Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Rede zur Feier der Geburtstage König Friedrichs II. und Kaiser Wilhelms II.

24. Januar 1889. Sitzungsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1889 S. 23-35.

Wir stehen am Beginn eines neuen Jahres. Schwer hat das abgelaufene unser Vaterland getroffen. Zwei Kaiser sind im Laufe desselben in die Gruft gelegt worden; zweimal in dieser kurzen Spanne hat der die Herzen wie die Verhältnisse erschütternde Thronwechsel stattgefunden. Dem hochbetagten Kaiser Wilhelm ist allzufrüh der Sohn nachgestorben. Es ist der Akademie nicht vergönnt gewesen dem Sieger von Königgrätz und Wörth, dem Mitbegründer des Deutschen Reiches, dem vielgeliebten zweiten Deutschen Kaiser die Festfeier auszurichten, welche das auf die Lippen gebracht hätte, was alle Herzen empfanden; als dieser Geburtstag Friedrichs des Dritten herankam, lag er bereits seit Monaten im Grabe. Aber heute blicken wir nicht zurück; wir blicken vorwärts. Der König von Preußen, der Deutsche Kaiser stirbt nicht. Ewig wie unsere Nation ist unser Regiment. Wir bewahren wohl in sicherer Erinnerung das individuelle Bild eines jeden Herrschers; aber es ist mehr als unsere Pflicht, es ist unser Recht und unser Stolz die Treue und die Liebe von einem Herrscher auf den anderen zu übertragen und unbedingt und unbetagt wie dem Greise so dem Manne und dem Jüngling in freier Ergebenheit zu dienen.

Der heutige Tag ist für die Akademie ein zweifaches Fest. Es ist der Geburtstag Friedrichs des Zweiten, des Herrschers, den kein Nachfolger in Schatten stellen kann und der immer der Große und der Einzige bleiben wird, des Schöpfers unserer Akademie. Drei Tage später fällt der Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II., sein einunddreißigster, der erste seit seiner Thronbesteigung. Die Akademie, durch ihre Statuten angewiesen beide Tage öffentlich zu begehen, hat beschlossen, was sich in der Tat von selbst versteht, die Doppelfeier zusammenzufassen, und zu diesem Zwecke sind wir heute versammelt. Gestatten Sie mir nach altem akademischen Herkommen dies auf meine Weise zu tun. Wir feiern unsere Feste in unserer eigenen Art; es sind die allgemeinen der Nation, aber wie diese für jeden Staatsbürger sich mehr oder minder mit dem eigenen Tun und Treiben verknüpfen, so gilt für uns besonders auch hier das Recht der wissenschaftlichen Individualität. Wir können nicht den Anspruch machen den Erinnerungen, welche an den Namen Friedrichs II, den Hoffnungen, welche an denjenigen Wilhelms II. sich knüpfen, auch nur annähernd Worte zu leihen; wer von uns möchte eines davon unternehmen oder gar beides verbinden? Aber mich hat der heutige Tag an eine Festzeit erinnert, die auch einem jungen Herrscher galt und die durch die Lieder eines der Dichter, die mit diesem Herrscher gingen, heute noch, obwohl seitdem zwei Jahrtausende verflossen sind, in ewiger Frische vor uns steht. Wie Friedrich II., wie unser gegenwärtiger Kaiser, so ist auch derjenige Herrscher, welcher den Kaisernamen mit der Monarchie verknüpft hat, Cäsar Augustus als Jüngling zum Regiment gekommen. Als in schweren Kämpfen und Krämpfen die alte Staatsform zertrümmert und die Samtherrschaft beseitigt, die Monarchie entschieden war, als der Augenblick kam, in welchem die neue Staatsform förmlich und feierlich ins Leben trat, da gab der Dichter Horaz dem großen Neubau die dichterische Weihe. Die ersten sechs Gedichte des dritten Buches seiner Lieder bilden ein Ganzes und sind bestimmt den neuen Namen Augustus zu feiern und die an diesen Namen sich knüpfenden Gedanken zusammenzufassen. An diese Lieder will ich Sie erinnern: denn Sie kennen sie wohl. Odi profanum volgus et arceo – lustum et tenacem propositi virum – es sind Ihnen allen bekannte Klänge aus der Jugendzeit, Aber anders lesen Knaben den Horaz als ich ihn heute Ihnen vorführen möchte, in der Gesamtbeleuchtung eines großen historischen Vorgangs; und wie zur Rose der Sonnenschein, so gehört zu diesen Liedern der Hintergrund der Geschichte.

Das einleitende Gedicht ist wie billig allgemein gehalten. Die Geschicke der Menschen, wie sie jetzt sich gestalten werden, will der Dichter offenbaren. Er spricht wie jeder Prophet zu den Glaubenden; die Gemeinen, die für die neue Offenbarung Unempfänglichen, auszuweisen ist sein erstes Wort odi profanum volgus et arceo. ; sein zweites, daß er zu der Jugend redet, den Jünglingen und den Mädchen virginibus puerisque canto. , daß der neue Gesang an das kommende Geschlecht sich wendet. Drei Generationen hindurch hatte in dem gewaltigen Reiche, das unbestritten die Herrschaft über die Welt besaß, innerer Haß und blutige Fehde gewütet; nicht an die Alten und Kalten, an die frischen Gemüter der noch bestimmbaren jungen Welt wendet sich der Prophet der Monarchie.

Den Glauben an das unabänderliche Schicksal stellt der Dichter voran. Über die Menschen herrscht der König, über die Könige Jupiter, der Bezwinger der Giganten, vor dessen Wink die Welt erbebt; er denkt an Augustus, den Besieger des Antonius, den Herrn Roms und des Erdkreises; denn dem Römer ist der Erdkreis das Reich. Aber über alles und über alle gebietet die Notwendigkeit. Die Menschen sind wohl verschieden. Der eine Gutsherr zählt weitere Rebenstrecken als der andere; dieser Edelmann hat mehr Ahnen aufzuweisen als jener und mehr Hoffnung auf Beförderung; der eine besseren Leumund, der andere größeren Einfluß; aber das Los des Todes ziehen sie alle gleichmäßig aus der Urne des Schicksals, die Hohen wie die Niederen aequa lege Necessitas sortitur insignis et imos. . Ruhiges Leben gibt allein der innere Friede. Wem die schlimme Begierde am Herzen nagt super impia cervice. , dem wird es nicht gelingen, sich in das allgemeine Menschenschicksal gefaßten Sinnes zu finden. Die niedere Hütte, die mäßige Häuslichkeit sucht der befriedete Schlaf am liebsten auf somnus agrestium lenis virorum non humilis domos fastidit. . Er flieht den Kaufmann, der, wenn im Herbst die Stürme brausen, seiner Schiffe auf den fernen Meeren gedenkt; er flieht den großen Grundherrn, dem Hagelschlag und Überschwemmung, trockener Sommer oder harter Winter die gehofften Ernten zerstören. Wohl mag der Reiche sein Landhaus ins Meer hineinbauen, Werkstein um Werkstein in die Fluten versenken und den Fischen ihr Reich schmälern; darum nicht weniger gehen Furcht und Angst mit ihm auf Schritt und Tritt und sitzt die schwarze Sorge neben ihm, wenn er zu Schiff fährt, und hinter ihm auf, wenn er zu Pferde steigt neque decedit aerata triremi et post equitem sedet atra cura. . Wohl dem, schließt der Dichter, der, wie er selbst, mit Mäßigem zufrieden ist desiderantem quod satis est. und dem die Mühsal des Reichtums erspart wird.

Diese Lebensauffassung, gemischt aus dem Behagen an dem eigenen Kleinleben und dem Verzagen an der großen Gesamttätigkeit der Nation, geht durch den ganzen Poeten, man kann sagen durch die ganze damalige Welt. Hier tritt sie einleitend auf zu der weiteren Entwickelung, die der neue Augustus den römischen Dingen gibt.

Das folgende Gedicht preist ebenfalls allgemein die Tapferkeit und die Rechtschaffenheit, aber beide mit besonderer Beziehung auf zwei der wichtigsten Institutionen der neuen Monarchie: den neuen Stand des Berufssoldaten und den ebenfalls neuen des kaiserlichen Beamten. Wie die stehende Armee erst durch Augustus definitiv organisiert worden ist, so ist die Schaffung des Berufssoldaten im Gegensatz zu dem Bürgersoldaten der Republik ein Werk des Augustus. Die Offiziere gingen nach Augustischer Ordnung mit verschwindenden Ausnahmen hervor aus den beiden bevorrechteten Adelskategorien und es gab kein Avancement vom Gemeinen zum Offizier. Die Gemeinen aber werden genommen aus den niederen Klassen, allerdings unter Ausscheidung der gewesenen Sklaven und für die Legionen auch der rohen Landbevölkerung; die freigeborenen unbemittelten Stadtbürger sollten, hauptsächlich durch freiwillige Stellung, die Soldaten wie die Unteroffiziere liefern. Das liegt zu Grunde bei dem wohlbekannten Spruch des Dichters: mit knappem Auskommen sich gern begnügen lerne im schneidigen Kriegsdienst die tapfere Jugend und zu Pferde dem Parther die Spitze bieten angustam amice pauperiem pati robustus acri militia puer condiscat et Parthos feroces vexet eques. ; wobei weiter daran gedacht ist, daß die ganz verschwundene Bürgerreiterei durch Augustus wieder ins Leben gerufen ward. Dieser Soldat ist zu Besserem berufen als zum Politisieren. Die Ehren des Tapferen haben nichts zu schaffen mit dem unsauberen Treiben des Wahlgeschäfts virtus repulsae nescia sordidae intaminatis fulget honoribus. ; er nimmt und verliert nicht die Liktorenbeile nach der Laune der Menge nec sumit aut ponit securis arbitrio popularis aurae. ; sein Beruf ist der Kriegsdienst, seine Freude und sein Stolz für das Vaterland zu sterben – dulce et decorum est pro patria mori. Das ist der Soldat der Monarchie, der arme römische Bürgersmann, der nach zwanzigjährigem Dienst, wenn es ihm nicht beschieden war für sein Vaterland zu sterben, als ausgedienter Unteroffizier seine Altersversorgung in bürgerlicher Ruhe findet.

Unvermittelt, nicht eben poetisch wohl angeknüpft und mit kurzem Wort wird der Preis eines zweiten Standes angeschlossen, dessen Ehre der Fleiß und der Gehorsam ist: es sind die neuen kaiserlichen Verwaltungsbeamten, denen gleich den Soldaten die eigentliche politische Laufbahn, der Reichsdienst verschlossen ist, die aber im Dienst des Kaisers vor allem bei der Steuerhebung, aber auch sonst in administrativen Geschäften jeder Art mannigfach verwendet werden. Dem Dichter sind sie nicht bequem gewesen; Amtführung und Gewissenhaftigkeit zu besingen ist schwierig. Aber man fühlt es ihm nach, wenn er der schweigsamen Treue ihr Lob zollt est et fideli tuta silentio merces. und von dem Fluche spricht, welcher an Unredlichkeit und Vertrauensbruch sich heftet. raro antecedentem scelestum deseruit pede Poena claudo. Diese von Augustus ins Leben gerufene zweite Kategorie von Beamten ist es gewesen, durch die es der Monarchie gelang die entsetzliche Mißwirtschaft des Adelsregiments zu beseitigen und diejenige Ordnung in die Verwaltung zu bringen, welche auch unter den vielfachen Übelständen der Hofwirtschaft auf Jahrhunderte hinaus von Segen blieb.

Das dritte der sechs Feiergedichte greift unmittelbar ein in die politischen Zeitfragen. Es führt uns in den Götterrat und zeigt, in welcher Weise Rom die fast verscherzte Gunst der Olympischen wiedergewonnen hat und unter welchen Voraussetzungen sie ihm bleiben wird. Deutlich wird hier hingewiesen auf die Kleopatra mit ihrem Buhlen: sie ist die mulier peregrina, die Ausländerin, die Lacaena adultera, die griechische Ehebrecherin, durch die Ilion zu Grunde gegangen ist und an der auch Rom zu Grunde gegangen sein würde, wenn es ihr gelungen wäre vereint mit dem von ihr berückten römischen Gast famosus hospes. Ilion abermals aufzurichten. Darin liegt ohne Zweifel eine bestimmte Beziehung. Cäsar dem Diktator ist es nachgesagt worden, daß er beabsichtigt habe die Hauptstadt seiner neuen Monarchie nach Troja zu verlegen. Dies meint der Dichter nicht, da es mit den damaligen Verhältnissen nichts zu tun hat und überhaupt sein Tadel sich nicht gegen den Vater des Augustus und den Anbahner des neuen Regiments richten kann; aber es ist kaum zu bezweifeln, daß eine ähnliche Rede gegen Antonius in Umlauf war. Wir wissen, daß er der Unholdin, welcher er verfallen war, ihr Königreich mit erweiterten Grenzen zurückgeben, daß er aus den Ostreichen Armenien und Syrien Dependenzstaaten des Reiches gestalten wollte; Kleopatras mit Cäsar und mit ihm selbst im Ehebruch erzeugten Kinder waren gedacht als die geeigneten Herren dieser römisch-orientalischen Bastardreiche. Welche Rolle er dabei sich zugedacht hatte, wird durch den Gegensatz klar: das eigentlich römische Ostreich sollte das seinige sein und, wie es Cäsar gedacht haben sollte, das neue Ilion dessen Hauptstadt. Dies war die Auslieferung der römischen Weltherrschaft an den Orient, die Knechtung Italiens durch die besiegten Griechen und Halbgriechen; diese Auslieferung ist durch den Sieg am Actischen Vorgebirge verhindert worden. Das wendete ab von Rom der gerechte und entschlossene Mann, iustus vir et propositi tenax, welcher mit festem Sinn, mente solida, unbeirrt durch die Verkehrtheit irregeleiteter Bürger, ungeschreckt durch die Macht des Tyrannen, über die stürmischen Wogen des Adriatischen Meeres hin auster dux inquieti turbidus Hadriae. die Römer nach Actium führte und es darauf wagte, daß der Erdkreis über ihm und den Seinen zusammenbreche – si fractus inlabatur orbis, impavidum ferient ruinae. Also ist der lange Bürgerkrieg geschlossen nostrisque ductum seditionibus bellum resedit. und Friede in die Welt gekommen. Romulus wird von den Himmlischen wieder begnadet und als ihresgleichen behandelt; das Kapitol wird leuchten und Rom, wie bisher die Untertanen weniger besteuernd als beherrschend aurum … spernere fortior quam cogere. , über drei Erdteile gebieten quicumque mundo terminus obstitit, hunc tanget armis. , sein Name bis zum Aufgang der Sonne und bis zu den Nebelreichen des Westens die Völker schrecken, solange Rom in Italien bleibt und nicht nach Troja übersiedelt fata Quiritibus hac lege dico ne … tecta velint reparare Troiae. . Der Mann aber, der dieses vollbracht hat, ist wohl den Göttern gleich zu achten und wie dem Bezwinger der Ungeheuer Herkules und dem Indersieger Bacchus wird auch ihm dereinst im Götterkreise der Nektar kredenzt werden Augustus recumbens purpureo bibet ore nectar. .

Keiner, der mit offenen Augen dieses ernste und schwungvolle Gedicht liest, kann sich dem Gedanken entziehen, daß der warnende Sänger Byzanz geahnt hat, die nova Roma an den Dardanellen; und man irrt damit nicht. Der Dichter spricht nur aus, was die unvollkommene geschichtliche Überlieferung dieser Epoche zu melden versäumt hat und was dennoch unendlich wichtiger ist als beinahe alles, was sie berichtet. Sicher ist es in all den Jahrhunderten der Republik keinem römischen Bürger, welcher Art er sein und welcher Partei er angehören mochte, auch nur in den Sinn gekommen, daß das Römerreich anderswo als in Italien und Italien anderswo als in Rom seinen Mittelpunkt finden könne. Aber es ist nicht minder unzweifelhaft, daß umgekehrt gleich mit den Anfängen der Monarchie die Frage in Rom ihren Einzug gehalten hat, ob für den lateinisch-griechischen Großstaat, für das ungeheure Reich des Mittelmeers die italische Kontinentalstadt der rechte Mittelpunkt sei, weiter die Frage, ob der neue Wein nicht den neuen Schlauch, die Umgestaltung der alten Ordnung nicht die Dekapitalisierung Roms notwendig mache. Es bestätigt sich dies durch ein weiteres kaum weniger beredtes Zeugnis eines Zeitgenossen des Horaz und eines nicht minder berühmten. Der Geschichtschreiber Livius An den Camillus des Livius hat mich zur rechten Zeit Wilamowitz erinnert., dessen hieher gehörige Bücher unseren Liedern genau gleichzeitig sind, führt seinen Lesern dieselbe Frage im mythhistorischen Gewande vor. Bei Gelegenheit der Eroberung Vejis wird bei ihm darüber verhandelt, ob nicht neben Rom oder auch statt desselben die schöne Etruskerstadt der Sitz der Herrschaft werden solle, und die große Rede des Camillus entwickelt völlig den gleichen Gedanken, daß Rom nicht sein könne außerhalb Rom. ›Soll unser Sieg‹, heißt es hier, ›die Heimat ärger verwüsten als es der Angriff der Barbaren getan hat? ist hier nicht jeder Fleck durch fromme Erinnerungen, durch die Spuren der Väter geheiligt? kann der Kapitolinische Jupiter vom Kapitol, kann Romulus Quirinus vom Quirinal nach der Stadt der Landesfeinde auswandern? Hier weht gesunde Luft auf den Hügeln, hier bringt uns der Strom die Ernten aus dem Binnenland, hier ist das Meer fern genug, um jeden Angriff der Piraten auszuschließen, und doch so nahe, daß es uns alles gewährt was wir brauchen; hier ist der Mittelpunkt Italiens.‹ Horaz wie Livius sprechen im Sinne des neuen Augustus. Sein Regiment, ein Kompromiß zwischen der alten Republik und der neuen Herrengewalt, hat so gehandelt, wie die Juno des Dichters, der Camillus des Historikers es verlangen: Rom blieb in Rom und die einzige Reichshauptstadt. Als jenes Kompromiß fiel und Diokletian und Konstantin die reine Monarchie durchführten, war ihr erster Schritt die Dekapitalisierung der Hauptstadt, ihr zweiter die Gründung des neuen Roms am Bosporus. Man kann es in einzelnen Spuren verfolgen, daß während der großen Stagnation der drei ersten Jahrhunderte des Kaiserregiments diese allentscheidende orientalische Frage doch nie völlig von der Tagesordnung verschwunden ist, bis dann die Geschicke sich erfüllten und der letzte Akt des großen historischen Schauspiels auf griechischem Boden sich vollzog. Allerdings ging dann auch des Dichters Fluch in Erfüllung: nicht Siegestaten und Eroberungen, sondern Niederlagen und Zerfall füllen die lange Agonie des Konstantinischen Neuroms.

So feierlich wie in diesem mächtigen Liede spricht Horaz nicht leicht, und er selber ruft seiner Muse am Schluß desselben die Warnung zu sich nicht allzu hoch zu versteigen quo Musa tendis? und den Olymp in Ruhe zu lassen. In dem folgenden Liede kommt sie denn auch vom Himmel herab descende caelo. und mehr als vielleicht irgendwo sonst tritt hier die Person des Dichters in den Vordergrund. Seine Knabenzeit kommt ihm wieder; er ist wieder auf den Bergen der apulischen Vaterstadt bei seiner märchenreichen Amme Pullia me fabulosae Vulture in Apulo nutricis extra limina Pulliae (so die besten Hdschr.). Der Name ist gewöhnlich und die Nennung der Amme hier ebenso berechtigt wie die der drei apulischen Städtchen.; müde vom Spiel ist er unter den Bäumen eingeschlafen und der Schwarm der Tauben deckt sorglich den künftigen Dichter vor dem Stich der Natter und dem Bisse des Bären; wundernd schauen die Bewohner der kleinen Gebirgsstädte der Nachbarschaft, die Acerentiner, die Bantiner, die Forentaner dem Zeichen zu. So ist er gefeit, und er führt dies weiter aus: er erinnert sich der bestandenen Gefahren, des Schlachtfeldes von Philippi, der stürmischen Überfahrt nach Sicilien, des neben ihm niederschlagenden Baumes – nichts hat es ihm anhaben können, und sollte ihn sein Los zu den Britten oder den Skythen führen, es werden auch dort die Göttinnen die Hand über ihm halten. Dieses zarte Verhältnis der Muse zu ihrem Dichter hat nichts zu schaffen mit der großen Politik; aber auch hier kommt er mit feiner Wendung zurück auf Augustus. Die Poesie des Augustischen Zeitalters ist auch ein Teil seines Friedenswerkes. Eben die Musen knüpfen den Dichter an den Herrscher; auch dieser lauscht ihnen gern und wenn er ausruhen darf von den Geschäften des Staates, der Überführung seiner siegreichen Soldaten in die ihnen bereiteten friedlichen Ansiedelungen, dann verschönen die holden Klänge der Poesie seine Mußestunden und stimmen ihn zur Milde. Die Musen, sagt der Dichter, der dies ja an sich selbst erfahren hatte, geben milden Rat und es freuen sich dessen die Holden vos lene consilium et datis et dato gaudetis almae. . Aber die Milde ist nur am Platz nach dem Siege. Noch einmal entrollt der Dichter das Bild des gewaltigen Ringens, dem der schwer gewonnene Frieden entsprungen ist, diesmal, wie schon in dem ersten Gedicht, anknüpfend an den Kampf der Giganten gegen die himmlischen Heerscharen. Jupiter und Augustus fließen hier in nicht korrekter Anschauung dem Dichter dermaßen zusammen, daß der Gott Kaiser herrscht einerseits über Erde und Meer, andererseits über die Städte des Reiches und die barbarischen Königreiche qui terram inertem, qui mare temperat ventosum et urbes regnaque tristia divosque mortalisque turmas imperio regit unus aequo. , er die Scharen der Götter ebenso befehligt wie die der Menschen. Die Ausführung im einzelnen läßt die Erdenwelt fallen und ist rein mythologisch gehalten; die Gäa weint um ihre vom Blitz erschlagenen Riesensöhne ganz wie auf dem pergamenischen Fries. Aber die abschließende Betrachtung des Dichters, daß Gewalt ohne Einsicht in sich selbst zusammenbricht vis consili expers mole ruit sua. und sie den Göttern nur da wohlgefällig ist, wo sie sich selber mäßigt, spricht wieder scharf und klar die Gegensätze aus, welche in diesem Akt der großen römischen Schicksalstragödie miteinander rangen.

Das fünfte Gedicht ist eine Verteidigung des Augustus wegen seiner äußeren Politik. Nichts scheidet diesen schärfer von dem Manne, dessen Namen er trug und dessen Werk er weiterführen sollte, als sein Abwenden von der weiteren Ausdehnung des Reiches. Daß Britannien, Germanien, das Partherreich nicht sogleich oder auch überhaupt nicht zum Römischen Reich gekommen sind, das ist vielleicht die wichtigste Folge des von Brutus und Cassius vollzogenen Mordwerkes. Cäsar hatte dies alles gewollt; und da die Erbschaft der Monarchie nicht unter der Wohltat des Inventars angetreten werden kann, so ging die Verpflichtung diese Gebiete zum Reiche zu ziehen unweigerlich auf seinen Nachfolger über. Die öffentliche Meinung muß sich in dieser Richtung tief und mächtig geltend gemacht haben. Die fast unabweisbare Ableitung der starken republikanischen Gegenströmung durch die Glorien und die Victorien, die Stimmung des von Augustus reorganisierten Offizierstandes, die unleugbare Unfertigkeit der Zustände besonders im Westen haben Augustus bestimmt das Cäsarische Kriegsprogramm unverändert festzuhalten, und nirgends ist dies schärfer ausgesprochen als im Eingang unseres Gedichts: die Eroberung Britanniens und Persiens wird hier bestimmt verheißen, ja erst wenn diese vollendet sein werde, wird Augustus ebenso als der irdische Gott sich offenbart haben, wie Jupiter sich offenbart durch den Donner als der Herr des Himmels, und wird er also als lebendiger Gott die Erde beherrschen. Ebenso hat er vorher in dem Soldatengedicht den Legionär geschildert, wie er den Parther niederwirft und die Braut des persischen Prinzen zitternd dem römischen Löwen nachschaut. Allein dieses Programm sollte, wie dies ja auch sonst vorkommt, die Absichten seines Urhebers nicht offenbaren, sondern verdecken; und daß es keinen weiteren Zweck hatte, war durch den Krieg gegen Antonius in unbequemer Weise jedem, der sehen wollte, offenbart worden. Der Verlauf desselben hatte den Sieger nach Ägypten und nach Syrien geführt. Er gebot über ungeheure Truppenmassen, für welche es nirgends sonst eine Verwendung gab. Mit dem Partherkönig Phraates befand Rom sich im Kriegsstand; auch König Artaxes von Armenien, einst von Antonius als Geisel in Alexandrien festgehalten und aus der Gefangenschaft entwichen, war durch die Parther auf den Thron gesetzt und stand vor wie nach der Katastrophe des Antonius mit den Römern in offener Fehde. Der Rachezug wegen des Tages von Karrhae, die Unterwerfung der Parther lag damals viel näher und war viel leichter auszuführen als da der Diktator Cäsar sich zu dem gleichen Unternehmen anschickte. Augustus aber kehrte aus dem Orient heim, ohne in dieser Hinsicht irgend einen Schritt getan zu haben. Es soll hier nicht gefragt werden, inwieweit dies klug war oder schwach oder beides zugleich; daß nicht wenige, und vermutlich eben die tatkräftigsten und die treuesten Anhänger der neuen Monarchie darüber stutzten, ist zweifellos; sicher ist gleich darauf der ernste spanische Krieg hauptsächlich unternommen worden, um mit der Tat zu beweisen, daß dem Nachfolger Cäsars nicht die Schlagfertigkeit fehle, sondern er nur sie mit der Besonnenheit verbinde und den näherliegenden Aufgaben vor weiter aussehenden den Vorzug gebe. Diesen Tadlern antwortet hier der Dichter. Schon in dem großen dritten Gedicht findet sich die Wendung, daß bei Roms gewaltiger Machtstellung wenig darauf ankomme, ob die ihm Entlaufenen irgendwo als Könige regierten qualibet exules in parte regnanto beati. , wo augenscheinlich der armenische Artaxes gemeint ist. Hier in dem fünften ist die Verteidigung anders gewendet. Zehntausend römische Bürger waren bei der Katastrophe des Crassus in parthische Gefangenschaft geraten; als vierundzwanzig Jahre später Augustus nach Syrien kam, mußten deren nicht wenige noch am Leben sein, und begreiflicherweise machten die Kriegslustigen in erster Reihe geltend, daß die römische Ehre deren Befreiung verlange. Darauf antwortet der Dichter mit einer dem Regulus in den Mund gelegten Ausführung: der gefangene Römer sei kein Römer mehr und der Befreiung nicht wert. Der schroffe Übergang von dem Kriegsprogramm zu dieser Abweisung desselben zeigt klar genug deren logische und praktische Bedenklichkeit; aber die Intention des regierungsfreundlichen Dichters tritt darum nur um so deutlicher zu Tage. Man möchte meinen, daß selbst im Senat solche Stimmen laut geworden sind und daß aus diesem Grunde der Dichter zweimal an ihn sich wendet, Regulus die schwankenden Gemüter der Väter der Stadt,. labantes patres, zu patriotischer Resignation ermahnt.

Das sechste und letzte Gedicht erläutert sich selbst. Es ist einer der charakteristischen Züge der Augustischen Staatsreform und ebenfalls ein scharfer Gegensatz zu der Cäsarischen, daß ihr Fundament die restaurierte Orthodoxie war. Dies nimmt der Dichter auf. Der Römer herrscht, weil er gottesfürchtig ist dis te minorem quod geris, imperas. . Alles Unheil, welches die Ausländer über Rom gebracht haben oder fast gebracht hätten, die wiederholten Siege der Parther, die Schande, daß die Pfeile der Geten und die Galeeren der Ägypter die heilige Stadt haben zittern machen, geht zurück auf die Vernachlässigung der Tempel. Aus dem Mangel der Gottesfurcht folgt weiter der Verfall der Sitten, namentlich der Frauenzucht; unsere Väter waren nicht was unsere Ahnen und schlechter als sie, werden wir ein noch erbärmlicheres Geschlecht erzeugen aetas parentum peior avis tulit nos nequiores mox daturos progeniem vitiosiorem. . Dies Gedicht ist die poetische Verklärung der Sittenreform, zu welcher Augustus ebendamals die ersten Schritte getan hatte und der er von da an sein Leben gewidmet hat. Daß er unmittelbar nach seiner Rückkehr sämtliche Tempel in Rom, zweiundachtzig an der Zahl, einer umfassenden Restauration unterwarf, erzählt er selbst in seinem Rechenschaftsbericht; und obwohl sein Ehebruchsgesetz sich nicht mit Bestimmtheit datieren läßt, so kann eben nach den Äußerungen des Dichters daran kein Zweifel sein, daß wenn nicht dieses selbst, doch die Vorbereitungen dazu in dieselbe Epoche fallen. Auch dies kehrt alles völlig wieder bei dem Livianischen Camillus. Die Vernachlässigung der religiösen Pflichten hat die Katastrophe über Rom gebracht; die Gottesfurcht zieht jetzt wieder ein und der Sieger erneuert, bevor die Häuser der Menschen wiederaufgebaut werden, vor allem die sämtlichen Gotteshäuser der verwüsteten Stadt.

Damit ist der Kreis dieser Gedichte geschlossen. Sie werden alle ungefähr gleichzeitig geschrieben sein. Der Herrscher kam im Sommer des J. 29 v. Chr. nach Rom zurück und erhielt nach dem vorläufigen Abschluß seiner staatlichen Ordnungen im Anfang des J. 27 den Namen Augustus; der Dichter hat bereits Kunde von seinen neuen Einrichtungen und nennt ihn mit dem neuen Namen; wir werden annehmen dürfen, daß die sechs Gedichte um diese Zeit entstanden sind. Sie schließen wohl zusammen. Nach der Einleitung über das allwaltende Schicksal und die menschliche Bescheidung führt der Dichter uns vor den Preis der Tapferkeit und der Treue in Anwendung auf den neuen Soldaten- und Beamtenstand; die Abwehr der drohenden Unterwerfung Roms unter die Griechen; die Besiegung des Antonius; die Unstatthaftigkeit des Partherfeldzugs; endlich die Wiederherstellung der Gottesfurcht und der Sittenzucht. Es sind höfische Gedichte; die Muse tut mitunter darin Advokatendienst und die Vermischung des Olymps und des Palatins führt hier und da zu Unklarheiten und Geschmacksfehlern. Aber dies trifft nur Nebensachen. Darf man den richtig fühlenden und heiter gearteten Dichter glücklich preisen, daß er aus den trüben Wolken entsetzlichen Haders eine reinere und bessere Staatsordnung hat hervorgehen sehen, so hat es auch Augustus wohl verdient in so feiner, so aufrichtiger und so würdiger Weise gefeiert zu werden, Die Produkte der Schmeichelliteratur pflegen zu den Werken zu gehören, die noch vor ihrem Urheber vergehen. Die Lieder des Horaz lesen wir heute noch und wenn die Barbarisierung nicht allzu rasch vorschreitet, werden sie noch manches Geschlecht erfreuen; denn im großen und ganzen ruhen sie auf rechter und echter Empfindung.

An die schöne Erscheinung eines großen Herrschers und eines dankbaren Volkes, welche die Lieder des Horaz verewigt haben, kann unser heutiges Doppelfest nicht eigentlich anknüpfen. Friedrich der Zweite hat nicht die Liebe gefunden, die er verdient hat. Der unbeschreibliche Zauber, der seine Persönlichkeit in der Jugendzeit umfloß und von dem die anmutigen Rheinsberger Erinnerungen getragen werden, hat sich nie in vollem Maße auf die Massen erstreckt; die überströmende Genialität, das in dem König stark entwickelte kaustische Element, die Abwendung von der nationalen Unart und Art standen dem hindernd im Wege. Als dann später in der fürchterlichen siebenjährigen Spannung des großen Krieges seine Heiterkeit auf den Schlachtfeldern geblieben war, da sah wohl die Welt mit Bewunderung und sahen die Preußen mit Stolz hinauf an dem Sieger von Roßbach und Leuthen; aber Vereinsamung und Menschenverachtung zogen in sein Herz ein und die mächtige Pflichterfüllung hatte nur zu stetig ihren Lohn in sich selber zu finden. Erst die späteren Generationen haben die Dankesschuld vollständig empfinden gelernt oder lernen vielmehr noch daran; wir dürfen sagen, daß unsere Akademie wesentlich dazu beigetragen hat und weiter dazu beiträgt, die eigenartige Größe dieses Regenten mehr und mehr zur Kenntnis zu bringen. Was ihm das Leben nur halb gewährt hat, ganz hat oder wird es die Nachwelt ihm geben.

Dem jungen Herrscher, der heute an seiner Stelle steht, gehört die Zukunft. Ernste Auffassung seines hohen Amtes und pflichttreues Walten erkennen wir wohl; es ist das ein Großes, aber es ist nichts Besonderes. Wir haben es erlebt, wie der neunzigjährige Großvater, wie der sterbende Vater des Regiments gewaltet haben; in Preußen verwundert man sich nicht, wenn der Herrscher seine Pflicht tut und für das Hohenzollernblut paßt solche Lobpreisung nicht. Wir stehen an der Schwelle seiner Regierung; und jedes neue Regiment ist ein verschlossenes Buch. Noch hat kein Herrscher über Preußen gewaltet, dessen Persönlichkeit nicht schwer und eigenartig in die Wagschale gefallen wäre; noch hat keiner regiert, dem das Schicksal nicht die schwarzen wie die heiteren Lose beschieden hätte. Gewiß leuchtet unserem gegenwärtigen Kaiser insofern ein glücklicherer Stern als dem Begründer der römischen Monarchie, als er mehr zu erhalten hat als zu schaffen; ein glücklicherer auch als dem großen Friedrich, der das Werk des Vaters in der Weise fortsetzte, daß er die gerade entgegengesetzten Wege einschlug. Das Reich ist geschaffen und der Weg ist gewiesen; aber vieles ist unfertig und erwartet seine Vollendung; vieles verhadert und erwartet seine Befriedung; vieles gefährdet und erwartet seine Probe. Was auch kommen mag, Fürst und Volk sind gefaßt auf die guten wie auf die schlimmen Tage; sie wissen, daß den Deutschen das Leben nicht leicht gemacht wird, den Regenten so wenig wie den Regierten, sie wissen aber auch, daß sie für Glück und Unglück zusammengehören und im Glück wie im Unglück zusammenstehen werden. Dem ersten Wilhelm ist es vergönnt gewesen, was dem großen Friedrich das Schicksal versagt hat, daß die Liebe seines Volkes ihm, wie einst dem Kaiser Augustus, sich zugewendet und ihn durch sein langes Leben in stetigem Steigen begleitet hat. Möge dereinst, wenn kommende Geschlechter also auf die Regierung des zweiten Wilhelm zurückblicken wie wir heute auf die des ersten, die gleiche dankbare Erinnerung, die gleiche über den Tod hinaus treue Liebe an den Namen unseres jungen Herrschers sich knüpfen.



 << zurück weiter >>