Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Rede zur Feier des Geburtstages des Kaisers

20. März 1884. Sitzungsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1884 S. 245-253.

Vereinigt abermals zur Feier eines Tages, den wir vom Königstage zum Kaisertag haben werden sehen und der also den gewaltigen sittlichen und bürgerlichen Vorschritt unseres Volkes in unserer Zeit in festlicher Freude zum Ausdruck bringt, zur Feier desjenigen Herrschers, der so sehr ein Mehrer des Deutschen Reiches gewesen ist, daß für einen solchen in der Zukunft kein weiterer Raum bleibt, zur Feier des Geburtstages unseres Kaisers und Königs versuchen wir wiederum der Empfindung des Dankes und der Freude, des Vertrauens und der Hoffnung den angemessenen Ausdruck zu geben.

Ganz vermögen wir es nicht. Wenn es der Vorzug und das Glück der jetzigen Generation ist mit unserem ehrwürdigen Kaiser und unter ihm zu leben, so ist es späteren Geschlechtern vorbehalten das, was wir erlebten und erfuhren, oft durch den Augenblick so beherrscht, daß der große Zusammenhang der Dinge, das Ineinandergreifen mächtiger Verhältnisse und gewaltiger Persönlichkeiten vor den momentanen Eindrücken zurücktraten, dies Erlebte und Erfahrene in die feste Form des geschichtlichen Urteils zu fassen und die deutliche Erkenntnis der dauernden Erfolge zum allgemein gültigen Ausdruck zu bringen. Wir empfinden es ja alle in lebhaftester Weise, daß die Instanz der Geschichte die Auffassung der Mitwelt nicht rektifizieren, nur schärfer begründen und tiefer fassen wird; aber das Urteil steht bei den Mitlebenden nicht. Getrost stellen wir es der Zukunft anheim.

Aber einen Rückblick in die ferne Vergangenheit will ich heute versuchen, und versuchen in diesem Rückblick auf das was war die Empfindung für das zu steigern, was da ist, was wir heute haben. Wenn diese Rückschau auch in die ferne griechische und römische Zeit uns hinführt, so glaube ich damit nicht unsere eigene Vergangenheit zu verlassen. Wie man auch dazu tun mag die sogenannten klassischen Studien durch eine andere Jugendbildung zu verdrängen, die sehr häufig nichts anderes ist als die drapierte Ignoranz; wie in der Tat unvermeidlicherweise das eigentliche Können und Wissen auf klassischem Gebiet sich in engere Kreise zurückzieht und die weiteren nur durch deren Vermittelung noch daran teilhaben, das bleibt immer wahr, daß griechisches Sinnen und römisches Denken auch jetzt noch bewußt oder unbewußt die humane Bildung beherrschen; und wenn die Gedanken der Lebenden zu ihren Ahnen im Reiche des Geistes sich zurückwenden, sie bei den Dichtern, den Künstlern, den Staatsmännern Athens und Roms öfter verweilen als bei denen der zeitlichen Vorepoche unserer heutigen Kultur. War es unseren Rechtsgelehrten nicht wie ein wiedergewonnenes Stück der eigenen wissenschaftlichen Vergangenheit, als Niebuhr den Gaius in Verona fand? ist der Hermes des Praxiteles, den deutsches Wagen und deutsches Geld aus dem Sande des Alpheios wieder ans Sonnenlicht emporhob, nicht überall, und vor allem hier in Berlin, unter die häuslichen Heiligtümer aufgenommen, unter diejenigen Symbole, die, wie die Rose im Garten, jeden bei sich an jedem Tage in seinem eigenen kleinen Heim daran erinnern, daß die Welt des Schönen auch ihm mitgehört? Wir werden auch ferner das Ideal menschlicher Gesittung fortfahren auf gut lateinisch Humanität und denjenigen, welcher den Homer meint mit der Zeit durch die Lehre von den Kegelschnitten ersetzen zu können, auf gut griechisch einen Banausen zu nennen, und wir rechnen für dieses Latein und dieses Griechisch auch ferner auf das Verständnis und das Einverständnis des deutschen Publikums.

Es ist uns mit jenen unseren geistigen Vorfahren wie vieles andere, so auch und vor allem das gemeinsam, daß die große nationale Entwickelung überall, bei den Griechen und den Römern wie nicht minder bei uns, eine Tochter der Not ist. Die enge und dumpfe Gemeinschaft, von der alle Entwickelung ausgeht, der urwüchsige Partikularismus, wenn es gestattet ist ein modernes politisches Schlagwort auf sehr heterogene Bildungen anzuwenden, sind durch die frei schaffende Liebe allein nirgends überwunden, nirgends zur großen Gesamtentwickelung gesteigert worden. Im Erz steckt wohl das Gold wie das Eisen; aber die Macht des Feuers gehört dazu um das Gold wie das Eisen darzustellen. Wie den Menschen nur die Not und der Drang des Lebens zum Manne schmiedet, wie die Individuen, welche die Gefahren und die Leiden des Daseins niemals an sich und in sich erfahren haben, nie das Leben beherrschen und nie des wirkenden Daseins volles Glück gewinnen werden, so erwächst auch den Nationen die Ausgestaltung des Volkstums nur aus schwerem Kampf und wohlbestandener Gefahr.

Vielleicht nirgends tritt dies ausnahmslos die Geschichte beherrschende Gesetz mit solcher unmittelbaren Gewalt, mit solcher jugendlichen Wundermacht zu Tage wie in der Entwickelung der Hellenen. Die Epoche, in welcher sie einen weltgeschichtlichen Faktor bilden, ist freilich kürzer gemessen als die jedes anderen im großen Sinne historischen Volkes; wie der Achilleus der Sage und der Alexander der Wirklichkeit, so ist auch geschichtlich der Hellenismus selbst jung gestorben, vor seiner Zeit zu Ende gegangen. Aber die Farbe und der Duft der Blume steht oft zu ihrer Dauer im umgekehrten Verhältnis. Die Hellenen sind aus einzelnen Stämmen und Städten zum Volk umgeschaffen worden durch den Ansturm der Perser. Freilich können wir uns Hellas nicht denken ohne die Homerischen Gesänge an der ionischen Küste, nicht ohne die Solonische Grundlage freier bürgerlicher Ordnung, nicht ohne den straff gespannten lakonischen Kriegslagerstaat; dies alles ist älter; aber daß dies alles ineinander schmolz und ohne sich aufzuheben sich paarte und mischte, das ist das Werk der Könige Dareios und Xerxes. Als die große Gefahr über Hellas hing, sagt Thukydides, und die zweite Invasion mit ihrer ungeheuren Übermacht im Anzug war, da stellten sich die Athener und nach ihnen die übrigen Griechen Europas unter den Oberbefehl des militärisch mächtigsten Staates, des spartanischen, und also siegte Hellas über Persien bei Salamis, bei Platää, bei Mykale. Und als sie gesiegt hatten, brachten sie den Hellenen der Inseln und der asiatischen Küste die Freiheit; um den Nationalfeind weiter abzuwehren, griffen sie ihn auf seinem Kontinent an, und auf allen Küsten des Archipels wehte die siegreiche Flagge des neuen hellenischen Bundes. Nirgends ist so, wie bei dieser grandiosen Einführung der hellenischen Einheit, die Vereinigung der einzelnen Stämme gegen den gemeinsamen Feind unmittelbar zum Nationalstaat geworden.

Freilich lag in diesem plötzlichen und unerhörten Erfolg zugleich diejenige Gefahr, durch welche die historischen Zauberschläge sich zu ihrem Nachteil von den langsam reifenden Erfolgen unterscheiden. Es war ein Unglück für die siegenden Griechen, daß die ideale und die reale Führung in dem großen Kampfe nicht zusammengingen, so wenig sich miteinander zu verständigen vermochten, daß schon die Verfolgung des Sieges selbst die Sieger auseinander warf. Die Spartaner weigerten sich die asiatischen Griechen in die Gemeinschaft der Hellenen zuzulassen; das war unpopulär, aber vielleicht verständig. Mochten die Hellenen diesseit des Ägäischen Meeres und die der Inseln sich vor der großen Kontinentalmacht zu behaupten vermögen; dieser Macht ihre eigene Küste zu entreißen und den schmalen Streifen Vorderasiens zu behaupten war sehr patriotisch, aber wie andere sehr patriotische Dinge nicht allzu weise. Den Vorschlag der Spartaner, die kleinasiatischen Griechen aus den schönen Tälern des Hermos und des Mäandros nach den Felsgestaden des westlichen Hellas überzusiedeln, wiesen die Athener unwillig zurück; sie unternahmen es allein mit ihren engeren Verbündeten auszuführen, was das ganze Hellas zu versuchen sich nicht getraute. So entstand einerseits die innere Spaltung zwischen der lakedämonischen Geschlechterherrschaft und dem in entfesselter Demokratie gewaltig aufstrebenden Athen, andererseits unter Athens Führung der Delische Bund oder, wie man bald auch sagte, das Athenische Seereich, das hauptsächlich mit seinem Geld und seinen Schiffen zugleich dem persischen Großkönig und der Aristokratie daheim Schach bot. Athen hat das Spiel verloren und doch gewissermaßen auch gewonnen. Sein Reich war geschichtlich von keiner Dauer, man ist versucht zu sagen nicht von dieser Welt; aber was an idealer Herrlichkeit noch heute die Welt durchleuchtet, Historie, Philosophie, Tragödie, Komödie, Plastik oder mit andern Worten Thukydides, Sokrates, Platon, Äschylos, Sophokles, Euripides, Aristophanes, Pheidias, das nennt sich seitdem und wird sich ewig nennen mit griechischen Namen und in jenen herrlichen Vormännern ewig seine Bannerträger verehren. Die Einigung der Nation mißlang; Zeuge dessen ist die Sprache, in welcher der attische Dialekt keineswegs so weit durchdrang, daß er die alleinige Schriftsprache geworden wäre. Aber die Einigung der Geister ist dennoch gelungen; mochten die Stadtschreiber auch ferner in ihren Urkunden böotisch und kretisch reden, die gebildete Welt und die Literatur, nicht bloß in Hellas, sondern in dem ganzen gebildeten Osten und zum großen Teil auch in dem Westen redeten, oder wollten reden, nicht sowohl griechisch als attisch. Die gewaltige Flamme der nationalen Einigung, aus der dieses attische Wesen erwachsen war, hat nicht die Nation, aber dafür die Welt geeinigt; und es ist als wäre von der jugendlichen Genialität jenes Nationalkrieges der Salamiskämpfer gegen die Asiaten dem weltumschlingenden und menschenversöhnenden Hellenismus der Folgezeit ewig ein Anhauch geblieben.

Noch einmal kam etwas ähnliches wieder mit dem makedonischen Alexander; freilich, wie solche Ähnlichkeiten auftreten, zugleich in völlig umgewandelter Gestalt. Es war wieder der Gegensatz der Hellenen und der Perser – denn nur die Unmündigen verkennen, daß Alexander nicht bloß ein Hellene war, sondern auch der Apostel des Hellenismus; aber ein Apostel nicht des Friedens, sondern des Krieges, nicht ein Abwehrer, sondern ein Angreifer. Dieser Grieche fragte nicht, ob Hellas seine Ausgewanderten in Asien zu schützen stark genug sei, sondern er unterwand sich Asien zu bezwingen, und es gelang ihm, gleich wie dem Themistokles der Sieg bei Salamis. Aber auch er hatte mehr erstrebt als behauptet werden konnte; und sein kurzes Regiment mit langdauernder mehr geistiger als äußerlicher Nachwirkung bietet wohl eine Parallele zu dem Athenischen Seereich mit seinen idealen Konsequenzen. Der Hellenismus Alexanders ist einerseits realer, dauerhafter, umspannender als die Meerherrschaft der Athener, andererseits im Reiche des Geistes wohl die Geburtsstätte physikalischer und allgemein realer Forschung und überhaupt der sogenannten Gelehrsamkeit, aber nicht gleich jener Jugendzeit durch den Glanz der Schönheit und den Frühlingshauch des Geistermorgens verklärt. Doch auch hier darf man wohl sagen, daß von jenem bewaffneten Apostolat des hellenischen Volkstums, das Alexander vertritt, etwas übrig geblieben ist in der Geistesgewalt der freien Forschung, welche die Natur theoretisch erkennt und praktisch bezwingt.

Nicht minder deutlich wie in Griechenland tritt es in der Geschichte Italiens zu Tage, daß die nationale Einigung ein Werk der nationalen Notwehr ist. Was dort die Perser für Griechenland getan haben, das haben in Italien die Gallier verrichtet. Erzählungen dieser Vorgänge sind nicht auf uns gelangt; verglichen mit den beglaubigten und lebendigen Schilderungen, welche uns von den Schlachten und den Verträgen der Hellenen übrig geblieben sind, müssen wir uns hier mit der Kunde gewisser Allgemeinheiten und dauernder Einrichtungen begnügen, welche übrigens über die Hauptmomente keinen Zweifel lassen. Die gallische Nation ist wie wohl keine andere ein Wandervolk gewesen; nachdem sie das ganze transalpinische Gebiet bis tief in die spanische Halbinsel hinein und bis nach Schottland und Irland hin erfüllt hatte, versuchte sie in verhältnismäßig später Zeit auf der italischen Halbinsel sowie noch später in Griechenland und Kleinasien sich festzusetzen. Italiens Besetzung gelang zum großen Teil; die ganze nördliche Landschaft bis hinab nach Bologna und Ravenna ist Jahrhunderte lang so gut keltisch gewesen wie die Täler der Rhone und der Themse; bis in die Nähe von Rom lassen sich die Spuren gallischer Siedelungen verfolgen. Ganz unzweifelhaft verdankt Italien seine nationale Einigung der Abwehr dieses gemeinsamen Feindes. Die beiden großen eigentlich italischen Stämme, der samnitische und der latinische, waren wohl verwandt, aber doch sprachlich so verschieden, daß sie sich schwerlich einander verstanden, und als Nachbaren in ewiger Fehde begriffen; der dritte Hauptstamm, der etruskische, jenen beiden mindestens ebenso fremd, wahrscheinlich fremder als die schließlich doch auch demselben Mutterschoß entsprungenen Gallier. Was jene drei Völker vereinigte, war weit weniger die gemeinschaftliche Abstammung als die höhere Kultur und der ältere Besitzstand. Aus diesem notgedrungenen Völkerbund ist Italien hervorgegangen. Die älteste Bezeichnung des Gegensatzes ist von der Bekleidung hergenommen: die togati streiten gegen die braccati, die Röcke gegen die Hosen. Auch der Name Italien ist ursprünglich ganz anders bezogen und dann als das Symbol dieser Liga mit der Zurückdrängung oder Denationalisierung der Kelten weiter nach Norden gewandert, bis er endlich erst in Cäsarischer Zeit die Alpen erreichte und hier anhielt. Daß in diesem Kampf Rom die Führung nahm, das ist der Ausgangspunkt der römischen Hegemonie oder des römischen Reiches oder des geeinigten Italiens. Noch bis in späte Zeit, als längst der letzte Vertreter der gallischen Nation Vercingetorix unter dem römischen Beil gefallen war und die Nachkommen der keltischen Königsgeschlechter bei dem Kaiserhof sich um Offizierspatente bewarben, stand der Satz in den römischen Kriegsartikeln, daß bei jedem Einfall der Gallier in Italien auch der Priester und wer sonst vom Kriegsdienst befreit war, marschieren müsse. Wie aus den Flammen, die der Perser in die Akropolis von Athen warf, die hellenische, so ist aus dem gallischen Brande Roms die Einheit Italiens hervorgegangen. Und hier bestand jene innere Spaltung nicht, welche den Hellenen mit dem Siege über den Landesfeind zugleich den Keim des Bürgerkrieges brachte. Wie wenig wir auch von den inneren Zuständen Italiens in jener Zeit wissen, daran kann kein Zweifel sein, daß die römische Bürgerschaft jener Zeit politisch wie militärisch fester in sich gegründet war als Sparta sowohl wie Athen; weder eine Adelskaserne noch ein Schiffervolk, sondern eine rechte wehrfähige Bauerngemeinde, die mit ihren bald durch ganz Italien reichenden, den dürftigen attischen Kleruchien weit überlegenen Verzweigungen ein ansässiges und dennoch schlagfertiges Landheer darstellte. So kam es denn auch hier, nicht ohne arge Gewaltsamkeit, nicht ohne daß viele Blüten geknickt wurden, aber es kam doch zu einer äußerlich wie innerlich durchgeführten Einigung des Volkes: ein Regiment nach außen, eine Münze, eine Sprache. Es ist merkwürdig genug, daß die lateinische Sprache, literarisch der Entwickelung der hellenischen auch nicht entfernt zu vergleichen, vielleicht in dieser Hinsicht kaum den von ihr in Samnium und in Etrurien unterdrückten Idiomen überlegen, dennoch in verhältnismäßig kurzer Zeit eine Allgemeingültigkeit, eine exklusive Berechtigung gewann, welche die griechische Sprache niemals weder den eigenen Dialekten noch den Nebensprachen gegenüber zu erringen vermocht hat. Die Macht des Staates, der nicht bloß ideal empfundenen, sondern mit festem Blick und starker Hand realisierten staatlichen Einheit, stand hinter der römischen Sprache wie hinter dem römischen Recht, und bis in die Gegenwart hinein reicht von beiden die mächtige Wirkung.

Haben wir, die wir uns jetzt Deutsche nennen, die Gemeinschaftlichkeit des Namens und des Staats etwa auf dem Wege der inneren friedlichen Entwickelung, der freundlichen Verständigung erreicht? Die Geschichte aller Völker beginnt mit den Fehden der Stämme gegeneinander; aber länger, gewaltsamer, innerlicher hat kein Volk dieser innere Hader durchsetzt und zerrüttet als das deutsche. Arminius' Sieg über den Landesfeind, während der Böhmenkönig seine Hülfe verweigert, und dann die Schlacht zwischen den Cheruskern und den Sueben und der Ruin der beiden Stämme – ist das nicht eine freie Übersetzung von Marathon und Ägospotamoi ins Deutsche? und wer fortfahren wollte durch all die vielen Jahrhunderte den Streit der Sachsen und der Franken, der Lutherischen und der Päpstlichen und so ferner zu verfolgen, der sollte meinen, daß nicht die Nächstenliebe, sondern der Nächstenhaß das eigentliche Element der deutschen Geschichte ist. Dennoch sind wir jetzt zur Einheit gelangt und, was man auch dagegen anstellen und versuchen möge, auf dem Wege zur Einigkeit. Wem danken wir es? Die Geschichte antwortet auch hier: der glücklich abgewehrten Vergewaltigung von außen her, dem Frevel und dem Übermut der Landesfeinde. Warum beginnt die gemeingültige historische Erinnerung des Deutschen, warum die deutsche Literatur mit dem Siebenjährigen Krieg und dem Alten Fritz? weil damals nicht bloß die Preußen, sondern die Deutschen überhaupt es lernten, wie deutsche Männer sich zu schützen wissen gegen Russen und Franzosen und Kroaten. Hohenfriedberg steht gleichberechtigt neben Marathon. Es kam die Zeit, wo halb Deutschland in den Händen der Gallier war, wie einst halb Italien in den Händen der Kelten; die Zeit, wo der Kölner anfing französisch zu sprechen und eine Succursale des Palais royal im Hessenlande regierte. Damals zuerst wurde es auch dem verbissensten Stammpatrioten deutlich, daß es noch Schlimmeres in der Welt gebe als den bösen Preußen, und fingen selbst die hartnäckigsten Religionsfanatiker an zu begreifen, daß die Kugeln paritätisch sind und die Gläubigen und die Ketzer doch am Ende ein Vaterland haben. Dann kam unsere Zeit. Was soll ich von dieser Ihnen sagen, die Sie alle die schwere Not miterlebt haben und miterlebt haben das hohe Glück, das aus jener erblüht ist? Ist es nicht genug zu sagen, daß wir heute den 22. März feiern, um alle Saiten des Herzens wieder zum Klingen zu bringen, um es wieder so lebhaft zu empfinden wie in den Tagen der herrlichen Siege selbst, daß wir jetzt ein geeinigtes Volk sind und bleiben?

Die Landesfeinde haben ihr Werk getan; sie werden es stehen lassen und keinen Dank dazu haben. Der unsrige geht nach anderer Richtung. Nicht alles verdanken wir unseren Herrschern, glücklicherweise. Die deutsche Spracheinheit ist älter als die deutsche Volkseinheit; wenn der Italiker seine Nebensprachen daran gab, der Grieche ihnen eine wenigstens formale Gleichstellung mit der Sprache der Nation einräumte, so haben wir es darin besser gemacht als diese und jene. Unser liebliches Alemannisch, unser im Lachen wie im Weinen gleich inniges und herzliches Plattdeutsch sind nicht verschwunden, aber haben sich willig beschieden nur im holden Reich der Musen und der Scherze mitzuherrschen, und sie hindern nicht, sondern fördern das allgemeine große einige Geistesleben der Nation. Dies verdankt die Nation sich selbst, zunächst dem Vorkämpfer der heutigen Kulturepoche, Doktor Martin Luther. Dann die gewaltige Geistesarbeit des deutschen Volkes, die das letzte Jahrhundert ausfüllt, die Erschaffung unserer Literatur, unserer Wissenschaft, unserer Kunst ist die freie Tat der Vielen; die Regierung kann dazu nicht viel mehr tun als für den Erntesegen und das Schifferglück. Das deutsche Schaffen im hellenischen Sinne konnte wohl eine gewisse Zeit hindurch die Sorge erwecken, ob nicht auch die deutsche Einigung mehr im idealen Reich des Geistes als in der derben Wirklichkeit der Dinge sich vollziehen werde. Diese Furcht besteht nicht mehr; wir wissen und fühlen jetzt alle, daß deutsche Kunst und deutsche Wissenschaft bestimmt sind den deutschen Staat zu schmücken und zu verklären und ihn zu bewahren vor jener einseitig realen Entwickelung, welche dem Römertum ewig angehaftet hat. Daß wir dies sagen dürfen, das danken wir unserem Herrscherhause, zunächst dem Vorkämpfer des deutschen Volkes in seinen letzten Schlachten, dem Kaiser Wilhelm. Wir Deutschen sind ein treues Volk, und dürfen uns dessen rühmen und freuen. Wir hadern über die meisten Dinge, menschliche wie göttliche: in der Treue gegen unseren Herrscher finden wir uns zusammen. Hier gibt es keine Parteien und keine Konfessionen; wer das Gegenteil sagt, der sagt mit Bewußtsein die Unwahrheit. In diesem Zeichen haben wir gesiegt und werden wir, sollte es nötig sein, wiederum siegen.



 << zurück weiter >>