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Rede zum achtzigsten Geburtstag Kaiser Wilhelms des Ersten

23. März 1876. Preußische Jahrbücher XXXVII. Bd. S. 430-437.

Wenige Tage sind verflossen, daß unsere Stadt im Festschmuck den hundertjährigen Geburtstag der schönen Mutter beging; und wieder führt der heutige Tag uns in diesen Räumen zusammen zur Feier des achtzigsten Geburtstages ihres Prinzen Wilhelm, heute des preußischen Königs, des Deutschen Kaisers. Es ist unmöglich bei dieser Feier nicht auch jener sich wieder zu erinnern, die in so eigenartiger Weise ganz Preußen und vor allem ganz Berlin bewegt hat. Wenige vereinzelt übrig gebliebene Greise teilen mit unserem hohen Herrn die persönliche Erinnerung an die einzige Frau, welche vor sechsundsechzig Jahren ihre vielgeliebte Hauptstadt zum letztenmal verließ, um im Sarge heimzukehren; kaum einer lebt wohl noch, dem sie anders in der Erinnerung geblieben wäre als verschwimmend in den goldenen Morgenwolken der Kinderzeit. Und doch, kennen wir sie nicht alle? sehen wir sie nicht vor uns in dem vollen Schmucke der Frauenschönheit, in dem sie aus dem Leben schied? können wir der Befreiung unseres Volkes von der Fremdherrschaft, des ersten Anfangs der Regeneration Deutschlands gedenken, ohne daß sie uns vor die Augen tritt, deren verklärte Gestalt wie der Engel mit dem Flammenschwert vor Blüchers und Yorks Scharen voraufzog? Wenn das wahre Königsgericht die Erinnerung des Volkes ist, das Angedenken im Segen oder im Fluch an die, die seine Geschicke so oder so bestimmt haben, wenn der lang nachzitternde Schauder oder der nachdauernde Hohn den schlechten, das rasche Vergessenwerden den geringen Herrscher kennzeichnet, so ist es wohl eine Tatsache, die zu denken gibt, daß unter all den Gliedern unseres Königlichen Hauses nächst dem Gewaltigen des Herrn, der auch uns noch der alte Fritz ist, kein Name so populär ist, keines Verstorbenen Gedächtnistage so im stillen Innern der vielen begangen werden, wie der Name und die Tage der Königin Luise. Es ist das eines unserer Vorrechte, ein Vorrecht derjenigen preußischen Landesteile, welche den schwarzen Adler auch flügellahm gekannt, welche die schwere Schule des Leidens, das stolze Bewußtsein der Selbsthülfe mit durchgemacht haben, gegenüber den jüngeren Gliedern unseres volkseinenden Staates; ein Vorrecht aber vor allem gegenüber den anderen Nationen. Unter den zahlreichen Königinnen, welche mit und nach der Königin Luise gekommen und gegangen sind, ist keine zweite, die also noch in lebendiger Erinnerung fortlebte. Kunstvolle Fürstengräber gibt es auch anderswo; aber das Mausoleum in Charlottenburg ist doch nicht bloß einzig durch Rauchs Meisterwerk, sondern ebenso sehr durch die Pietät der ewigen Totenfeier treuer Volksliebe.

Diese Pietät wirkt weiter. Eben in diesen Tagen, in Veranlassung jener Säcularfeier sind die Bürger Berlins zusammengetreten, um auch dem lebendigen Antlitz der unvergessenen Frau den Platz zu geben, den sie selbst sich gewählt haben würde, an der Seite ihres vielgeliebten Gatten, da wo unter den alten Bäumen, an dem stillen Wasserspiegel die Nähe der großen Stadt vergessen wird, an jener längst dem Segen des Friedens, dem bürgerfreundlichen Herrscher von den Bürgern der Hauptstadt gewidmeten, vor allen andern Denkmalplätzen dem Berliner teuren Stelle. In wenigen Jahren wird sie nicht mehr bloß im Todesschlaf zu schauen sein, wie sie ihres eigenen treuen Künstlers Meißel gebildet hat; lebendig wird sie wieder unter uns sein und uns entgegen treten aus dem Grün, das sie liebte.

Vor allen den anderen hohen Frauen unseres Herrscherhauses wird der Name der Königin Luise genannt; es ist das ihr Vorrecht. Ist dieses Vorrecht auch ein Recht? wie kommt es nur, daß an dieser Frauengestalt ein solcher Sondersegen haftet?

Es ist sehr begreiflich, daß den Frauenbildern, wo sie mächtig und eigenartig in die Geschichte eingreifen, ein besonderer Reiz anhaftet. An großen Kriegern und Staatsmännern ist das praktische Leben wohl immer arm, aber die sammelnde Geschichte, für die auch der Tote noch unter den Lebenden wandelt, besitzt doch dergleichen Bilder in solcher Zahl, daß vielfach die Züge sich wiederholen. Von den wahrhaft historischen Frauen gilt das gleiche nicht; und es kommt ihnen weiter die Macht des Kontrastes zu statten. Mit gutem Grund bildete die Kunst der Alten die Gestalten der Pallas wie der Themis weiblich. – Aber zu diesem Kreise gehört die Königin Luise nicht. Sie lebt nicht aus dem Grunde in der Erinnerung fort, wie die Königin Elisabeth von England tat und noch tut; sie gehört nicht in eine Reihe mit Maria Theresia und Katharina der Zweiten. Sie hat es selbst von sich gesagt, daß die Geschichte sie nicht zu den großen Frauen rechnen werde; und es ist dies vollkommen richtig. Sie hat nicht mit unter denen gesessen, die über die Geschicke der Völker berieten; sie hat so wenig in Politik gemacht, wie sie Gedichte hinterlassen oder Bilder gemalt hat. Das einzige Mal, wo sie in die geschichtliche Entwicklung handelnd eingetreten ist, ist sie den Weg gegangen, den die Staatsmänner vorschrieben; und es war der schwerste Weg ihres Lebens. Die Genialität der Gemeinheit, wie sie in dem ersten Napoleon sich verkörpert hatte, offenbarte sich bekanntlich in dem instinktiven Haß, durch welchen er diese deutsche Frau in seiner Weise auszeichnete; der scharfe und sichere Blick, mit dem er die wahren Widersacher erkannte, ist in seiner Art ebenso bewundernswürdig, wie noch von der dritten Generation die Brutalität nicht vergessen ist, welche es nicht verschmähte, diese Frau, die zu besiegen er nicht vermochte, wenigstens zum Erröten und zu Tränen der Scham zu zwingen. Von ihr wurde es gefordert, daß sie jenen Mann, den Besieger ihres Volkes, den Lästerer ihrer Ehre durch den Zauber ihrer Persönlichkeit bezwinge und ihm einige Milderung gegen das damals wehrlos ihm preisgegebene Preußen abgewinne. Die Urheberschaft dieses entehrenden Attentats auf Männerehre und Frauenreinheit gebührt allerdings dem verschwommenen und im innersten Grunde seines Wesens treulosen russischen Bundesgenossen; aber auch so bleibt dieser Vorgang der schimpflichste Fleck jener an Flecken unserer Ehre nur allzu reichen Zeit. Sie aber ging, wie man sie hieß; und auch hier wirkte der Zauber, wenn er gleich selbstverständlich nicht half. Sie hielt es für Pflicht der Königin auch das zu opfern, was die Frau nicht opfern kann und darf; und mit diesem vergeblichen Versuch steht sie in der Geschichte jener Jahre verzeichnet. Sie hat nicht mitregiert. Nicht ihre Taten haben ihr Gedächtnis in das Herz des Volkes gestiftet, sondern ihr Wesen und Sein und man kann hinzufügen, ihr Lieben und Leiden.

Ist es denn Frauenlos und Frauenglück unter die Gewaltigen der Geschichte zu zählen und Herrscherkunst und Herrscherleidenschaft im Kopf und im Herzen zu tragen? Königin Luise hätte wohl, wenn das Geschick es von ihr gefordert haben sollte, aus der Pflicht auch die Kraft und den Geist entwickelt, den diese Stellungen erheischen; aber sie ist nicht dazu berufen worden und sie hat sich immer glücklich gepriesen vor allem Frau sein zu dürfen, auch als sie Königin war. Sie war eben wie andere Frauen auch, nichts Besonderes und abnorm Geniales, aber die vollendete Weiblichkeit in all ihrer Schönheit und Reinheit, in aller ihrer Anmut und Würde, in aller ihrer Heiterkeit und Hoffnungskraft; eine von vielen und doch die eine unter allen. Als sie siebzehnjährig aus bescheidenen Verhältnissen eintrat in den ihr völlig fremden Kreis des großen glänzenden Hofes, der in der geistigen Verkümmerung des Deutschfranzosentums, in dem Eingeschlafensein auf den ererbten Lorbeeren, wie sie selber später so treffend es aussprach, in der faulen und feilen und feigen Politik und Romantik der nachfridericianischen Epoche verkam, da hat sie, ohne es zu wollen und ohne es zu wissen, diesen Hof reformiert: sie hat die unbefangene Fröhlichkeit wie die gute Zucht und Sitte, das deutsche Du im engsten Kreise der Familie, Goethes und Schillers goldene Worte in jene Kreise eingeführt, die im Begriff schienen zu verstocken und zu verwelschen. Die unverwüstliche Heiterkeit, wie sie dem rechten Mädchen eigen ist, hätte fast die strenge Oberhofmeisterin gezwungen, sich mit auf den Leiterwagen zu setzen, der zur Abwechselung das junge Ehepaar in den Wald fuhr; wenigstens vermochte sie nicht dem unbotmäßigen Übermut im Herzen zu zürnen, als die beiden vor ihren Augen auf dem unköniglichen Gefährt davonrollten. Der frische Lebensmut, die schlagfertige Rede, das gutmütige und heitere Hinnehmen jeder erträglichen Eigenart, all diese weiblichen Privilegien waren ihrem Wesen eingeboren. Sie brauchte nicht ihrem Herzen Zwang anzutun, um ihre Würde zu wahren; das war ihre Würde, daß sie ihr Herz frei konnte walten lassen gegen Vornehme wie gegen Geringe und gar nicht anders konnte als in edler Haltung bleiben. Sie bedurfte nichts um glücklich zu sein, als was aller Gebildeten Gemeingut ist; als sie in den schweren Jahren nach der Jenaer Schlacht auf der einfachen bürgerlichen Villa bei Königsberg lebte, da sprach sie aus, daß sie habe, was sie brauche: neben dem guten Gewissen gute Bücher und ein gutes Pianoforte.

So lebte sie das beglückte Leben des deutschen Mädchens, der deutschen Frau in den übermütigen Jahren der Jugend wie in der heitern Anfangszeit ihrer Ehe, die junge Mutter im reichen Kranze der Kinder; und so hat sie dann gelitten, als die schrecklichen Jahre herankamen, in denen sie dem Vater schrieb »mit uns ist es aus« und von dem wohlwollenden französischen Marschall den guten Rat hinnehmen mußte ihre Juwelen rechtzeitig zu verkaufen, um für die Flucht über die Grenze ihres Königreichs versehen zu sein. Wie es bei rechten Frauen immer der Fall ist, entwickelte erst das Unglück die volle Kraft ihrer Natur, den Scharfblick, das Vertrauen, die Energie, welche in solchen Lagen die Männer oft beschämt. Es ist wunderbar, mit welchem instinktiven Abscheu sie nicht bloß dem Überwinder, sondern auch den moralischen Bundesgenossen desselben in der Heimat, den Lombard und Genossen gegenüberstand; noch wunderbarer, wie sie so durchaus nach den rechten Männern griff, wie sie Blüchers Art erfaßte und mit felsenfestem Vertrauen an Stein hielt, dem Mann »großen Herzens und umfassenden Geistes«, wie sie ihn bezeichnet, ihm, der dann der Eckstein der Regeneration Deutschlands geworden ist. Sie vielleicht allein hat nie gezweifelt an Napoleons endlichem Sturz, aber freilich auch nie für sich gehofft ihn zu erleben. Deutlicher als die Männer, die auf die realen Dinge den Blick gerichtet halten mußten, erkannte sie die tönernen Füße des Kolosses, begriff sie den ungeheuren Anachronismus der Napoleonischen Weltmonarchie, dieser Rückwendung von dem nationalen Staat der Neuzeit zu der gedankenlosen Großwirtschaft der Eroberung verschollener Geschichtsepochen. Aber sie fühlte es auch, daß ihre zartbesaitete Natur nicht bestimmt war die Erlösung zu schauen, die sie im Geiste ahnte; sie hatte zu viel weinen müssen, um ein langes Leben fertig zu bringen.

Sie ist hingeschieden in der Blüte der Jugend; und jugendlich blühend lebt sie fort in den Herzen der Zeitgenossen und noch der heutigen Generation. Eben weil sie so war, weder mehr noch weniger war als die deutsche Frau, leuchtet ihr Andenken in diesem ganz einzigen Glänze. Die beiden innigsten Empfindungen, die dem Menschen gegönnt sind, die Ahnung des ewig Weiblichen, wie der Dichter es nennt, und das Opfergefühl sind uns persönlich geworden in der Königin Luise. Jene Verehrung der Frauennatur, welche das rechte Wahrzeichen und der höchste Messer der echten Civilisation ist, knüpft nicht an die Semiramischaraktere an, sondern an die Frau, wie sie in der einfachen Entwickelung des gewöhnlichen Lebens uns entgegentritt, an die Rose, die in dem Garten eines jeden blüht, und die hier in ihrer höchsten und reinsten Entfaltung als »schöne Königsrose« von dem Thron ihren Zauber und ihren Duft über das ganze Land warf. Als dann der Tod vor der Zeit die Rose brach, da gesellte sich zu der Verklärung, die aller Liebe durch den Tod verliehen wird, noch die Empfindung, daß ihr Leben verkürzt worden war durch die Schuld nicht so sehr des französischen Feindes als derjenigen Staatsmänner, die den Vertrag von Schönbrunn abgeschlossen, durch die Schuld der Generale, die die Schlacht bei Jena verloren und Magdeburg und Küstrin dem Feinde überliefert hatten. Das ungeheure Unglück, die tiefe Entehrung des ganzen Landes ward allerdings in allen preußischen Häusern empfunden; aber wie das Königshaus bisher nicht bloß das erste derselben, sondern auch vielleicht das glücklichste und reichste gewesen war, so wurde hier notwendigerweise das allgemeine Geschick in siebenfachem Maße zum häuslichen Unheil. Daß das gebrochene Lebensglück den Tod der Königin beschleunigt hat, ist wahrscheinlich tatsächlich richtig, auf jeden Fall war es allgemeine und im idealen Sinn zweifellos berechtigte Überzeugung des Volkes. Daraus erklärt sich die Empfindung, die ihr jähes Abscheiden überall hervorrief. Es war nicht bloß die Trauer um den Verlust der vielgeliebten Fürstin, es war mehr noch die tiefe Erbitterung gegen jenen kaiserlichen Verunglimpfer deutscher Frauentugend und alle die Seinen; vor allem aber die unermeßliche Reue über die eigene Mitschuld an dem Unheil des Landes, an welchem der Königin Herz gebrochen war. Und die kräftigen und adligen Naturen übersetzten dann die Reue über das Vergangene in die Hoffnung auf die Zukunft unter Einsetzung der ganzen Existenz des Volkes selbst wie jedes einzelnen Bürgers. Wenn es einst dem Lande gelang sich zu erheben und sich zu befreien, wie Luise nie aufgehört hatte zu hoffen, so war sie nicht bloß der Ehre des Landes nachgestorben, sondern sie hatte diese Ehre auch wieder von den Toten erweckt. Dann war ihr Tod ein Opfertod im höchsten Sinne des Wortes. Nicht der Soldat opfert sich für das Vaterland, wenn er auf dem Schlachtfelde sein Leben läßt: er tut seine Pflicht und es ist Männerlos im Kampfe zu fallen. Aber wenn die schönste und reinste und erste Frau des Landes an den Folgen der Feigheit der Staats- und Kriegsmänner stirbt, da ist das Opfer gebracht; es muß schuldlos und seiner eigenen Opferung unbewußt sein, damit es vollständig sei. So faßte das Land ihren Hingang. Durch die ganze glorreiche Siegeszeit geht es wie ein schmerzlicher Nachklang, wie die Erinnerung an eine mit dem besten Blut gesühnte und doch nie ganz auszulöschende Schuld, daß Luise nicht den Breslauer Aufruf vernommen, nicht die Leipziger Schlacht erlebt, nicht die Victoria abermals auf ihrem alten Platz am Brandenburger Tor geschaut hat.

Man sagt uns Deutschen wohl nach, daß die Frauenverehrung bei uns weniger entwickelt ist als bei anderen Völkern, mit denen wir gewohnt sind uns zu messen; und wir werden es wohl einräumen müssen, daß wenigstens in den äußeren Formen dieser Verehrung, was man Ritterlichkeit und Galanterie oder ähnlich benennt, wir noch heute die Folgen der Barbarisierung des Dreißigjährigen Krieges empfinden, und leider auch einräumen müssen, daß die dehumanisierenden Tendenzen der heutigen Zeit unter unserem Proletariat sowohl wie in den sogenannten besseren Kreisen ein neues Barbarentum großziehen, dessen rechtes Wahrzeichen der Mangel an Ehrerbietung vor den Frauen ist. Aber daß diese dennoch im tiefsten Innern unserer Nation wurzelt und auch mit diesem Maße gemessen die Deutschen wenigstens der Empfindung, wenn auch nicht dem Ausdruck nach zu den höchst civilisierten Völkern zählen, das zeigt nichts so deutlich als das Angedenken an die Iphigenie des Befreiungskrieges, an unsere Königin Luise.

Wir reden von der Mutter am achtzigsten Geburtstag ihres Sohnes; und wir dürfen es wohl. Denn wer gedenkt ihrer, ohne sich zugleich dieses ihres Sohnes zu erinnern, und wer kennt nicht ihr in schwerster Bedrängnis gesprochenes weissagendes Wort, daß sie nicht klagen wolle in dieser Unglücksepoche gelebt zu haben; ihr Dasein sei dazu bestimmt Kindern das Leben zu geben, die einst zum Wohl der Menschheit beitragen werden. Das Schicksal gibt keinem alles; die dieses Wort hörten, verstanden es nicht, wir hören es nicht, aber wir haben sein Verständnis. Nur diesem Verständnis in Worten Ausdruck geben dürfen wir zurzeit nicht, wenigstens nicht an dieser Stelle. Es wäre wohl möglich fortfahrend zu zeigen, wie in diesem Fall nicht bloß der Segen, sondern auch die Eigenart der Mutter auf dem Sohne ruht. Aber wir werden uns erinnern, daß die Ausführung des Satzes »wie die Mutter, so der Sohn« sich nicht mit der Stelle, an der ich spreche, nicht mit den guten Traditionen unserer Körperschaft verträgt. Wir feiern unsere Toten mit strenger Auswahl und den Lebenden ins Gesicht zu loben ist nicht Herkommen der Akademie. Wir haben uns glücklicherweise frei gehalten von jener gleißnerischen Form der obligaten Redeakte, in denen die notwendige Höflichkeit und die aufrichtige Verehrung unter dem Firnis der alles zudeckenden Phrase ineinander verschwimmen. Auch wenn wir den Geburtstag des regierenden Herrschers feiern, bleiben wir dessen eingedenk, daß das Urteil über seine Persönlichkeit, so im Lob wie im Tadel, nicht hierher gehört und die Ehrfurcht uns gebietet nur von dem Herrscher als solchem, nicht von der Persönlichkeit zu reden.

Diese Pflicht ist nicht immer leicht zu erfüllen. Es ist zum erstenmal, seit die Akademie besteht, daß sie den achtzigsten Geburtstag des Herrschers begeht; und mehr noch als die Zahl ist es der Inhalt dieser Lebensjahre, der zum Sprechen auffordert. Die gewaltigen Ereignisse, welche das letzte Decennium erfüllt haben und welche an unseres Herrschers Persönlichkeit ihren Mittelpunkt, in seinem Kaisertum ihren letzten Ausdruck gefunden haben, werfen ihren Wellenschlag wie in die niedrigste Bauernhütte, so auch in die gelehrteste Einsiedelei. Aber wenn es darum schwer wird zu schweigen, so dürfen wir es um so eher. Es könnte ja doch bei diesem Fest keine Rede etwas anderes zum Ausdruck bringen als was jeder ohnehin empfindet. Dieses Lied klingt auch ohne Worte.

Darum gestatten Sie mir zu schließen mit einem kurzen Blicke darauf, warum die Akademie der Wissenschaften sich mit Stolz eine königliche nennt. Die Wissenschaft als solche ist so wenig königlich wie republikanisch; sie ist eine der Formen der humanen Entwickelung, welche außerhalb und in gewissem Sinn über der staatlichen sich vollzieht. Aber wie in all diesen humanen Entwicklungen ist in ihr ein anarchisches Element, eine Tendenz der Individualisierung, die, eben weil sie durchaus berechtigt, so auch höchst gefährlich ist und geeignet, die wechselseitige Befehdung, ja den Krieg aller gegen alle heraufzuführen. Alle Wissenschaft beruht auf dem Ineinandergreifen der verschiedenen arbeitenden Kräfte und ihre sittliche Bedingung ist die gegenseitige Anerkennung der Arbeitenden. Zwischen den auf demselben Felde tätigen Gelehrten ist diese unter normalen Verhältnissen selbstverständlich und es ist nur individuelle Verschuldung, wenn sie ausbleibt. Aber anders und schwerer stellt sich die Aufgabe unter den auf verschiedenen Gebieten beschäftigten Forschern. Ist es in der Tat möglich, wenn man mit der Achtung noch einen positiven Begriff verbindet, sie dahin zu übertragen, wo das Verständnis fehlt? gibt es noch eine Anerkennung, wo das Erkennen aufhört? Die theoretische Lösung des Problems ist Aufgabe des Psychologen; sie wird vermutlich dahin ausfallen, daß ein solches intuitives Anerkennen ohne Erkenntnis das Privilegium der höchstgestellten Geister und es ein sicheres Zeichen des Talents zweiten Ranges ist, wenn einer nur das gelten läßt, was er versteht. Aber die praktische Lösung der Aufgabe ist unsere Akademie. Das große Privilegium aller politischen Gestaltung ist es, daß Bestrebungen, die sich nicht verstehen, wenigstens sich verständigen können und müssen; und insofern unsere Akademie eine königliche, das heißt eine Staatsanstalt ist, insofern sie nicht dieser oder jener Wissenschaft, sondern den Wissenschaften bestimmt ist, insofern ihre Mitglieder dazu veranlaßt, ja genötigt werden mit Gelehrten anderer Kreise in Berührung und sehr häufig in gemeinschaftliche Tätigkeit zu treten, tritt der in der Wissenschaft obwaltenden anarchischen Tendenz als heilsames Temperament zur Seite unser Anteil an dem staatlichen Wirken mit seinem Zwang wenigstens zu äußerlicher Verständigung. Jede private Association auf dem wissenschaftlichen Gebiet führt unvermeidlich zur Individualisierung; sie tut es jetzt mehr als je, wo das Arbeitsgebiet des einzelnen Forschers sich überall zusehends in einer für die Zukunft der Forschung überhaupt ernste Besorgnisse erregenden Weise verengt. Daß wir in dieser Richtung nicht folgen, daß wir darauf angewiesen sind uns einander gelten zu lassen, auch wo einer des andern Sprache nicht mehr versteht, daß wir alle es als Lebensfrage unserer Anstalt erkennen die gegenseitige Achtung auf das ganze endlose Gebiet der Wissenschaft nicht bloß mit Worten zu erstrecken, sondern auch erforderlichen Falls handelnd zu erweisen, das danken wir nicht uns, sondern dem Staat, das heißt zunächst unserem König Wilhelm, dem ersten Kaiser der Deutschen, dessen achtzigsten Geburtstag wir heute begehen.



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