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Reden im Abgeordnetenhaus.


Über die königliche Bibliothek.

Verhandlungen d. Hauses d. Abg. 40. Sitzung am 31. Januar 1874 S. 1001-1002; 26. Sitzung am 1. Dezember 1877 S. 662-663; 32. Sitzung am 18, Januar 1879 S. 713-714.

Meine Herren! Wenn ich mir erlaube, in so später Stunde in dieser Angelegenheit noch das Wort zu nehmen, so geschieht es nicht, weil ich daran zweifle, daß Sie die Resolution einstimmig annehmen werden, sondern weil ich glaube, daß es eines deutschen Gelehrten unwürdig ist, wenn er die Ehre hat, in einer solchen Versammlung zu sitzen, nicht für ein Institut dieser Art, das so unbeschreiblich wichtig und so unbeschreiblich vernachlässigt ist, sein eigenes Wort einzulegen. Ich weiß es ja, meine Herren, daß die besten Männer, die wir in der Staatsregierung besitzen, die besten Männer, die in unserem Hause sind, sich zu ihrer Ehre, zu ihrer Lebensaufgabe gestellt haben, nachdem unsere Nation nach außen hin glücklich konsolidiert ist, nun auch die größere, schwierigere, aber auch freudigere Aufgabe zu lösen, sie auch im Innern auszubauen und für Kunst und Wissenschaft dasjenige zu tun, was von oben her dafür geschehen kann, und was die deutsche Gelehrsamkeit allein nicht mehr zu leisten im stande ist. Ich weiß das; aber daß, so sehr auch das Bedürfnis anerkannt ist, dennoch die Bedürfnisfrage auch von mir hier dargelegt werde, das bitte ich mir zu gestatten.

Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, meine Herren daß, was wir für Kunst und Wissenschaft zu tun denken, sehr leicht an Utopien, an vergeblichem Hoffen, an vergeblichem Wollen leiden und dadurch geschädigt werden könnte. Ich glaube, in mancher Hinsicht wollen wir hier zu viel und leben daher in einem unberechtigten Gefühle der Unbefriedigtheit. Es ist ja sehr natürlich, daß wir wünschen, unsere Kunst, unsere Wissenschaft nun nach allen Seiten auch auf die Höhe zu stellen, die unserem Volke sonst zu erreichen vergönnt gewesen ist. Das ist aber nicht in aller Hinsicht möglich. Es ist äußerst dankenswert, wenn für unser künstlerisches Schaffen das Mögliche geschieht, aber wir können doch nur das Mögliche tun. Meine Herren, geniale Kunsterzeugung ist wie ein gutes Weinjahr, das kann nicht am grünen Tisch, auch nicht im Abgeordnetenhause dekretiert werden. Wir können wohl Künstlerateliers schaffen, wir wollen ihnen allen Segen wünschen; ob aber etwas dabei herauskommt, dafür wird vielleicht der liebe Gott sorgen; wir können es nicht.

Etwas mehr läßt sich allerdings für die Sammlungen tun, aber denken wir doch nicht, daß wir jemals im stande sein werden, den Bestand der alten Sammlungen anderer Länder irgendwie zu erreichen um mit ihnen wetteifern zu können, und greifen wir nicht nach Dingen, die für uns ebenso unerreichbar sind wie der Mond. Das schadet nur dem, was wirklich erreichbar ist.

Wir können höchstens bei den neuen Erwerbungen Schritt halten mit den gleichberechtigten Nationen, und in der Tat, wir haben das getan. Sehen Sie z. B. unsere Sammlung der Sanskrithandschriften, der orientalischen Handschriften, unsere Vasensammlung an, da werden Sie sehen, daß Berlin keineswegs zurücksteht, daß wir erreicht haben, was zu erreichen war, nachdem wir in die Welt eingetreten sind. Aber in Gemälden, in Statuen zu wetteifern mit Paris, Rom, London, das wird für alle Zeiten eine Unmöglichkeit bleiben. Aber es ist vielleicht auch gar kein Unglück, daß es eine Unmöglichkeit bleibt. Es ist vielleicht gut für die deutsche Nation, daß sie ihre Gemäldegalerie in Dresden zu suchen hat und ihre Statuen in München. Es war ein genialer Gedanke, daß man das deutsche Reichsoberhandelsgericht nicht nach Berlin verlegt hat; und so ist es auch gut für Deutschland, daß die deutsche Nation ihre Regierung in Berlin zu suchen hat, aber daß ihre Museen sich nicht in Berlin befinden. Diese Art von Centralisation brauchen wir nicht, wir vertrügen sie vielleicht nicht, wenn wir sie schaffen könnten.

Es ist also vieles nicht zu erreichen, aber das muß umso mehr dazu führen, daß wir zu erreichen suchen, was zu erreichen ist, und es sind einige Abteilungen da, in denen sich wirklich etwas Großes auch heutzutage noch schaffen läßt. Wenn Sie unser Münzkabinett betrachten, da sehen Sie, was der rechte Mann an der rechten Stelle richtig unterstützt schaffen kann; da haben Sie eine seit 30 Jahren verdoppelte Sammlung, die bald die dritte der Welt sein wird, und die, wenn in ihr weiter gebaut wird, und wenn man nicht irre wird, entschlossen fortzufahren, ebensogut mit der Zeit die erste werden kann, wie es jetzt die in London ist. – Es gibt noch andere Sammlungen, für die es einen Markt gibt, und bei denen man weiter bauen kann mit Hoffnung auf Erfolg; so die Kupferstichsammlung, vor allem aber die Bibliothek. Und auf die Bibliothek haben wir Deutsche vor allem ein Recht, denn was uns auszeichnet vor den übrigen Nationen, ist, meine ich, unsere Arbeitsamkeit.

Seines Fleißes darf sich jeder rühmen, und das darf ja auch wohl der deutsche Gelehrte tun. Aber um fleißig zu sein, brauchen wir Arbeitsmaterial; geben Sie uns unsere Zündnadeln, geben Sie uns eine gute Bibliothek, die Bilder und die Statuen können wir uns auch auswärts ansehen, – wir sind in Berlin alle auf das Reisen angewiesen. Aber für die Monate, wo wir hier zu arbeiten haben, geben Sie uns auch die Möglichkeit, recht und ordentlich zu arbeiten, zur Zeit haben wir die nicht. Es haben die Herren Vorredner bereits ausgeführt, in welchem entsetzlichen Zustande die Berliner Bibliothek ist, welche Schande es für den Staat der Intelligenz, für die Aufschrift nutrimentum spiritus ist. Das geht so nicht länger und kann nicht länger so gehen. Wie das auch anerkannt sein mag, es muß immer noch bestimmter und schärfer gesagt werden, daß mit solchen Mitteln nicht weiter zu schaffen und zu arbeiten ist. Es sind viele Schäden von vielen Seiten her berührt worden; gestatten Sie mir noch auf einen Punkt hinzuweisen, auf die Verwaltung der Bibliothek, und Ihnen bei der Gelegenheit ein Beispiel vorzuführen, was bei dem Nichtweiterführen, bei dem Stehenlassen der Anstalten, wie sie einmal waren, herausgekommen ist. Unsere Bibliothek hatte aus dem Jahre 1839 einen Fonds von 8000 Talern und damals neun Kustoden; es ist seitdem eine musikalische Abteilung hinzugekommen, und zu dieser musikalischen Abteilung auch der entsprechende Kustos. Außerdem ist hinzugekommen ein Kustos für orientalische Handschriften, welcher aber nicht da ist, sondern bloß erwartet und gehofft wird. Demnach sind jetzt faktisch elf Kustoden vorhanden. Von diesen elf, wenn Sie den für die musikalische Abteilung abrechnen, bleiben zehn. Im Jahre 1839 gab es neun Kustoden, es ist also seit dieser Zeit ein einziger Kustos hinzugekommen. Dabei hat sich der Fonds von 8000 Talern auf 20 000 Taler gehoben. Der Herr Abgeordnete Reichensperger hat sich beschwert, daß dieser Fonds viel zu gering ist, er hat tausendmal recht. Aber für 20 000 Taler Bücher anzuschaffen, macht mehr als die doppelte Arbeit, als wenn Sie für 8000 Taler anschaffen sollen. Es muß jetzt mit demselben Arbeitsmaterial eine viel größere Arbeit geleistet werden. Es hat die Verwaltung der Bibliothek sich erlaubt, einen Kustoden mehr zu erbitten, sie hat sich beschränkt auf einen, da nur ein einziger kleiner Arbeitstisch noch aufgestellt werden kann, für mehr ist in der Bibliothek kein Platz mehr vorhanden, und mehr Arbeiter kann man nicht brauchen, die Maschine ist bald so weit, daß sie stillsteht. Dieser Wunsch ist leider abgeschlagen worden, ich weiß nicht warum. Man ist also immer noch auf die elf Kustoden angewiesen, diese stehen der ungeheuren Arbeit gegenüber. Nun will ich Ihnen Beispiele darlegen, in welchen Fächern einer dieser Kustoden Anschaffungen zu leisten hat: aus dem Gebiete der Medizin, Naturwissenschaften, – Naturwissenschaften, meine Herren! – Mathematik, Astronomie, Ökonomie, Technologie, allgemeine wissenschaftliche Zeitschriften, Akademien und Zeitungen. Das ist der kleine Arbeitskreis eines Kustoden der Bibliothek, und dabei, meine Herren, soll jemand noch pflichttreu arbeiten. Wie ist es möglich, wenn Sie Leuten in dieser Weise unlösbare Aufgaben stellen, daß dabei die Pflichttreue standhält? Ich gehe nie von der Bibliothek fort, ohne mich zu verwundern und zu bewundern, daß die deutsche Arbeitsamkeit und die deutsche Gelehrsamkeit an einer solchen Stelle immer noch in einem gewissen Grade ausdauert.

Es ist unerhört, wie diese Anstalt jetzt behandelt wird und es muß da Rat und Hülfe geschafft werden. Der Herr Minister hat uns die außerordentliche Schwierigkeit dieser Aufgabe auseinandergesetzt. Gerade weil ich diese außerordentliche Schwierigkeit wahrscheinlich nicht so vollständig wie der Herr Minister, aber auch sehr wohl begreife, gerade deshalb schweige ich nicht, sondern spreche ich hier, weil ich hoffe, daß es ihm die Lösung der Aufgabe leichter, wenn auch nur um ein geringes leichter machen wird, wenn hier bezeichnet wird, in welcher Weise die Dinge liegen. Es ist nicht Mißtrauen gegen das gegenwärtige Regiment, welches uns die Worte in den Mund legt – nein, das Vertrauen. Wenn Herr v. Mühler noch an diesem Tische und ich ebenfalls in diesem Hause säße, dann glaube ich, würde ich stillschweigen. Damals hatten wir zu hoffen aufgegeben: jetzt sind wir wieder so weit zu hoffen und also uns wieder zu beschweren und wieder zu klagen, in welchem Zustande sich die deutsche Wissenschaft befindet, insoweit sie von der Berliner Bibliothek abhängt. Ich weiß sehr wohl, daß es nicht ganz gerecht ist, wenn man dem vorigen Ministerium für das Vergangene allein die Schuld gibt; ich weiß sehr wohl, daß der gegenwärtige Herr Minister allein nicht im stande ist, Abhülfe zu schaffen. Aber jetzt haben sich die zwei Faktoren zusammengefunden, die dazu gehören: wir haben einen tatkräftigen Bibliothekar, der nichts mehr wünscht, als daß Wandel geschafft werde; wir haben einen tatkräftigen Minister, der, glaube ich, auch nichts mehr wünscht, als daß Wandel geschafft werde. Und nun wollen wir hoffen, daß das erhabene Haus der Hohenzollern, welches immer jedem berechtigten Wunsche der Nation, wenn es sich von seiner Berechtigung überzeugt hatte, auch die Gewährung gegeben hat, nun auch das Seinige dazu tun werde, diese Schande von der deutschen Nation zu nehmen, daß die Königliche Bibliothek in Berlin eine der schlechtesten der jetzt vorhandenen großen Bibliotheken ist.


Es ist schon hingewiesen worden auf die Beschlüsse, welche dieses Haus im Jahr 1874 gefaßt hat in Betreff der für die Königliche Bibliothek wünschenswerten Extraordinarien und über die Einstellung in den Extraordinarien für das Jahr 1875, welche die Folge dieser Beschlüsse gewesen ist. Ich glaube, es wird nicht als voreilig und überstürzt bezeichnet werden, wenn auf diese Beschlüsse jetzt zurückgekommen wird. Es waren jene Beschlüsse zwiefacher Art. Es wurde einmal hervorgehoben, daß der Bestand der Bibliothek trotz aller dafür gemachten Aufwendungen immer noch ein sehr mangelhafter sei, und daß es durchaus notwendig sei, außer dem stehenden Vermehrungsfonds, den wir im Ordinarium haben, einen Fonds zu finden zur außerordentlichen Ergänzung. Infolgedessen ist auf den Etat von 1875 eine Summe gebracht von 45 000 Mark, wie es heißt in dem Antrag: zur Ausfüllung der Lücken in den Bücherbeständen der Königlichen Bibliothek. Ich hoffe, meine Herren, daß dieser Fonds jetzt, nachdem drei Jahre vergangen sind, aufgebraucht sein wird, daß er nicht, wie so viele andere bewilligte Summen, daliegt, ohne zweckmäßig verwendet worden zu sein, und ich zweifle nicht daran, daß für den Fall, daß er aufgebraucht sein sollte, die Königliche Staatsregierung für das nächste Jahr eine ähnliche Bewilligung beantragen wird, welche ohne Zweifel mit derselben Bereitwilligkeit gewährt werden wird, wie die früheren. Jener Fonds ist kein dauernder, aber das Bedürfnis ist ein dauerndes, wenigstens für lange Zeit. Ich darf wohl sagen, daß ich die Königliche Bibliothek in vielen und wichtigen Fächern sehr genau kenne und daß unsere Bibliothek mit einem alten Übelstande zu ringen hat, den sie vielleicht nie ganz verwinden wird, mit dem Mangel eines alten Stammes. Während alle übrigen großen Bibliotheken auf Sammlungen sich stützen, die mit dem Beginn des Buchdrucks selbst begonnen haben, ist unsere Bibliothek, wie so vieles andere hier, aus dem Neuen heraus geschaffen worden. Die Königliche Staatsregierung wird sich dem nicht verschließen, daß die Lücken unverhältnismäßig groß sind und eine stetige Ausfüllung erfordern.

Ich habe keine Resolution in dieser Beziehung beantragt, weil ich damit glauben würde, offne Türen einzurennen. Ich zweifle nicht, daß die Verwaltung, wenn das Erfordernis eintritt, auf diese Bewilligung antragen wird. Es kommt dazu, daß ich in die Interna der Administration nicht eingeweiht bin und nicht wissen kann, wie weit der Lückenfonds aufgebraucht ist. Es wäre aber wünschenswert, daß bei der nächsten Etatberatung Auskunft gegeben werde, wie weit diese 45 000 Mark aufgebraucht sind, und ob es einer neuen Bewilligung hier bedarf.

Wichtiger und weit schwieriger war die zweite im Jahre 1875 beschlossene Etatsposition, welche sich befindet im Etat unter Titel 15. Es wurde damals von dem Landtage zur Erwerbung des in der Charlottenstraße belegenen Kasernenetablissements, sowie zur Ausführung von Projektarbeiten für die Akademie der Wissenschaften und die Königliche Bibliothek, eine Summe von 660 000 Mark bewilligt. Es ist mir nicht bekannt, daß seit der Zeit über die Verwendung dieser Summen eine öffentliche Verhandlung stattgefunden hat, und es ist wohl an der Zeit zu fragen, wie es denn mit dieser wichtigen Angelegenheit heutzutage steht. Wir haben damals geglaubt, und ich glaube es auch noch, daß mit jenem Beschluß des Landtages, den die Königliche Staatsregierung, indem sie den Etat publizierte, sich zu eigen macht, daß damit die eigentliche Kardinalfrage, das Δός μοι ποῦ οτῶ entschieden sei. Wir haben erwartet, daß nun der Architekt an sein Werk gehen und das Planzeichnen beginnen werde. Ich will nicht sagen, meine Herren, daß nichts getan ist in dieser Angelegenheit, das wäre voreilig; aber daß das nicht getan ist, was wir erwartet und gewünscht haben, das, glaube ich, ist eine Tatsache, die offenkundig vor uns liegt. Es ist ja eben noch aus den Erklärungen des Herrn Regierungskommissars uns zur sicheren Kunde gekommen, daß der unerträgliche Zustand des Provisoriums in stetigem Steigen begriffen ist. Es wird, ich glaube darin nicht zu irren, in dem Königlichen Gebäude, in dem alten baufälligen Gebäude demnächst wieder eine umfassende Reparatur notwendig sein, wenn dasselbe nicht zusammenfallen soll, was allerdings nach der einen Seite hin zu bedauern wäre, nach der anderen Seite hin vielleicht nicht. Dafür wird eine beträchtliche Summe aufgewendet werden müssen. Wir haben ferner gehört, daß der Raummangel jetzt so entschieden sich geltend macht, daß wir nun dazu schreiten müssen an derjenigen Stelle zu decentralisieren, wo es am allerwenigsten hingehörte, und unsere Bibliothek auseinanderzureißen in zwei verschiedene Lokalitäten. Ich glaube nicht, meine Herren, daß irgend ein noch so entschiedener Vertreter des Decentralisationsprinzipes dies billigen wird. Wenn ich bedenke, meine Herren, welche ansehnlichen Kosten durch die doppelte Einrichtung hervorgerufen werden, welche nachteiligen Folgen für die Benutzung, welche Unsicherheit durch die Herüberführung der Bücher von einem Gebäude in das andere, welche Nachteile dadurch, daß man von dem einen Lesezimmer, wenn auch nur über die Straße weg, in das andere gehen muß, entstehen, so liegt hier offenbar ein sehr bedauernswertes Provisorium vor, womit natürlich dessen Notwendigkeit, dessen derzeitige Unabwendbarkeit in keiner Weise angefochten werden soll. Aber diese Provisorien berechtigen doch immer mehr zu der Frage: wo bleibt denn das Definitivum, welches uns derselben überhebt? Meine Herren, ich will nicht all die Klagen wiederholen, die früher vorgebracht worden sind. Es ist mir früher leicht geworden in dieser Sache zu sprechen, es wird mir jetzt schwerer, weil meine Hoffnung nicht so frisch, nicht so sicher ist, wie vor Zeiten. Der Zustand ist aber in der Tat ein arger. Als ich vor zwanzig Jahren nach Berlin übersiedelte, habe ich die Bibliothekbaufrage als eine im Prinzip entschiedene gefunden, in demselben Stadium sie gefunden, in dem, wie es scheint, sie sich heute noch befindet. Meine Herren, wie lange soll dieser Zustand noch währen? und wo liegt der Grund, weshalb eine definitive Abhülfe hier nicht geschaffen wird?

Meine Herren, ich will nur noch zwei spezielle Punkte hervorheben. Bedenken Sie zunächst die außerordentliche Feuergefährlichkeit des jetzigen Lokals, bedenken Sie, meine Herren, daß die Küche des Palais unmittelbar angrenzt an die Königliche Bibliothek, und daß wir in der Tat alle Ursache haben, bis zur Erreichung des Definitivums auf einen gnädigen Vulkan zu hoffen. Ich möchte nicht, meine Herren, wenn hier ein Unglücksfall eintritt, in der Lage derjenigen Männer sein, welche hierfür die Verantwortlichkeit zu tragen haben, daß der Bibliothekbau nicht von der Stelle rückt. Hoffentlich tritt dies Unglück nicht ein, aber die Möglichkeit, daß es eintreten kann, dürfen wir uns doch nicht verbergen. Ein anderer Schade ist sicher, meine Herren: das große geistige Kapital, welches in unserer Bibliothek verschlossen ist, trägt jetzt sehr geringe Zinsen infolge der äußerst ungenügenden Einrichtung. Es würde bei besserer, bei intensiverer Benutzung ganz andere Gewinne für den Fortschritt der Civilisation bringen. Bedenken Sie, meine Herren, daß wir nicht im stande sind, es herbeizuführen, daß dem Publikum der Zugang zu den Katalogen möglich gemacht wird, wie es z. B. auch bei der Münchener Bibliothek stattfindet, und notorisch allein eine bequeme und sichere Benutzung der Bibliothek herbeiführt. Bedenken Sie die außerordentlich ungenügenden Räume des Lesezimmers; bedenken Sie, daß die Verwaltung, wenn sie sich neue Arbeitskräfte zu beschaffen wünscht, immer vor dem Bedenken steht, ob für diese Arbeitskräfte auch die entsprechenden Räumlichkeiten vorhanden sind. Man scheut sich fast einen neuen Kustos vorzuschlagen, weil man nicht weiß, wo man ihn hinsetzen soll. Bedenken Sie, daß es eine der wichtigsten Fragen für die Zukunft der Bibliotheken ist, die Möglichkeit herbeizuführen, sie in den Abendstunden zu benutzen, sie bei Beleuchtung dem Publikum zugänglich zu machen. Nur unter diesen Umständen können Sie die Bibliotheken einem großen Teil des Publikums nutzbar machen, welches den Tag darauf angewiesen ist, von seiner Arbeit zu leben und nicht im stande ist die gewöhnlichen Bibliotheksstunden einzuhalten. Unsere Staatsregierung verschließt sich diesen Rücksichten ja auch keineswegs; zu meiner großen Freude ist zum Beispiel bei der Universitätsbibliothek die Benutzung in den Abendstunden eingeführt worden. Ich bin aber der Meinung, meine Herren, daß diese Einrichtung, die ja allerdings eine sehr schwierige ist, wenn ein Neubau stattfindet, in dem Sinne wird gelöst werden können, daß man eine Benutzung auch der großen Königlichen Bibliothek in den Abendstunden herbeiführt. Daß beim gegenwärtigen Verhältnis davon nicht die Rede sein kann, das liegt auf der flachen Hand. Ich habe nur kurz erinnert an die Schäden, die Ihnen allen bekannt sind. Ich will wünschen, daß diese Klagen hier zum letzten Male geführt werden. Meine Herren, der Berichterstatter für den Etat 1875 sprach, als dieser Titel im Hause beraten wurde, im Namen der Budgetkommission (wenn ich nicht irre; ich glaube nicht, daß er für sich persönlich sprach), daß die Staatsregierung als Ganzes unzweifelhaft nicht so energisch vorgegangen ist, daß sie im stande gewesen wäre die einzelnen Schwierigkeiten zu überwinden.

Meine Herren, es ist nicht meine Absicht, ich glaube auch nicht, daß es schicklich sein würde, wenn ein einzelnes Mitglied sich gestatten würde, diese Worte zu wiederholen. Ich bin auch der letzte, der die ganz außerordentlichen Schwierigkeiten verkennt, welche sich der Erledigung dieser Angelegenheit entgegenstellen. Aber ich frage mich, meine Herren, ob, wenn ein Referent der Budgetkommission heutzutage bestände, er nicht in ähnlicher Weise sich ausdrücken würde. Ich schließe, meine Herren, mit dem lebhaftesten Wunsche, daß diese Angelegenheit in diesem Sinne zum letzten Male hier erörtert werde.


Es ist wohl einer der schwierigsten Gegenstände, der jetzt hier zur Rede steht: die Verwaltung der Königlichen Bibliothek. Der Mensch hat die Fähigkeit zu hoffen, und man kann vielleicht sagen, daß die Tüchtigkeit des Menschen und die Tüchtigkeit der Nation gemessen werden kann an der Dauerhaftigkeit der Hoffnung. Ich glaube, was das anlangt, haben wir und ich speciell in diesem Falle das Mögliche geleistet. Als ich vor 20 Jahren nach Berlin kam, war die Sache längst im Prinzip entschieden; wann diese Tatsache eingetreten ist, vermag ich nicht zu konstatieren. Aber ich persönlich bin nun bald so weit, daß ich mit dieser meiner Hoffnung, eine Bibliothek überhaupt zu erleben, eine silberne Hochzeit feiern könnte, ich wünsche das aber nicht und muß erklären, daß ich aufgehört habe hier zu hoffen. Meine Herren, es werden ja bessere Zeiten kommen. Daß in der Zukunft eine Bibliothek der Nation beschieden sein werde, das gebe ich nicht auf anzunehmen; aber daß ich das noch erleben werde, das habe ich aufgehört zu hoffen. Es ist ja immer die gleiche Lage. Jene berühmte Gardes du Corps-Schwadron hält immer noch Wache vor den Bibliothekhoffnungen, und in der letzten uns gemachten Vorlage ist von der Staatsregierung in dieser Hinsicht angegeben: es hat sich die Verlegung der Gardes du Corps-Schwadron bis jetzt noch nicht erreichen lassen. Wie der Engel mit dem feurigen Schwert vor dem Paradies, so steht die Gardes du Corps-Schwadron Unter den Linden. Nur haben in dieser Hinsicht sich unsere Urväter doch klüger bewiesen als wir; als sie jenen Engel sahen, da kehrten sie um und zogen ab, und wir stehen immer noch und hoffen, und ich fürchte wir machen kein sehr gescheites Gesicht bei dieser über alle Maßen lang hingezogenen Hoffnung. Einen Trost gibt es allerdings, aber es ist ein sehr deutscher: es ist anderswo auch nicht besser.

Meine Herren, es werden vielleicht unter Ihnen einige sein, welche die Wolfenbüttler Bibliothek besucht haben und kennen. Sie wissen, daß, was Handschriften anlangt, diese die unsere weit übertrifft, Sie wissen, daß dort der Ulfilas aufbewahrt wird und andere zahlreiche Schätze, von denen wir hier nicht zu sprechen haben. Wissen Sie aber auch, daß diese Bibliothek ein Fachbau ist, daß dreizehn Schritt von der Bibliothek entfernt das Provianthaus liegt, welches in den oberen Räumen als Strohmagazin dient, und in den unteren Räumen als Kavalleriekaserne? Was daraus kommen wird und kommen muß, das male ich nicht aus. Den Trost also, meine Herren, daß es da nicht besser ist, den gewährt uns in diesem Fall der Gedanke an die kaiserliche Küche; sie ist bei uns was in Wolfenbüttel das Provianthaus. Es ist in Wolfenbüttel kürzlich vorgekommen, daß von der Decke der Kuppel der Bibliothek ein großes Stück der Verkleidung in den Bibliotheksaal gefallen ist, daß man ein Netz hat ausspannen müssen, um die Stücke aufzufangen, um den Aufenthalt nicht zu einem lebensgefährlichen zu machen. Wer diesen Winter in unsere Bibliothek gekommen und gesehen hat, wie dies einfällige Gebäude gehoben worden ist (ich glaube, es ist ein architektonisches Meisterstück gewesen, das dort ausgeführt worden ist), wie das Gebäude in allen Fugen krachte, wie die Bibliothekbeamten mir versicherten, daß sie pflichtmäßig ausgehalten hätten, aber den Aufenthalt, ich weiß nicht ob mit Recht, für einen lebensgefährlichen gehalten hätten, wer sich bei dieser Gelegenheit überzeugt hat, wie lebensmüde das alte Gebäude ist und wie gern es uns den Gefallen täte, einzufallen, was ja doch die einzig mögliche Lösung ist, wenn nur dieser Einfall nicht immer durch künstliche Mittel ihm verwehrt würde, der muß sagen, in Wolfenbüttel und Berlin sind die Verhältnisse einerlei, dort spannt man Netze auf, hier stellt man Gerüste auf, um die Decke künstlich zu heben. Ich interessiere mich für die Wolfenbüttler Bibliothek. Sie werden das recht finden. Ich sagte gern den Braunschweigern, daß es eine Schande ist, wenn sie nicht einmal so viel Mittel aufwenden, um für diese unvergleichlichen Schätze ein feuersicheres Gebäude herzustellen, aber ich habe nicht den Mut dazu, denn der Braunschweiger würde sagen: kehre du vor deiner eigenen Tür, wie sieht es damit bei dir aus! Es ist in Deutschland alles gleich, es ist in Braunschweig wie in Berlin.

Ich möchte mir auch in diesem Falle eine Bitte an die Staatsregierung erlauben. Sie geht nicht darauf hinaus einen Bibliotheksbau herzustellen; ich habe dies schon gesagt, ich bitte nicht gern, wo ich keine Hoffnung auf Gewährung habe. Aber ich möchte die Königliche Staatsregierung ersuchen, daß sie uns für die nächste Etatberatung zusammenstellen lasse, wieviel Geld, seit entschieden ist, daß ein Neubau stattfinden muß, für Reparaturen ausgegeben ist, damit wir uns doch einmal überzeugen, wie dieses System der Verschleppung zu gleicher Zeit das finanziell verderblichste ist. Ich kann die Ziffern nicht beibringen, aber das sieht, ohne Sachverständiger zu sein, jeder der da stetig frequentiert, daß da verhältnismäßig ungeheure Summen weggeworfen sind, bloß weil wir nicht zum Entschluß kommen können. Ich wünschte, daß diese Zusammenstellung hier vorgelegt würde, damit man an derjenigen Stelle, wo die Schuld liegt, in dieser Aufstellung sich spiegele. Was sonst dadurch geschädigt wird, die großen Nachteile, die für die Förderung der Wissenschaft dadurch entstehen, weil man dort weder ordentlich anschaffen noch ordentlich arbeiten kann, die lassen sich allerdings nicht in statistischen Ziffern zusammenfassen. In dieser Hinsicht muß man es dem Gewissen der Beteiligten überlassen, sich mit sich selbst und mit dem Lande abzufinden. Aber die Verantwortung, die dort besteht und die jährlich mehr ins Ungemessene anschwillt, diese Verantwortung ist eine sehr große.



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