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Antworten auf die Antrittsreden der Akademiker Nitzsch – Scherer – Pernice – Lehmann – Schmoller – Harnack – Schmidt.

Antwort an Nitzsch, 3. Juli 1879. Monatsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1879 S. 522-523.

Du hast, mein teurer Kollege, mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß die Historiker alle ohne Ausnahme, soweit sie des Namens wert sind, die Schüler Niebuhrs sind, und diejenigen nicht am wenigsten, die zu seiner Schule sich nicht bekennen. Wohl ist er es gewesen, der in einer gewaltigen Zeit, wo mit der Befreiung des Geistes und der Entfesselung der Forschung der Kampf um die verlorene Unabhängigkeit der Nation begonnen und bestanden ward, zuerst es gewagt hat die Geschichtswissenschaft an der Logik der Tatsachen zu prüfen, aus dem trüben Wust unverstandener und unverständlicher Tradition das innerlich Unmögliche auszuscheiden, das durch die notwendigen Gesetze der Entwickelung Geforderte auch da zu postulieren, wo es in der Überlieferung verwirrt oder aus ihr verschollen ist. Wir danken es ihm noch heute, daß unsere Geschichtswissenschaft dies aprioristische Moment, dies Erkennen des Gewesenen aus dem Gewordenen mittelst der Einsicht in die Gesetze des Werdens, niemals ablehnen kann und wird, daß jene platte Anschauung, wie sie bei anderen Nationen wohl begegnet, als beginne die Geschichte da, wo die Zeitungen anfangen, in Deutschland nie Boden gewonnen hat noch je gewinnen wird. Wie viel Törichtes und Nichtiges auch die Forschung nach den Urzuständen, in unserer Wissenschaft nicht weniger wie auf dem Gebiet der Naturforschung, heraufführt, wir wissen doch alle, daß der Verzicht auf dieses Gebiet gleichbedeutend sein würde mit dem Aufgeben der Forschung selbst. So dürfen wir es denn auch mit besonderer Freude begrüßen, daß in einer Zeit, wo die Geschichtswissenschaft als solche insofern fast zu verschwinden scheint, als sie sich auflöst in die einzelnen Forschungsgebiete, wie die Völkerkreise und die Epochen sie bezeichnen, daß in dieser Zeit einer der wenigen Männer, welche die Geschichtswissenschaft noch in Niebuhrs Sinn als ein Ganzes betrachten, in unseren Kreis eingetreten ist, in welchem die Geschichtsforschung von jeher in ihren mannigfaltigsten Zweigen und Richtungen vertreten gewesen ist und hoffentlich immer in gleicher Mannigfaltigkeit vertreten sein wird. Denn ist auch die rechte Einseitigkeit die wahre Vielseitigkeit, so ist es eben das Privilegium einer Körperschaft die Wirkung und Gegenwirkung der einzelnen Elemente in sich zu vereinigen und also höhere Ziele sich stecken zu dürfen, als es das Individuum kann und soll.


Antwort an Scherer, 3. Juli 1884. Sitzungsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1884 S. 729-731.

Wohl heißen wir in Ihnen, mein teurer Kollege, den vielseitigen und vieltätigen Forscher, den Gelehrten und Schriftsteller reicher Frucht und reicherer Hoffnung mit herzlicher Freude willkommen. Aber zugleich hat Ihr Eintritt in unseren Kreis für die Akademie noch eine andere und weitere Bedeutung. Lebhaft ist es auch unsererseits empfunden worden, daß die veränderte Stellung der neueren deutschen Literatur in dem Gesamtwesen unseres Geisteslebens der Akademie die Pflicht auferlegt diesem Forschungsgebiet einen festen Platz in dem Kreise der akademischen Wissenschaften zu schaffen; auch tatsächlich haben darauf gerichtete, von der höchsten Verwaltungsbehörde uns gestellte Fragen von bedeutender Tragweite uns diese Erweiterung unseres Gebiets gewissermaßen zur Pflicht gemacht. Es hat uns, sei es die Weisheit unserer Staatsordner, sei es die Notwendigkeit der Dinge, glücklicherweise davor bewahrt, die Vertretung der deutschen Kunst und Poesie in besonderen Institutionen zu suchen, wie sie wohl anderswo dafür geschaffen worden sind. Das Collegium poetarum der römischen Republik ist das Werk derjenigen Zeit, welche Poeten wünschte und nicht besaß; und jede ähnliche Vereinigung hat nur bestätigt, daß die großen Dichterzeiten in jeder Nation noch viel seltener und viel unberechenbarer eintreten als die guten Weinjahre und daß der Versuch den flüchtig wandelnden Musen eine feste und staatliche Stätte zu bereiten weit häufiger das Fehlen als das Vorhandensein lebendiger Klassiker zum Ausdruck bringt. Für uns Deutsche tritt noch insbesondere hinzu, daß in jeder Vereinigung dieser Art der Sache nach nur die an dem Sitz des Vereins lebenden Mitglieder etwas bedeuten und ihr den Stempel geben und daß, wenn die Berliner Akademie der Wissenschaften wohl den Anspruch machen darf, die deutsche Forschung jeder Zeit zwar nicht zu enthalten, aber doch annähernd zu vertreten, die deutsche Dichtkunst, ständig vertreten durch die jedesmal in Berlin lebenden Poeten, teilweise ein Mediokritätenbouquet darbieten würde, dem diejenigen Länder, in denen die Hauptstadt und die Civilisation mehr als bei uns zusammenfallen, nichts Entsprechendes an die Seite zu setzen haben würden. Sind dergleichen Versuche große Ideale durch allzu konkrete Realisierung zu verderben uns Deutschen zu unserem Glücke erspart worden, so ist es um so mehr Pflicht sie, soweit es möglich ist, in minder direkter, aber in der Tat besserer Form zu verwirklichen und die Pflege unserer eigenen herrlichen Dichterwelt nicht in die Hand der vereinigten, zur Zeit reimenden oder nichtreimenden Poeten zu legen, die in der Tat dazu dann am wenigsten berufen sind, wenn sie etwas leisten, sondern sie den Männern anzuvertrauen, die jene Welt liebevoll und einsichtig durchforscht haben und deutsche Art und Kunst kennen und beherrschen. Die Akademie hat seit einigen Jahren dies damit anerkannt, daß sie der längst bei ihr bestehenden Vertretung der deutschen Philologie eine Ausdehnung auf die früher darunter nicht befaßte neuere Literatur gegeben und die Stellenbesetzung in entsprechender Weise geordnet hat. Sie, geehrter Herr, sind der erste Akademiker, der auf Grund dieser Ordnung in unseren Kreis eintritt. Obwohl Ihnen ja auch die schon länger als kanonisch anerkannten Titel für die germanische Philologie keineswegs fehlen und wir auch nach dieser Seite hin von Ihnen die Förderung der Wissenschaft erwarten, so knüpft sich doch an Ihren Eintritt zunächst die Hoffnung, daß die umfassende Arbeit, welche die deutsche Nation zu vollbringen hat, um sich ihrer großen Geister würdig zu beweisen, die durchdringende Erkenntnis der Sprache in ihrem geheimnisvollen Verhältnis teils zu der Besonderheit der Zeit wie der Schriftgattung, teils zu der Individualität des einzelnen Schriftstellers, die Aufarbeitung der Fülle der über diesen Teil unseres geistigen Lebens vorhandenen Dokumente, die Herausgabe der klassischen Werke frei sowohl von der altbeliebten Liederlichkeit des Herunterdruckens wie von der neubeliebten Philisterei des Druckfehlersammelns, überhaupt die praktische Durchführung guter Philologie auf diesem ihrem Neuland, mit dem Ernst des Charakters und der Würde der Darstellung, welche der oft leichte und lose Stoff gebieterisch fordert, in Ihnen den berufenen Vertreter innerhalb der Akademie gefunden hat. Dies Gebiet gehört in gewissem Sinn uns allen; und es wird niemand unter uns sein, der nicht mit eigenem Anteil, wie er sonst den Arbeiten der akademischen Kollegen nur ausnahmsweise gewährt werden kann, diese Ihre künftige akademische Tätigkeit freudig begrüßt und nach Vermögen fördert.


Antwort an Pernice, 3. Juli 1884. Sitzungsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1884 S, 734-735.

Wenn unsere Akademie bestimmt ist denjenigen Kreis der Wissenschaften zu pflegen, welcher nicht in der unmittelbaren Vorbereitung auf die Pflichten und die Kämpfe des Lebens, sondern in der Erkenntnis der großen physischen und geistigen Erscheinungen und ihres inneren Zusammenhanges seinen Zweck findet, so schließt sie damit die speciellen, der praktischen Rechtsbehandlung dienenden Zweige der Jurisprudenz aus, die Rechtswissenschaft selbst aber ein. Denn das Recht ist das ordnende Walten des Staats über den Interessen und den Leidenschaften der Individuen; die Grenzen aber des Rechts und des Unrechts sind nicht die gleichen nach Zeiten und Völkern und der jedesmalige Stand der kulturellen Entwickelung findet wie in der Rechtsbildung den sichersten und den allgemeinsten Ausdruck, so auch für die spätere Erkenntnis den sichersten Messer. Mit Grund haben Sie, geehrter Kollege, es hervorgehoben, daß die Akademie auch tatsächlich zu allen Zeiten bemüht gewesen ist ausgezeichnete Rechtsforscher sich beizugesellen, und sie hat dies bei den diesjährigen Wahlen in hervorragender Weise getan. Wir freuen uns in Ihnen den rechten Vertreter desjenigen Rechts gewonnen zu haben, welches denn doch trotz aller seiner Wandelungen das des römischen Volkes ist und bleibt. Wohl hat dieses Rechtssystem, dem von Haus aus die nationale Eigenart in schärfster Weise aufgeprägt war, indem es erst das Recht eines vielsprachigen Reiches, dann in seiner Wiederaufstehung, von dem Humanismus getragen, das gemeine Recht der neueren Kulturvölker ward, gleichwie das Goldstück von Byzanz einen universalen Charakter angenommen, und diese beispiellose Höhe und Dauer der Entwickelung damit bezahlt, daß der feste Boden alles Rechts, die positive Satzung ihm fast entzogen worden ist. Die gegenwärtige Entwickelung der Rechtswissenschaft schlägt eine Richtung ein, welche die allgemeine Betrachtung nicht bloß des gesetzten Rechts, sondern auch der rechtsbildenden Grundgedanken vielleicht mehr als billig an das römische Recht anlehnt. Es ist kaum ein Gewinn für das Recht der Gegenwart, wenn keine zur Zeit herrschende Rechtsanschauung als kanonisch gilt, wofern sie nicht auch bei Papinian nachgewiesen oder doch an Papinian angeknüpft wird; und es ist sicher ein Nachteil für die Einsicht in das Recht der Vergangenheit, wenn die Gedanken anderer Kreise und anderer Zeiten aus dem römischen Recht heraus oder in dasselbe hineingelesen werden. In Ihnen ist das Bewußtsein lebendig, daß das römische Recht in der Tat das der Römer gewesen ist und nur im Zusammenhang mit dem Wesen des römischen Staats, der Republik wie des Cäsarenreiches, als ein Teil der eigenartigen römischen Civilisation recht und voll begriffen werden kann; und in diesem Sinne haben wir Sie aufgefordert, sich als einer der Unsrigen an der gemeinschaftlichen Arbeit zu beteiligen.


Antwort an Lehmann, 30. Juni 1887. Sitzungsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1887 S. 635-637.

Mit gutem Grund, geehrter Herr Kollege, erinnern Sie an die schweren Verluste, welche insbesondere auf dem Gebiete der Geschichte das verflossene Jahr der Akademie zugefügt hat. Ranke, Waitz, Duncker, länger schon vor ihnen Droysen sind nicht mehr in unserem Kreise, und die nebst unserem Kollegen Hrn. von Sybel hauptsächlich von Droysen und Duncker geleiteten Arbeiten aus dem Gebiet der neueren preußischen Geschichte empfanden diese Lücke. Wir dürfen mit Sicherheit hoffen, daß Sie, durch Neigung und Beruf zu diesen Studien geführt und in der Vollkraft des Mannesalters, dafür miteintreten werden.

Das Vorurteil, dessen Sie erwähnen, als halte die Akademie diesem Forschungskreis sich fern, werden wir allerdings nicht beseitigen; Vorurteile pflegen dauerhafter und lebensfähiger zu sein als Urteile und halten stand gegen alle theoretische wie praktische Widerlegung.

Die Zünftigkeit des Studienkreises, die man, wie Sie mit Recht sagen, uns vorwirft, paßt allerdings nirgend weniger hin, als auf die akademische, recht eigentlich antizünftlerische Wissenschaft, wird aber darum nicht weniger nach wie vor uns vorgehalten werden.

Aber etwas Wahres ist allerdings in diesem Vorurteil enthalten. Unsere Aufgabe hier ist eine universelle; die ganze und volle Wissenschaft ohne Unterschied von Zeit und Ort gehört in die Akademie, und dieselbe darf und wird nie vergessen, daß die Geschichte unseres eigenen Landes davon unser Teil, aber auch nur ein Teil ist. Ebensowenig kann und darf sie vergessen, daß für die Geschichte der Heimat unser Staat mit Recht in vielfach anderer Weise eintritt, daß unsere Archive, unsere Ministerien, unsere Vereine in verschiedenster Art die preußische Geschichtsforschung vorbereiten und fördern. Was in Preußen in dieser Art geschehen kann für Ägypten und Assyrien, für Hellas und für Rom, das ruht im großen und ganzen auf der Akademie. Die Ehre und die Freude, über die großen Herrscher unserer Vergangenheit die Klarheit zu verbreiten, welche in diesem Fall noch immer sich als Verklärung erwiesen hat, hat die Akademie sich nicht versagt und wird es auch in Zukunft nicht tun; aber sie würde ihrer eigensten Bestimmung untreu werden, wenn ihr die preußische Geschichte mehr wäre, als, wie Sie es ja auch fordern, ein Teil der Geschichte der Welt.

Wir heißen Sie, geehrter Herr Kollege, mit um so größerer Freude in unserem Kreise willkommen, als wir von Ihnen umsichtige und energische Fortführung derjenigen akademischen Unternehmungen erwarten dürfen, die Ihrem speciellen Forschungsgebiet angehören. Unsere Anstalt ist ein Arbeitsinstitut; ihr anzugehören ist unter Umständen keineswegs eine Sinekure. Wir haben die Erfahrung seit Jahren gemacht, daß, wie unentbehrlich uns unsere zahlreichen nichtakademischen Mitarbeiter sind, es in hohem Grade wünschenswert bleibt an die Spitze unserer größeren Unternehmungen unsere eigenen Mitglieder zu stellen; und wir hegen die Überzeugung, daß auch in Ihrer Wahl diese Hoffnung sich erfüllen, unser Verfahren sich als richtig erweisen wird. Sie haben bewiesen, daß Sie auch der Einzelforschung gerecht zu werden wissen, und die Worte, die wir soeben von Ihnen vernommen haben, zeigen, in wie großem Sinne Sie die historischen Probleme und die akademische Tätigkeit auffassen. Es ist auch eine der Pflichten des Akademikers die Marksteine des akademischen Schaffens weiter zu setzen als die des eigenen, Unternehmungen zu fördern, die individuell genommen ihn nicht angehen. In diesem Sinne begrüßen wir Sie heute als den Genossen unserer künftigen Arbeit.


Antwort an Schmoller, 30. Juni 1887. Sitzungsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1887 S. 639-640.

Die unermeßliche Schwierigkeit, mit welcher die Wissenschaft der Nationalökonomie zu kämpfen hat, um wirklich Wissenschaft zu werden, haben Sie, verehrter Herr Kollege, tiefer empfunden und schärfer ausgesprochen, als es sonst leicht ein anderer vermöchte. Das Ringen zwischen Vorarbeit und Arbeit, zwischen Geschichte und System, zwischen Praxis und Theorie wird auf diesem Gebiet in absehbarer Zeit nicht verschwinden und die Staatswissenschaft wohl noch auf lange Zeit hinaus nicht bloß nach den Wegen, sondern auch nach den Zielen der Forschung suchen.

Das Ineinandergreifen der physischen Verhältnisse, der unberechenbaren Eigenart der Zeiten und der Volksstämme, das Eingreifen bald zum Segen, bald zum Verderben bedeutender und berufener und nur zu oft auch unbedeutender und unberufener Persönlichkeiten sind hier noch schwerer auseinander zu legen als auf anderen geschichtlichen Gebieten. Die einzelne Tatsache, mit der Sie sich beschäftigen, ist oft von verschwindender Gleichgültigkeit, das Ergebnis in der Vervielfältigung häufig entscheidender für die Geschichte als Völkerschlachten und Staatsverträge. Sie sollen das Große und Ganze regelmäßig aus dem Kleinen und oft aus dem Gemeinen entwickeln, und wenn die Plastik der Darstellung überhaupt den Historiker macht, so ringt sie hier mehr als irgendwo sonst mit dem oft geringen und immer sich zersplitternden Stoffe.

Aber der eigenartige und mühselige Weg, den Sie betreten haben, wird einen Abschnitt in diesem Arbeitskreis bezeichnen. Mit Entschlossenheit haben Sie von der Theorie sich abgekehrt und der historischen Forschung sich hingegeben, und zwar im wesentlichen der Erforschung eines einzelnen Staates, des unsrigen, in welchem weniger als in den älteren die vergangenen Jahrtausende das Regiment bestimmt haben, in dem unsere großen Regenten die Wirtschaft und Verwaltung sozusagen im Neubruch organisch entwickelt haben. Ihren Spuren nachzugehen, durch all die Wechselfälle unserer Geschichte, im Frieden und Krieg, im Sturz und Sieg den Staatsbau der drei großen Hohenzollern des 17. und 18. Jahrhunderts darzulegen, das zunächst haben Sie sich zu Ihrer Aufgabe gestellt. Sie haben wenige Monate nach Ihrem Eintritt in unsere Gesellschaft es uns deutlich gemacht, daß auf diesem Gebiet noch vieles, ja alles zu tun ist, daß zunächst noch an die Arbeit nicht gegangen werden kann, sondern umfassende Vorarbeiten und Publikationen erforderlich sind, die dann freilich nicht ins Ungemessene auslaufen zu lassen, sondern übersichtlich und knapp zu halten die schwierige Aufgabe eines solchen Vorarbeiters sein wird. Aufgaben dieser Art zu stellen ist leicht, aber nicht leicht ist es dafür den rechten Mann zu finden, den seine Vergangenheit hinreichend legitimiert, die Kraft seiner Jahre befähigt erscheinen läßt auch ein langwieriges Werk zu beginnen. Die Akademie hat mit Freuden das getan, was an ihr war; wir dürfen hoffen, daß dem ernst bereiteten Werke der Fortgang nicht fehlen wird.

Weiter freuen wir uns auch in Ihnen jetzt ein Mitglied zu besitzen, das berufen ist die von uns begonnenen vaterländischen Publikationen mitzuleiten. Wir freuen uns ferner, namentlich wir Älteren, in Erinnerung an unseren trefflichen Genossen, vor mehr als vierzig Jahren meinen hochverehrten Lehrer Hrn. Georg Hanßen, daß die Staatswissenschaft nicht länger in der Akademie unvertreten ist; daß sie es nach unseren Absichten nicht sein soll, das beweisen unsere diesfälligen Regulative. Möge es Ihnen und uns vergönnt sein Ihrer Wissenschaft in unserem Arbeitskreis die rechte Stätte zu bereiten und möge es Ihnen gelingen über die umfassenden Vorarbeiten hinaus, die Sie planen, zu eigentlich systematischem Schaffen durchzudringen. Gewiß bleibt nachher die eigentliche Arbeit immer noch zu tun; ob diese Ihnen aufbehalten ist oder kommenden Geschlechtern, es ist wesentlich dafür, daß Sie dies mit klarem Blicke erkennen und das letzte Ziel fest im Auge behalten.


Antwort an Harnack, 3. Juli 1890. Sitzungsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1890 S. 791-793.

Ich darf heute der Freude Ausdruck geben, daß es uns gestattet ist den Verfasser der Dogmengeschichte des Christentums den Unsrigen zu nennen, den Mann, welcher die Entwickelung des orientalischen Wunderkeimes zur weltgeschichtlichen, die Geister durch zwanzig Jahrhunderte bald befangenden, bald befreienden Universalreligion uns erschlossen, uns von Christus und Paulus zu Origenes und Augustinus und Luther geführt hat, welcher uns gelehrt hat die Macht und die Wirkung des Christentums nicht lediglich in seinem Sprossen zu erkennen, sondern ebensosehr in seiner Verzweigung und Verästung. Freilich, die zufälligen Schranken, welche zwischen Theologie und Philosophie und Geschichte die Fakultätsorthodoxie zu gegenseitigem Schaden aufgerichtet hatte, schwinden hüben wie drüben mehr und mehr vor der mächtig vordrängenden rechten Wissenschaft; unsere Akademie aber darf mit Stolz darauf hinweisen, daß wir sie nie anerkannt haben und daß in dem Kreise, den Leibniz gezogen hat, für die freie Forschung von jeher Raum gewesen ist. In wie hohem Grade gerade Ihre Studien, Herr Harnack, ergänzend und belebend in diejenige Geschichtsforschung eingreifen, welche uns die Gegenwart verständlich macht, wie die griechisch-römische Civilisation eben durch ihre meistenteils gegensätzliche Verschmelzung mit dem im Orient wurzelnden Christenglauben zu einem notwendigen Bestandteil der heutigen geworden ist, das mit einem Wort zu bezeichnen muß heute genügen; Ihre und meine und vieler anderer, die da waren und sind und sein werden, Lebensarbeit ist es diesem in seiner vollen Höhe unerreichbaren Ziel näher und näher zu kommen. Aber eines der vielen Momente, um derentwillen wir Sie mit besonderer Freude als unseren Genossen begrüßen, gestatten Sie mir heute noch besonders zum Ausdruck zu bringen. Ich meine Ihre Gabe jüngere Genossen zu fruchtbarer Arbeitsgemeinschaft zu gewinnen und bei derjenigen Organisation, welche die heutige Wissenschaft vor allem bedarf, als Führer aufzutreten. Sie empfinden es, daß die Aufgabe des rechten Akademikers eine andere und eine höhere ist als sich Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu nennen und statt des bescheidenen Oktavformats unserer Zeitschriften im vornehmen Quart gedruckt zu werden. Auch die Wissenschaft hat ihr sociales Problem; wie der Großstaat und die Großindustrie, so ist die Großwissenschaft, die nicht von Einem geleistet, aber von Einem geleitet wird, ein notwendiges Element unserer Kulturentwickelung, und deren rechte Träger sind die Akademieen oder sollten es sein. Als einzelner Mann haben Sie in dieser Richtung getan, was wenige Ihnen nachtun werden. Jetzt sind Sie berufen dies im größeren Verhältnisse weiterzuführen; und die wenigen Monate, seit Sie uns angehören, haben uns gezeigt, daß Sie es können und daß Sie es wollen. Freilich hängt dies nicht allein von Ihnen und auch nicht von uns ab. Die Großwissenschaft braucht Betriebskapital wie die Großindustrie und wenn dies versagt, so ist die Akademie eben ornamental und müssen wir es uns gefallen lassen von dem Publikum als Dekoration angesehen und als überflüssig betrachtet zu werden. Wir müssen es hinnehmen, aber es wird uns dies nicht leicht. Wenn der Soldat nichts leistet, so fragt man nicht viel danach, ob das Pulver gefehlt hat oder der Mann versagt hat; ihm bleibt im ersteren Fall neben dem schmerzlichen Gefühl des vergeblichen Beginnens noch der bittere Eindruck des unverdienten Tadels.


Antwort an Erich Schmidt, 4. Juli 1895. Sitzungsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1895 S. 741-742.

Eben wie Ihnen, geehrter Kollege, bei dem Eintreten in unseren Kreis als erstes Wort der Name Wilhelm Scherer auf die Lippen kam, so gedenke auch ich an diesem Leibniztage mit tiefer Bewegung desjenigen von 1884, an dem ich ihm, so wie heute Ihnen, bei seinem Eintritt in die Akademie das Glückauf zuzurufen hatte. Es hat sich nicht erfüllt; nur wenige Jahre haben wir diese Jugendkraft, diese männliche Anmut, diese den frischen Reiz unseres Südens und den Ernst unseres Nordens so harmonisch in sich verschmelzende Persönlichkeit unser nennen können. Goethes Wort, daß es nichts Abgeschmackteres gibt als den Tod, in diesem Fall wenigstens traf es zu. Ihnen, der Sie früh die Arbeit begonnen haben und in frischer Kraft unserer Tätigkeit sich anschließen, sollen günstigere Sterne leuchten; wir hoffen viel von Ihrem rüstigen Schaffen.

Leicht ist die Aufgabe des deutschen Literarhistorikers nicht. Schwere durch Jahrhunderte andauernde Geschicke drohten unsere Nation sich selbst zu entfremden, und als die deutsche Muse sich endlich auf sich selbst besann, waren die Götter Griechenlands für sie mehr bestimmend als diejenigen, welche einst über die deutschen Felder und Wälder walteten, und ist vor dem dichtbelaubten Hain Iphigeniens und den glänzenden Sälen des Hofes von Ferrara das deutsche Wesen kaum zu Worte gekommen. Fausts Vermählung mit Helena und Euphorions Verschwinden in das Schattenreich haben leider ironische Wahrheit. Während bei anderen Völkern die politische und die literarische Blütezeit gleichzeitig eingetreten ist, hat bei dem unsrigen, nachdem die staatlose Nation sich eine Literatur geschaffen hatte und der Poet wegen der geteilten Erde sich mit dem eröffneten Himmel hatte trösten müssen, erst in unsern Tagen Volk und Staat die notwendige Durchdringung wenigstens annähernd vollzogen. Ihre und Ihrer Arbeitsgenossen Aufgabe ist es eine in der Kleinstaaterei erwachsene und tief von ihr durchdrungene Literatur in den Großstaat überzuführen und zu bewirken, daß die Nation wie Wilhelms des Ersten, so auch Goethes und Schillers nicht vergesse. Bei der unter dem mächtigen Eindruck geschichtlichen Werdens und kriegerischer Taten herangewachsenen Generation scheint die Neigung dazu nicht allzu kräftig zu sein; und Ihre Aufgabe ist schwierig. Unsere an das Altertum angelehnte Jugendbildung geht zu Ende; aber es ist leichter die klassischen Studien zu deklassieren als an die Stelle, die vor Zeiten Horaz und Homer eingenommen haben, Lessing und Goethe zu setzen. Freilich hängt diese gesunde Entwickelung der Nation nicht viel mehr von dem Literarhistoriker ab als die körperliche Gesundheit von dem Arzt. Dennoch ist Ihr Beruf ein großer und schöner. Wir hoffen mit Ihnen, daß Sie es verstehen werden einerseits die Abwege der sogenannten Goethephilologie zu vermeiden und der Kleinmeisterei des Text- und Apparatmachens und des Abdruckens seelenloser Epistolarien gebührende Schranken zu setzen, andererseits durch Klarlegung desjenigen Kernes der poetischen Produktion, der nicht von selbst verstanden wird, sondern Studium fordert, durch die Vorführung der noch über der einzelnen Produktion stehenden Persönlichkeit der großen Meister, durch die Klarlegung des großen Zusammenhangs der Weltliteratur die Wirkung unserer Literatur zu vertiefen und zu adeln. Des Volkes Schätze sind in eure Hand gegeben; bewahret sie!



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