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Die einheitliche Limesforschung.

Vortrag, gehalten am 50 jährigen Stiftungsfest der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin

9. December 1890. Die Nation 8. Jahrg. 1890 S. 168-170; daraus abgedruckt im Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift IX, 1890 Sp. 287-294.

Wenn ich heute, meine Herren, an diesem Festtage unserer Gesellschaft, dessengleichen von uns keiner sehen wird, Sie daran erinnere, daß ich an einem früheren Winckelmannstag die Ehre gehabt habe, Ihnen von dem römisch-germanischen Limes zu sprechen Abgedruckt Westd. Ztschr. IV, 1885 S. 43-51., so geschieht das nicht eigentlich, um die heutige Festfreude durch Auseinandersetzungen über Gräben und Wälle, über Wachthäuser und Kastelle zu trüben. Wenn es zutrifft, daß das Lebendige interessant ist, wo man es packt, so läßt sich dieses Dichterwort auf das gewesene Lebendige, auf die Reste verschollener Zeiten leider nicht übertragen. Gewiß, wer jemals auf die Saalburg hinaufgestiegen oder im schönen Odenwald den Römertrümmern nachgegangen ist, der wird diese Stunden, insbesondere wenn der Regengott nicht allzu übler Laune war, zu denen des Lebenssonnenscheins zählen. Aber die wissenschaftliche Arbeit, die hier notwendig gemacht werden muß, ist mühsam und im einzelnen größtenteils unergiebig, so wichtig und weittragend auch die Gesamtergebnisse sind, die der Historiker daraus in knapper Form in die nur zu leeren Blätter der römisch-germanischen Vorgeschichte einzuzeichnen hat. Heute, wie gesagt, beabsichtige ich nicht auf die Einzelheiten dieser Untersuchungen einzugehen.

Aber ich würde es nicht verantworten können, wenn ich nicht wenigstens hier und heute erwähnte, wieviel weiter wir in den letzten Jahren in der Erforschung des Limes gekommen sind und wie auf jedem der verschiedenen Gebiete die weitschichtige Arbeit tätig und umsichtig gefördert worden ist. Es ist mir Bedürfnis, wenigstens die Namen der Herren Ohlenschlager, Popp und Conrady in Bayern, Herzog und v. Kallee in Württemberg, Wagner und Zangemeister in Baden, Kofler in Hessen hier und heute zu nennen; sie alle und in geringerem Maße nicht wenige andere haben, nicht kompilierend vor dem Tintenfaß, sondern dem alten Bauwerk nachgehend, durch Felder und Wälder und Berge, gegenüber dem stetig fortschreitenden Zerstörungswerke, das die neue Kultur gegen ihre Mutter führt und führen muß, wichtige Tatsachen als sichere Anhaltspunkte für alle Zeiten festgestellt.

Aber ebendiese Einzelarbeiten haben erwiesen und jeder dieser Arbeiter hat für sich es erfahren und ausgesprochen, daß sie zu rechtem Ziel nur geführt werden können durch die Zusammenfassung. Allerdings ist der Grenzwall selbst kein einheitliches Werk. Im Gegenteil, es gehört zu den merkwürdigsten Gesamtergebnissen dieser Untersuchungen, daß der Grenzschutz des Römischen Reiches genau genommen provinzial geordnet gewesen ist und die einzelnen Reichsprovinzen militärisch nicht als Abschnitte eines einheitlichen Territoriums behandelt worden sind, sondern sozusagen als verbündete Staaten. Von den drei in Frage kommenden römischen Statthalterschaften Nieder- und Obergermanien und Rätien fehlt in der ersten der Limes völlig; auf der ganzen Linie von oberhalb Bonn bis zum Meer bildet die Grenzwehr allein der Rhein. Die obergermanische Wallanlage beginnt, allem Anschein nach bedingt nicht durch die Beschaffenheit des Terrains, sondern lediglich durch die dort gezogene Verwaltungsgrenze, bei Rheinbrohl unterhalb Andernach und endigt in gleicher Weise an der Grenze der Provinz Rätien wenig östlich von Stuttgart. Hier schließt allerdings der Grenzschutz der einen Provinz an den der anderen an, und es ist eines der wichtigsten Ergebnisse der neuesten württemberger Arbeiten, daß der Anschlußpunkt in der Nähe von Lorch jetzt mit Sicherheit ermittelt ist. Aber auf den ersten Blick zeigt sich dieser Anschluß als der ursprünglichen Anlage fremd; fast im spitzen Winkel stoßen die Linie vom Main und die von der Donau hier aufeinander, während bei einheitlicher Anlage die Verbindung notwendig über Würzburg und Ansbach kürzer und zweckmäßiger geleitet worden wäre. Auch in der Anlage selbst sind beide Wehren verschieden; wenn auch die neuesten Forschungen erwiesen haben, daß die in ungefähr gleichen Distanzen angelegten Kastelle, welche wesentlich den obergermanischen Limes bilden, auch bei dem rätischen vorkommen, so ist doch allem Anschein nach dies System hier keineswegs so wie bei jenem allgemein durchgeführt worden, vielleicht auf den westlichen Endteil beschränkt geblieben, wogegen wenige größere von dem Limes selbst weiter abliegende Kastelle hier die militärischen Stützpunkte bilden. Man wird immer wieder darauf zurückgeführt, daß der römische Großstaat auch in diesen späten Jahrhunderten wesentlich eine städtische Konföderation geblieben ist und die sogenannte Provinz diese in der Hauptsache nur in Gruppen zusammenfaßt, so daß alle Despotie und alle Bureaukratie den Kern der Organisation nicht unmittelbar trifft und die Einheitlichkeit des Regiments, mit allem Guten und Schlimmen im Gefolge, hier bei weitem weniger durchgeführt worden ist als in den modernen Staatenbildungen, wie denn auch die Erscheinungen, die bei dem Auseinanderfallen des Reiches und den daraus hervorgehenden Organisationen uns entgegentreten, nur unter dieser Voraussetzung verständlich werden.

Wie örtlich, so ist auch zeitlich der Grenzwall nichts weniger als eine einheitliche Anlage. Wenigstens bei dem obergermanischen erkennt man deutlich sogar eine doppelte Linie, eine ältere, die in der Hauptsache sich darauf beschränkte den Neckar mit dem Main durch eine Kastellkette zu verbinden, und eine spätere weiter östlich über Öhringen gezogen, welche das ganze Neckartal zum Hinterland des Limes macht. Ob diese beiden Linien sich einander ablösten oder sich einander stützten oder beide Auffassungen nebeneinander gelten, wird die weitere Forschung festzustellen haben; sicher aber haben wir es hier nicht mit einer einmaligen Anlage zu tun, sondern mit einem durch Jahrhunderte gestalteten und umgestalteten Grenzbollwerk.

Aber alle diese Verschiedenheiten nach Zeit und Ort machen die einheitliche Durchforschung dieser Anlagen erst recht zum Bedürfnis; sie können nur von dem erkannt und gewürdigt werden, der nicht bloß diesen oder jenen Abschnitt, sondern der die Probleme möglichst alle mit eigenen Augen angeschaut hat. Und dies steht noch aus. Die verschiedenen Vaterländer, deren sich der Deutsche nur zu lange ausschließlich erfreuen durfte, stellten dem sich in den Weg; wir hatten so viele Limesliteraturen, als es im Limesbereich Staaten gab und notwendigerweise war jede derselben einseitig und unvollkommen.

Als ich zuletzt an diesem Platz Ihnen von dem Limes sprach, hatte ich mit kurzen Worten der Hoffnung zu gedenken, daß der Umschwung der Dinge, die Umwandlung der Vaterländer in ein doch nicht bloß geographisches Vaterland auch für diese Forschung die Einheitlichkeit bringen werde, deren sie so dringend bedurfte und die, man darf wohl sagen, in der folgerichtigen Entwicklung lag. Wir haben uns auch in jenen Jahren redlich bemüht, diese Hoffnung zu verwirklichen, und als eine ministerielle Kommission dafür gebildet worden war und unser Feldmarschall v. Moltke mit lebhaftem Interesse die Sache vertrat, glaubten wir am Ziel zu sein. Aber es kam anders. Zu den Konsequenzen der Umwandlung Deutschlands, welche hätten gezogen werden sollen, aber nicht gezogen worden sind, gehört auch die einheitliche Erforschung des römisch-germanischen Limes; ich mußte an jenem Tage es aussprechen, daß diese Hoffnungen sich nicht erfüllt hätten. Ein tüchtiger Franzose, der den Limes in den letzten Jahren begangen hat, spricht seine Verwunderung darüber aus, daß wir Deutschen denselben nicht für ein Nationaldenkmal erklären und die Reste von Reichs wegen erhalten. Diese Verwunderung des Ausländers liegt dem Deutschen allerdings fern. Aber daß für den Limes nicht wenigstens dasselbe geschieht, was in England die Patrone des Bruceschen Werkes, insbesondere Mr. Henry Clayton und der Herzog von Northumberland durchgeführt haben, eine umfassende Gesamtaufnahme desselben, darüber dürfte selbst der Deutsche vielleicht auf die Länge sich erstaunen.

Aber deutsche Hoffnungen sind zäh. Jetzt, und darum habe ich heut mir vor Ihnen das Wort erbeten, jetzt haben wir nach dem ersten verlorenen Treffen das Andringen erneuert und wir haben diesmal sichrere Hoffnung zum Ziel zu kommen. Das energische Wohlwollen unseres gegenwärtigen Kultusministers und das Entgegenkommen der Regierungen sowohl des Reiches wie der süddeutschen Staaten haben dahin geführt, daß in nächster Zeit Vertreter der fünf beteiligten deutschen Staaten sowie der Akademien von Berlin und München zusammentreten werden, um einen Gesamtplan für die Limesarbeiten aufzustellen und die ungefähren Kosten zu veranschlagen. Gewiß sind wir damit noch nicht am Ziel. Daß die dort zusammentretenden Männer zu gemeinsamen Vorschlägen sich einigen, darf wohl erwartet werden. Guter Wille ist überall vorhanden, in Berlin wie in Stuttgart und München, und die Sache spricht so sehr für sich selbst, daß, wenn die Regierungen in billige Erwägung ziehen, daß bei Unternehmungen dieser Art der Arbeitsplan und die Kosten der Arbeit sich überall nur im allgemeinen Umrisse vorzeichnen lassen, praktisch ausführbare Vorschläge wohl aufgestellt werden können. Allerdings wird das gute Beste immer durch die Leiter des Unternehmens geschehen müssen und an die richtige Auswahl derselben der Erfolg des Unternehmens geknüpft sein. Weder der Archäolog allein noch der Militär allein ist im stande das ganze weitschichtige Werk genügend zu beaufsichtigen und die Ergebnisse desselben im einzelnen wie im ganzen in die Öffentlichkeit zu bringen; aber es wird wohl zu erreichen sein, daß vom Civil und vom Militär zwei Direktoren in dauernder Vereinigung sich für diese Arbeit zusammenfinden, und die rechten Männer werden auch nicht fehlen, wenn das Deutsche Reich oder die vereinigten deutschen Staaten sie rufen. Nein, wir sind nicht am Ziel, aber wir haben begründete Hoffnung, dahin zu gelangen.

Lassen Sie mich noch ein Wort hinzusetzen. Des Menschen Herz ist ein trotziges und verzagtes Ding, wenn Hoffnungen sich nicht erfüllen, und wenn sie sich erfüllen, wird es leicht übersicher und übermütig. Es ist auch vielleicht Übermut, wenn ich an jenen Anfang einheitlicher deutscher Altertumsforschung einen gesteigerten Wunsch, einen Ausblick in weitere Ferne anknüpfe; aber dennoch unterdrücke ich den Wunsch und den Ausblick nicht – wer weiß, wo der flüchtige Samen des gesprochenen Wortes haftet und späterhin aufgeht.

Es geschieht in Deutschland recht viel für die römisch-germanische Altertumsforschung; und es ist dies ein Glück. Denn die Gebiete des Römerstaates, welche in unsere Grenzen fallen, sind für die geschichtliche Forschung von sehr viel höherer Bedeutung als im Bereich der Provinzen die meisten übrigen, wenn auch ausgedehnteren; die großen Probleme des Grenzschutzes, der Militärorganisation, der Völkerwanderung finden hier ihre wichtigsten Brennpunkte. Aber geeinigt sind diese Lokalforschungen hier weniger als in jedem anderen Lande. Die französischen finden ihren natürlichen Mittelpunkt in Paris, die italienischen in Rom; Berlin ist auf unklassischem Boden gebaut und die großen Werkzeuge der Lokalforschung, der Spaten und die Hacke lassen sich von Berlin aus nicht ins Gefecht bringen. Die Berliner Akademie kann und wird eine Gesamtausgabe der germanischen Inschriften herstellen, wie sie dies für Spanien, Frankreich, Italien getan hat; aber stetig das Werk für unser Vaterland fortführen, wie das durch die Wiener Archäologisch-epigraphischen Mitteilungen für Österreich, durch die Notizie degli scavi der Römischen Akademie für Italien geschieht, das wird von Berlin aus nicht füglich geschehen können. Die Lokalforschung ist wohl überall auf dem Fleck, tätiger und geschickter vielleicht als irgendwo sonst; auch die Vereine und die Regierungen tun, wenn nicht überall genug, doch so viel, daß man mehr Ursache hat zu loben als zu tadeln. Darin darf auch kein Wandel eintreten; ganz abgesehen davon, daß keine größere Stadt und keine deutsche Regierung sich eine solche Depossedierung gefallen lassen würde, wir, die sogenannten Antiquare, wir wissen am besten, wie durchaus unsere Arbeiten auf die mannigfaltige und stetige Lokalforschung angewiesen sind und wie wir diese noch viel weniger entbehren können als ihre Centralisation.

Aber eines schließt das andere nicht aus. Sollte es nicht möglich sein, so gut wie wir ein archäologisches Reichsinstitut für Rom und für Athen haben, etwas Ähnliches auch in Deutschland für die römisch-germanischen Altertümer ins Leben zu rufen? Wenn Eduard Gerhard, der vor fünfzig Jahren zu jener Anstalt das Fundament legte, heute gefragt werden könnte, ob ein vaterländisches archäologisches Institut eingerichtet werden solle, ich weiß es, er würde freudig einstimmen; denn ich habe ihn wohl gekannt. Die nächste und die hauptsächlichste Aufgabe würde sein, eine periodische Publikation nach dem Muster der oben erwähnten Wiener ins Leben zu rufen, welche die Novantiqua in stetiger Folge verzeichnet und die unabweislich ins Breite laufende Lokalforschung für die allgemeine Wissenschaft revidierend kondensierte. Etwas Ähnliches besitzen wir ja schon in dem Mainzer Centralmuseum, das finanziell wesentlich auf der Reichsunterstützung beruht und dessen allerdings an die Persönlichkeit seines Leiters geknüpfte Wirksamkeit weit über die Mainzer Lokalforschung hinausgreift. Mainz freilich könnte der Sitz einer solchen Centralstelle nicht sein; sie würde vor allem reiche literarische Hülfsmittel fordern, wie sie zum Beispiel Bonn und Heidelberg bieten. Freilich sind zur Zeit dies Wünsche und Träume. Aber die einheitliche Limesforschung ist dies auch gewesen, und wenn nicht alle, einige Träume haben sich erfüllt.



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