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Rede zur Gedächtnisfeier der Universität

am 3. August 1875. Universitätsschrift, gedruckt in der Buchdruckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (G. Vogt). 17 Seiten 4°; auf S. 14-16 das hier fortgelassene Verzeichnis der Gefallenen.

Die Universität Berlin feiert an dem heutigen Tage das Gedächtnis ihrer Stiftung und ihres Stifters, des Königs Friedrich Wilhelm des Dritten von Preußen. Sie feiert damit das Gedächtnis des Mannes, der den Mut hatte eine verlorene Schlacht mit der Errichtung einer deutschen Hochschule zu beantworten, der für die verlorenen Provinzen nach seinem eigenen Worte Ersatz suchte in der Entwicklung der geistigen Kraft seines Volkes, und dessen hochherzige Weisheit damit jene Bahn betrat, die ihn selbst zum Wiederaufbau des Staats Friedrichs des Großen und seinen Sohn weit darüber hinaus zur Wiederherstellung des Reiches deutscher Nation geführt hat. Die Frage, welche Universität die erste Deutschlands sei, ist nicht besser berechtigt als die nach dem größten deutschen Gelehrten; wir wissen davon nichts und fragen nicht danach. Das aber wissen wir und das ist keine Frage, daß in der Großartigkeit der Begründung, in dem herrlichen Anfangssegen keine Hochschule Deutschlands der unsrigen sich vergleichen kann. Die meisten deutschen Universitäten hat die verständige Überlegung oder die Gunst des Glückes, manche die Herrenlaune oder der Zufall ins Leben gerufen; unsere Anstalt ist entsprungen dem Kampfe des Volkes auf Leben und Tod und der Genialität der höchsten nationalen Gefahr. Sie steht da als eines jener leuchtenden Denkmäler des Glaubens an das Vaterland, der, aller Wahrscheinlichkeitsrechnung spottend, in der tiefen Nacht allgemeinen Verzagens das ferne Morgenrot des Sieges und der Einigung mit den Augen des Geistes schaut und dadurch es heranführt. Nur etwa unsere jüngste Schwester, das neugewonnene frisch erblühende Straßburg darf in dieser Beziehung neben unserer Hochschule genannt werden. In der Tat, daß die Geschichte der deutschen Universitäten zwar nicht die Geschichte Deutschlands, aber wohl davon ein lebendiger Teil ist, findet seinen rechten Ausdruck in dem stolzen Wort, welches wir wohl uns gestatten dürfen, daß die Entwickelung des deutschen Staats den Zeitraum umfaßt von der Gründung der Universität Berlin bis zu der Gründung der Universität Straßburg. Aber nicht einmal mit dieser Schwester möchten wir tauschen. Das Wollen ist gewaltiger als das Erreichen, und es ist fruchtbarer. Der Pflichtbegriff, wie er unserer Wiege eingebunden ist, der Arbeitssegen vom Jahre 1809, ich denke, ein jeder von uns, meine Herren, ein jeder der Lehrer wie der Lernenden weiß es, was sie ihm sind. Wenn das Auge beim Eintreten in dieses unser zum Fürstenpalast gebaute und dann von unserem erhabenen Stifter diesem seinem jetzigen Zwecke übereignete Haus auf dessen schlichte Aufschrift und die stolze Jahreszahl fällt, so erinnern wir uns daran, daß hier vor allem jede wissenschaftliche Arbeit, und sei sie die unscheinbarste, geweiht ist als ein Teil der Arbeit für das ganze große Vaterland. Vor allem aber der heutige Tag erinnert uns, und wird, wir hoffen es, noch manches folgende Geschlecht an diesen unsren Ursprung erinnern und damit wie die rechte Bescheidenheit so auch den rechten Stolz – beide gehören ja oder fallen vielmehr zusammen – in den Kreisen unserer Hochschule stets lebendig erhalten.

Aber das diesjährige Stiftungsfest ist noch in anderem Sinne eine Gedächtnisfeier.

Bei der Festfeier am 18. Oktober 1819 lag es dem damaligen Rektor der Universität Professor Weiß ob, der zweiundvierzig in den Befreiungskriegen der Jahre 1813, 1814 und 1815 gefallenen Angehörigen der Universität Berlin in feierlicher Weise zu gedenken. Wie unsere Jugend an jenem Kriege sich beteiligt hatte, erzählt die Geschichte; stolzer, als auf unsere zahlreichst besuchten Studienjahre, sind wir heute noch auf jenes Sommersemester 1813 und das folgende Wintersemester 1813/14, in welchen in dem ersten 28, in dem zweiten 29 Studenten unsere Hochschule bezogen, weil die waffenfähige deutsche Jugend damals gegen die Franzosen im Felde stand. Es war zu jenem 18. Oktober die Tafel aufgestellt worden, welche die Namen dieser unserer Zweiundvierzig trägt und welche seitdem in der Mitte unseres Hörsaals sich befindet. Ihrer aller Blicke haben oft auf derselben geruht.

Heute zuerst stehen neben jener vor zwei Generationen errichteten Gedenktafel zwei andere, auf denen die Namen der neununddreißig Dozenten und Studenten eingegraben sind, welche in dem Deutsch-französischen Kriege der Jahre 1870 und 1871 ihr Leben verloren haben; und mir ist die Aufgabe zugefallen an dem unserem Stifter gewidmeten Erinnerungstag dieser tapferen Jünglinge Gedächtnis zu ehren. Wir dürfen es eben an diesem Tage tun; denn wie ihre Vorgänger, jene Zweiundvierzig, auf seinen eigenen Aufruf hin unter die schwarzweiße Fahne getreten sind, so haben ihre Enkel, unsere Neununddreißig, mit ihrem Blute dazu geholfen, daß sein Werk gekrönt worden ist und das schwarzweißrote Banner über äußere Feindschaft und innere Zwietracht den Sieg davongetragen hat.

Spät erfüllen wir eine teure Pflicht, vielleicht zu spät. Diese Namen hätten hier aufgerichtet werden sollen, als noch jene furchtbare Kriegszeit in unmittelbarem und frischem Gedächtnis lebte; als noch die bange Stimmung in uns lebendig war, in welcher wir damals von Tag zu Tag den von unserm König aus dem Felde an sein Volk gesandten ernsten Botschaften, den verhängnisvollen Namensverzeichnissen entgegensahen, als noch die Tränen heiliger Liebe flossen, welche der Mensch nicht trocknen darf, die aber die alles heilende Zeit doch auch versiegen macht. Jetzt wissen wir fast nicht, wie wir von jener Zeit reden sollen, und möchten am liebsten von ihr schweigen. Der Geschichte gehört sie noch nicht an. Die wie immer in leidenschaftlicher Parteinahme sich ausdrückende, doch von parteiloser Abschätzung der Gegensätze und der Gegner ausgehende historische Kritik wird jenen von uns erlebten gewaltigen Vorgängen gegenüber unser Geschlecht niemals fertig bringen; ist ja doch von jeher die Geschichte das Totengericht gewesen, in welchem die späteren Geschlechter den Spruch fällen über die früheren, um dereinst über die eigenen Handlungen in gleicher Weise von den nachfolgenden Recht zu nehmen. Aber wir leben in jenen Ereignissen auch nicht mehr. Schwere Kämpfe anderer und noch ernsterer Art, die Kämpfe um die ökonomische und die sittliche Zukunft unserer neu geeinigten Nation erfüllen zur Zeit das Herz nicht bloß des Staatsmannes, sondern jedes politisch Denkenden, und sie haben mit fast unbegreiflicher Raschheit die Erinnerung an Krieg und Sieg in den Hintergrund gedrängt. Man darf dies eine günstige Fügung der Dinge nennen; wie wir denn überhaupt nicht darüber mit dem Schicksal rechten wollen, daß jeder Schritt uns schwer gemacht wird und daß die harte Arbeit, mit welcher der märkische Pflug dem kargen Boden die Notdurft des Lebens abringt, auch auf dem geistigen Gebiet, in der ökonomischen und civilisatorischen Entwickelung Deutschlands sich stetig wiederholt, ja, wie es scheint, beständig sich steigert. Bisher hat sich der Satz bewährt, daß, wie das leicht Gewonnene auch leicht zerrinnt, so das Erarbeitete um so festeren Bestand hat, je mehr Schweiß daran hängt und je langsamer die Arbeit zum Ziel kommt. In diesem Vertrauen treten wir alle, auch die, welche über die Schwere und die Gefahr der gegenwärtigen Verhältnisse sich keiner Täuschung hingeben, nichtsdestoweniger in den neuen Kampf mit festem Mut und sicherem Glauben ein. Aber zum Jubel über die gewonnenen Siege haben wir Deutsche keine Zeit, vielleicht auch kein Talent. Es ist das Kennzeichen des wahrhaft Strebenden, daß das Erreichte für ihn sich von selbst versteht und er von der erklommenen Höhe nicht zurücksieht auf die unter ihm liegenden Tiefen oder gar auf die zurückgebliebenen Mitbewerber, sondern aufwärts schaut zu den höheren Kränzen, zu den weiteren Zielen. Eine Empfindung dieser Art scheint glücklicherweise auch unsere Nation zu beherrschen; und der strengen Schule, in die das Schicksal uns nimmt, kommt diese Stimmung entgegen.

Nicht meine freie Wahl ist es, die mich heute bestimmt, Sie in jene Kriegszeiten zurückzuführen; es ist die Pflicht, die das Andenken der ruhmreich gefallenen Universitätsgenossen mir auferlegt.

Die Verspätung dieses Gedächtnisfestes war, im wesentlichen wenigstens, unvermeidlich. Als der Senat unserer Universität am 24. Juli 1872 die Aufstellung dieser Tafeln beschloß, erachtete er es vor allem für seine Pflicht, das Verzeichnis unserer gefallenen Kommilitonen so weit vollständig herzustellen, als dies überhaupt möglich ist. Wer aber die Schwierigkeit kennt, denen selbst bei unseren wohlgeordneten militärischen Einrichtungen dergleichen Zusammenstellungen unterliegen, wird es wohl begreifen, daß die Aufstellung dieser Gedächtnistafeln nicht zu derjenigen Zeit hat stattfinden können, welche, der Stimmung nach, mehr als der heutige Tag für diese Feier sich geeignet haben würde. – Es ist daran auch nicht viel gelegen. Zum Siegesjubel mag Zeit und Stimmung fehlen; zur Siegestrauer wird beides immer sich finden.

Diese Denktafeln, meine Herren, vor denen Sie stehen, sind nicht bloß dem Gedächtnis einzelner Wackerer bestimmt; sie sind auch der letzte und ernsteste Ausdruck unserer Staatsordnung, insofern diese in den schwersten Leistungen, die sie dem Staatsbürger auferlegt, die Privilegien des Vermögens und der Bildung nicht gelten läßt, sondern das Opfer des eigenen Lebens, wo es gefordert werden muß, von jedem ohne Unterschied fordert. Die jungen Männer, deren Namen hier verzeichnet sind, besaßen jene Privilegien und haben dieses Opfer gebracht. Es soll hier nicht gefragt werden nach der Zweckmäßigkeit und der Berechtigung dieser Einrichtungen; diese begriffen zu haben ist uns von unseren Vätern überkommen, und wir werden nicht jetzt darüber Worte verlieren, wo Freunde und Feinde uns diese Einrichtungen abzulernen versuchen. Aber gestatten Sie mir mit wenigen Worten das Verhältnis darzulegen, welches die gebildeten Stände überhaupt zu der Kriegsleistung einnehmen und die Eigenartigkeit sowohl wie zugleich die Allgemeingültigkeit der großen Grundsätze unserer Heerordnung im Gegensatz zu anderen Systemen kurz hervorzuheben. Ich werde Ihnen nichts Neues sagen; aber ein Gedächtnisfest darf wohl auch Altbekanntes in Anwendung auf den einzelnen Fall vergegenwärtigen.

Merkwürdige Wandelungen haben in dieser Hinsicht sich vollzogen. In der antiken Welt, welche, soweit sie überhaupt höhere Geisteskultur erzeugt hat, mit dem freien Staat nicht hinausgekommen ist über die Freistadt, ward die Kriegsleistung, wie jede andere bürgerliche Verrichtung, vorzugsweise den höheren Ständen auferlegt. Nur wer das volle Gemeindebürgerrecht besitzt und ferner imstande ist sich die volle, verhältnismäßig viel teurer als heutzutage zu stehen kommende Armatur aus eigenen Mitteln anzuschaffen, dient zu voll im Bürgerheer; und es ist darum auch deutlich nachzuweisen, daß in Athen wie in Rom eine verlorene Schlacht die unterliegende Bürgerschaft insofern unverhältnismäßig schwerer traf als heutzutage, weil die Gefallenen in überwiegender Zahl den höheren Gesellschaftsschichten angehörten. Truppen, wie die karthagische Reiterei und die römische der mittleren Republik dürfen geradezu angesehen werden als Abteilungen, in denen jeder Dienende Offiziersrang hatte. Das Übermaß der Leistung, welches hiermit den höheren Kreisen zugemutet ward, hat nicht am wenigsten dazu beigetragen den Fortbestand der bürgerlichen Ordnungen selbst in Frage zu stellen und das Ende der stolzen städtischen Republiken herbeizuführen. Daß ihre Bürger anfingen sich einem solchen Kriegsdienst zu entziehen, namentlich wo die Gefahr an die Stadt nicht unmittelbar herantrat, ist begreiflich; und nachdem sie der Waffen sich entwöhnt hatten, war die Gemeindefreiheit, die Tochter der Wehrhaftigkeit, notwendig ebenfalls zu Ende. In Rom freilich, wo das Bürgertum am mächtigsten sich entwickelt hat, fiel es nicht ohne harten Kampf. Die Annalen aus der Zeit der Agonie der Republik berichten es, wie auf Pompejus' und der sonstigen republikanischen Führer Ruf die bessere Bürgerschaft überall in Legionen zusammentrat und den Mannschaften Cäsars sich entgegenwarf. Aber der aufopfernde Mut der Freiwilligen hielt hier wie überall nicht stand vor der militärischen Technik und das Rad des Schicksals rollte über Cato und die Catonianer hinweg.

Das römische Kaisertum und die von seinen Traditionen mehr, als man glaubt, beherrschte Folgezeit ging alsdann zurück auf das geradezu entgegengesetzte System: das Kriegshandwerk kam auf, das heißt der Staat verschafft sich die Soldatenarbeit ungefähr in derselben Weise wie jede andere für seine Zwecke erforderliche Tätigkeit, im wesentlichen gegen Bezahlung, und demnach in der Weise, daß man sie da nimmt, wo sie den Umständen nach am billigsten und besten zu beschaffen ist. Am reinsten tritt dies Prinzip auf in dem Werbesystem, namentlich in der Werbung ausländischer Lohnsoldaten, welche bekanntlich zwar nicht in dem rein und voll entwickelten Gemeinwesen Roms, aber wohl in den Freistädten von Hellas neben ihrem Gegensatz, dem Bürgerheer, und oft gleichzeitig mit ihm Anwendung gefunden hat. Ganz dasselbe ausländische Werbesystem ist dann späterhin in der sinkenden römischen Monarchie abermals aufgenommen und damals die eigentlich nächste Ursache zu dem Sturz derselben geworden, indem die geworbenen deutschen Hauptleute die werbenden römischen Herren zuerst beherrschten und sodann verdrängten. – Aber auch die übrigen Formen der Heerbildung, welche seit dem Beginn der römischen Kaiserzeit vorgeherrscht haben, sind von der Werbung mehr der Form als der Sache nach verschieden. Die Staatsordnung Augusts hielt zwar der Form nach das Prinzip fest, daß jeder Bürger dienstpflichtig sei; aber tatsächlich wurde die bevorzugte Gardetruppe durchaus und auch sonst ein großer Teil der Armee durch Werbung im Inland beschafft, wo diese aber nicht ausreichte, die Aushebung durchaus auf die niederen Schichten der Bevölkerung geworfen und überhaupt so geordnet, daß man sie füglich als eine Art Fronde oder als zwangsweise Mietung der Soldaten bezeichnen kann. Mit diesem Mietsystem hängt weiter zusammen, daß die Dienstzeit fast bis an die Grenze der körperlichen Dienstfähigkeit erstreckt und jedem entlassenen Soldaten eine Art von Invalidenversorgung auf Lebenszeit wenigstens in Aussicht gestellt ward.

Endlich das Heerwesen des Mittelalters, insofern es auf der Lehnspflicht beruhte, fällt insofern unter das gleiche Prinzip, als der Dienst namentlich zu Roß fast zu einer deutschrechtlichen Servitut ward oder, wie man es auch ausdrücken kann, zur Gegenleistung für das Recht ein dem Lehnsherrn gehöriges Grundstück zu eigenem Vorteil zu bewirtschaften. Der Grundsatz der allgemeinen Dienstpflicht, obwohl auch hier formell anerkannt, wird doch praktisch zur Ausnahme.

Bei allen diesen Systemen ist der Weg zwar ein sehr verschiedener, aber das Ziel dasselbe. Wie der Staat seine Wege im Stand hält, entweder indem er Unternehmer bezahlt, oder indem er gewisse Grundbesitzer zur Übernahme der Arbeiten ein für allemal verpflichtet, oder indem er, wo es nötig ist, die Zwangsarbeit ansagt, so bildet er auch sein Heer, indem er entweder die Soldaten wirbt, oder den Grundbesitz dauernd mit dem Kriegsdienst belastet, oder zwangsweise eine Anzahl seiner Untertanen zur Eingehung des Löhnungsdienstvertrages anhält. Die meisten und wichtigsten dieser Formen haben notwendig zur Folge, daß die besseren Klassen der Gesellschaft aus dem Heere verschwinden und des zum Handwerk gewordenen Kriegsdienstes sich ein für allemal entschlagen.

Wenn es nun der Zweck jeder Kriegsordnung sein muß dem Gemeinwesen den seinen physischen Verhältnissen nach größtmöglichen Schutz gegen das Ausland, das Maximum der für ihn erreichbaren Wehrhaftigkeit zu verleihen, so leuchtet ein, daß weder das eine noch das andere jener Prinzipien zu diesem Ziele führt. Indem das Bürgerheer alle ärmeren Bürger und alle standesungleichen Gemeindegenossen vom Dienst ausschließt, beraubt die Gemeinde sich einer je nach den Umständen geringeren oder größeren Zahl wehrfähiger Männer; und die Kritik dieser Institution sind die Notheere von Freigelassenen, Metöken, ja Sklaven, welche in jeder größeren Krise auf den Kampfplätzen der alten Welt erscheinen und nichts sind, als die ersten Zeugnisse für die Unumgänglichkeit der allgemeinen Wehrpflicht.

Vielleicht noch unvollkommener erweist sich das durch Miete oder Erbkauf gebildete Heer. Zunächst mangelt ihm die Reserve und, wie die Augustische Monarchie dies zu ihrem Schaden erfahren hat, jede Kriegslücke, ja jedes besondere Kriegsbedürfnis bringt dies Heerwesen sofort und unvermeidlich aus den Fugen. Vor allem aber fehlt da, wo die gebildeten Kreise dem Heerwesen fernstehen, oft in kurzsichtiger Politik möglichst fern gehalten werden, notwendig der große Zug, der patriotische Schwung, die selbstlose Opferwilligkeit, welche das höchste Privilegium der vollen sittlichen Bildung ist und für welche die niederen Kreise wohl die Empfänglichkeit, aber nur in geringem Maß die Initiative besitzen. Die praktische Kritik dieser Institution sind die freiwilligen Heerhaufen und die tragische, nicht selten tragikomische Rolle, welche dieselben in der Geschichte aller Zeiten gespielt haben. In jedem Staate, der eine solche entgeistigte Armee besitzt, besteht unausgesprochen das stille Gefühl ihrer Unzulänglichkeit; in gewöhnlichen Zeiten verdeckt durch den nationalen Stolz, oft übertönt durch das Prahlen und Pochen des militärischen Handwerks, bricht dies Gefühl, so wie vor dem Ernst der Dinge das Säbelrasseln schweigt, in schöner, oft tief ergreifender Weise darin hervor, daß unter den vom Heerdienst befreiten besseren Ständen das Pflichtgefühl sich regt und man eilt, sich freiwillig unter die Fahnen zu stellen. Aber regelmäßig, vielleicht immer, tritt diese freiwillige Hingabe erst dann auf, wenn es für den unmittelbaren Erfolg zu spät ist, und wird durch sie nur die Zahl der Opfer vermehrt.

Es wird nicht nötig sein noch ausdrücklich auszusprechen, was in diesen Gegensätzen in betreff unserer Heeresordnung angedeutet ist. Solange das preußische Königtum, solange das aus ihm erwachsene deutsche Kaiserreich besteht, wird jeder Bürger desselben dem Fürsten, dessen Gedächtnis wir heute feiern, den Dank dafür zollen, daß er Pfadfinder gewesen ist auf diesem hohen Wege der Pflicht und der Ehre. Die Genialität einzelner Männer hat mit dazu getan, daß wir zum Ziele gelangt sind; aber den Weg wiesen dem König wie dem Volke das feste Ehr- und Pflichtgefühl und der in seiner Art beispiellose Notstand der Zeit, in der unsere Universität ins Leben trat. Sie lehrten ein Bürgerheer schaffen ohne Ausschließung der niederen, ein Soldatenheer ohne Ausschließung der höheren Klassen, und den Bürger und den Soldaten in höherem Grade identifizieren, als dies bisher einem anderen Volke gelungen ist. Unsere Ordnung hat die kürzeste effektive Dienstzeit des einzelnen Mannes, welche überhaupt vorkommt; und jede Verkürzung derselben, soweit sie technisch möglich ist, ist eine Vervollkommnung. Unsere Ordnung ergibt die stärkste Verhältniszahl von Reserven, welche überhaupt erreicht worden ist, und jede Vermehrung dieser Zahl, soweit sie finanziell zulässig ist, erscheint als weitere Vervollkommnung. Unsere Ordnung verbindet den unentgeltlichen Dienst des Bemittelten mit dem Lohndienst des minder Vermögenden, ohne daß das Heer darum aufhörte ein einheitliches Ganze und der volle Träger der gesamten körperlichen und geistigen Volkskraft zu sein. Unser Heer ist ein unendlich gewaltigeres als das der antiken Bürgergemeinden; aber um unsere Toten dürfen wir trauern, wie Perikles und seine Zeitgenossen um ihre gefallenen Mitbürger getrauert haben.

So ist es denn unser Stolz, daß bei uns der freiwillige Dienst in einem höheren Pflichtgefühl sich aufhebt. Freiwillige im wirklichen Sinne des Wortes gibt es für militärische Leistungen bei uns nicht; was wir so nennen, ist eine als Prämie für den höheren Bildungsstand gesetzlich zulässige Verkürzung der effektiven Friedensdienstzeit. Es waren sämtlich Freiwillige dieser Art, deren Namen auf jenen Tafeln verzeichnet sind. Sie verdienen diesen Namen; denn sie gehören zu denen, welche freiwillig gekommen sein würden auf den Notruf des Vaterlandes. Aber dieser Ruf ist nicht an sie ergangen, oder vielmehr, er erging und ergeht ein für allemal an jeden Deutschen, insofern das Gesetz jedem gesunden Manne zu dienen befiehlt. Das Vaterland ist immer in Gefahr, und jeder Bürger soll immer zu Wacht und Wehr bereit sein. Diese waren bereit; sie haben ihre Pflicht getan und sind für sie gestorben. Es ist mit das Werk eines jeden von ihnen, daß in dem großen Kriege Deutschland über Frankreich gesiegt hat.

Hat es denn bei unsern Gegnern an Männern gleicher Art, gleicher Bildung, gleichen Todesmutes gefehlt? O nein! Auch das beste Blut Frankreichs ist in Strömen geflossen und freiwillig gegeben worden. Es würde uns übel anstehen, wenn wir die hohe Tapferkeit, die großartige Gegenwehr ableugnen oder auch nur überschweigen wollten, welche die französische Nation insbesondere in dem zweiten Abschnitt des Krieges entwickelt hat. Unsere im Kampf gefallenen Braven, wenn sie noch mit Zeugnis ablegen könnten, würden selbst die ersten sein anzuerkennen, daß dieselben Elemente der Vaterlandsliebe und der Hingebung bis zum Tode in beiden Völkern mächtig gewesen sind und daß wir über ebenbürtige Gegner gesiegt haben. Die französischen Mobilen sind unseren Bataillonen gegenüber unterlegen, nicht weil der einzelne deutsche Kämpfer dem einzelnen Gegner an sich überlegen war, sondern weil unsere Heeresordnung, indem sie den kostbarsten Schatz unserer Zukunft, die Blüte unserer Jugend anscheinend verschwenderisch verwendet, in der Tat mit diesem besser und sparsamer haushält, als wo man diese Jugend dem Waffengang anfangs untätig zuschauen läßt, um sie dann in ziellosem Verzweiflungskampf nur deswegen zu opfern, damit ihr Untergang wenigstens die Ehre des Vaterlandes rette.

So dürfen wir es aussprechen: die Söhne unserer Hochschule, die der Krieg uns entrissen hat, sind eines schönen Todes gestorben. Es ist das alte Vorrecht der Jugend, das Leben, wie golden es auch vor dem einzelnen liegen mag, doch, wenn es sein muß, leichter und freudiger in die Schanze zu schlagen als der ältere nicht mehr also von der Leidenschaft getragene, an die süße oder nichtsüße Gewohnheit des Daseins sich anklammernde Mann. Wir können hinzufügen, daß unseren Gefallenen der Tod wohl leichter geworden sein mag als unzähligen aus niederen Bildungskreisen, die in der gleichen Blüte der Jahre die gleiche Kugel ereilt hat. Wohl breitete vor jenen das Leben farbenreicher und prächtiger sich aus als vor diesen; aber jene wußten auch voller, sicherer, klarer als ihre Genossen, vorher sowohl wie in der eisernen Umarmung des Todes selbst, wofür sie starben und daß ihr Blut nicht umsonst floß. Glücklicher als ihre Schicksalsgenossen aus dem Befreiungskrieg haben sie keinen Rückzug und keine Niederlage erlebt. Von Sieg zu Sieg sind sie geschritten, bis wo das Schicksal ihrer Laufbahn ein Ziel gesetzt hatte, und den meisten von ihnen war es vergönnt mit dem Bewußtsein des entschiedenen, des mit durch sie entschiedenen Triumphes der deutschen Sache aus dem Leben zu scheiden.


Ich bin am Schluß, meine Herren; aber mein Geschäft ist noch nicht zu Ende. Es scheint mir Pflicht, an diesem Tage und an dieser Stelle die Namen der deutschen Jünglinge zu nennen, welche auf diesen Tafeln verzeichnet stehen und deren Gräber, weit zerstreut durch das ganze Deutschland und das halbe Frankreich, die alma mater, von der sie zum Kampfe entlassen worden sind, in trauerndem Stolz um ihre Söhne hier auf diesen Tafeln gleichsam in einem Gesamtgrabmal vereinigt. Die Angaben sind kurz; auf ein Soldatengrab gehört nichts als der Name, der Ort und der Tag. Aber das Verzeichnis ist lang. In öffentlichen Vereinigungen pflegt man nicht zuzuhören, wenn Namensverzeichnisse zur Verlesung kommen. Sie, meine Herren, werden, das weiß ich, heute mit ernster Teilnahme die Namen derer vernehmen, welche, aus allen Teilen Deutschlands hier sich vorbereitend dem Vaterland zu dienen, schon in sich selbst ein Bild des innerlich einigen Deutschlands, aus unseren Hörsälen zum Waffendienst abberufen, mit ihrem Leben das Vaterland vor der Fremdherrschaft geschützt und der vollen Einigung entgegengeführt haben. Sie insbesondere, meine Herren Kommilitonen, werden sich erinnern, daß alle diejenigen, deren Namen ich nennen werde, einst an dem Platze gestanden haben, wo Sie jetzt stehen, und auf die eine Gedächtnistafel geblickt haben, die damals an dieser Stelle stand. Sie ahnten es nicht, daß sie bestimmt seien neben und gleich ihren Vormännern in dieser stolzen Halle verzeichnet zu werden. Auch Sie, meine Herren, wissen nicht, ob Ihren Nachfahren oder vielleicht schon Ihnen selbst ein gleiches ernstes Los bevorsteht; sowenig wie wir es wissen, ob wir die Augen schließen werden, ohne noch andere als jene drei Tafeln in diesem Saal geschaut zu haben. Wir wünschen, daß es der Fall sein möge; aber es zu hoffen, scheint fast vermessen. Wir Älteren sind aufgewachsen in einer Friedenszeit, in welcher der Krieg beinahe als eine abgeschaffte Institution galt. Wir erlebten es dann, daß erst der Kanonendonner über den Ocean herüber an unsere Ohren schlug, dann an den europäischen Gestaden derselbe näher und näher rollte, endlich über unser eigenes Vaterland das Gewitter aber und abermals und in immer steigender Furchtbarkeit sich entlud. Betrachten wir die Kriege, die wir erlebt haben, mit dem kühlen Blick des Meteorologen, so pflegt freilich auf eine lange Kette von Gewittern eine wetterfreie Epoche zu folgen. Aber ob der letzterlebte furchtbare Kriegssturm, der diese unsere Genossen mit so vielen anderen hinweggerafft hat, nun in der Tat die Reihe beschließt, das ist viel weniger gewiß, als daß, wenn noch weitere nachfolgen sollten, jeder folgende die früheren ebenso an Gewaltigkeit und Opfern überbieten wird, wie bisher jeder spätere seine Vorgänger überboten hat. Wir stehen also vielmehr bei dem Wünschen als bei dem Hoffen. An jenem freilich ist kein Zweifel. Es ist kein Platz mehr in diesem Saal für weitere Tafeln; und mögen diese für lange hinaus die letzten sein! Wir dürfen wohl, in anderem Sinne, aber mit gleichem und besserem Recht, den Ausruf des griechischen Königs uns aneignen, vor weiteren Siegen bewahrt zu bleiben. Wir wissen ja auch, daß unser Kaiser vor allem, überhaupt aber jeder deutsche Staatsmann diesen Wunsch teilt, ja ohne Zweifel, je größer sein Einfluß, je höher seine Einsicht ist, um so mehr ihn teilt, um so ernsthafter bestrebt ist jede wenn auch sonst berechtigte Regung der Empfindlichkeit niederzukämpfen, jeden auch nur scheinbaren Mißbrauch der neugewonnenen Machtstellung zu vermeiden, überhaupt an die Herstellung eines dauerhaften Friedensstandes geradezu alles zu setzen außer dem Recht und der Ehre der Nation. Es gibt keine eindringlichere Friedenspredigt als den Krieg, der zu solchen Gedenktafeln führt und führen muß, wie wir deren heute errichten. Der hoffärtige Civilisationswahnsinn, welcher die niedrigeren Bildungsschichten der Gesellschaft bloß als Material gleich dem Eisen und dem Blei betrachtet, ist so verächtlich wie verkehrt; aber wenn eine Nation, wie die unsrige es tut, den hochgebildeten Teil ihrer Jugend der Kriegsgefahr in dem gleichen, ja, wenn man das Offiziersverhältnis berücksichtigt, sogar in höherem Maßstabe aussetzt als den minder gebildeten, wenn sie in jedem Kriege von ihrer besten Blüte, von den zu Gelehrten, zu Künstlern, zu Staatsmännern berufenen Talenten einen Teil notwendig zu Grabe trägt, so liegt allerdings in der ungeheuren Höhe dieses Einsatzes eine Warnung vor dem Kriegsspiel selbst, die kein deutscher Staatsmann und vor allem kein deutscher Herrscher je überhören wird und kann. Kriege, wie der letzte französische Kaiser sie an fernen Gestaden und dann gegen uns mutwillig begonnen und oft ebenso mutwillig abgebrochen hat, sind nach unserer staatlichen Ordnung wohl formell statthaft, aber tatsächlich unmöglich. Das unvergleichliche Wechselbündnis, das die Dynastie der Hohenzollern mit dem deutschen Volke eingegangen ist, beruht allerdings auf Gegenseitigkeit. Es ist unter dieser Dynastie vorgekommen, vorgekommen zum schwersten Schaden der Nation, daß notwendige Kriege nicht geführt worden sind; einen unnötigen Krieg hat kein Hohenzoller geführt und kann ihn nicht führen. Jeder König aus diesem Haus muß hintreten dürfen vor Tafeln, wie die unsrigen sind, ohne daß sein Gewissen ihn für dieses Blut verantwortlich macht, ohne daß sein Volk dieses Blut von ihm fordert. Das wissen wir alle; das wissen auch Sie, meine Herren Kommilitonen. Muß es sein, so ist keiner zu gut. Der Abgrund der drohenden Niederlage schließt sich nur über dem Blute des besten Rittersmanns. Und das haben wir freilich erfahren, daß das Wünschen und Wollen des Friedens den Frieden nicht sichert. Es ist mit dem Krieg wie mit der Feuersbrunst; das Anzünden ist so leicht wie das Löschen schwierig. Muß es also sein, so wird es wieder sein wie früher. Der König rief und alle kamen, sagten wir bisher; alsdann wird der Kaiser rufen und was es heißt, daß alle Deutsche kommen auf des Kaisers Ruf, das werden die Feinde des deutschen Namens alsdann erfahren. Die Gerufenen werden nicht alle zurückkehren; aber wer im Heimzug der Sieger fehlt, dessen Name wird in Ehren bleiben und weithin leuchten, wie die Namen der Neununddreißig, die ich jetzt Ihnen verlese.


Diese mit dem ganzen Volke
Halfen bau'n die neue Burg,
Und aus schwerer Wetterwolke
Brach die eine Sonne durch.

Palmenzweige, Lorbeerreiser
Für der Jugend Todesmut!
Deutsches Reich und deutscher Kaiser
Wuchsen auch aus ihrem Blut.

Mit dem Blut des besten Lebens
Steht der hohe Bau geweiht.
Wer uns starb, starb nicht vergebens
Und sein Name leuchtet weit.



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