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Über die römischen Ackerbrüder.

Vortrag, gehalten in der Singakademie zu Berlin,

22. Januar 1870. Grenzboten XXIX. Jahrg. (1870) S. 161-178.

Gar wenig kennen wir von der ältesten römischen Welt, die länger, als man es sich vorzustellen pflegt, in der altheimischen Abgeschlossenheit verharrt hat, unberührt von dem fremden Kriegsmann wie von dem fremden Kaufmann. Bis nach Sicilien hin erstreckten sich die Kreise, die der gewaltige Zusammenstoß des Ostens und des Westens bei Marathon und Salamis rings umher zog; bis an die südfranzösische Küste und die Meerenge von Gibraltar siedelten die Kaufleute aus dem Osten sich an, Hellenen und Phönikier um die Wette; über die Alpen hinüber, hinein in die reiche Ebene der Lombardei und in das schöne Hügelland Toscanas strömten die Vorfahren der heutigen Galen und Iren. Aber das westliche Mittelitalien, die latinische Landschaft, obwohl in die Mitte des Völkergewoges gestellt und zu Wasser wie zu Lande den gleichen Stürmen preisgegeben, blieb im wesentlichen den Latinern eigen. Es war wohl nicht zunächst die größere Kraft dieses Stammes, die ihn vor der Überflutung geschützt hat; auch nicht zunächst der Umstand, wie schwer er auch ins Gewicht fällt, daß die kaufmännische Eroberung durchaus den Inseln den Vorzug gibt vor dem Festland. Hauptsächlich hat wohl mitgewirkt, daß Latium dem begehrlichen Fremden keine besonderen Vorteile darbot. Hier gab es keine Ackerfluren, wie die um Mailand und Neapel, keine Silbergruben, wie die von Cartagena; hier mangelte es an Häfen, und keine großen Karawanenstraßen liefen hier ans Meer, wie bei Marseille die Zinnstraße von Britannien her, wie bei Triest und Venedig die Bernsteinstraße von der Ostsee. Harte Arbeit fanden die Fremden überall, hier aber fanden sie auch nur mäßigen Lohn. So sind sie ferngeblieben und kein Strahl einer vorgeschrittenen Kultur fällt in das Morgengrauen der latinischen Geschichte.

Auch der Menschengeist selbst hat in dieser Landschaft sich erst spät zu regen begonnen. Man darf wohl zweifeln, ob wirklich in Latium energisch die göttliche Morgendämmerung gewaltet hat, in welcher reicher angelegte Nationen jenen geheimnisvollen Grundstamm erzeugten, den wir Sage zu nennen pflegen, den Keim alles Dichtens und Sinnens, den ewigen Born aller Kunst und Philosophie. Freilich wie wer kein Poet geworden ist, sich damit beschwichtigen mag, daß die besten Dichter ihre Gedichte nicht aufgeschrieben haben oder vielleicht auch die aufgeschriebenen Gedichte nur zufällig keinen Verleger oder doch keine Leser fanden, so hat man auch wohl von Latium behaupten wollen, daß dort ebenfalls homerische Epen und Hymnen einstmals gequollen und gesungen und daß sie nur leider spurlos verschollen und verklungen sind. Aber es sind dies lose und genau genommen gottlose Reden; denn wie unbarmherzig die Natur gegen das Individuum ist, sie ist es nicht gegen die Gattung. Auch darin waltet die Vorsehung, daß uns von den Ägyptern allein das Handwerk, von den Griechen allein die Kunst, von den Römern allein der Staat in vollem und reinem Bilde überliefert sind. Vollkommene Formen, einmal entwickelt, sind auch von Dauer. – Schwerlich also hat es jemals eine latinische Volkssage und Volkspoesie im wahren Sinne des Wortes gegeben; und auch von dieser Seite her fällt kein Licht auf die früheste Geschichte dieses Stammes.

Das Wenige, was wir von den ältesten Zuständen Roms wissen, hat sich größtenteils in der religiösen Überlieferung erhalten. Zwar ist auch diese in früher Zeit von der farben- und gestaltreicheren griechischen Religion so überflutet worden, daß die einzelnen Göttergestalten, wo auch sie einen ursprünglich lateinischen Namen tragen, mehr oder minder unter dem Einfluß der analogen griechischen stehen und wir darauf verzichten müssen, von dem nationalen Götterkreis ein deutliches und vollständiges Bild zu gewinnen. Aber das Ritual ist stetiger als das Dogma, und in jenem lebt noch manches uralte Lebensbild, freilich erstarrt und selten verstanden. Wir kennen den Römer, wo er in der Stadt öffentlich erscheint, nur in dem leichten kleidsamen Wollmantel, unbedeckten Hauptes und ohne Stock in der Hand. Aber das Ritual zeigt, daß einstmals der Bürger auf der Straße dicken Doppelüberwurf trug, den aus der selbstgewonnenen Wolle die Ehefrau dem Gatten selber spann und selber wob; daß es einstmals als unschicklich galt, öffentlich barhaupt zu erscheinen, und daß der Römer auf der Straße eine Lederkappe trug, oben in eine Spitze auslaufend, beinahe wie die unserer Helme, oder auch allenfalls die Kapuze des Umwurfs über den Kopf zog; daß der Bürger nicht anders ausging, als mit dem Stock in der Hand, nicht dem Zierstöckchen unserer Commis, sondern einem handfesten Stab, den wahrscheinlich späterhin die Polizei verbannt oder vielmehr für sich selber reserviert hat. Ebenso können wir aus diesem Ritual nachweisen, nicht bloß daß die Getreidemühle und das gebackene Brot den Römern einstmals als unerhörte Neuerungen erschienen sind, sondern auch, daß Leinwand statt der Wolle eine Zeitlang ebenso galt, wie unseren frommen Tanten die Krinoline; daß man einstmals auf der harten Erde schlief und das später allgemein übliche Schlafsofa, der Lectus, gleichfalls als die übliche und weichliche Sitte bei den damaligen Lobrednern der guten alten Zeit verfemt war.

In diesen Kreis zunächst führt unsere heutige Betrachtung. Es hat unter vielen anderen geistlichen Genossenschaften in Rom auch eine gegeben, die, wie die Wolfsgilde dem Hirten-, so recht eigentlich dem Bauernleben angehört, die Ackerbrüder oder die fratres Arvales. Politische Bedeutung hat dieselbe nie gehabt und darum ist in der geschichtlichen Überlieferung kaum jemals von ihr die Rede, obwohl sie uralt ist und nachweislich mindestens ein Jahrtausend hindurch bestanden und in ihrer Art etwas bedeutet hat. Der Umstand, der sie für uns in hervorragender Weise merkwürdig macht, ist zufälliger Art: es ist die einzige römische Korporation, von deren Akten wir umfassende Überreste besitzen. Dies beruht teils darauf, daß die übrigen Genossenschaften wohl das Verzeichnis ihrer Mitglieder in ihrem Versammlungslokal in Stein eingehauen aufstellten, ihre übrigen Akten aber in gewöhnlicher Buchform führten; die Arvalen dagegen nicht in älterer Zeit, aber seit ihrer Reorganisation unter Augustus die geführten Protokolle am Schlüsse jeden Jahres in die Tempelmauern oder sonstigen Steinwände in ihrem Amtslokal eingraben ließen. Teils hat auch der Umstand eingewirkt, daß das Amtslokal nicht in Rom sich befand, sondern, wie es für die Priester der Flur sich schickt, vor den Toren von Rom, in der Campagna, fünf Miglien von der Hauptstadt, in der heutigen Vigna Ceccarelli. Das Winzerhäuschen in dieser ist aufgeführt auf den noch wohl erhaltenen Fundamenten des Rundtempels der Arvalen. Obwohl begreiflicherweise die Marmorblöcke und Marmortafeln von dort großenteils nach Rom geführt worden sind, um dort für bauliche Zwecke zu dienen – man hat Trümmer davon an vielen Stellen gefunden, die größte und merkwürdigste aller Arvaleninschriften ward im Jahre 1778 bei der Grundlegung einer Kapelle der Peterskirche entdeckt – so wurden doch schon im Jahre 1570 neunzehn Protokollfragmente und sieben Basen von Statuen kaiserlicher Mitglieder des Kollegiums in jener Vigna ausgegraben, und seitdem sind ebendaselbst ähnliche, wenn auch minder bedeutende Funde wieder und wieder gemacht worden. Seit langem war es der lebhafte Wunsch aller auf unserem Gebiet tätigen Forscher in diesem engbegrenzten und von Gebäuden freien Raum eine planmäßige Durchforschung vorgenommen zu sehen. Ein neuer Fund im Jahre 1866, der eine große Tafel aus Caligulas Zeit in derselben Vigna zum Vorschein brachte, bewog das Archäologische Institut in Rom mit einer solchen Ausgrabung den Anfang zu machen, woran sich denn auch die meisten Mitglieder der hiesigen Archäologischen Gesellschaft durch Privatbeiträge beteiligten. Aber die beschränkten Mittel des römischen Instituts und die sparsamen Taler der Berliner Gelehrten würden für die, wenn auch verhältnismäßig geringen Kosten des Unternehmens weitaus nicht zugereicht haben, wenn nicht I. M. die Königin von dem Unternehmen vernommen und unaufgefordert demselben ihre tätige Teilnahme gewidmet hätte. Sie sowohl wie demnächst des Königs Majestät haben die letzten vier Jahre hindurch diesen Ausgrabungen eine stetige und den Erfordernissen entsprechend gesteigerte Förderung zugewandt; und preußisches Geld und preußisches Glück haben also dem lateinischen Inschriftenschatz eine Bereicherung zugeführt, wie sie bisher noch nie durch eine planmäßig unternommene Grabung erreicht worden ist. Gegen dreißig mehr oder minder vollständige Jahrprotokolle, außerdem wichtige und beträchtliche Reste des von den Arvalen unter Augustus aufgestellten Kalenders, der Monats- wie der Jahrtafel, sind zum Vorschein gekommen, die bisherige Masse der Arvalakten ist ungefähr auf das Doppelte vermehrt. Die beschwerliche Arbeit des Zusammensetzens dieser meist in unzähligen Stücken und Stückchen zum Vorschein kommenden Tafeln fiel insbesondere den Herren Professor Henzen und Dr. Bormann zu. Wenn dieses mühsamste und schwierigste aller Geduldspiele durch ihre emsige Gewissenhaftigkeit und ihren gelehrten Scharfsinn glücklich durchgeführt worden ist, so darf dabei nicht vergessen werden, daß, wenn dieselben Trümmer vereinzelt und allmählich durch den Zufall ans Licht gekommen wären, ohne Frage die meisten derselben als unbrauchbar und wertlos unerkannt zu Grunde gegangen sein würden. Jetzt sammeln wir die Brocken, auf daß nichts umkäme; und was aus diesen Brocken geworden ist, zeigt insbesondere der von Herrn Henzen im Herbst des J. 1868 veröffentlichte große Gesamtbericht, wenngleich auch in diesem die jüngsten Funde noch fehlen. Ob viel mehr als bisher zu Tage gekommen ist sich wird entdecken lassen, muß die Zeit lehren; die Grabungen dieses Winters sind bis jetzt nicht vom Glücke begünstigt gewesen. Indes die Hoffnung haben wir, daß diese Grabungen aufhören werden, nicht, wie gewöhnlich, wenn das Geld zu Ende ist, sondern wenn verständigerweise keine Hoffnung mehr bleibt auf weitere namhafte Funde.

Das Kollegium der Arvalen ist gleich dem der Luperker den Römern erschienen als so alt, ja älter als Rom; wie dies die Überlieferung in ihrer Weise ausdrückt, indem sie als die ersten Arvalen die Kinder der Ziehmutter des Romulus bezeichnet und bereits den Romulus in die damals also schon bestehende Körperschaft eintreten läßt. Das unvordenkliche Alter derselben beweist bestimmter noch jenes uralte Gedicht, das die Arvalen am Haupttage ihres großen Festes in ihrem Tempel sangen und tanzten, und das auf uns gekommen ist als Bestandteil eines unter dem Kaiser Elagabalus im J. 218 aufgenommenen Protokolls; das einzige zusammenhängende Stück, das wir besitzen in ältestem Latein, welches bereits vierhundert Jahre vor Cicero eine veraltete Sprache gewesen sein muß. Es ist eine Bitte an den Mars und die Lasen oder Laren um Abwendung des Verderbens, wie es scheint, zunächst von der Saat und den Feldfrüchten; geschrieben in einem bewegten Rhythmus, den man ebensowenig Prosa nennen, wie auf ein eigentliches metrisches Schema zurückführen kann und dessen hauptsächliche Eigentümlichkeit ist, daß ein jeder der kurzen Sätze, aus denen das Gedicht sich zusammensetzt, dreimal hintereinander gesungen und gesprungen wird – man nennt dieses Dritttreten ( tripodare). – Einen neuen Beweis des hohen Alters dieser Stiftung haben die letzten Ausgrabungen geliefert. Wir wußten schon, daß die Töpfe, die ollae, bei den heiligen Gebräuchen der Arvalen eine Rolle spielten; erst die neu gefundenen Inschriften haben uns gelehrt, daß dies die Breitöpfe waren aus jener Zeit, wo man das Korn noch nicht zum Brote buk, sondern einen Brei stampfte, und daß die Ackerpriester den Topf oder den Brei mit frommem Gebet besprachen. Aber auch die Töpfe selbst sind jetzt zum Vorschein gekommen; in dem Winkel einer seit römischer Zeit nicht berührten Grube der Arvalenvigne fanden sich zusammen achtzehn Scherben von Gefäßen rohester Fabrik, ohne Drehscheibe aus freier Hand verfertigt, wie sie sonst in Latium nirgends begegnen außer in jenen merkwürdigen urältesten Funden unter dem Peperin, das heißt unter der Lava der, bevor es eine Geschichte Latiums gibt, erloschenen Vulkane des Albanergebirges. Offenbar ist es der Kochtopf der Urzeit, den hier das Ritual festgehalten hat, als den rechten Zeitgenossen jenes uralten Marsgesanges.

Zwölf Brüder sind es, denen das Gedeihen der Fluren anvertraut ist, eine Brüderschaft nicht in dem Sinne, wie das Wort in den neuern Sprachen gebraucht zu werden pflegt, denn diese Bezeichnungsweise ist nicht lateinisch; sondern es sind die Priester gedacht als zwölf Geschwister, zwölf Söhne desselben Vaters. Ohne Zweifel liegt dabei zu Grunde die Vorstellung des Jahres, wie es der Landmann kennt, des Sonnenjahres mit seinem durch die zwölf Monde wechselnden und in sich selbst zurückkehrenden Arbeitskreise; und schicklich faßten die ältesten Ordner diese zwölf Monate als die Söhne derselben Sonne, die in stetig sich ablösender Kette Saat und Ernte vollbringen. Das Jahr dieser Körperschaft beginnt im Mittwinter – der 17. December ist für die Arvalen der Neujahrstag; so daß, wie der Tag von Mitternacht zu Mitternacht reichend die Lichtzeit vollständig umfaßt, so auch dies Bauernjahr von Mittwinter zu Mittwinter gerechnet den Kreislauf der Feldarbeiten vollständig einschließt. Daher ist dies Arvalenneujahr als der Anfang des Bauernjahres zugleich ein ländliches Fest, gefeiert nicht zunächst von dem Kollegium, aber von der ganzen Bevölkerung als das Fest des Säegottes, des Saturnus. Denn ein Saatfest sind die ursprünglichen Saturnalien, die Vorläufer unserer Weihnachten, immer ein Fest jubelnder Fröhlichkeit und ausgelassenen Behagens, aber ursprünglich begangen im ernsten Hinblick auf die auch im beginnenden Jahr bevorstehende harte und stetige Arbeit um die goldene Frucht. – Darin aber tritt wieder die Altertümlichkeit dieser Einrichtungen hervor, daß das Kollegium auch in späterer Zeit sich nicht völlig dem Julianischen Jahr gefügt hat, sondern hier noch Reste übrig geblieben sind von dem ältesten römischen bürgerlichen Kalender, der statt des Schalttags einen Schaltmonat ansetzt und zwischen zwölf- und dreizehnmonatlichen Jahren abwechselnd verläuft; denn darauf beruht es, daß das Hauptfest der Brüderschaft entweder am 19. oder am 29. Mai, in der Regel in umgehender Folge, gefeiert wird.

Ohne Zweifel, obwohl es allerdings bezweifelt worden ist, ist dies das Fest, von dem Virgil in den Georgiken singt:

Ehre die Götter zunächst und bringe der mächtigen Ceres
Jährlich die Andacht dar, ihr dienend auf grünender Aue,
Wenn sich zu Ende der Winter geneigt und wieder der Lenz lacht,
Dann ist am fettsten das Lamm; am lieblichsten gleitet der Wein dann;
Dann ist anmutig der Schlaf im Schatten des laubigen Abhangs.
Alles Gesinde der Flur du heiße die Ceres verehren,
Spreng' ihr die Waben mit Milch und lieblichem Safte der Traube,
Und dreimal zum Heil umwandle das Lamm dir die Neufrucht.

Der Mittelpunkt der Festfeier tritt bei dem Dichter deutlicher hervor, als in unseren Akten: es ist das Fest für das Gedeihen der jungen sprossenden Saaten, gefeiert in der neubegrünten Flur, mit dem fetten Lamm und reichlichem jungem Weine. Im wesentlichen stimmen damit auch die Protokolle; aber die Schutzgottheit der Ackerbrüder und der Äcker selbst heißt hier nicht Ceres oder Ops, sondern die göttliche Göttin, dea Dia – ein sonst nirgends vorkommender, offenbar auch dem höchsten Altertum angehörender Name. Die Festfeier selbst ist in seltsamer Weise zusammengesetzt aus alten und neuen, zum Teil recht fremdartigen Bestandteilen; es soll hier nur versucht werden, von dem Haupttag derselben, mit Übergehung der Ankündigungsceremonie wie der Vor- und Nachfeier, ein Bild zu entwerfen.

Vom Janiculum auslaufend zieht sich am rechten Tiberufer ein niedriger Hügelzug bis zur Mündung des Flusses. Zwischen diesen Hügeln und dem Flusse läuft von Porta Portese ab die Feldstraße, die via Campana, an deren fünftem Meilenstein das Festlokal der Arvalen sich befand. Wie es in älterer Zeit beschaffen gewesen, wissen wir nicht; seit das kaiserliche Marmorrom die alten Ziegelbauten der Republik verdrängt hatte, hatte auch das Arvalenheiligtum sich prächtig geschmückt. Auf den Hügeln zu rechter Hand der Feldstraße, wenn man von Rom kommt, innerhalb des heiligen Haines mit seinen uralten nie von der Axt berührten Bäumen stand der Tempel der Göttin, ein Rundgebäude von mäßigem Umfang, dessen Fundamente das jetzige Winzerhaus tragen. In der Ebene unterhalb des Haines und, wie es scheint, auf der linken Seite der Feldstraße, aber immer noch in einiger Entfernung von dem Fluß, finden sich die Überreste des Versammlungshauses der Brüderschaft, das unter dem Namen Caesareum oder Tetrastylum Die Identität beider Gebäude ist bisher verkannt, aber meiner Meinung nach unzweifelhaft. Das Caesareum wird zuerst in den Akten des J. 81 genannt, das Tetrastylum zuerst in denen des J. 91. Beide stehen nie neben-, aber offenbar füreinander, indem die Mahlzeit bald im Caesareum, bald im Tetrastylum eingenommen wird. Es kann auch nicht auffallen, daß das Gebäude eine doppelte Bezeichnung trug, einmal nach seiner religiösen Zweckbestimmung – es findet sich auch aedes Caesarei – und dann nach seiner architektonischen Anlage. Der Ruinenhaufen, in dem Pellegrini die Trümmer des Caesareum hat erkennen wollen, muß zu dem Tempel oder den dazu gehörigen Baulichkeiten, insbesondere der Ära am Eingang des Hains gehören; diese war im Boden fest und vielleicht von bedeutendem Umfang. auftritt; es war ein viereckiges Gebäude mit einer von vier Säulenreihen eingefaßten Halle in der Mitte, zunächst zum Speisesaal eingerichtet, aber zugleich ein Tempel der vergötterten Kaiser, deren Bildsäulen die Halle schmückten und denen auch wohl vor dem Tempel geopfert ward. Endlich wieder auf den Hügeln neben dem Hain sind die Trümmer eines anderen Neubaues zum Vorschein gekommen, in welchem man mit großer Wahrscheinlichkeit die Rennbahn der Arvalen erkannt hat.

Man sieht schon hier, daß nichts gespart war, um die fromme Landpartie den Teilnehmern wo nicht erbaulich, doch erfreulich zu machen; und auch in anderen Dingen erscheint dieselbe Fürsorge. – Es war aber auch eine glänzende Gesellschaft, – wenigstens seit Augustus in seiner restaurierten Republik die alten schlichten Gebräuche mit dem Prunk des Hofluxus zu verschlingen gewußt hatte, – welche an diesem Maifest auf das Feld zog und die göttliche Göttin anrief um Verleihung des täglichen Brotes. Beispielsweise am 22. Mai des J. 39 n. Chr. waren im Haine anwesend der Kaiser Gaius, der sogenannte Caligula, der in diesem Jahre den Vorsitz in dem Kollegium zu führen übernommen hatte; war er auch nicht früh genug aufgestanden um das erste Opfer selber darzubringen, so hatte er doch für die Mahlzeit und die Rennspiele sich rechtzeitig eingefunden. Neben ihm opferten, speisten und schauten die Träger zweier seit einem halben Jahrtausend mit Roms Geschichte verknüpften Geschlechter, M. Furius Camillus, der letzte Sprößling des Siegers von Veji, des Triumphators mit den Sonnenrossen, und Paullus Fabius Persicus, ein Nachkomme des Besiegers des Königs Perseus und so vieler anderen gefeierten Helden des erlauchten Fabischen Geschlechts; ferner die Vertreter der plebejischen, aber kaum weniger adligen Häuser der Junii Silani, der Domitii Ahenobarbi und der Calpurnii Pisones, alle oftmals die Träger des Purpurs und des Lorbeers der stolzen Republik; endlich zwei Männer von den unter Augustus emporgekommenen Familien: Taurus Statilius Corvinus, der Enkel des berühmten Feldherrn Augusts, der während der Actischen Schlacht das Landheer kommandierte, und L. Annius Vinicianus, der einzige unter allen diesen, der nicht durch Geburt zu dem höchsten Adel der Zeit zählte, aber ohne Frage auch einer der angesehensten Männer Roms, da bald darauf nach Caligulas Tode nicht wenige daran dachten, ihn auf den erledigten Kaiserthron zu heben. Es war ein erlauchter Kreis, der an jenem Tage mit dem Kaiser das Lamm schlachtete für das Gedeihen der Saaten; aber er war weder ehrwürdig, noch ehrbar, noch geboren unter glücklichen Sternen. Nicht ehrwürdig: denn wie der Kaiser selbst, so hatten auch die meisten seiner Kollegen noch das dreißigste Jahr nicht erreicht oder kaum überschritten, und nur ein einziger unter den achten war ein angehender Vierziger. Aber noch weniger waren diese hochadeligen Herren ehrbar. Zwei derselben, Gnäus Domitius und Fabius Persicus, sind namhaft wegen beispielloser Lasterhaftigkeit in einer beispiellos lasterhaften Zeit; und auch von den übrigen ist keiner, der durch kriegerische und staatsmännische Tüchtigkeit sich irgend hervorgetan hätte, – selbst den besten Mann darunter, den Gaius Piso, der späterhin als Führer der berühmten Verschwörung unter Nero sein Ende fand, nennt Tacitus einen von Sittenstrenge weit entfernten, dem müßigen Luxus ergebenen Mann. Die Kaiser ernannten jetzt zu diesen Priestertümern; und wenn außer der Ahnenprobe von diesen geistlichen Herren noch etwas gefordert ward, so kann es höchstens eine Trinkprobe gewesen sein Es ist bemerkenswert, daß namentlich im ersten Jahrhundert im Arvalenkollegium die namhaftesten Wüstlinge der Aristokratie sich fast vollzählig finden, dagegen nur wenige der Besseren.. Der ganze priesterliche Kreis war des tollen kaiserlichen Buben würdig, um den er an diesem Tag als um seinen Oberen und Meister sich scharte; und fast alle Glieder desselben haben ähnlich wie ihr Meister geendet. Unter den sieben Priestern, die außer ihm an jenem Tage an dem glänzenden Landfeste teilnahmen, finden wir zwei Gatten von Urenkelinnen Augusts, also verschwägert mit dem regierenden Hause, finden wir den Vater des Kaisers Nero und den der Kaiserin Messallina, und nicht weniger als drei Männer, die unter den folgenden Regierungen auf den Thron erhoben zu werden Aussicht hatten, – aber wir finden auch, daß fünf von diesen sieben durch Henkershand endigten oder, um dem Henker zu entgehen, Hand an sich selber legten. Silanus und Taurus wurden auf Befehl des Kaisers Claudius wegen Hochverrats oder auch nur wegen ihrer Reichtümer hingerichtet. Camillus und Vinicianus versuchten gegen denselben die dalmatinischen Legionen unter die Waffen zu bringen und endigten in gleicher Weise, als diese Empörung scheiterte. Endlich Piso war von den Verschworenen unter Nero bestimmt, den erledigten Kaiserthron einzunehmen und büßte den vergeblichen Versuch mit dem Leben, zugleich mit dem philosophischen Staatsminister Seneca. Wem es gegeben gewesen wäre, mit der Gabe des zweiten Gesichts jenem lustigen Maifest zuzuschauen, der würde einen ernsten Hintergrund gefunden haben für jeden einzelnen Gast sowohl wie für das Schauspiel überhaupt, den Mörder oder den Henker hinter sechs von diesen acht jugendlichen, aber bereits vom Laster gezeichneten Gestalten und hinter dem ganzen Fest das jähe und blutige Ende der von dem großen Diktator begründeten Dynastie, deren letzter Sprößling an jenem Tage den Schmaus gab. Hier haben Sie sie vor sich, jene Selbstvernichtung der alten republikanischen Aristokratie, welche die zweite Hälfte der Julischen Epoche ausfüllt; zunächst das sittliche Verkommen, sodann den physischen Untergang des regierenden Hauses sowohl wie des ganzen beispiellos großartigen Adelskreises, zu dem es gehörte. Nur wenige Decennien noch, und diese Welt ist zu Ende, wie das Venedig der Dandolo und Renier, der Foscari und der Emo; der Kaiserthron löst sich von der altrömischen Adelsherrschaft los und mehr und mehr von der Stadt Rom selber; die Fabier und die Claudier, die Camiller und die Scipionen sinken in dieselbe Gruft wie die mächtigen Julier; was einst der adligste Name war, wird zur Herrscherbenennung und diese neuen Titularcäsaren, die Enkel von Bauern aus der Sabina, von spanischen Halbrömern, beherrschen das nur dem Namen nach noch römische Reich; verständiges Regiment und mäßige Sitten, freilich auch Nüchternheit und Öde treten an die Stelle jener tollen Mächtigen, die die Welt zerschlagen, um mit ihren Trümmern ihr Spiel zu treiben, jenes Cäsaren Wahnsinns, der die Signatur der Zeit ist, mag er nun greisenhaft auftreten, wie bei Tiberius, oder bubenhaft, wie bei Caligula und Nero, oder, wie bei Claudius, als Blödsinn.

Aber kehren wir zurück von der Weltgeschichte zum Maifest im Haine und versuchen wir wenigstens in einigen Zügen ein Bild zu geben von seinem Verlauf. Am frühesten Morgen fand der vorsitzende Priester in dem Versammlungshaus sich ein und legte das Amtskleid an, die Toga mit dem Purpursaum, wie sie auch die römischen Beamten trugen. Dann begab er sich zu einem vor dem Eingange des Hains errichteten Altar und opferte hier das gewöhnliche Sühnopfer für die Betretung des heiligen Raumes und die dort vorzunehmenden Verrichtungen, zwei Schweinchen, sowie an einem zweiten im Circus am Haine aufgestellten tragbaren Altar von Silber mit grünem Rasen geziert der Göttin des Tages die weiße Ehrenkuh. Darauf wurden die Opfertiere zubereitet, und während das Opferfleisch briet und kochte, versammelten sich allmählich die Kollegen, War das Fleisch gar, so fand der Magister mit den Mitpriestern wieder am Altar sich ein, um Stücke von den im Topf gekochten Eingeweiden – den exta aulicocta, wie sie in unseren Akten heißen – nach bekannter Sitte in die Altarflamme des Kochherdes zu werfen. Nach Verrichtung dieser heiligen Handlungen begab der Vorstand sich wieder zurück in das Versammlungshaus, wo er sowie die übrigen an der Handlung beteiligten Priester in das Protokollbuch des Kollegiums eigenhändig sich als anwesend eintrugen, eben wie das heute noch die katholischen Geistlichen nach gelesener Messe zu tun pflegen. Darauf legten die geistlichen Herren ihre Amtsgewänder ab und setzten sich zum Frühstück, wobei, was von jenen Schweinchen die Göttin übrig gelassen hatte, seine passende Verwendung fand. Alsdann zog sich jeder in sein Zelt zurück und der Mittagsschlaf auf grünender Aue am laubigen Abhang, von dem der Dichter singt, wurde in civilisierter Weise von den vornehmen Herren gehalten.

Nach Mittag erschienen sie wieder und nun fand das Hauptopfer statt, das Opfer des fetten Lammes. Wieder mit dem Amtskleide angetan, aber jetzt in feierlichem Zuge, unter Vortritt von platzmachenden Dienern, die das Volk beiseite wiesen, auf dem Haupt das eigentümliche Abzeichen des Kollegiums, den Ährenkranz mit dem flatternden weißen Bande, stiegen die Priester aus dem Versammlungshause den Hügel hinauf zu dem heiligen Walde und der Vorstand opferte im Tempel selbst auf dem tragbaren Brandherde der göttlichen Göttin das fette Lamm. Alsdann wurden von den Anwesenden die Eingeweide des Opfertiers beschaut und von einem jeden der Göttin das Sprengopfer dargebracht und Weihrauch auf den flammenden Opferaltar geworfen. Nachdem diese Handlung geschlossen war, begaben sich nach einer Pause die Priester abermals in den Tempel und verehrten die auf dem Altartisch aufgestellten Töpfe – jene Kochtöpfe ältester Art, von denen früher die Rede war. Sodann traten sie vor die Tür des Tempels und verehrten wiederum die Göttin auf dem Rasen, spendeten am Altar eine fromme Gabe in den Tempelschatz, gossen aus silbernen Bechern ihr Wein aus und schwenkten die Weihrauchpfannen. Nun wurden zwei Priester entsendet, von den neuen sprossenden Ähren zu pflücken; diese Ähren gingen dann durch die gesamte Priesterschaft von Hand zu Hand, von jedem Mitglied mit der Linken empfangen, mit der Rechten weitergegeben; sodann in derselben Weise durch die ganze Reihe wieder zurückgereicht und endlich dem letzten der Priester von den Dienern abgenommen. Wieder gingen die Priester in den Tempel, schlossen die Türen und berührten und besprachen mit frommem Gebet die Breitöpfe, dann öffneten sie die Pforten, nahmen die Töpfe und warfen sie den Hügel hinab – Zweck und Sinn dieses Poltermorgens ist nicht viel klarer als der unseres heutigen Polterabends. Dann erschienen die Diener und verteilten den auf den Marmorbänken des Haines ausruhenden Priestern lorbeerbekränzte Brötchen – sie waren den Tag vorher dazu geweiht worden. Sodann wurden die Bildsäulen der Gottheiten, die im Tempel standen, von den Priestern gesalbt, wie denn gleich den Menschen auch die Götter der Alten an ihren Festtagen mit duftender Salbe geehrt zu werden pflegten. Alsdann hatten alle nicht zum Kollegium gehörenden Personen den Tempel zu verlassen; die Tür wurde geschlossen und eingeschlossen in dem heiligen Räume gürteten die Priester ihr Gewand zum Tanze auf und sangen und sagten nun jenes heilige Lied aus ältester Zeit, ihnen so unverständlich wie das Kyrie eleeson dem heutigen Mesner, weshalb denn auch jedem Priester vorher sein Textbuch von den Dienern überreicht ward. War dieser »Dreitritt« zu Ende, so wurden die Tempeltüren wieder geöffnet und die Diener erschienen abermals, nahmen den Geistlichen die Textbücher ab und reichten ihnen Kränze, mit welchen jeder Priester den Altar berührte und dann die Bildsäulen der Gottheit krönte. Damit war die heilige Handlung geschlossen. Es wurde noch die Wahl des Vorstandes für das nächste Jahr vorgenommen; sodann rief einer dem andern das übliche Glückauf zu – felicia! – und man verließ den Hain, um in dem Versammlungshaus das Amtskleid mit dem bequemen Tafelgewand zu vertauschen und sich zu Tisch zu setzen oder vielmehr zu legen – denn dies war kein Imbiß mehr, den man sitzend einnahm, sondern ein eigentliches Mahl, und wenn kein Diner, doch mindestens ein ernsthaftes Déjeuner dinatoire. Der fromme Speisezettel ist nicht erhalten, aber die Schüsseln erschienen im festlichen Zug, jede auf besonderer Trage, und man wird den einsichtigen Vätern zutrauen dürfen, daß sie für Erholung von der überstandenen Mühwaltung gesorgt haben werden. Daß jedem Mitglied auch sein besonderer Weinkrug hingestellt wurde, haben unsere Akten nicht versäumt zu bemerken.

Nach aufgehobener Tafel und nachdem unter die Anwesenden Rosensträuße verteilt sind, folgt nun das Schauspiel. Wieder in Prozession und mit dem Purpur geschmückt, aber diesmal in griechischer oder, was fast auf dasselbe hinauskommt, in Frauentracht, das Purpurtuch über das Haupt gezogen, mit dem Rosenkranz geschmückt und an den Füßen die bequemen Pantoffeln, begeben sich die Priester nach dem Circus und hier beginnen die Festspiele – nicht Tragödien von bedenklichem Ernste oder auch Komödien wenigstens von bedenklicher Länge, sondern was allenfalls auch nach der Tafel vertragen werden kann, der Circus Renz: Wettfahren und Wettreiten, insbesondere das beliebte Reitkunststück von einem Pferd zum andern springend zwei zugleich zu regieren. Einer der Priester führte den Vorsitz und entschied, wenn der Sieg zweifelhaft war; den Sieger lohnte eine Palme und ein silberner Kranz.

Damit ist die Hainfeier zu Ende, aber noch nicht das Fest. Die fromme Gesellschaft begibt sich zurück nach Rom und hier folgt nun, nachdem das Bad eingenommen ist Die in einiger Entfernung von dem Arvalenhain gefundenen Bäder (Bullettino 1858,4) können nicht, wie Pellegrini annimmt, als zu dem Arvalenlokal gehörig betrachtet werden. Des Bades gedenken unsere Urkunden nur in der Schilderung des ersten in der Stadt gefeierten Festtags und zwar, wie immer (Becker Gallus 3,111) als unmittelbar der Cena voraufgehend; man geht a balneo zu Tisch. Auch am zweiten Festtag, in Beziehung auf welchen vom Bade nicht die Rede ist, kann dasselbe nur nach der Rückkehr der Arvalen aus dem Hain vor die Cena gesetzt werden. Jene Badeeinrichtung wird demnach zu irgend einer benachbarten Villa gehört haben., im Hause des Vorstehers auf jenes gründliche Frühstück ein wirkliches Diner, von dem unsere Akten nicht viel zu melden wissen, was mit den göttlichen Dingen in Zusammenhang stände; daß für die menschlichen in genügender Weise gesorgt worden ist, läßt sich um so eher erwarten. Wie aber bei dem Hainopfer durch all die Sitte und Unsitte späteren Luxus und griechischen Ursprungs noch ein Kern uralter einfältiger Gebräuche durchscheint, so ist auch hier noch manches von ursprünglicher Weise zu erkennen. Vor allem der alte römische Gebrauch, daß die heranwachsenden Knaben den Vater überallhin begleiten, in den Ratsaal sowohl, wie wo er eingeladen wird als Tischgast, und daß also bei jedem Männergastmahl auch die Söhne des Hauses wie die der Gäste mitspeisen, nicht zu Tisch liegend wie die Väter, sondern am untersten Ende des Speisesofas sitzend, und nicht an allen Gängen und Gerichten teilnehmend, – dieser alte Gebrauch erscheint noch bei den Arvalenmahlzeiten festgehalten im Ritual. Für jedes der vier Sofas, auf denen die zwölf Brüder sich verteilen, wird ein Knabe erfordert, womöglich der Sohn eines der Anwesenden, aber auf jeden Fall ein Sohn lebender Eltern von senatorischem Rang. Es sind dies nicht Opferknaben, wie man wohl gesagt hat, denn wie würden diese bei der heiligen Handlung selber fehlen und erst zur Tafel erscheinen? sondern es sind die mit den Vätern speisenden Söhne oder deren Stellvertreter, die denn freilich auch bei dem Tischopfer Dienst tun, insbesondere nach vollendeter Mahlzeit die Schalen mit den heiligen Ähren, mit denen die Tafel geschmückt ist, zu dem im Speisezimmer aufgestellten Altar hintragen und der Göttin zum Opfer darbringen. Auf diese heilige Handlung folgt der festliche Beschluß des Mahles: die Gäste werden mit Salben übergossen und mit Kränzen geschmückt, Konfekt und anderer Nachtisch und ungebundene Rosen unter sie verteilt, bevor sie mit abermaligem Glückauf von dem Gastgeber sich verabschieden.

Überhaupt, die auch sonst vielfältig bezeugte innige Wahlverwandtschaft der römischen Kirche und der römischen Küche erscheint in unseren Urkunden aufs neue aktenmäßig bestätigt; es ist ein Vorzug derselben, daß sie uns deutlicher als irgendwelche andere Berichte ein Bild geben von einem nach römischer Weise wohl durchgegessenen Tage, mit gustatio, prandium und cena oder, faßlicher ausgedrückt, mit Imbiß, Luncheon und Diner; wobei nicht vergessen werden darf, daß bereits das erste Frühstück in Spanferkel besteht und daß die göttliche Göttin von ihren Dienern schon am nächstfolgenden Tage die Abhaltung eines abermaligen nicht minder vollkommenen Diners erheischt. Weiter führen unsere Akten nicht; wir haben nur noch zu berichten, daß selben zufolge für jedes Couvert aus der Stiftungskasse 100 Denare oder etwa 24 Taler gezahlt wurden, und stellen das Weitere der Küchenphantasie des geneigten Publikums anheim.

Vorgänge wie die geschilderten sind keine geschichtlichen Ereignisse, und niemand wird in solchen Aufzeichnungen unmittelbar geschichtliche Berichte zu finden erwarten. Dennoch sind dieselben auch in dieser Beziehung von großer Bedeutung. Wie stereotyp auch die steinernen Denkblätter sind, die Schlaglichter wie die Schlagschatten der Weltgeschichte gleiten oft durch dieselben, und nicht bloß von berühmten Namen sind sie erfüllt, sondern auch voll von Spuren historischer Ereignisse. Allerdings ist darin, wie es die Epoche mit sich bringt, von großen und stolzen Taten wenig verzeichnet, umso mehr des Kleinen und Gemeinen, des Nichtswürdigen in der langen Stufenleiter menschlicher Erbärmlichkeit. Schon die sogenannten Vota gehören hierher. Es war dies eine religiöse Ceremonie, die am dritten Januar eines jeden Jahres im ganzen Römischen Reich, insbesondere von dem ganzen Beamtenpersonal, militärischem wie bürgerlichem und geistlichem, vorgenommen ward und die bestand in der Ableistung von Gelübden für das Wohlergehen des regierenden Kaisers und der Seinigen, sowie beiläufig auch für das des Staates. Diese Vota in ihrem festen Schema mit stetig wechselnden Namen, diese Reihe von Kirchengebeten, durch mehrere Jahrhunderte sich erstreckend in einer Monarchie, wie die römische gewesen ist; diese gleichen Bitten der vornehmen Klerisei heute für den Mörder wie gestern für den Ermordeten; diese obligate Loyalität, unerschütterlich in ihrer Verehrung für den zeitigen Machthaber, die Rinder mit vergoldeten Hörnern dem höchsten besten Jupiter und der Königin Juno und der Minerva und der Salus gleichmäßig gelobend für das nächste Lebensjahr Domitians wie für das nächste Lebensjahr Traians in immer gleicher tiefster Ergebenheit, also ohne Gedächtnis wie ohne Scham – es ist ein Studium für Timon, und auch historisch. – Aber außer diesen sich stetig wiederholenden Gelübden begegnen in unseren Akten eine Menge außerordentlicher Dank- und Bitt- und Erinnerungsfeste, von denen die meisten mit den kaiserlichen Persönlichkeiten zusammenhängen. Geschichtlich besonders merkwürdig sind die Gelübde für die glückliche Vollendung der beiden Donaukriege Traians und des Alemannenkrieges unter Caracalla Auch in Beziehung auf den Suebenkrieg Domitians im J. 89 erscheinen ähnliche Gelübde; das Verzeichnis der Götter nennt Jupiter, Juno, Minerva, die Salus, die Fortuna, die heimkehrende Victoria und den Schutzgeist des römischen Volkes. Ist es vollständig, was zweifelhaft ist, so sind die Zwölfgötter in solchen Fällen im ersten Jahrhundert noch nicht angerufen worden.; alle drei Dokumente gehören den neuesten Funden an. Sie sind einmal chronologisch von großer Wichtigkeit, weil sie die vielbestrittenen Epochen dieser Feldzüge aktenmäßig feststellen und die Tage uns kennen lehren, an welchen die Kaiser aus der Hauptstadt zum Heere abgingen; dann aber auch, weil sie uns einen eigentümlichen bisher nicht bekannten Zwölfgötterkreis oder vielmehr zwei solcher Kreise kennen lehren derjenigen Mächte, die als die eigentlichen Kriegsgottheiten von der römischen Gemeinde angerufen wurden. Bei Traians erster Abreise aus Rom am 25. März des J. 101 und wahrscheinlich in gleicher Weise auch bei der zweiten im Anfang Juni 105 gelobte das Kollegium für die glückliche und siegreiche Heimkehr des Kaisers aus den Ländern und Gebieten, die er zu Lande oder zu Wasser betreten würde, sechs Göttern und sechs Göttinnen je ein großes Opfertier. Die sechs Götter sind der höchste beste Jovis vom Kapitol und der Sieger Jovis, die für zwei zählen, der Vater Mars und der Sieger Mars, die ebenfalls als verschiedene Individuen nebeneinander stehen, der Vater Neptunus und der Hercules Sieger; jedem von ihnen wird ein Stier gelobt, nur den beiden Jupitern, denen kein Stier geopfert werden darf, statt dessen Ochsen. Die sechs Göttinnen sind die Königin Juno vom Kapitol, die Minerva vom Kapitol, die Salus, die Victoria, die heimführende Fortuna und die Mutter Vesta; jeder von ihnen geloben die Priester eine Kuh. Diese Opfer wurden dargebracht für den glücklichen Ausgang derjenigen Kriege, durch welche Siebenbürgen römisch ward und die den Grund gelegt haben zu der heutigen Nation der Rumänen. – In der Hauptsache stimmt damit überein das Opfer, das ein Jahrhundert später am 11. August 213 gelobt wird, als der Kaiser Caracalla von Rom abgeht um den rätischen Grenzwall zu überschreiten und die Landesfeinde auszurotten – jener Grenzwall ist der heute noch vorhandene Pfahlgraben nördlich von Augsburg, und mit den auszurottenden Landesfeinden sind unsere lieben Landsleute am Main gemeint, die damals zuerst in der Geschichte auftretenden Alemannen. Und als dann dieser Zweck, wenigstens den kaiserlichen Depeschen zufolge, glücklich erreicht ist und unsere Urväter ausgerottet sind, wird den zwölf Göttern das Opfer dargebracht am 6. Oktober desselben Jahres; es sind, dieselben Gottheiten, wie unter Traian, nur daß statt des einen Mars, des Hercules und des Neptunus eingetreten sind die beiden Kriegsschutzgeister, die militärischen Laren und der Schutzgeist des Kaisers; ferner statt der Mutter Vesta der Schutzgeist der Kaiserin Mutter – man sieht auch hier, wie die Staatstheologie immer mehr sich lossagt von der alten nationalen Grundlage und über dem wüsten Göttergemisch als die einzige greifbare Gestalt die des regierenden Kaisers schwebt, als des lebendigen Gottes dieser gesunkenen und versinkenden Welt. – Im ganzen genommen aber begegnen in den spätem Akten dergleichen politische Festlichkeiten sehr selten; es scheint, daß das nüchterne Regiment, wie es besonders Traian ordnete, an den obligaten Opfertieren der römischen Klerisei kein besonderes Wohlgefallen weiter fand und sogar finanzielle Bedenken gegen den Weihrauch hatte, der in jeder Hinsicht auf seine Rechnung ging. Auch das plötzliche Aufhören unserer Urkunden in der Mitte des dritten Jahrhunderts wird vermutlich mit den damaligen Finanzbedrängnissen des Staates zusammenhängen; man wird unserer Brüderschaft kein Unrecht tun, wenn man ihnen bei dem Versiegen der öffentlichen Schmausgelder die Einstellung ihrer gottseligen Arbeiten beimißt. Dagegen im ersten Jahrhundert bis hinab zu Domitian sind unsere Urkunden ein getreues Echo aller Haupt- und Staatsaktionen der römischen Politik und vielfältig unmittelbar geschichtlich belehrend. Nicht bloß die Geburts- und die Antrittstage – die dies imperii – der Kaiser finden wir von dem Kollegium festlich begangen, auch andere geringere Gedenktage werden gefeiert, so unter Caligula der Tag, wo er zuerst in Rom einzog; unter Nero der Tag seiner Adoption und der seines Pontifikats und seines ersten Konsulats; vor allem unter Nero, Otho und Domitian die Tage, an denen ihnen durch den Akt, den man damals allgemeine Volksabstimmung nannte, von dem souveränen Volke die Ausübung der Volkssouveränität anvertraut wurde – oder, um die offizielle Sprache dieser Zeit zu reden, die Tage der Komitien, welche dem neu eintretenden Kaiser die tribunicische Gewalt übertrugen. Diese merkwürdige Kundgebung des verfassungsmäßigen Absolutismus, den man das römische Kaisertum nennt und den in folgerechter Selbstvernichtung die römische Demokratie aus sich entwickelt hat, haben zum erstenmal unsere Urkunden, und zwar die neugefundenen, uns kennen gelehrt. Es ist wohl nicht zufällig, daß die Zahl dieser persönlichen Festlichkeiten um so größer wird, je nichtswürdiger die Regenten sind; es war ganz angemessen, daß unter Herrschern wie Caligula, Nero und Domitian kein Monat verging, wo nicht sämtliche geistliche Körperschaften der Hauptstadt ihnen das offizielle Hosianna riefen, bis der Mörder kam. Aber nicht des Kaisers allein, auch ihrer Ahnen gedachten die geistlichen Herren, das heißt unter der Julisch-Claudischen Dynastie; denn nach Neros Tode findet sich nichts dergleichen. Es ist dies ein merkwürdiger Beleg dafür, daß nur Cäsar, der Diktator, es verstanden hat, die dynastische Idee in das Volk zu pflanzen, – so lebendig und gewaltig sie bestanden hat für das Julische Haus und was an dies sich anlehnte, so ist doch seit dem großen Zusammensturz nach Neros Tod nie einem römischen Regenten wieder ein Gleiches gelungen; oder vielmehr es fehlte den neuen Dynastiestiftern selber der Glaube an sich selbst und an ihre Zukunft, der also Gewaltiges wirkt, und Vespasian und Traian galten sich selber als bloße Reichsverweser und Verwalter. Aber in der ersten Dynastie sieht es anders aus. Vor allem Augustus und dessen Gemahlin werden auch nach ihrem Tode stetig gefeiert. Besonders die schlechtesten Regenten gehen hierin noch viel weiter – Caligula, dessen Pietät gegen seine Ahnen auch sonst bekannt genug ist, scheint seine sämtlichen Vorfahren von Augustus abwärts also haben verehren zu lassen, seines Großvaters Exequien nicht minder wie seiner Großeltern und Eltern Geburtstage gefeiert zu haben. Ebenso wird unter Nero der Geburtstag seiner leiblichen Eltern, des früher genannten Gnäus Domitius und der Agrippina von dem Kollegium festlich begangen. – Freilich folgt dann auf den 6. Nov. des Jahres 58, wo Agrippinas letzter Geburtstag mit einem, insbesondere der Eintracht zwischen Sohn und Mutter gewidmeten Opfer gefeiert wurde, am 28. März 59 ein anderes Opfer, das namenlos ist, aber sicherlich dargebracht ward wegen der einige Tage zuvor glücklich vollbrachten Ermordung der Mutter durch den Sohn – es ist das einzige Mal, wo auch unsere Urkunden vor Scham schweigen. Wegen glücklich abgewandter Verschwörungen wird mehrfach, unter Caligula, Nero, Domitian, den Göttern der Dank des Kollegiums dargebracht, und so begegnen noch zahlreiche zum Teil bis jetzt keineswegs genügend ermittelte Beziehungen unserer Akten auf die Ereignisse des Tages. Gerade in dieser Hinsicht hat über den neuesten Ausgrabungen ein günstiger Stern gewaltet. Wenn über das Ritual, das wir besonders aus den Urkunden des dritten Jahrhunderts in seiner ganzen Vollständigkeit kennen lernen, nicht gar viel Neues ans Licht gekommen ist und die meisten früheren Rätsel auch jetzt noch ungelöst sind, so ist das meiste und wichtigste politischer Art, das dieselben ergeben, erst in den jüngsten Funden zum Vorschein gekommen. So hat der Zufall es gefügt – und damit lassen Sie mich diesen flüchtigen Überblick schließen –, daß von dem Vierkaiserjahr, dem Jahr 69 n. Chr., in welchem Galba, Otho, Vitellius und Vespasianus sich gefolgt sind, das für die ersten fünf Monate fast vollständige Protokoll sich gefunden hat, ein merkwürdiger Kommentar zu den ersten Büchern der Historien des Tacitus, die dieselbe Epoche schildern. Am 1. Januar wird geopfert für Galbas Konsulat; am 3. nach gewohnter Weise das Gelübde dargebracht für glückliche Vollendung dieses Regierungsjahres, am 10. ein Dankfest abgehalten wegen der Adoption des Piso oder, wie er hier heißt, des Cäsars Galba; dies alles unter dem Vorsitz des alten Kaisers selbst. Fünf Tage darauf ist Galba eine Leiche; nun opfert das Kollegium unter Vorsitz des neuen Kaisers für den glücklichen Regierungsantritt Othos und in rascher Eile, als hätte man die vom Schicksal so kurz gesteckte Frist geahnt, folgen nun die Feste für diesen: am 26. Januar für seine Wahl zum Konsul, am 30. für das glückliche Regiment bis zu den nächsten Voten des 3. Januar; am 26. Februar wird dem Kaiser Galba als Mitglied des Kollegiums ein Nachfolger gegeben; am 28. die Bestätigung der Kaiserwahl Othos durch die Volksabstimmung festlich begangen; am 1. März der über die Roxolaner, eine Völkerschaft an der Donau, von den kaiserlichen Truppen erfochtene Sieg; am 5. März die Wahl des neuen Kaisers zum Mitglied der vier höchsten geistlichen Kollegien Roms; am 9. die Wahl desselben zum Oberpontifex; endlich am 14. März bringt das Kollegium die Gelübde dar für die glückliche und siegreiche Heimkehr des Kaisers, der an diesem Tage die Hauptstadt verließ, um gegen die deutschen Legionen seines neuen Rivalen Vitellius die kaum gewonnene Krone zu verfechten. Freilich ist bei dieser letzten Festlichkeit das Kollegium nur durch ein einziges Mitglied vertreten; die bei den früheren anwesenden Priester, insbesondere die Brüder der beiden Rivalen Otho Titianus und L. Vitellius – dieser fehlt fast bei keiner zu Othos Ehren abgehaltenen Festlichkeit – sind mit Otho zum Heere abgegangen, und wie leer Rom geworden ist, zeigen unsere Protokolle noch deutlicher als Tacitus' Berichte. Einen Monat darauf ist die Schlacht bei Bedriacum geschlagen, Otho durch eigene Hand gefallen; bereits am 30. April begeht das Kollegium die Festfeier wegen der Volksabstimmung über den neuen Herrn Vitellius Germanicus, der zugleich wie Otho an Galbas, so jetzt an Othos Stelle als Magister des Kollegiums tritt; alsdann am folgenden Tage, dem 1. Mai, nachträglich diejenige wegen seines Regierungsantritts, der festgesetzt ward auf den 19. April, den Tag, wo die Nachrichten von dem Siege des Vitellius nach Rom gelangten und der Senat denselben als Kaiser anerkannte. Das Folgende ist nicht vollständig erhalten; wir sehen nur, daß bald nachher ein besonderes Opfer gebracht ward dafür, daß der Kaiser glücklich nach Rom gelangen möge, sowie ein anderes zu Ehren seiner Gemahlin Galeria an deren Geburtstag. Aber es fehlt noch ein Zug in dem Bilde. Das Jahr des Kollegiums endigt am 16. December; damals saß noch Vitellius, freilich nur noch für wenige Tage, auf dem kaiserlichen Stuhl und hatte zugleich als Magister des Arvalkollegiums das Jahrprotokoll aufzustellen. Der Schreiber, der für ihn das Redaktionsgeschäft besorgt, hat im übrigen getreulich niedergeschrieben, was das Jahr gebracht hatte, die wechselnden Magisterien wie die wechselnden Imperien; aber als er an den Tag des 14. März kam, an dem das Kollegium für Othos Sieg und Vitellius' Verderben die großen Opfer gelobt hatte, ward er denn doch bedenklich und fand, sei es seiner Sicherheit wegen oder im Interesse des Kollegiums, die Geschichte der Verbesserung bedürftig. Er hätte den Paragraphen auslassen können; aber er hat es nicht getan, sondern ist auf einen sinnigeren und eines kaiserlichen Historiographen oder doch Protokollanten würdigeren Ausweg verfallen. Das Gelübde des 14. März bringt nach ihm das Kollegium dar für den Sieg und die Rückkehr nicht des besiegten Kaisers Otho, sondern des siegreichen Kaisers Vitellius. So war alles in Ordnung, die Sache dargestellt wo nicht wie sie war, doch wie sie hätte sein sollen, und die Vollständigkeit der Akten ebenso gewahrt wie die in dieser ihrer Anticipierung wahrhaft divinatorische Loyalität des Kollegiums. Zwar fuhr wenige Tage nachher der rächende Meißel der Flavianer, der überall das Andenken des Vitellius getilgt hat, auch über die Tafeln des Arvalenhains und löschte in ihnen den verhaßten Namen; aber es ist genug davon stehen geblieben, um in dem erzählten Vorgang uns einen drastischen Nachtrag zu Tacitus' Schilderung des Vierkaiserjahrs zu bewahren.



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