Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ansprache am Leibnizschen Gedächtnistage

4. Juli 1895. Sitzungsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1895 S. 733-735.

Wenn Jahr für Jahr der akademische Leibniztag herankommt, so legt er uns, den Mitgliedern der von Leibniz ins Leben gerufenen Akademie, wieder und wieder die Frage vor, ob wir es rechtfertigen können uns gewissermaßen seine Nachfolger zu nennen. Wohl hätte er, zugleich Mathematiker, Physiker, Philosoph und Historiker, das Recht gehabt den Begriff der prästabilierten Harmonie auf sich selber anzuwenden; das große Geheimnis der Individualität, die Einheit der verschiedenartigen Kräfte hat vielleicht niemals so vollkommen sich innerlich vollendet und so mächtig nach außen gewirkt wie in diesem größten Manne einer nicht glänzenden Epoche unserer nationalen Geschichte. Die Wissenschaft allerdings schreitet unaufhaltsam und gewaltig vorwärts; aber dem emporsteigenden Riesenbau gegenüber erscheint der einzelne Arbeiter immer kleiner und geringer. Für die weitgedehnten Kreise der Gesamtforschung, die dem einzelnen fremd sind, sucht er sich wohl Achtung und Wohlwollen zu bewahren; der Mut die Wissenschaften, die man nicht beherrscht, zu verachten ist in Deutschland glücklicherweise selten. Aber was ist Achtung ohne Verständnis? und das Wohlwollen ohne Wissen steht ungefähr auf einer Höhe mit der platonischen Liebe. Wenn Leibnizens Akademie als Fortführerin seiner Arbeiten betrachtet werden darf und wenn sie darin ihre rechte Legitimation hat, so können wir uns doch nicht verbergen und müssen uns damit abfinden, daß diese Fortführung, in ihrer Zersplitterung auf mehrere Klassen und innerhalb dieser Klassen auf zahlreiche engere Kreise, ein Surrogat ist, unentbehrlich und wirksam, aber nicht unbedingt gesund und nicht unbedingt erfreulich. Unser Werk lobt keinen Meister und keines Meisters Auge erfreut sich an ihm; denn es hat keinen Meister und wir sind alle nur Gesellen.

Auch das Verhältnis der Wissenschaft zum Staat ist im Lauf der Zeiten ein anderes geworden. Freilich verfügen wir über weitaus größere Hülfsmittel, als sie älteren Generationen zu teil wurden. Nicht bloß die von unserer Regierung mit anerkennenswerter Freigebigkeit gesteigerte Dotierung sowie die von Privaten aus Interesse für die Wissenschaft uns zugewandten, eben in dem verflossenen Jahre in ungeahntem Umfang vermehrten Stiftungsgelder kommen uns zu gute; auch der gesamte Aufschwung der Humanität, die Ausdehnung der Civilisation über bisher ihr ferner stehende Gebiete, die erleichterten und verbilligten Verbindungen, die zahllosen technischen Vervollkommnungen und Neuentdeckungen sind wichtige Hebel auch des wissenschaftlichen Fortschritts. Aber das tiefe innerliche Verhältnis zwischen Wissenschaft und Staat, auf dem Preußens Größe und Deutschlands Weltstellung mitberuht, besteht so wie früher heute nicht mehr. Wir feiern noch jährlich den Friedrichstag, den 24. Januar und wir werden ihn feiern, solange es eine preußische Akademie gibt; aber Friedrichs Auge ruht nicht mehr auf der von ihm neu belebten Anstalt und wir wissen es, daß er Friedrich der Einzige war und bleiben wird. Wir wissen nicht minder, daß die Zeiten, wo der Erforscher der Kawisprache und der Begründer der Monumenta Germaniae historica Minister des preußischen Staats sein konnten, unwiederbringlich dahin sind. Auch dies hängt zusammen mit dem vorher berührten Steigen des Arbeitsergebnisses und dem Sinken des einzelnen Arbeiters. Wie die Dinge jetzt liegen, kann die Wissenschaft nur den Fachmann brauchen und schließt die Dilettanten aus. Das ist richtig und notwendig; aber die enge Beziehung des Staatsmannes zur Wissenschaft, die ihr von hochgestellten preußischen Beamten früherer Generationen bewahrte innige oft leidenschaftliche Liebe ist mit dieser strengen Haltung der alternden Pallas Athene unvereinbar. Wir klagen nicht und beklagen uns nicht; die Blume verblüht, die Frucht muß treiben. Aber die Besten von uns empfinden es, daß wir Fachmänner geworden sind.

Erwägungen, wie die eben ausgesprochenen, legt der heutige Leibniztag uns vor allem nahe. Wir haben in dem verflossenen akademischen Jahr neben anderen schweren Verlusten auch den Mann hergeben müssen, der mehr als irgend ein anderes Mitglied sich kraft eigenen Rechts Leibnizens Nachfolger nennen durfte, dessen hoher Forscherflug, dessen tief eindringender Scharfsinn die Geistes- wie die Naturwissenschaften gleichmäßig umspannten. Sie werden noch heute aus berufenerem Munde seinen Namen nennen und sein Wirken schildern hören; ich will nicht vorgreifen um so weniger, als gerade in der Erinnerung an ihn es nur zu deutlich und nur zu schmerzlich mir zum Bewußtsein kommt, wie durchaus für die rechte Anerkennung das Erkennen vorbedingend ist. Das aber mag noch gesagt sein, daß die Aufgabe desjenigen Akademikers, der nur mit Inbegriff seiner Kollegen sich als Nachfolger Leibnizens bezeichnen darf, eine schwere und vielfach leidvolle ist und daß das Bewußtsein dessen, was von uns geleistet werden soll und was geleistet wird, das Bewußtsein dessen, was die Gesellschaft von der höchsten wissenschaftlichen Korporation Deutschlands mit gutem Grund fordert und wie dazu die Kraft des einzelnen sich verhält, als schwerer und mit den Jahren immer sich steigernder Druck empfunden werden muß und empfunden wird.



 << zurück weiter >>