbeit genug hat es ihm gebracht; und eben darum ist es ihm köstlich gewesen, ihm, dem Mann der unverwüstlichen Tätigkeit; er hat es vermocht die Mühe auf sich zu nehmen und die Arbeit zu leisten. Wenn das Leben hoch kommt, heißt es, so währt es achtzig Jahre; zu ihm sehen bereits die Achtzigjährigen auch dem Alter nach hinauf und nach der Tatkraft unzählige an Jahren Jüngere. Es geziemt sich nicht für diese Stätte auf die Vorgänge einzugehen, welche im Laufe dieses Jahres Fürstenrat und Fürstentat erfordert haben; das aber darf auch hier ausgesprochen werden, daß wir Deutschen mit Stolz auf die Stelle blicken, welche bei solchen Verhandlungen unsere Nation jetzt einnimmt und zu der die ehrwürdige Persönlichkeit unseres Herrschers wesentlich mitbeiträgt,

Wie kein Jahr vergeht, ohne dem Staat und dem Herrscherhaus besondere Feste zu bringen, so haben wir in diesem eines begangen, das uns, die Vertreter der deutschen Wissenschaft, in besonderer Weise anging: ich meine die erste Jubelfeier unsrer Schwesteranstalt, des Königlichen Museums. Kunst und Wissenschaft sind nicht bloß durch Redensart verbunden, und nicht zufällig war es, daß der erlauchte Vater unseres Herrschers in jener Zeit der tiefsten äußeren Erniedrigung und der höchsten inneren Erhebung fast gleichzeitig der Wissenschaft in unserer Stadt einen festen Halt gab durch Schaffung der Universität und die ersten Grundlinien zu jener Institution des Museums zog, welche einzig in der Welt dasteht als hervorgegangen nicht aus fürstlichem Dilettantismus, sondern aus königlichem Pflichtgefühl. Die silberne Schale hat er geschaffen; seinem Sohn war es beschieden in neuester Zeit goldene Äpfel in dieselbe einzuführen, wie sie eben für diese Sammlung recht eigentlich gehören. Als der Minister v. Altenstein bei der Eröffnung des Museums seinen Schlußbericht erstattete, gab er dem Gedanken Ausdruck, daß unsere Sammlungen in Fülle und Herrlichkeit wohl zurückständen hinter anderen älterer Gründung und reicherer Mittel, aber durch das Zusammenfassen des Verschiedenartigsten zu einem ›großen und vollständigen Verein sämtlicher Kunstzweige und Kunstrichtungen‹ einen geschichtlichen Gesamtüberblick gewähren würden, wie dies damals, vor fünfzig Jahren, keine andere tat. Es ist gewissermaßen der Lohn für dies klar sich bescheidende und dennoch das Höchste verfolgende Streben, daß die Aufstellung der pergamenischen Skulpturen in unserem Museum für die Geschichte der hellenischen Kunst den fehlenden Schlußstein geliefert hat. Und mit der Freude an dem Gewonnenen hat auch die bisher verzagte Hoffnung auf weiteren Gewinn neues Leben empfangen. Warum soll der erste Schatz, den wir in der Heimstätte Homers gehoben haben, auch der letzte sein? Wir entwöhnen uns nur stückweise der Vorstellung unter den Staaten Europas das Aschenbrödel zu spielen. Es wird anders in jenen Sälen aussehen und andere Säle werden dazugesellt und gefüllt sein, wenn das Berliner Museum sein nächstes Jubelfest feiert.

Wir gedenken schließlich der Ereignisse, welche in dem verflossenen Jahre das Königliche Haus bewegt haben und mit dem Hause in Freude und Trauer das Land. Noch sehen wir die Fahnen flattern und die Guirlanden Haus und Haus verknüpfen, welche der Freude unserer Stadt den Ausdruck gaben bei der Vermählungsfeier des ältesten Enkels unseres hohen Herrn, des Trägers seines Namens und des dereinstigen seiner Krone. Das schöne Fest, das, indem es neue Bande schloß, zugleich schmerzliche Erinnerungen an alten Hader auf immer begrub, hat auch unserer Akademie die willkommene Gelegenheit gegeben, die alte Liebe und Treue gleichsam zu Händen der Zukunft zu bestätigen und das schon jetzt anzudeuten, was dereinst unseren Kindern und Enkeln zu erfüllen obliegen wird.

Aber wie könnte der Mund schweigen von dem Trauerfall, welcher wenige Tage vor diesem Fest eingetreten ist und seinen düstern Schatten auf den heutigen Tag wirft? An diesem hier reden zu dürfen ist immer eine Ehre; eine Freude ist es heute nicht. Ein Trauerklang geht durch alle heutigen Festgrüße, vom Kaiserschloß an bis hinab zu jeder Stadthalle, zu jedem Schulsaale, zu jedem Festkreis; geht er etwa nicht durch diesen Raum? fühlt nicht jeder von uns ihn heute in der eigenen Brust? wie kann, wer den Gefühlen des Tages Worte leiht, dieses Vorgangs nicht gedenken? Ist unser Vaterland nicht unmittelbar von ihm betroffen, so liegt er nächst und schwer auf unserm Herrscherhaus, und wir fühlen uns eins mit ihm in Freude und Leid.

Aber es ist nicht bloß eine erschütternde Trauerkunde; es ist ein Schandfleck auf dem Ehrenschild unserer Kultur, den wir leider jetzt nicht mehr ablehnen können mit dem Dank an den Herrgott dafür, daß es hüben nicht also ist wie drüben. Alte eigene Wunden brechen wieder auf, und es ruft diese Schreckensnachricht die Erinnerung hervor an nur zu ähnliche Vorgänge, die wir selbst haben erleben müssen und nie werden vergessen können.

Leider ist es nur zu wahr, daß diese Verbrechen nicht der Barbarei, sondern der Civilisation entstammen, und wir Männer der Wissenschaft, die wir vor anderen berufen sind diese Civilisation zu vertreten, wir fühlen uns sozusagen mitgetroffen von diesen ihren grauenvollen Auswüchsen, worin die aus der Gesittung hervorgehende Entsittlichung das Tun der Barbaren mit allem Kunstgeschick der Kultur vollzieht, worin die Gedankenlosigkeit der vorhumanen Epoche sich umhüllt mit der Phraseologie der herabgekommenen Kultur.

Aber wenn wir dem Gefühl des Schmerzes und der Scham über diese Vorgänge Ausdruck geben, wenn wir keineswegs versuchen über die nur zu deutlich darin sich anzeigenden Gefahren auch der eigenen Zukunft uns hinwegzutäuschen, so geziemt es uns auch darauf hinzuweisen, daß das Unheil, mit dem die Staaten der Gegenwart alle ringen, weder zufällig ist noch unüberwindlich. Wie der Mensch das Wachsen des Körpers empfindet und darunter leidet, so empfinden die Völker das Wachsen der Civilisation in all seiner Notwendigkeit, in all seiner Hoffnungsfülle, aber auch in allen seinen Schmerzen und seinen Gefahren. Nie hat unsere Nation größer sich entfaltet, höher sich geschwungen, als in der von den heute Erwachsenen mit Bewußtsein durchlebten Epoche. Aber nie auch hat sie so tief gelitten, wie dies heute der Fall ist. Die wüste Roheit des Pöbels, die grauenvolle Ansteckungskraft der Nichtswürdigkeit, die sinnverwirrende Macht der tönenden Phrase, die gewissenlose Ausnutzung und Steigerung der Volksleidenschaften, die staatsmännische Staatszerrüttung und das neue Evangelium der heilbringenden Staatszerstörung schwellen nach allen Seiten gewaltig empor. Aber nicht minder gewaltig, dessen dürfen wir uns getrösten, wachsen auch denen die Schwingen, die berufen und vermögend sind die Civilisation zu wahren, die Schwingen der Verachtung und die Schwingen der Tapferkeit. Wohl ist, je höher unser Gemeinwesen sich hebt, die Gefahr ihrer Stellung eben für die Höchststehenden in stetigem Steigen. Aber mit dem Steigen der Gefahr, mit dem Steigen der Verpflichtung steigt ihnen auch die Ehre, und, wir hoffen es, auch die Kraft. Wir wissen, daß zur Zeit Stürme wehen; aber wir wissen auch, wer uns führt. Wir sehen die Feinde und wir verachten sie nicht. Es gibt religiöse, sittliche, wirtschaftliche Bewegungen, welche in ihre Konsequenzen durchgeführt das gegenwärtige Gemeinwesen sicher zerstören und wahrscheinlich ein sehr viel niederes und schlechteres an dessen Stelle setzen würden; hier ringt Idee gegen Idee, und, falls der böse Engel den guten besiegt, erweitern sich die Provinzen der Hölle. Aber die größte Gefahr für die Civilisation liegt keineswegs da, wo die Schandtat am tiefsten empört. Das gedankenlose Verbrechen vermag wohl des mächtigen Baumes Wipfel zu versehren, an der Wurzel zehrt es nicht. Die Signatur jener Missetaten heißt mit Recht das Nichts; große politische Folgen würden sie erst dann haben, wenn die, die es angeht, den Kopf verlieren. Weder bei den Hohenzollern im besondern noch bei den Deutschen überhaupt hat es damit Gefahr. Diese Feinde sind besiegt, wenn dieselbe Kaltblütigkeit, mit der der rechte Soldat der feindlichen Kugel gegenübertritt, auch der Mordwaffe entgegengesetzt wird; staatszerrüttend wirken diese Verbrechen erst dann, wenn ihnen eine andere Bedeutung beigelegt und eine andere Behandlung zu teil wird wie allen anderen; wenn der Frevel und die Furcht für das große staatsmännische Schaffen bestimmend werden, sei es im Tun, sei es im Unterlassen. Wohl wird damit viel verlangt von den Fürsten wie von den Bürgern. Es ist ein schwer zu ertragender Gedanke, daß dasjenige Leben, auf dessen Dauer der Staat vor allem angewiesen ist, ebendarum den Angriffen der politischen Herostrate vor andern ausgesetzt und im ganzen genommen nicht viel besser gesichert ist, als das jedes gewöhnlichen Bürgers. Aber auch die Verlustlisten unserer Armee zeigen, daß der Offizier mehr als der Gemeine den feindlichen Geschossen ausgesetzt ist; und dennoch oder vielmehr darum heftet der Sieg sich an unsere Fahnen. Auch diese Frevel werden brechen an der kühlen Entschlossenheit, mit der die staatliche Ordnung in ihrer unerschütterlichen Sicherheit der nichtswürdigsten Einzeltat entgegentritt.

Wir feiern den Geburtstag des Herrschers immer als ein ernstes Fest. An dem heutigen Tage ist es ernster noch als sonst, gemischt mit schwerer Trauer; in unser Freudenfest hinein läuten die Glocken der Totenfeier, welche in der fernen Hauptstadt des Ostens in ebendiesen Tagen sich vollzieht. Aber wir gedenken des tiefen Wortes unseres Dichters:

Alles geben die Götter, die unendlichen,
ihren Lieblingen ganz,
alle Freuden, die unendlichen,
alle Leiden ganz

und wie in jedem Jahre, so sprechen wir auch in diesem, und in diesem noch bewegter, noch inniger, noch herzlicher, das Wort aus, welches diesem Tage vor allem gehört: »Gott schütze den Kaiser!«



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