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Akademische Reden.


Antrittsrede

8. Juli 1858. Monatsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1858 S. 393-395.

Wem es unter Umständen, wie sie bei mir obwalten, in Ihren Kreis zu treten gestattet wird, dem kann es nicht schwer fallen für seinen Dank die richtige Beziehung zu finden. Den Platz in Ihrer Mitte, meine Herren, verdanke ich zunächst dem großen wissenschaftlichen Unternehmen, wovon Sie einen wichtigen Teil in meine Hand zu legen für gut gefunden haben; und wenn ich in Ihrem Beschlusse mich den Ihrigen zu nennen eine ernste Aufforderung finde dieser Ehre auch wert zu sein, so ist mir zugleich durch Sie eine bestimmte Aufgabe gestellt worden, auf deren wissenschaftliche Stellung und Bedeutung Sie mir verstatten wollen, gerade heute und an diesem Platz einen Blick zu werfen. Man hat es der philologisch-historischen Wissenschaft oft vorgeworfen, daß sie es nicht versteht sich zu organisieren; daß das Abschreiben, Vergleichen, Untersuchen ohne einen Gesamtplan geschieht und darum vielfach sich verzettelt; daß man nicht gehörig erwägt wieviel Zeit und Kraft durch eine methodisch unternommene Gesamtarbeit erspart wird und darum nicht bloß die Mittel vergeudet, sondern auch selbst mit den des Abschlusses fähigen Arbeiten nicht zum Abschließen gelangt. Es kann auch nicht geleugnet werden, daß namentlich in der klassischen Altertumsforschung, die vor den jüngeren und an ihr emporgebildeten Wissenschaftszweigen Vorteile und Nachteile einer vielhundertjährigen Tradition voraushat, eine gewisse Arbeitszersplitterung vorgeherrscht hat und zum Teil noch herrscht, deren hohen mit der auf diesem Gebiet allmächtigen geistigen Freiheit eng zusammenhängenden Wert ebensowenig sich ziemt zu verkennen als die mannigfachen daraus entspringenden nicht bloß materiellen Nachteile. Aber daß ein Zug zur Organisation auch in diesem Kreise sich mit steigender Kraft geltend macht, davon zeugt wohl nichts so bestimmt wie die Geschichte der römischen Epigraphik. Die wissenschaftliche Entwicklung hat unter keinen Fesseln mehr gelitten als unter denen, in die sie sich selber geschlagen hat durch die großenteils in den äußerlichen Verhältnissen des akademischen Unterrichts begründete Scheidung natürlich zusammengehörender Disziplinen. Solange die römische Jurisprudenz Staat und Volk der Römer ignorierte und die römische Geschichte und Philologie das römische Recht, pochten beide vergebens an die Pforten der römischen Welt; es gab keine lateinische Epigraphik, solange man mit den Inschriften nichts anfing als daß der Jurist daraus die Formeln, der Philolog die Verse sich auslas. Die erste Bedingung organischer Behandlung der römischen Dinge war die Verschmelzung von Geschichte und Jurisprudenz, welche sich knüpft an die beiden Namen Niebuhr und Savigny. Diese neue römische Wissenschaft war nun wohl fähig dem römischen Inschriftenstoff gerecht zu werden und gern erinnere ich heute daran, wie ganz anders in den von oder nach jenen Männern verfaßten Schriften die Inschriften behandelt werden als in der älteren Literatur; und ebenso daran, daß, wie Niebuhr unter den ersten und energischsten Förderern der griechischen Inschriftensammlung genannt wird, so Savigny es gewesen ist, dem wir die Grundlegung zu der lateinischen wesentlich verdanken. Aber um das durch den Wust zahlloser Fälschungen und vierhundertjähriger Dilettantenarbeit gleichsam verschüttete Gebiet der lateinischen Epigraphik aufzuräumen, dazu bedurfte es ausgedehnter die Kraft und den Einfluß eines einzelnen bei weitem übersteigender materieller Organisationen. Eine Arbeit dieser Art hat, wie die Verhältnisse einmal sind, ein doppeltes natürliches Domizil, in Rom und in Deutschland. Von Berlin aus und von Anfang an mit dem ausgesprochenen Zweck für lateinische Epigraphik vorzuarbeiten wurde bereits vor dreißig Jahren die römische Anstalt begründet, ohne welche die lateinische Inschriftensammlung nie wäre begonnen worden und die ein Angelpunkt unserer Tätigkeit von Haus aus gewesen und noch jetzt ist: ich meine das Archäologische Institut. Sie, meine Herren, entschlossen sich darauf, es sind nun auch schon zehn Jahre oder mehr, das Corpus inscriptionum latinarum für ein akademisches Unternehmen zu erklären. Zahllose Schwierigkeiten hatten Sie zu überwinden; nur dadurch konnten sie überwunden werden und wurden sie überwunden, daß es eben kein Privat-, sondern ein akademisches Unternehmen war; vielleicht auch dadurch, daß diese lateinische Sammlung nur die Fortsetzung und die Ergänzung der griechischen ist, welche gleichfalls Ihr Werk ist und die auf diesem Gebiet für alle Zeiten die Wege gezeigt und die Bahnen gebrochen hat. Wenn Sie jetzt in Deutschland und Italien die Männer gefunden haben, die nach Ihrem Urteil geeignet sind die Arbeit zu übernehmen, und wenn sie die für dieselbe erforderlichen bedeutenden Geldmittel von der wohlberatenen Königlichen Munificenz teils bereits erhalten haben, teils deren Bewilligung mit Zuversicht erwarten dürfen, so ist damit doch wohl ein Beweis mehr geliefert, daß, wie auf dem Felde der Naturwissenschaften und der neueren Geschichte, so auch auf dem der klassischen Philologie die wissenschaftliche Organisation ihre Resultate liefert. Freilich große Erfolge werden in jeder Wissenschaft nur dem Ernst und dem Geist des einzelnen Arbeiters gelingen und lassen sich nicht durch Akademiebeschlüsse erzielen; wohl aber vermögen Sie es dem Talent und selbst dem Genie die Stätte zu bereiten, ihnen die Materialien zurechtzulegen, deren sie bedürftig sind. In diesem Sinne fasse ich meine Aufgabe und hoffe ich sie von Ihnen aufgefaßt zu sehen. Es ist die Grundlegung der historischen Wissenschaft, daß die Archive der Vergangenheit geordnet werden. In der Abteilung, die Sie mir und meinen Mitarbeitern übertragen haben, hoffen wir Ordnung zu stiften und einen guten Katalog herzustellen. Ob jedes Stück, das er aufhebt und aufheben muß, auch wirklich des Aufhebens wert sei, danach fragt der Archivar zunächst nicht. Wenn das weite Feld der lateinischen Inschriften einmal zu übersehen sein wird, so wird das taube Gestein unschädlich liegen bleiben, der wirklich fruchtbare Boden aber schon von denen, die es angeht, zu Acker- und Saatland umgebrochen werden.



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