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Rede zu Kaisers Geburtstag

22. März 1875. Preußische Jahrbücher XXXV. Bd. S. 404-408.

Es ist zum funfzehntenmal, daß die Feier des 22. März uns in diesem Raume versammelt, daß wie so viele andere Lebenskreise so auch unsere Akademie durch die Wiederkehr dieses Jahrestages aus der gleichen Folge der pflichtmäßigen Arbeit zum Anhalten und Besinnen, zur Rückschau und zur Ausschau aufgerufen wird. Die Kette der Stunden unseres Daseins rollt unaufhaltsam ab und wenn auch keine gleich der anderen ist, in einem gleichen sie sich doch zumeist, und vor allem in dem unruhigen Treiben unserer großen Stadt, in dem Anrecht des Augenblicks, der unmittelbaren einen jeden ganz ausfüllenden Arbeit. Wohl dürfen wir dankbar sein, wenn einmal eine sich einstellt, die uns auffordert still zu stehen, des Lebens Gewinn und Verlust in ernster Erwägung abzuschätzen und die Summe zu ziehen. Wenige Stunden vermögen dies heutzutage, wo wie in allem anderen, so auch in Sitte und Gewöhnung eine gewaltige Umwälzung sich vollzieht und mancher Tag, den noch das letzte Geschlecht als Feiertag heilig hielt, uns zum Werktag geworden ist. Aber der Geburtstag des Königs von Preußen hat noch diese Macht; und er hat sie doppelt, seit dieser Geburtstag auch der des Deutschen Kaisers ist. Es ist keine Redensart, daß unsere Nation mit ihrem Herrschergeschlecht verwachsen ist und daß wir an diesem Tage das Fest begehen nicht bloß des jeweiligen Landesherrn, sondern des Fürstenhauses; daß der Dank für das, was von dem Großen Kurfürsten an bis auf den Kaiser Wilhelm herab die unvergleichliche Herrscherreihe für Preußen und für Deutschland getan hat, daß die Hoffnung auf ebenbürtige Nachfolge in dem gleichen hohen Beruf das ganze große Land an diesem Tage bewegt. Wohl ist es ein Wandelfest, das wir feiern; wie die Geschlechter kommen und gehn, wechselt es von Monat zu Monat; aber das Fest, welches auch sein Tag sein möge, bleibt dasselbe und ruht auf dem ewigen Grunde der Wahlverwandtschaft von Herrscher und Volk, die darum nicht minder eine Tatsache ist, weil sie schließlich, wie alles Größte und Höchste, auf einem Unbegreiflichen ruht.

Wir feiern heute den Geburtstag eines Hochbejahrten. Als er zum erstenmal in diesem Saal begangen wurde, galt er dem Beginn des fünfundsechzigsten Lebensjahrs; heute feiern wir den Antritt des neunundsiebzigsten. Dem Geschichtschreiber, der nach Jahrhunderten, nun gar dem Naturforscher, der nach Jahrtausenden zu rechnen gewöhnt ist, erscheint das als ein kurzer Abschnitt der unermeßlichen Zeit; aber auf den Menschen bezogen, mißt dieselbe sich anders. Sein Leben währt ja siebzig Jahre; darüber hinaus die Tage zu bringen ist nur der kleineren Zahl beschieden. Unserem königlichen Herrn ist dies Los der wenigen geworden, und wir verweilen heute mit unseren Gedanken bei dem königlichen Greise.

Unter allen Vorträgen, die an dieser Stelle gehalten worden sind, ist vielleicht keiner so allgemein in die Kreise der Gebildeten eingedrungen wie Jakob Grimms Rede über das Alter; und diese Auszeichnung, eine seltene bei akademischen Leistungen, ist wohlverdient. Die meisten von uns erinnern sich ja noch des feinen Antlitzes in dem Schmuck der weißen Haare, auf dem diejenige Liebenswürdigkeit und diejenige Anmut, die eben nur das hohe Alter zeitigt, wie stiller Sonnenschein stetig lag; und in jener Rede, die er den Achtzigern nahe wenige Jahre vor seinem Tode in unserer Mitte hielt, hat er sich, wie er damals war, in sauberem Bilde dargelegt. Als rechter Gelehrter orientiert er zunächst sich über Sprachgebrauch und Redeformen, soweit sie das Alter betreffen, und hält dann gleichsam im Selbstgespräch Abrechnung mit sich über die Leiden wie die Freuden, die die Greisenzeit dem Menschen bringt. Mit festem Blick dem Grabe entgegenschauend steigen zugleich die Bilder der Kindheit und Jugend in versöhnenden und verschönenden Farben vor ihm auf. Nicht abermals möchte er den durchmessenen langen und oft rauhen Pfad zurücklegen, wie auch der rüstige Wanderer nicht wünscht wieder am Ausgangspunkt des Weges zu stehen, aber er lebt im Frieden des Abends den frischen Morgen und den heißen Mittag rückschauend noch einmal. Die gewohnte Tätigkeit versagt auch dem Greise nicht; die in früheren Jahren gezogenen Umrisse füllen in liebevoller Nacharbeit allmählich sich aus und das Werk des Lebens wächst auch unter den schwächer werdenden und ermüdenden Händen dennoch Strich um Strich, bis endlich der Tod es fertig erklärt.

Es soll hier und heute nichts Ähnliches versucht, aber doch hingedeutet werden auf einige Betrachtungen aus dem gleichen Kreise, wie der heutige Tag sie nahelegt.

Alt zu werden ist nicht unbedingt ein Glück. Seit die Welt steht, klagen die alten Leute und wird über sie geklagt; Jakob Grimm in seiner schalkhaften Weise hat es sich nicht versagt eine sprachliche Blumenlese aus den Beiwörtern zu geben, mit denen das Alter ausgestattet zu werden pflegt, und danach bleibt an den grauen Haaren kaum ein gutes. Es ist ja auch wahr, daß langes Leben eine zweifelhafte Gunst des Schicksals ist. Das alte Flügelwort, daß jung stirbt wen die Götter lieben, ist kein leeres; und auch unser Dichter hat nicht unrecht mit dem harten Spruch, daß es keine Kunst ist alt zu werden, wohl aber eine Kunst das Altwerden zu ertragen. Die lebendigen Belege für diese schweren Worte sind leider nur zu zahlreich. Wie manchen tüchtigen Mann führt die Geschichte, führt unsere eigene Erfahrung uns vor, die glücklich zu preisen gewesen wären, wenn sie zur rechten Zeit aus dem Leben hätten scheiden dürfen, die selber es in bitterem Schmerz sich gestehen mußten, daß sie das in früheren Jahren Erreichte späterhin wiedereingebüßt, daß sie zu lange gelebt hatten. Nicht bloß die Naturen, die im unmittelbaren Genuß des Augenblicks ihre Befriedigung finden, bedürfen der Jugend zum vollen Lebensglück; auch für höher angelegte, am meisten vielleicht für den Dichter und für den Künstler ist es eine schwere Aufgabe die Werdelust und Schaffenskraft der Jugend zu missen. Wenn Mozart und Raffael, Shakespeare und Schiller aus dem vollen Leben und Schaffen hinweggenommen worden sind, so dürfen wir auch daran erkennen, daß die Götter ihnen vor anderen wohlgewollt haben. Ja wir dürfen weiter sagen, daß ihr frühes Scheiden selber die Wirkung, die sie geübt haben und üben, gesteigert hat. Mehr noch als das einzelne Kunstwerk wirkt das Gesamtbild des großen Künstlers; nur gemeine Naturen zahlen mit dem, was sie tun, die edelsten vielmehr mit dem, was sie sind. Dies Gesamtbild aber, in welchem der einzelne, wie er war, den späteren Geschlechtern in Erinnerung bleibt, wird notwendig vorzugsweise bedingt durch die Erscheinung, in der er zuletzt lebend unter den Lebenden wandelte; und wenn wir in dem Kreis der Künstler von Gottes Gnaden die Gestalten solcher, die das Leben ausgelebt, Gestalten wie Michel Angelos und Goethes, um keinen Preis missen möchten, so nicht minder diejenigen jener hohen Männer, denen die Röte der Jugend nun nie verfliegt, weil sie jung aus dem Leben schieden.

Aber wenn es gewiß zu der geheimnisvollen Weisheit der Natur mit gehört, daß sie auch bei bedeutenden Männern das Ende des Daseins nicht selten auf die Höhe des Lebensweges legt, so nimmt uns dies dennoch nicht das Recht im ganzen genommen vielmehr diejenigen glücklich zu preisen, denen es beschieden ist alt zu werden und das Leben zu Ende zu leben. Ja man wird anerkennen müssen, daß, wie das Einfachste und Nächste im ganzen genommen auch immer das Rechte und das Beste ist, so auch unter natürlichen Bedingungen es für den Menschen wünschenswert ist den Becher des Daseins bis zum letzten Tropfen leeren zu dürfen. Die Kunst ist, wie die Perle, ein Wunderwerk nicht minder wie eine Krankheit; das praktische Leben ist die Gesundheit, und je voller und bedeutender der Mann in diesem steht, desto weniger wird er die Neige des Bechers schal und bitter finden; desto mehr wird umgekehrt von ihm gesagt werden müssen, daß alt stirbt, wen Gott liebt.

Es wäre leicht nach den verschiedensten Seiten hin dies auszuführen, aber es ist kaum nötig. Wer hat es nicht erfahren, daß der Großvater oder die Großmutter den Familienkreis zusammenhält; nicht erfahren, wie unausfüllbar die Lücke ist, die in solchen Fällen der Tod des Greisen oder der Greisin hinterläßt. Wer weiß es nicht, wie in jedem Berufskreise die erfahrenen Alten, wenn sie die rechten Leute sind, eine Stellung einnehmen, mit der kein Jüngerer wetteifern kann. Und uns Forschern vor allem sagt ja jedem die eigene Erfahrung, daß die große wissenschaftliche Leistung nicht anders völlig gelingen kann als in vieljähriger rastlos fortgesetzter Arbeit. Es ist vielleicht richtig, daß Männern wie Gauß und wie Böckh die großen Aperçus, durch die sie die Erkenntnis der Welt gefördert haben, sämtlich in ihren Jugendjahren aufgegangen sind; aber die Saat ist nur die eine Hälfte der wissenschaftlichen Tätigkeit, und die Zeit der Ernte nicht minder unentbehrlich, wenn ein bedeutender Forscher seine Bestimmung erfüllen soll.

Nur bei einer Anwendung des Satzes, daß der Mann des Alters bedarf um sein Ziel zu erfüllen, verweile ich noch einen Augenblick, weil sie von allen die höchste und auch heute uns die nächste ist. Ich meine die Anwendung auf den Staatsmann. Es ist dies wie die bedeutendste unter allen praktischen Tätigkeiten, so ohne Zweifel auch diejenige, für deren segensreiche Vollendung, für deren bleibenden Erfolg die Dauer der Persönlichkeit am meisten erfordert wird. Daß die praktische Politik vorzugsweise auf den alten Männern ruht, bestätigt die Geschichte, von der Versammlung der Ältesten an, wie Homer sie schildert und die älteste römische Überlieferung sie voraussetzt, bis hinab auf den heutigen Tag. Wie wahr dies ist, zeigt wohl nichts so deutlich wie die Empfindung, die hier der vorzeitige Tod zurückläßt, die Lücke, die in solchen Fällen auf Jahre hinaus, ja auf immer klafft, die schmerzliche Empfindung des bleibenden Verlustes, des nicht wieder gutzumachenden Schadens, die an solche Namen sich heftet. Wenn ich in diesem Zusammenhang den Namen Twestens nenne, so wird jeder, der die Lage der Dinge bei uns kennt, wohl fühlen, wie wahr dies ist. Ein noch schwereres Verhängnis dieser Art hat den Staat betroffen, der wie kein anderer in Europa uns eng verbunden ist; und wir Deutsche, wenn wir auch des Glaubens leben, daß die Zukunft unserer Nation an dem Schicksal keines einzelnen Mannes hängt, haben doch nur zu sehr Gelegenheit gehabt es zu empfinden, wie nahe das Verhängnis, das Italien betroffen hat, auch an uns vorübergeschritten ist. Nur zu klar erkennen wir es, wie nötig wir die Werkmeister brauchen, die unseren Staat umgeschaffen haben, und wie unerläßlich es ist, daß das mächtigste Element der Politik, die Dauer dem großen Staatsmann nicht versage.

Unserm König und Kaiser ist dies Glück zu teil geworden. Ihm war beschieden die Erfahrung eines langen vielbewegten Lebens zum Segen Preußens und Deutschlands geltend machen zu können. Ihm ist das Alter keine Bürde, sondern eine Würde; und die unvergleichlichen Erfolge, die ihm zu erreichen beschieden war, sind auch damit in unserer Empfindung unzertrennlich verknüpft. Sein langes Leben ist ein köstliches gewesen; denn es ist Mühe und Arbeit gewesen und ist es noch. Dafür folgt ihm, und er weiß es, der Dank der Nation.

Als zum erstenmal in diesem Saal der 22. März gefeiert ward, da schloß der Mann, der damals an diesem Platze saß, mit den folgenden Worten:

»Die Zeit ist ungewiß. Möge über die Mächte der Lüge und List, wo immer es zum Kampfe kommt, die eingeborene Politik der Hohenzollern, die Politik der Stärke und Geradheit den Sieg behalten! Möge Gottes Sonne unseres Königs Wege hell bescheinen, morgen und immerdar.«

So sprach Trendelenburg am 21. März 1861. Es ist zum Kampfe gekommen und die Stärke und die Geradheit hat den Sieg behalten. Die ungewissen Tage sind vorüber; wir kämpfen noch und werden noch manche Schlachten aller Art zu schlagen haben; aber wir kämpfen im Rückblick auf gewonnene Siege. Gottes Sonne hat unseres Königs Wege hell beschienen; er ist seitdem der Kaiser der Deutschen und Kaiserwetter zum Sprichwort geworden. Möge die Kraft der Nation und ihrer Herrscher das, was sie geschaffen hat, auch erhalten!



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