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Otto Jahn.

Archäologische Zeitung 27. Jahrg. (N. F. II. Bd.) 1869 S. 95-96.

Am 9. September dieses Jahres ist Otto Jahn in Göttingen in befreundetem Hause gestorben. Als vor zwei Jahren an Eduard Gerhard diese Zeitschrift ihren Begründer und Leiter verlor, war es der jüngere Freund, der in treuer Pietät für das Andenken des Dahingeschiedenen und in bereitwilliger Hingabe an das gemeinschaftliche Streben und Wirken für ihn eintrat und an seiner Stelle die Leitung dieser Zeitschrift übernahm; nun ist auch er geschieden, im sechsundfünfzigsten Lebensjahr, bis zum Ende, selbst noch unter schweren körperlichen Leiden, als Lehrer und Gelehrter ununterbrochen tätig.

Es kann nicht der Zweck dieser Zeilen sein das Wesen und Wirken eines Mannes zu würdigen, wie Otto Jahn war; und es bedarf dessen auch nicht. Wir alle, die wir diesem Forschungskreis angehören, und gar viele über diesen Kreis hinaus, haben von ihm empfangen und genossen und wissen, was wir ihm verdanken. Wahrhaftigkeit war der Kern und Grund seines Wesens. Auf die Forschung bezogen entsprang daraus jener besondere Sinn für das Sicherstellen des Positiven und Faktischen, jenes Bestreben zuerst und vor allem die Überlieferung rein und klar und vollständig zu ermitteln und darzulegen, das die eigentliche Grundlage und der innerliche Verbindungspunkt aller seiner auf den verschiedenartigsten Gebieten durchgeführten Arbeiten ist. Darauf beruht das Gleichgewicht in der Beherrschung der sämtlichen Zweige seiner Fachwissenschaft, worin vielleicht keiner der mit ihm Lebenden mit ihm Schritt gehalten hat. Er war nicht genötigt, wo er als Philolog archäologische Dinge brauchte oder als Archäolog philologische, von dem Nachbar zu borgen; es machte keinen Unterschied für ihn, ob die Überlieferung durch Erz und Marmor vermittelt war, oder durch Pergament und Papier. Gerade seine vorzüglichsten archäologischen Arbeiten, wie die schönen Abhandlungen über die Ficoronische Cista und die Lauersforter Phaleren und noch kürzlich die meisterhafte Auseinandersetzung über Darstellungen des Handwerks und Handelsverkehrs auf antiken Wandgemälden, sind aus dieser Harmonie der positiven Forschung hervorgegangen, die nicht so bald wieder erreicht werden wird. Darauf aber beruht ferner, daß Jahn sein Forschen und Schaffen noch über die weiten Grenzen seiner Fachwissenschaft weit hinaus erstreckte und auch außerhalb derselben in wahrhaft reformierender und epochemachender Weise eingriff, indem er die sogenannte streng philologische Methode, das heißt einfach die rücksichtslos ehrliche, im großen wie im kleinen vor keiner Mühe scheuende, keinem Zweifel ausbiegende, keine Lücke der Überlieferung oder des eigenen Wissens übertünchende, immer sich selbst und andern Rechenschaft legende Wahrheitsforschung, auf Gebiete übertrug, die von dem liederlichen und verlogenen Dilettantismus bis dahin als ihre eigene Domäne betrachtet wurden und von Phrase und Schwindel überwuchert dalagen. So hat er gearbeitet im Gebiet der neueren deutschen Literatur- und Kunstgeschichte; und wenn seinen literarisch-biographischen Arbeiten über Goethe, Uhland, E. Gerhard, Mozart, vor allem dem liebenswürdigen Buch über Goethes Leipziger Kreis und der großartigen Arbeit über Deutschlands größten Komponisten, der feine Kunstsinn Jahns und die zarte Empfindung für alles Edelste und Beste im Leben und in der Menschennatur den eigentlichen Lebenshauch geben, so ist es doch überall die vollendete Kraft der strengen und sicheren Forschung, aus der die Anmut hervorspringt. Eine nicht viel geringere methodische Wirkung haben Jahns Arbeiten auch ausgeübt auf dem Gebiet der Archäologie, auf dem der Dilettantismus und jene leidige Halbwisserei, mit der verglichen die einfache Ignoranz achtungswert erscheint, ihr Wesen ärger und anhaltender treiben als auf dem der Philologie. Was er vor allem in dieser Hinsicht der jüngeren, größtenteils aus seiner Schule hervorgegangenen Generation gewesen ist, werden berufenere Federn darzulegen nicht versäumen, hoffentlich auch nicht säumen.

Es ist Jahn nicht beschieden gewesen seine archäologischen Arbeiten zu dem Abschluß zu bringen, den er ihnen bestimmt hatte, und seinen näheren Freunden bleibt zu so vielen anderen schmerzlichen Erinnerungen auch die bittere Empfindung, daß sein Wirken auf diesem Gebiet noch in weit höherem Grade, als dies von jedem individuellen Schaffen gilt, ein geringes Bruchstück seines Wollens und Könnens ist. Sein großes Werk über die römischen Sarkophage, dessen Ausführung noch in dem letzten Sommer seines Lebens ihn aufs ernstlichste beschäftigt hat, ist ohne Zweifel unvollendet; die von ihm in der frischen Leipziger Zeit entworfene Archäologie gab er unter dem Druck seiner letzten leidenvollen Jahre in Bonn zu schreiben auf. Es ist ihm nicht bestimmt gewesen den vollen Beweis zu führen, daß er sich zwar viel mit Kleinigkeiten beschäftigt und viel, vielleicht zu viel an Notizen und Miszellen geschrieben hat, daß aber sein Sinn und Geist allerdings das Gebiet der alten Kunst im großen und im ganzen umspannte und er nicht, wie es wohl scheinen konnte, über die Mittel den Zweck vergaß. Was er in einem solchen Werk hätte leisten können, das wissen die, welche den besten seiner Vorträge darüber auf dem Katheder oder vor dem größeren Publikum beizuwohnen das Glück gehabt haben, und einzelne seiner populären Darstellungen aus diesem Gebiet können auch ferner stehenden Einsichtigen davon wenigstens eine Ahnung geben. Daß die vollen Früchte nicht gereift sind, daran trägt nicht Mangel an Arbeits- und Willenskraft die Schuld. Wer irgend ihm nahe gestanden hat und sein Leben kennt, der kennt auch die schweren Schläge, die in langer Reihe ihn trafen und die bei aller Regenerationskraft seiner starken Natur ihn dennoch zuletzt zerbrachen. Mit Ausnahme seiner früheren Leipziger Zeit hat er wohl niemals jene Freude am Leben empfunden, ohne die keine Arbeit gelingt, die die Summe des Lebens zieht. Wer ihm nahe gestanden hat, weiß allerdings auch, daß er manchem hätte ausweichen, daß manches hätte anders sein und werden können. Aber was auch zu beklagen und zu tadeln sein mochte, irre geworden ist niemand an ihm, den er einmal seinen Freund genannt hatte, und unter dem reichen Kreise, den er sein nannte, ist keiner gewesen, der nicht dem Lebenden unter allen Verhältnissen dieselbe echte Treue und dieselbe volle Liebe bewahrt hätte, die er seinen Freunden bewahrte, und die ihm jetzt auch über das Grab hinaus folgt

September 1869.



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