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Die Annexion Schleswig-Holsteins.

Ein Sendschreiben an die Wahlmänner der Stadt Halle und des Saalkreises. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung 1865.

Es ist Ihnen, meine Herren, ohne Zweifel bekannt, daß die zwei großen liberalen Fraktionen des Abgeordnetenhauses sich beide mit großer Mehrzahl dafür entschieden haben die schleswig-holsteinische Sache vorläufig nicht im Hause zur Verhandlung zu bringen Kommt der am heutigen Tage im Abgeordnetenhause vorgelegte Gesetzentwurf über Bewilligung einer Anleihe von 10 Millionen für Marinezwecke in der Tat in dieser Session zur Verhandlung, so wird diese unzweifelhaft eine Debatte über die schleswig-holsteinische Frage herbeiführen; ob aber auch einen Beschluß des Hauses über dieselbe, läßt sich zur Zeit noch nicht sagen. – 5. April.. Zu diesem Beschluß, dem auch ich zugestimmt habe, führte, wenn ich nicht irre, hauptsächlich die folgende Erwägung. Daß ein Beschluß des Preußischen Abgeordnetenhauses in den jetzigen Gang der Dinge bestimmend eingreifen könnte, erwartet niemand, weder im Hause noch im Lande. Sie haben uns das Mandat gegeben, Herrn von Bismarck und den Seinigen gegenüber die Verfassung zu verteidigen und wir suchen demselben zu genügen; bei den Verhältnissen, die dieser Kampf angenommen hat, ist zwischen dem jetzigen Ministerium und dem jetzigen Abgeordnetenhause jede Verständigung selbst auf dem hiervon nicht unmittelbar berührten Gebiet ausgeschlossen und ist es unmöglich geworden, daß Regierung und Landesvertretung die großen Fragen der Zukunft Preußens und Deutschlands gemeinschaftlich auch nur erörtern. Die Regierung will den Rat des Landtags nicht hören und der Landtag fühlt sich nicht veranlaßt, denjenigen, die seine Rechtsforderungen in den Papierkorb werfen, auch seine Ratschläge noch zu gleicher Verwendung vorzutragen.

Indes auch wer damit einverstanden ist, wird doch vielleicht das jetzige Stillschweigen des Hauses deshalb tadeln, weil die vielfach geteilte öffentliche Meinung in Preußen an seinem Spruch wahrscheinlich einen Anhalt, die Gärung in den Herzogtümern vielleicht darin Hoffnung und Beruhigung gefunden haben würde. Darauf kann nur erwidert werden, daß die Ansichten, wenn auch nicht über die letzten Ziele, doch über die Wege und Mittel so sehr geteilt sind, daß auf eine eingehende und von einer ansehnlichen Majorität getragene Darlegung derselben hat verzichtet werden müssen. Eben dieser Umstand ist es, der mich bestimmt, meine persönliche Meinung Ihnen darzulegen. Freilich liegt das Bedenken nahe, ob ein derartiges Aussprechen die Verwirrung nicht eher noch vermehren wird. Sie werden mich nicht zu jenen Einfältigen zählen, die mit ihrer individuellen Beantwortung solcher überhaupt von einem einzelnen nicht zu erledigender Fragen den Stein der Weisen gefunden zu haben meinen. Indes eine rücksichtslos wahrhafte Erörterung der wichtigen Angelegenheit vor dem Publikum kann wenn nicht viel, doch einiges nützen und wird wenigstens Ihnen, meine Herren, die Sie mir ohne detaillierte Kenntnis meiner politischen Ansichten Ihr Vertrauen entgegengetragen haben, Antwort geben auf eine Reihe von Fragen, die Sie ein Recht haben, an mich zu tun.

Daß ich Ihnen, meine Herren, dies nicht mündlich sage, wie das früher meine Absicht war, sondern diesen Weg der Mitteilung einschlage, hat einen persönlichen Grund. Die öffentlichen Blätter haben bei Besprechung der letzten Verhandlungen mich öfter als »Annexionisten« bezeichnet; und sie hatten darin ganz recht, nur daß ich Annexionist bin in meinem Sinne, nicht im Sinne sehr vieler, die sich ebenso nennen. In welchem Sinne aber ich es bin, das möchte ich einmal den zahlreichen Bekannten und Freunden in meiner schleswig-holsteinischen Heimat und in der schleswig-holsteinischen Diaspora auseinandersetzen, damit nicht Phrasen und Irrtümer uns ohne Not entfremden. Ich habe nichts Neues und Besonderes über die Sache vorzubringen; diese Blätter sind kein Parteimanifest und verlangen keine Beachtung in weiteren Kreisen; aber meine alten Freunde und lieben Genossen bitte ich sie nicht ungelesen zu lassen.

Berlin, den 4. April 1865.


Es geht langsam im lieben Vaterlande. Wer da etwa meinte, daß die schleswig-holsteinische Frage in dem Augenblick gelöst sei, als endlich unser gutes Recht zu seinem Schwerte und unser gutes Schwert zu seinem Rechte kam, der hatte sich die deutsche Erbsünde der Gutmütigkeit noch nicht hinreichend abgewöhnt. Von den ohnmächtigen Anmaßungen der Engländer hat uns ein scharfes Wort, von den ohnmächtigen Übergriffen der Dänen ein scharfer Schlag befreit; wer befreit uns von der inneren Zwietracht und findet jenes Wort, das die Interessen ausgleicht, die Herzen einigt, das Gemeingefühl, das eben an dieser großen Frage sich völlig zu zersetzen droht, wieder in sein Recht einsetzt?

Zu finden freilich ist dies Wort nicht schwer; sind ja doch die tiefsten und fruchtbarsten Gedanken immer auch die einfachsten und können, wie die Sonne am Himmel, nur von dem übersehen werden, der die Augen zumacht. Es heißt Deutsches Parlament. Hätten wir dies, wo wäre der schleswig-holsteinische Partikularismus und die preußische Annexionslust, wo das Regiment der Herren von Zedlitz und Halbhuber und die Schleswig-holsteinische Zeitung des preußenfresserischen Herrn Martin May aus Schlesien! Aber wir haben es nicht und leben in dem provisorischen Zustand, der Deutschland weder darstellt noch verbindet und den man darum den Deutschen Bund nennt. Nun sind die den Fremden entrissenen Elbherzogtümer in dieses Verhältnis einzufügen und haben in dem großen Wirrsal, in dem nichts zueinander paßt und ineinander fugt, nichts ganz und definitiv ist, ihre vorläufige Stelle zu finden. Ihr Wunsch, dieselbe bald angewiesen zu erhalten und aus dem jetzigen sogenannten Provisorium herauszukommen, ist in der Tat mehr bescheiden als verständig. Sie mögen mit uns andern sich trösten; wir leben alle in Deutschland im politischen Provisorium und nur die längere Gewöhnung macht den Bewohnern der übrigen deutschen Vaterländer ihre analogen quasistaatlichen Zustände erträglicher. Es ist gar nicht abzusehen, warum unter dem Scepter, das vorne schwarz-weiß und hinten schwarz-gelb ist, nicht ebenso leidlich sollte auszukommen sein wie in Hessen oder in Nassau, und wenn sich die Schleswig-Holsteiner darüber beklagen, daß in ihrem Provisorium eigentlich gar nicht regiert wird, so gibt es manches definitive deutsche Vaterland, das sie um diese Entbehrung beneidet.

Indes nehmen wir die Frage, wie sie an uns gestellt wird, zunächst an uns Preußen. Was kann, wie die Dinge einmal liegen, darin geschehen? was ist zur Zeit die leidlichste Lösung dieser peinlichen Verwirrung? Können und dürfen wir Preußen dazu helfen, die Elbherzogtümer, da es ein einiges Deutschland zur Zeit nicht gibt, vorläufig preußisch zu machen? Oder sind wir dazu verurteilt, eine jener Pseudosouveränitäten mehr daselbst begründen zu sollen, die von dem Staate alles haben, nur mit Ausnahme dessen, was groß und was national ist?

Die Antwort auf diese Fragen ist keine einfache.

Die Annexion der Elbherzogtümer ist in Preußen bis zu einem gewissen Grade populär, und es ist das kein Wunder. Die Verleumdung verdienen wir freilich nicht, daß wir uns von unseren Waffenerfolgen hätten berauschen lassen und nun als notwendige Folge der Gloire die Conquête erwarteten. Wir haben uns gefreut über die bei dieser Gelegenheit entwickelte technische Vorzüglichkeit unseres Militärwesens, über die tapfere und frische Haltung unserer jungen Soldaten und Matrosen und beiläufig auch über die sehr zur gelegenen Zeit gelieferte praktische Demonstration der vollkommenen Überflüssigkeit der dreijährigen Dienstzeit. Aber wir sind nicht ein so unkriegerisches Volk, um in der Besiegung der kleinen schlecht geführten und von Haus aus demoralisierten dänischen Armee mehr zu sehen, als die einem ungezogenen Buben wohlverdient erteilte Züchtigung; und nicht ein so vergeßliches Volk, um diese unsere »Taten« so ohne weiteres, wie es in gewissen Kreisen jetzt zweckmäßig gefunden wird, den Tagen von Fehrbellin und Leuthen, von Leipzig und Belle-Alliance »anzureihen«. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, das berechtigte Selbstgefühl der Preußen ist weit mehr als durch den Sieg bei Düppel gehoben worden durch den in London. Ein europäischer Kongreß, auf dem Preußen einen eigenen Willen hat und geltend macht, auf dem die Erbitterung der deutschen Nation vor allem gegen den tückischen Neid Englands ihren praktischen Ausdruck findet, auf dem es vor der ganzen Welt offenbar wird, daß Preußen seit fünfzig Jahren nur eines gefehlt hat, um mehr zu sein als das fünfte Rad am Wagen Europas: Mut und Selbstvertrauen – ein solcher Kongreß, mag der Staatsmann, der dabei Preußen vertrat, heißen wie er wolle, ist hoffentlich ein Abschnitt in der Geschichte Preußens. Die Epoche des Kleinmuts, sei es des feigen Schutzsuchens unserer Feudalen bei der Gesamtbürgerschaft der Ostmächte, sei es des ängstlichen Lavierens unserer Gothaer Neutralen, ist damit zu Ende und Gott gebe auf immer! Überhebung ist gefährlich, für den einzelnen wie für den Staat; aber nichts ist so selbstmörderisch wie die Feigheit.

Nicht der Siegesrausch macht die Annexion in Preußen populär; aber wohl erblicken viele unserer Landsleute darin den Anfang der Einigung Deutschlands. Das Gefühl, daß die staatlichen Zustände der nichtpreußischen Deutschen dem wahrhaft nationalen Staate noch weit ferner stehen als unsere eigenen, ist in Preußen sehr lebhaft; man nennt dies unser preußisches Selbstgefühl und da man nicht im stande ist, ein entsprechendes württembergisches und so weiter dagegen aufzubringen, findet man es unerträglich. Es ist aber eben da und hat auch ein gutes Recht da zu sein. Von diesem Selbstgefühl, von dem Gefühl, daß die am mindesten unvollkommene Realisierung des zukünftigen deutschen Staats gegenwärtig der preußische ist, ist es der ganz natürliche Ausdruck, daß ein großer Teil der Preußen die Zukunft Deutschlands in der Ausdehnung des preußischen Einheitsstaats sieht und der Meinung ist, ein jeder Schritt Preußens in das nichtpreußische Deutschland hinein sei ein Schritt vorwärts zu dem großen Endziel. Darauf beruht beispielsweise die Popularität des Zollvereins auch in Preußen, obwohl derselbe finanziell uns keineswegs günstig ist; darauf großenteils die Popularität der vor wenigen Tagen im Abgeordnetenhaus gefallenen Bankvorlage; darauf, daß die exorbitante Militärlast von unserem Volk mit Freudigkeit ertragen ward, bis man sie allzu arg überspannte; darauf, daß wenige Dinge so allgemein in Preußen gewünscht werden wie die Herstellung einer wirklichen Flotte, obwohl es klar vor Augen liegt, daß die sicherste Grundlage des preußischen Staates, unsere balancierten Finanzen, durch die Übernahme dieser Verpflichtung ins Schwanken kommen kann. Unseren lieben süddeutschen Freunden steht es frei das Eroberungslust zu nennen; wer die Preußen etwas besser kennt und kennen will, dem wird es deutlich sein, daß hierbei weit weniger von Lust die Rede ist als von Pflicht. Die Vorstellungen unserer Landsleute über die Mittel und Wege, um zum Ziele zu gelangen, sind allerdings großenteils unklar und häufig verkehrt. Sie ermangeln ferner fast durchgängig derjenigen Höflichkeit, deren man sich gegen seine Nachbaren befleißigen sollte; wir müssen es leider bekennen, daß man nicht bloß in Schwaben grobe Reden führt über die Unbequemlichkeit des Staates Preußen, sondern auch in Preußen über die Entbehrlichkeit des Staates Schwaben. Das mag und muß man tadeln; aber die Grundlage, aus der alles dieses in Preußen entspringt, ist doch das noblesse oblige; und daß dieses in Preußen vom Schloß bis zur Hütte von allen Edlen der Nation empfunden wird, das ist doch die Hoffnung Deutschlands. Angewendet aber auf den gegenwärtigen Fall heißt dies: warum soll Preußen in den Elbherzogtümern einen neuen Kleinstaat, das heißt einen neuen Gegner, eine neue Nullität, ein Schwaben des Nordens errichten helfen? warum nicht Deutschlands Einigung da, wo sie möglich ist, sofort realisieren, das heißt annektieren?

Es sollen hier nicht die politischen Chancen für und wider die Ausführbarkeit der Annexion erörtert werden. Wie die Dinge jetzt liegen, wird der unbefangen Urteilende darüber nicht im Zweifel sein, daß man sich darüber nach beiden Seiten hin täuscht. Die Behauptung, daß die Annexion lediglich von dem Willen Preußens abhänge, ist ebenso falsch wie die entgegengesetzte, daß Preußen zur Zeit, und namentlich während des inneren Konflikts, nicht vermögen werde die Annexion zu vollziehen. Die großen Schwierigkeiten der Annexion liegen jedem vor Augen; aber auch die Eventualitäten, unter denen dieselbe durchführbar sein würde, keineswegs außer dem Bereich der Möglichkeit, und die Verfassungskrise, in der wir uns befinden, könnte ebensowohl und vielleicht eher eine Ursache werden, die Annexion zu vollziehen als sie zu unterlassen. Es wäre wenigstens nicht der erste Versuch, innere Kämpfe zu erledigen durch äußere Erfolge und durch diejenigen Verwickelungen, die im Gefolge solcher Erfolge sich einzustellen pflegen. Daß die Annexion demnächst – was nicht heißen soll in den nächsten Monaten – realisiert wird und selbst ohne besonderen Anstoß realisirt wird, ist nicht undenkbar. Freilich würde sie damit noch keineswegs definitiv durchgeführt sein: in der Politik ist das Erlangen leichter als das Behaupten; und wenn Schlesien mit einer Schlacht erobert ward, so ward es doch erst im Siebenjährigen Kriege gewonnen. Aber um diese näheren oder ferneren Möglichkeiten handelt es sich hier nicht; sie gehen zur Zeit uns nicht einmal näher an. Denn das Volk und seine Vertreter üben zur Zeit einen unmittelbaren Einfluß auf die Politik des Herrn von Bismarck in keiner Weise aus – hat derselbe es doch nicht einmal der Mühe wert gefunden, dem Landtag den Wiener Friedensvertrag zur Kenntnisnahme vorzulegen. Das preußische Volk kann zur Zeit die Annexion weder herbeiführen noch verhindern; aber darum ist es noch keineswegs gleichgültig, wie es sich zu ihr verhält. Bei jedem wichtigen den Staat in neue Bahnen und neue Gefahren führenden Regierungsakt entscheidet zuletzt der Wille des Volkes, das die Tat zu vertreten, jene Gefahren zu bestehen hat; und der vorläufige Ausdruck dieses Willens ist die öffentliche Meinung. Geschieht die Annexion im Widerspruch mit dieser, so wird sie endigen wie die Hannovers im Jahre 1805; geschieht sie von dieser getragen, so mag sie definitiv werden wie die von Sachsen und Schlesien. Mögen diejenigen, die sie herbeiwünschen, es wohl bedenken, wozu sie sich damit verpflichten.

Ist denn nun jene Meinung, daß das einzig wünschenswerte Ergebnis der schleswig-holsteinischen Krise die Einverleibung der Herzogtümer in Preußen sei, nicht bloß populär, sondern auch richtig?

Zu der Anschauung, daß die deutsche Frage durch allmähliche Inkorporierung der übrigen deutschen Staaten gelöst werden könne, wird sich kaum ein politisch Denkender bekennen. Was wäre damit erreicht, wenn Baden morgen eine preußische Provinz würde? Unser Staat wäre nicht wesentlich stärker und sehr wesentlich mehr gefährdet; Preußen hätte kaum etwas gewonnen, Deutschland an freier Regung und eigenartiger Selbstentwicklung verloren; die Stimmung der übrigen deutschen Landschaften würde derjenigen gleichen der Genossen des Odysseus in der Höhle des Polyphemos; man hätte in dieser kleinen Krise alle Gefahren der großen und keinen ihrer Erfolge. In dieser Weise wird die deutsche Frage nicht gelöst, sondern nur immer weiter von ihrer Lösung abgeführt; nicht den Weg der Reunion darf sie gehen, den der Reichsdeputationshauptschluß und der Rheinbund schimpflichen Andenkens ihr vorgezeichnet haben, und dessen Ergebnisse die gefährlichsten Hindernisse der deutschen Einheit sind, jene vier um den Blocksberg der großen Politik herumtrippelnden Halbhexen, jene nicht parvenierten Parvenüs, die vier deutschen Königtümer von Napoleons Gnaden; sondern nur den Weg, den der Zollverein und in umfassenderer Weise das Frankfurter Parlament gewiesen, einer großen für alle gemeinsamen, nach Möglichkeit die Selbständigkeit der einzelnen Landschaften schonenden, aber wo dies nicht möglich ist, unerbittlich durchgreifenden Generalmediatisierung. Insofern ist es die Pflicht jedes Patrioten, jene rohe Ansicht, als könne die deutsche Frage gelöst werden durch den Prozeß, durch den der große Grundbesitzer Faust die Hütte des Philemon erobert, auf das entschiedenste zu bekämpfen; wie es denn überhaupt bezeichnend für den Wert dieser Ansicht ist, daß sie vorzugsweise in den unteren Volksschichten sich findet, und selbst diejenigen in den oberen, die sie teilen, sich ihrer einigermaßen schämen und sich ungern laut dazu bekennen. Ist es uns vergönnt die praktische Wiederaufnahme des großen Gedankens, der in der Pauls-Kirche waltete, noch selber zu erleben, so wird alsdann für dieses Ziel jedes Mittel, auch das der Gewalt gerechtfertigt sein; denn die Notwendigkeit und die Nation reden beide im kategorischen Imperativ, und da der nationale Staat jede Wunde heilen kann, darf er auch jede schlagen. Aber dem zur Zeit bestehenden allgemeinen Provisorium, auch dem jetzigen Preußen fehlt zu solchem großen Tun noch etwas mehr als die Legitimation; es kann die gewaltsame Reunion eines einzelnen deutschen Staates den allgemeinen und endlichen Erfolg nur erschweren.

Zu diesen allgemeinen Erwägungen, die gegen die Einverleibung auf dem Wege der Gewalt sprechen, kommen noch die besonderen Umstände dieses Falles. Die durch nichts als das Recht des Stärkeren legitimierte Inkorporierung ist immer ein Akt der Brutalität, die darum nicht aufhört zu sein, was sie ist, weil die Weltgeschichte an Präcedenzfällen keinen Mangel hat und diese Brutalität unter ihre wichtigsten Faktoren zu zählen nicht umhin kann. Aber in dem vorliegenden Fall würde das sogenannte Recht des Stärkeren noch einen üblen Zusatz von Perfidie in sich tragen. Man kann es nur billigen, daß unsere Regierung sich durchaus gehütet hat, die gewaltsame Annexion als in ihrem Plane liegend zu bezeichnen; sie würde, wenn sie es täte, die alte Bezeichnung des schlimmsten Frevlers am fremden Gut, die des fur violentus auf sich herabziehen. Nicht mit seinem Recht hat Preußen in London die europäische Diplomatie aus den Felde geschlagen; nicht für Vorschiebung der schwarzweißen Grenzpfähle glaubten unsere jungen Leute zu sterben, die in Schleswig die dänische Kugel traf. Eroberung ist nicht der beste aller möglichen Rechtstitel; aber er ist besser als dieser Indifferenzpunkt von Gewalt und Betrug, den unter den obwaltenden Umständen die gewaltsame Inkorporierung der Herzogtümer darstellen würde. Würde also das preußische Wappen mit den beiden Löwen und dem Nesselblatt bereichert, so sollte man wenigstens die Löwen verwandeln in die Löwenschlange der alten Fabeln, und bei der Nessel daran sich erinnern, daß man so liegt, wie man sich bettet. Die Schleswig-Holsteiner sind eigensinnige Leute; sie haben den Dänen gezeigt, was es heißt, sich in die Nesseln setzen, und sie könnten damit fortfahren. Es ist schon erinnert worden an das warnende Beispiel der Annexion Hannovers; die Annexion Schleswig-Holsteins wider dessen Willen würde anderer Art, aber nicht minder ein Fleck sein auf dem Schilde Preußens, und nicht minder ein Fehler. Herr von Bismarck, sagt man, geht in den Herzogtümern auf moralische Eroberungen aus; wir wünschen ihm sehr aufrichtig den besten Erfolg und womöglich solche Prediger, die nicht selber eine Warnung gegen ihre Predigt sind. Davor aber, daß er je daselbst auf nicht bloß unmoralische, sondern ehrlose Eroberungen ausgehe, davor wolle Gott nicht sowohl die Herzogtümer, als vor allem Preußen bewahren.

Diese gewaltsame Annexion also wollen wir um keinen Preis, denn wir dürfen sie nicht wollen. Das Gesagte aber bedarf einer Einschränkung. Die Sicherung der deutschen Grenze und der deutschen Meere kann nicht warten, bis das einige Deutschland fertig ist; ja man kann wohl sagen, wie nichts geschaffen werden kann als was gewissermaßen schon da ist, so ist für die Herstellung der formellen deutschen Einheit die Vorbedingung die Herstellung ihrer wichtigsten materiellen Konsequenzen. Darauf ruht der Zollverein und was dem sich anschließt; und es ist ein erfreulicher Vorbote der Zukunft, daß er, trotz seiner dem polnischen Reichstag entlehnten Verfassung, doch sich stärker bewiesen hat, als alle Antipathie unserer lieben Freunde im außerpreußischen Deutschland zusammengenommen. Wir wollen allgemein Anerkanntes nicht wiederholen. Die Elbherzogtümer gebieten über die Mündung des wichtigsten deutschen Stromes; sie sind das Bindeglied zwischen der innern und der äußern deutschen See, der Schlüssel zum Weltmeer und zur Weltpolitik; und das alles ist ein totes Gut in ihrer eigenen Hand, in der Hand Preußens das Stammkapital der maritimen Zukunft der Nation. Die Elbherzogtümer sind ferner von hoher militärischer Wichtigkeit und dem Angriff vorzugsweise ausgesetzt, nicht bloß als erst neuerlichst, und vielleicht nicht zum letztenmal, mit den Waffen den Ausländern entrissenes Gebiet, sondern auch infolge der heutigen der Seeinvasion mehr und mehr sich zuwendenden Strategik; Deutschland wird keinen großen Krieg führen können, ohne sich der Elbmündung und der schleswig-holsteinischen Ostseehäfen versichert zu halten, und die Zeit des ewigen Friedens ist noch fern. Deutschland hat das Recht und also Preußen die Pflicht nicht schlechthin, aber in militärischer und maritimer Beziehung sich die Elbherzogtümer zu annektieren. Denn darüber wollen wir uns nicht täuschen: Annexion ist dies auch, nur eine partielle.

Über die Berechtigung dieser Forderungen ist man ja auch der Hauptsache nach wenigstens in Norddeutschland einig, sogar bis herab zu Seiner Majestät dem König Georg von Hannover. Man streitet im wesentlichen nur über ein Mehr oder Minder und über die Form, in welcher diese Forderungen zu realisieren sein werden; und auch hierüber scheint eine Ausgleichung nicht gerade besonders schwierig, vorausgesetzt, daß man eine solche auf beiden Seiten ehrlich und ernstlich will. In einer Darlegung, wie die gegenwärtige ist, auf das Besondere einzugehen, kann kaum von Nutzen sein. Dasjenige, was Preußen in der Wiener Depesche gefordert, und dasjenige, was die Vertreter des schleswig-holsteinischen Partikularismus in der letzten Berliner Versammlung des Sechsunddreißiger-Ausschusses zugestanden haben, liegt nicht so weit auseinander, daß in dieser Frage nicht zur Einigung zu gelangen sein sollte. Daß in maritimer Hinsicht wesentliche Territorial-Abtretungen und die Verfügung über die ganze seediensttüchtige Mannschaft der Herzogtümer, ebenso die Übernahme des jedesmaligen preußischen Marinebudgets auf die Herzogtümer nach Verhältnis der Kopfzahl Preußen gebührt, darüber ist kein Streit und nur noch hinzuzufügen, daß die für die Herstellung einer effektiven Flotte erforderlichen großen Staatsanlehen in dem gleichen Verhältnis von den Herzogtümern zu übernehmen sein werden, da sie ja nichts sind als Anticipationen der künftigen Marinebudgets. In militärischer Hinsicht wird Preußen nach unserer Ansicht mit einer ewigen Konvention sich begnügen und auf die vollständige Einreihung der schleswig-holsteinischen Truppen in die preußische Armee verzichten können, um so mehr als voraussichtlich die Mannschaften daselbst vorzugsweise beim Seedienst Verwendung finden werden. Wohl aber wird es notwendig sein festzusetzen, daß die Stärke der schleswig-holsteinischen Armee, natürlich unter Anrechnung der daselbst für den Seedienst ausgehobenen Leute, sich nach derjenigen der preußischen verhältnismäßig zu richten hat, da sonst die Regierung der Herzogtümer jene etwa auf das holsteinische Bundeskontingent würde beschränken und damit die Konvention illusorisch machen können. Auch die Ernennung der Offiziere von Generalsrang wird demjenigen Regenten zustehen müssen, der allein befugt ist, die schleswig-holsteinische Armee im Kriege zu gebrauchen. Weiter zu gehen würde nicht ratsam sein. Die Untersagung des diplomatischen Verkehrs wird man füglich dem gesunden Menschenverstand der schleswig-holsteinischen Bauern überlassen können, die hoffentlich in Zukunft an Pariser Ambassadeuren ihres Landesherrn ebensowenig Geschmack finden werden als sie etwa zur Zeit an Pariser Ambassaden ihres Anwärters finden würden; vor allen Dingen aber ist es nicht praktisch, offizielle Missionen zu verbieten, da man offiziöse doch einmal nicht verbieten kann. Endlich den Beitritt zum Zollverein wird man auch getrost im gewöhnlichen Vertragswege erwarten dürfen. Seit zwischen Dänemark und den Herzogtümern die Zolllinie sich gezogen hat, werden diese kaum auf die Dauer sich dem Eintritt in den großen deutschen Verband zu entziehen und in ihrer Isolierung zu verharren im stande sein, auch wenn sie es wollten, was wir nicht glauben. Es scheint nicht wünschenswert die Grundlage des Zollvereins, die freie Einigung, durch den erzwungenen Beitritt der Elbherzogtümer zu alterieren und den eben noch an ihrem letzten handelspolitischen Fiasko ruminierenden Großmächten Reindeutschlands Gelegenheit zu der Erklärung zu geben, daß sie den Eintritt der Elbherzogtümer unter diesen Umständen sich verbitten müßten.

Die in der Bismarckschen Depesche aufgestellten Forderungen möchten also wohl einer wesentlichen Ermäßigung fähig sein und im ganzen die von Herrn May und Genossen gemachten Zugeständnisse genügen. Keineswegs aber soll damit der Ansicht das Wort geredet werden, als sei dasjenige, was der engere Ausschuß der sogenannten schleswig-holsteinischen Vereine auf der Berliner Versammlung zugestanden hat, unwiderruflich die äußerste Grenze der von den Herzogtümern zu gewährenden Konzessionen. An Kontroversen über den Fahneneid und über Post- und Telegraphenwesen wird die Übereinkunft sich nicht zerschlagen, wenn sie sonst in den Hauptsachen erreicht ist; und überall kann die Erörterung dieser Frage zur Zeit in der Presse und in den Vereinen selbstverständlich nur eine durchaus vorläufige sein.

Schwieriger wird es sein sich zu verständigen über die Form, in welcher die Forderungen Preußens durch die künftige Regierung und Vertretung Schleswig-Holsteins zu legalisieren sein werden. Man sagt häufig, und im nichtpreußischen Deutschland und in den Herzogtümern selbst ist dies wohl die Ansicht der großen Majorität, daß der einzig legale Weg zu diesem Ziele derjenige sei, die Landesversammlung der Herzogtümer einzuberufen, und von dieser die Annahme jener Forderungen zu erwarten. Die Legitimisten und die partikularistischen Demokraten, beide, namentlich aber jene in den Herzogtümern besonders zur Zeit vorwiegend und wunderlich miteinander verquickt, sind in dieser Forderung einig, obwohl aus sehr verschiedenen Gründen. Jene erwarten, daß der erste Akt der Landesversammlung die Einsetzung des Herzogs Friedrich sein werde und wollen sodann den Vertrag mit Preußen nach der hergebrachten Schablone abschließen; diese fordern das Selbstbestimmungsrecht des schleswig-holsteinischen Volkes ganz und unverkürzt. Jener Ansicht soll die formale Konsequenz nicht abgesprochen werden; aber die Behauptung, daß Schleswig-Holstein ein Staat von vierhundertjähriger Dauer und der Regierungsantritt des Herzogs Friedrich ein gewöhnlicher Successionsfall sei, ist einfach eine Absurdität und die desfälligen erb- und staatsrechtlichen Demonstrationen des prätendierenden Legitimismus haben, auf diese Spitze getrieben, das gewöhnliche Schicksal, nicht widerlegt, aber überhört und vergessen zu werden. Das Selbstbestimmungsrecht ferner des schleswig-holsteinischen Volkes ist an sich vollkommen berechtigt; aber es ist kein unbedingtes, sondern findet seine Schranken an den allgemeinen Interessen der deutschen Nation. Denn es gibt eben kein schleswig-holsteinisches Volk, sondern nur ein deutsches und wo dieses spricht, hat jenes zu gehorchen. Sowenig es der Stadt Saarlouis freisteht, darüber zu bestimmen, ob sie preußisch oder französisch sein will; sowenig die Stadt Stettin darüber abzustimmen hat, ob sie Festung sein will oder nicht, so wenig kann die Zukunft der deutschen Flotte, die gebührende Sicherung der deutschen Nordgrenzen abhängig gemacht werden von dem guten Willen der Bewohner Schleswig-Holsteins. Wir kennen sie wohl, diese Gattung von Partikularismus, die schlimmste von allen, die den beiden großen Grundgedanken der wahren Demokratie, dem Prinzip der Nationalität und dem Prinzip der Majorität zugleich ins Gesicht schlägt, noch von der Paulskirche her; ihre faktiöse Opposition gegen die deutsche Verfassung, weil ihr die preußische Spitze und einiges andere darin mißfiel, auch damals verbündet mit derjenigen der legitimistischen Partikularisten, hat nicht am wenigsten dazu beigetragen die Nation um die Früchte jenes großen Jahres zu betrügen. Sie hat die bittere Kritik wohl verdient, daß schließlich der französische Autokrat sie verwendet hat um seine italienischen Eroberungen mit ihr demokratisch zu überfirnissen. Wohl ist es auch in dieser Hinsicht ein Unglück, daß eine formell berechtigte deutsche Centralgewalt zur Zeit nicht existiert und Preußen seine Legitimation nur aus der zwingenden Macht der Verhältnisse hernimmt; mancher Kurzsichtige mag dies nicht zu begreifen vermögen, mancher Einsichtige mit Erfolg sich selber belügen. Aber die Sache selbst wird darum nicht anders: unter Umständen hat der Geschäftsführer ohne Auftrag gerade so viel Pflichten und so viel Rechte wie der Mandatar. Die Schleswig-Holsteiner vor allem sollten dies nicht verkennen. Unter den vielen Tausenden von elenden Tagen, die sie in der dänischen Zwingherrschaft der letzten Decennien zubrachten, ist keiner zu Ende gegangen, ohne daß Tausende und aber Tausende dort die Preußen herbeigerufen hätten gegen die Dänen als das Schwert von Deutschland. Wollten sie wirklich jetzt, wo das Schwert geblitzt und getroffen hat, wo dasselbe sich anschickt weithin über die deutschen Meere sich auszustrecken, wollten sie jetzt auch nur sagen: wir acceptieren nicht, wir paktieren – nun, der Pöbel aller Sorten in Deutschland würde ihnen freilich Bravo rufen, aber von den Besseren in Deutschland wäre, die Antwort: Pfui!

Indes nicht bloß diese prinzipiellen, wenn man will idealen Bedenken sprechen dafür, hinsichtlich der mit Recht von Preußen gestellten Forderungen den Herzogtümern das Vereinbarungs- oder Mitbestimmungsrecht nicht zu gestatten. Wer mit den Verhältnissen einigermaßen bekannt ist, wird es zweifelhaft finden, nicht ob der; künftige Landesherr seine Einwilligung gibt, die wohl nach Beseitigung der übrigen Schwierigkeiten ohne wesentlichen Anstand würde erteilt werden, aber wohl, ob die schleswig-holsteinische Landesversammlung, einerlei nach welchem Wahlgesetz man sie beruft, auf diese Forderungen eingehen würde, wenn sie so, wie es gewünscht wird, an dieselbe gelangten. Sie enthalten eine schwere Belastung des Landes; und ob einer überwiegend aus Landleuten bestehenden, vorzugsweise von Legitimitätsgefühl und Partikularpatriotismus getragenen, von keiner dominierenden Intelligenz beherrschten Versammlung die politische Notwendigkeit unbedingt einleuchten und in ihr durchschlagen wird, wer kann das verbürgen? Aus den letzten Erklärungen der schleswig-holsteinischen Vereine oder vielmehr nur ihres Ausschusses auf jene Entscheidung zurückzuschließen, ist im hohen Grade bedenklich um so mehr als dessen Bekehrung vom specifisch-antipreußischen Partikularismus mit einer zwar sehr erfreulichen, aber keineswegs für die Zukunft beruhigenden Plötzlichkeit erfolgt ist. Unartige Leser der Schleswig-holsteinischen Zeitung behaupten sogar, daß die Bekehrung des Herrn May eine lokalisierte gewesen sein müsse, nur gültig für Berlin und nicht unbedingt für die Heimat. Indes wir glauben das nicht und beurteilen vor allem Schleswig-Holstein nicht nach den zur Zeit sogenannten schleswig-holsteinischen Vereinen. Vielmehr, da der gesunde Menschenverstand auch eine Großmacht ist, leben wir der sicheren Hoffnung, daß bei der nächsten schleswig-holsteinischen Landesversammlung er die erste Rolle spielen wird, und davon sind wir fest überzeugt, daß die, Männer, die zur Fahne unseres unvergeßlichen Lehmann [Theodor Lehmann, Advokat in Kiel, war Vorsitzender des Holsteinischen Zweigvereins des Nationalvereins und stand bis zu seinem Tode (1863) an der Spitze der Schleswig-Holsteinischen Opposition. – Nach freundlicher Mitteilung des Herrn Geheimrat Karl Lüders in Berlin, dem ich auch für andere Hinweise zu diesem und dem vorangehenden Aufsatz zu Dank verpflichtet bin. O. H.] stehen, in dieser Versammlung nicht so völlig fehlen werden wie in derjenigen, die vor kurzem bei uns mit dem Anspruch auftrat Schleswig-Holstein vor Deutschland zu vertreten. Aber naiv bleibt es doch, uns Preußen zuzumuten, daß zuerst und vor allen Dingen eine Versammlung einberufen werde, der möglicherweise der angestammte Herzog mehr wert sein wird als die Zukunft Deutschlands und an der sicher die gesamte fürstlich-demokratische preußenfeindliche Meute in den Herzogtümern sowohl wie in Reindeutschland mit aller Macht hetzen wird, um sie zur energischsten Vertretung des gemeinsamen Gutes der Partikularsouveränität zu bestimmen. Und was soll denn werden, wenn wirklich jene Versammlung sich an Wien und Frankfurt hält statt an Berlin, und die berechtigten Forderungen Preußens ablehnt oder durchkreuzt? Soll etwa vor dem Partikularismus das Schwert gestreckt werden, das die Dänen aus dem Lande schlug? Oder soll etwa dann der Vereinbarungsstandpunkt aufgegeben und schließlich doch zum Zwang gegriffen werden, etwa zur Verlängerung oder Erneuerung des Provisoriums bis zur Einräumung der gestellten Forderung? Wahrscheinlich ist ein solcher Fall nicht, aber möglich; und die bloße Möglichkeit genügt, um von der Vereinbarungstheorie gänzlich abzusehen. In der Tat ist auch, wo von wirklicher Gleichberechtigung, von einem ernstlichen Paktieren nicht die Rede sein kann, es zugleich folgerichtiger und weniger verletzend, wenn auch von der Vertragsform abgesehen und das Unerläßliche einfach als solches bezeichnet wird.

Es ist aber auch der bezeichnete Weg nicht der beste für die materiellen Verhältnisse der Herzogtümer. Für diese ist es eine Lebensfrage, welche Rechte jener Vertrag ihnen nimmt und auf Preußen überträgt; es würde nicht bloß eine schreiende Unbilligkeit, sondern auch durchaus nicht im Interesse Preußens sein, wenn die Berliner Bureaus denselben im wesentlichen einseitig feststellen. Selbst durch die spätere Vorlegung des Vertrags in der schleswig-holsteinischen Landesversammlung würde dem nicht abgeholfen werden; denn daß es in dieser sich in der Hauptsache nicht mehr um Amendierung, sondern um Ratificierung handeln wird, ist evident. Diesem würde man abhelfen, wenn die Herzogtümer aus den der Verhältnisse vorzugsweise kundigen Persönlichkeiten, etwa nach den verschiedenen Klassen und Ständen, eine kleine Zahl von Fachmännern wählten, um die von der Regierung bestimmten preußischen Staatsbeamten bei der Ordnung der künftigen gemeinschaftlichen Verhältnisse mit ihrem Rat zu unterstützen. Eine solche Bezeichnung könnte sofort stattfinden; sie hängt ausschließlich von dem guten Willen der preußischen Regierung und der Schleswig-Holsteiner ab, ohne daß Österreich oder ein anderer Intervenient im stande sein würde, sie zu verhindern; und diese unmittelbare von unserem getreuen Verbündeten nicht wohl zu durchkreuzende Ausführbarkeit dieses Verfahrens ist von großer Wichtigkeit. Ganz Schleswig und die große Majorität der Holsteiner wünschen die Konvention mit Preußen in ihrem eigenen Interesse; und auch die verbissenen Partikularisten, die sie an sich verwünschen, nehmen sie hin als unvermeidlich. Um die Vertreter der Herzogtümer zur Absendung einer solchen Deputation nach Berlin zu vermögen, würde es sicherlich genügen, wenn es in Schleswig-Holstein in zuverlässiger Weise bekannt würde, daß die preußische Regierung bereit sei auf solche Verhandlungen einzugehen. Bedenken können in dieser Hinsicht nicht bestehen, da ein solcher Schritt keinem formalen Rechte irgend etwas vergibt, wohl aber das materielle Landeswohl zu fördern verspricht. Konnten die letztgewählten Mitglieder der holsteinischen und schleswigschen Stände noch als die Dänen im Lande waren, zusammentreten, um den Herzog Friedrich anzuerkennen, so können sie um so mehr Vertrauensmänner bezeichnen, die bei der Ordnung der künftigen Verhältnisse der Elbherzogtümer zu Preußen die Interessen des Landes nach Möglichkeit vertreten. Es lassen sich auch andere Formen denken, in denen solche Vertrauensmänner bezeichnet werden können; nur eines übersehe man dabei nicht: von der preußischen Regierung berufene schleswig-holsteinische Notable sind nicht Vertrauensmänner des Landes und können es nicht sein. Ihre Ratschläge werden vor dem Lande wie vor Europa niemals diejenige moralische Autorität haben, auf die es hier ankommt; man würde in einer also gemischten Kommission nichts sehen, als eine Kommission von Männern, die preußische Beamte sind oder es werden möchten, und mit Recht. – Vertreter dieser Art würden ferner teils sich leichter in die Rolle finden, die der schleswig-holsteinischen Landesversammlung nicht füglich zugemutet werden kann, nur auf sachkundigen Ratschlag, nicht auf Vereinbarung angewiesen zu sein. Sie würden aber, schon wegen ihrer geringen Zahl und wegen ihres Ausschlusses der Öffentlichkeit, sodann wegen ihres Eintritts in die Verhandlungen, während dieselben noch im Fluß sind, in weit entschiedenerer Weise auf die materiellen Bestimmungen des Vertrages einzuwirken im stande sein, als dies der schleswig-holsteinische Landtag jemals vermögen wird. Allerdings müßten diese Vertrauensmänner darauf gefaßt sein, auch manches hinzunehmen, was den Herzogtümern vielleicht mit gutem Grunde als unnötig und unbillig erscheint; aber die preußische Regierung würde doch ein lebhaftes Interesse daran haben dieselben nicht auf einen Punkt zu drängen, wo sie ihre fernere Mitwirkung bei diesen Festsetzungen glaubten versagen zu müssen, und baldmöglichst mit ihnen sich über bestimmte und endgültig formulierte Forderungen zu einigen. Denn auch in den Beziehungen zu Österreich und zu Europa wird es schwer ins Gewicht fallen, wenn Preußen seine Forderungen bezeichnen kann nicht bloß als die seinigen, sondern als die von den Vertrauensmännern des Landes anerkannten und gutgeheißenen. Man sollte erwarten, daß die preußische Regierung, um dieses zu erreichen, in manchem einzelnen Punkte sich nachgiebig zeigen und daß es den Vertrauensmännern also gelingen wird der Festsetzung die unter den Umständen leidlichste Form zu geben, die berechtigten Forderungen der Herzogtümer, namentlich Gleichstellung mit Hannover im Zollverein hinsichtlich des Präcipuums und Übernahme der durch den Wiener Frieden den Herzogtümern auferlegten Kriegskosten nach Verhältnis der Kopfzahl auf Preußen, zur Geltung zu bringen und überhaupt den Herzogtümern so viel wie möglich von ihrem berechtigten Selbstbestimmungsrecht zu erhalten. Die also unter Beirat kundiger Männer aus den Herzogtümern getroffene Festsetzung würde dann zur formalen Legalisierung dem preußischen Landtage wie der schleswig-holsteinischen Landesversammlung vorzulegen sein und es ist keinem Zweifel unterworfen, daß sie, gestützt durch die Erklärungen jener Vertrauensmänner, dort wie hier auf keinen erheblichen Widerspruch stoßen würde.

So verhalten sich die Dinge, gesehen vom preußischen Standpunkt aus. Wir haben das Recht, jene partielle Annexion der Elbherzogtümer zu fordern und, wenn es sein sollte, was sehr leicht sein kann, daß daraus ernste Verwickelungen entstehen, die Pflicht sie zu vertreten. Bis unter dem Beirat der Schleswig-Holsteiner diese neue Ordnung im einzelnen formuliert ist, muß das Provisorium dauern und kann weder von Einberufung der Landesversammlung noch von Anerkennung des Herzogs die Rede sein. Wir hoffen, daß das preußische Volk bis zu diesem Punkt, aber auch nicht darüber hinaus, in dieser Sache zu der gegenwärtigen Regierung stehen wird, ohne sich irren zu lassen, weder durch das Zetergeschrei der Partikularisten in Schleswig-Holstein und im übrigen Deutschland, die für die Einheit Deutschlands nur dann ein Herz haben, wenn sie beginnt mit der Zerschlagung Preußens, noch durch die Warnung unserer liberalen Konsequenzmacher unter keinen Umständen mit dem gegenwärtigen Ministerium zu gehen Daraus aber folgt noch nicht, daß demselben auch die Geldforderungen zuzugestehen sein werden, die dasselbe in dieser Angelegenheit von dem Lande verlangt hat oder verlangen wird. Es sind zwei ganz verschiedene Dinge, die von unserer Regierung in dieser Angelegenheit befolgte Politik zu billigen und die Mittel zu deren Durchführung dem gegenwärtigen Ministerium zu bewilligen. Vielmehr, da das Ausgabenbewilligungsrecht des Landtags durch die Regierung einmal suspendiert ist, so ist dasselbe damit eben ganz suspendiert, auch für die Fälle, wo die Regierung wie der Landtag materiell einig sind. Das Recht des Landtags dem Lande eine Anleihe aufzulegen und das Recht desselben die Ausgaben des Landes zu kontrollieren sind korrekt und zur Zeit ruht mit dem letzteren auch das erstere. Die liberalen Abgeordneten werden es ohne Zweifel sehr bedauern gegen das Marineanlehen stimmen zu müssen; aber die Regierung hat ihnen ihr Mitverfügungsrecht über die Finanzen des Landes genommen und sie können ein Recht nicht gebrauchen, das sie nicht mehr haben.. Unser Verfassungskampf hat schon Gelegenheit genug geboten, um den ganzen von dem halben Mann zu scheiden; noch die letzten Tage haben sie voneinander abgezählt. Dazu ist die schleswig-holsteinische Frage zu ernst und zu groß, um das, was darin das Rechte ist, deshalb zu unterlassen, weil man damit in den Verdacht kommen könnte, ministeriell zu sein.

Also, sagten wir, liegt die Frage für den Preußen, und mehr als das Bezeichnete zu fordern, sind wir nicht befugt. Aber einem geborenen Schleswig-Holsteiner, und der darum nicht aufgehört hat, als solcher zu empfinden, weil ihn viele seiner Landsleute einen Abtrünnigen nennen und noch mehrere fortan so nennen werden, einem solchen wird es gestattet sein, noch einige Worte darüber hinzuzufügen, wie sich die Frage vom Standpunkt des Schleswig-Holsteiners stellt oder stellen sollte, und nachzuweisen, daß, wenn wir nicht mehr fordern dürfen, die Schleswig-Holsteiner nicht in unserem, sondern in ihrem eigenen Interesse weit mehr, ja alles bieten sollten.

Jeder Unbefangene wird zugeben, daß, falls es Preußen überhaupt gelingt, den deutschfeindlichen Mächten in Wien, Frankfurt und so weiter zum Trotz, die Verhältnisse der Elbherzogtümer im deutschen Interesse zu ordnen, das oben bezeichnete Maß der von Schleswig-Holstein an Preußen einzuräumenden Rechte das möglichst geringe ist. Setzen wir den Fall, daß Preußen sich mit diesen Forderungen begnügt, als den für die Herzogtümer denkbar günstigsten, so stehen alsdann nicht wir Preußen, aber wohl die Schleswig-Holsteiner vor der ernsten Frage, ob es möglich und dem Lande zuträglich ist, das Regiment daselbst in der bezeichneten Weise zwischen dem Großstaat Preußen und der eigenen Landesregierung zu spalten.

Wir wollen hier nicht die allgemeinen Einwendungen geltend machen, die sich gegen eine solche qualitative Teilung der Landeshoheit mit Leichtigkeit machen lassen. Der Logiker wird sagen, daß der Begriff der Landeshoheit seinem Wesen nach unteilbar sei, der Praktiker die Epoche der Kondominien wie die der zweischläfrigen Betten als einen überwundenen Standpunkt bezeichnen; und sie haben beide recht. Aber große und schwierige politische Fragen lassen sich selten anders lösen als durch Kompromisse, die an sich weder das logische noch das praktische Ideal darstellen, und doch das Rechte, das zur Zeit Mögliche enthalten. Dagegen wollen wir versuchen, soweit dies jetzt sich tun läßt, einige der praktischen Konsequenzen zu vergegenwärtigen, die jene militärisch-maritime Annexion der Elbherzogtümer für deren innere Zustände herbeiführen würde.

Der Kern alles nationalen wie provinzialen und kommunalen Selbstregiments ist die Finanzverwaltung. Nach dem oben Gesagten würde das preußische Marinebudget für die Herzogtümer nach Verhältnis der Kopfzahl ohne weiteres maßgebend sein und das Militärbudget zwar von ihren Vertretern festgestellt werden, aber nicht relativ geringer ausfallen können als das preußische, da der Präsenzstand der preußischen Armee für die Herzogtümer maßgebend sein muß und aus diesem die Ziffer des Militärbudgets im wesentlichen mit Notwendigkeit folgt. Nach dem diesjährigen preußischen Budget betragen Militär- und Marinekosten ungefähr zwei Siebentel der gesamten Staatsausgaben und auf eine tiefgreifende Verminderung dieser Verhältniszahl ist nicht zu rechnen, da den bei dem Militär notwendigen Reduktionen die ebenfalls notwendigen sehr beträchtlichen Mehrausgaben für die Marine gegenüberstehen. Die Herzogtümer würden also in die Lage kommen, daß ihnen eine von Jahr zu Jahr schwankende, durchschnittlich zwei Siebentel ihrer Gesamtausgabe betragende Abgabe von Jahr zu Jahr von Berlin aus aufgelegt werden würde, ohne daß sie in dieser Hinsicht auch nur gefragt und gehört worden wären. Eine Fixierung dieser Summen ist untunlich; denn die Kriegspflicht und was daran hängt ist ihrem Wesen nach eine wandelbare Last, die keine Landschaft durch eine einmalige Kapitalzahlung oder Rentenleistung von sich abwälzen kann. Ebenso unpraktisch würde der Gedanke sein, das künftige kombinierte Militär- und Marinebudget durch die kombinierte Vertretung der beiden Staaten bewilligen zu lassen; das preußische Staatsbudget wird nach der Verfassung wie nach der Vernunft als ein Ganzes festgestellt und eine materielle Teilung des Budgetbewilligungsrechts ist undenkbar. Die Frage wird nicht abzuweisen sein, ob es den Herzogtümern möglich sein wird unter diesen Bedingungen die finanzielle Selbstverwaltung durchzuführen, nicht so sehr wegen der absoluten Höhe der Belastung, als wegen ihrer Octroyierung und ihres stetigen Schwankens, ihrer Unberechenbarkeit. Beschließt einmal der preußische Staat ein großes Anlehen zum Zweck der Organisation der Flotte, so kann ein solcher Beschluß, wenn er für die Herzogtümer zur Unzeit eintritt, ihre Finanzen auf die Dauer ruinieren.

Unter den Bedenken, die jene partielle Annexion hervorruft, ist das finanzielle das wesentlichste, aber keineswegs das einzige. Die Herzogtümer werden, wenn dieselbe sich realisiert, alle Nachteile des Großstaats zu tragen haben ohne einen seiner Vorteile. Ihre Angehörigen werden in der preußischen Staatsbeamtenlaufbahn stets Stiefkinder sein und bei dem politischen Leben und Treiben in dem preußischen Staat Zuschauer; sie werden nichts empfinden von dem schönen Begegnen der verschiedenartigen Stämme in dem gleichen politischen Denken und Handeln, das uns in der Verbindung der Ostpreußen und der Rheinländer, der Brandenburger und der Westfalen ein Vorgefühl gibt von dem befruchtenden Segen der deutschen Einheit. Sie werden in wichtigen administrativen Angelegenheiten der Inspektion und der Diskretion eines Regiments überliefert, das durch zarte Schonung und maßvolle Rücksicht sich zu keiner Zeit ausgezeichnet hat und damit schwerlich da anfangen wird, wo man ihm eine Stellung bereitet, wie sie der Prokonsul von Makedonien gegenüber den souveränen griechischen Kleinrepubliken eingenommen hat. Ob die Zwangsehe zwischen dem Herzog von Schleswig-Holstein und dem König von Preußen die Elemente der Eintracht oder vielmehr die eines dauernden Antagonismus in sich schließt, der dem Lande nimmermehr Nutzen bringen kann, ist auch kaum eine müßige Frage zu nennen. Wir wollen nicht sagen, daß solche Erwägungen entscheiden; manche Besorgnis mag sich später als unbegründet erweisen und die seltsame Maschine, an der man baut, dennoch leidlich laufen. Aber Erwägung, und sehr ernste, ist wohl am Orte, und Erwägung, bevor es zu spät ist

Mögen diesen Erwägungen auch diejenigen sich nicht verschließen, die im Interesse Deutschlands von der vollständigen Annexion nichts wissen wollen, weil sie meinen in dem bloß militärischen Anschluß der Herzogtümer an Preußen die Form aufzustellen, nach der in Zukunft auch andere deutsche Staaten ihre richtige Stellung zu Preußen finden könnten. Wir fürchten, das Beispiel ist schlecht gewählt und möchte eher abschreckend wirken. Es ist einleuchtend, daß Preußens Stellung in Schleswig-Holstein eine ganz andere, bei weitem tiefer eingreifende sein muß, als dies zum Beispiel in Coburg oder Hessen notwendig wäre; und der zähe stolze allerdings einigermaßen sich als Mustermenschen fühlende Schleswig-Holsteiner wird auch weit besser seinen Platz einnehmen in den Reihen der preußischen Volksopposition neben dem Westfalen und dem Ostpreußen als in den von preußischen Leutnants zu inspizierenden Bataillonen der »Preußen zweiter Klasse«. In der Theorie sieht der Gedanke recht verlockend aus, aber wer Land und Leute kennt, wird ihm schwerlich das Wort reden mögen.

Freilich sprechen auch Gründe genug gegen den vollständigen Anschluß. Die in den Herzogtümern, wie es scheint, sehr verbreitete Meinung, daß die Belastung des einzelnen durch Steuern und Dienstpflicht sich bei der bloßen Konvention wesentlich niedriger stellen würde, ist freilich illusorisch und eher das Gegenteil wahrscheinlich; denn die Militärlast soll ja in beiden Ländern materiell gleich sein und auch das Sonderregiment, die Sonderschuld sind finanziell wohl zu erwägen. Wohl aber würde man einem Teil derjenigen Übelstände entgehen, an denen jetzt Preußen darniederliegt. Die Schleswig-Holsteiner haben vollständig recht, wenn sie ihre freie Advokatur nicht mit den preußischen Advokaten-Beamten, ihren gebildeteren, besser besoldeten, in jeder Hinsicht freieren Beamtenstand nicht mit unserem System, wenn sie vor allem ihre altbewährte Justiz nicht mit der preußischen vertauschen wollen. Wenn unsere Freunde von dort uns schreiben, daß der preußische Leutnant und der preußische Landrat im Lande nicht populär seien, so begreifen wir das auch einigermaßen. Es gehört allerdings einige Naivität dazu, unter den Umständen, wie sie jetzt nun einmal sind, einem Deutschen anzusinnen, Preuße zu werden, der es nicht werden muß. Wir wissen es am besten, daß es zur Zeit sich bequemer lebt in Leipzig und Kiel als in Berlin, und daß es wohl eine Ehre ist Preuße zu sein, vielleicht auch ein Glück für unsere Kinder, aber keines für uns. Wir wollen auch darüber keine Betrachtungen anstellen, ob der Mensch da ist, um glücklich zu sein, oder vielmehr um zu handeln oder zu leiden; ob es nicht doch vielleicht besser ist, mit dem Strome selbst zu ringen und möglicherweise in ihm unterzugehen, als am Ufer abwarten, bis er verläuft; denn das ist Metaphysik und also lächerlich. Wir erkennen vielmehr bereitwillig an, daß mit dem Eintritt der Herzogtümer in den preußischen Staat sehr ernste Nachteile für sie verbunden sein werden. Manche davon werden sich zwar vermeiden lassen; jede nicht ganz mit Blindheit geschlagene preußische Regierung würde sich hüten in den neuerworbenen Gebieten zu nivellieren, sich hüten dort das Landrecht statt des Landesrechts einzuführen und die Beamtenstellung auf das Niveau der preußischen Beamtenmisere herabzudrücken. Aber vieles und gerade das Wichtigste wird allerdings hingenommen werden müssen, und die Frage wird eben sein, wo die Nachteile größer sind, bei der halben Annexion oder bei der ganzen.

Aber, sagen die Schleswig-Holsteiner, es ist dies keine Frage mehr, denn wir haben geschworen. Nun, ich habe nicht geschworen, da ich preußischer Staatsbürger bin, aber ich habe mich bei dem Abgeordnetentag in Frankfurt, bei den Beschlüssen des preußischen Abgeordnetenhauses im December 1863 beteiligt und feierliche öffentliche Erklärungen dieser Art stehen für den gewissenhaften Mann dem Huldigungseide wesentlich gleich. Ich bin auch heute noch wie damals überzeugt, daß das Erbrecht des Herzogs von Augustenburg ein so wohlbegründetes ist, wie es bei einem so weit zurückreichenden und so verzettelten und verfitzten Successionsfall irgend denkbar ist; und weder der Prätendent von der Hunte [Der Großherzog von Oldenburg.], dem der Kaiser von Rußland beinahe diejenigen Ansprüche abgetreten hätte, die er nicht hat, noch der plötzlich vor dem erstaunten Publikum über die Bühne geführte Geist, ich weiß nicht ob des Professor Helwing oder des Markgrafen Hans von Küstrin [Professor Ernst Helwing in Berlin hatte in zwei 1846 und 1865 erschienenen Schriften die Erbberechtigung des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg und des Markgrafen Hans von Küstrin, als Söhne der dänischen Prinzessin Elisabeth, und damit die Erbansprüche des Königs von Preußen zu erweisen gesucht.], haben mich in meiner wohlbegründeten Rechtsauffassung irre gemacht. Kommt es zur Aufrichtung eines selbständigen Kleinstaats an den beiden Ufern der Eider, so kann der Fürst kein anderer sein als das Haupt des Hauses Augustenburg. Aber ich bin nie Legitimist gewesen und habe aus der Geschichte gelernt, daß der Legitimismus nichts ist als das Gespenst in der Politik, ein wesenloser Schemen, der angerufen verschwindet. Ich kann nicht einräumen, weder daß jener schleswig-holsteinische Kleinstaat bereits besteht, noch daß derselbe darum aufgerichtet werden muß, weil ein wohlberechtigter Prätendent vorhanden ist. Allerdings habe ich mit vielen andern, ich darf wohl sagen mit der großen Majorität Deutschlands in dem ersten Stadium der schleswig-holsteinischen. Krise geglaubt, daß die einzig günstige Lösung derselben in der Einsetzung des Herzogs Friedrich zu finden sei; und wir haben auch keineswegs unrecht gehabt. Erinnern wir uns, wie die Sache damals lag. Saul zog aus seines Vaters Eselin zu suchen und fand auf seinem Wege ein Königreich; Herr von Bismarck zog aus, um die Personalunion zu begründen und befreite unterweilen die Herzogtümer. Solange es nach Herrn von Bismarcks Intentionen ging, war die einzige, freilich immer schwache Hoffnung der Nationalgesinnten die, daß mit Hülfe der deutschen Mittelstaaten die Herzogtümer der Dänen sich erwehren würden; und es verstand sich von selbst, daß ein solcher Sieg ohne und gegen Preußen keine Frucht hätte tragen können, weder für Preußen noch für die durch Preußen vertretenen deutschen Interessen. Darum war die Parole unserer Partei in jenen Tagen einfach der Herzog Friedrich von Schleswig-Holstein, und sie mußte es sein. Als aber dann die Macht der Verhältnisse sich stärker erwies als diejenige des Herrn von Bismarck, als die Weltgeschichte sich der Ironie bediente die Projekte des preußischen Staatsministers auszutreiben durch diejenigen seiner Freunde und Kollegen in Kopenhagen, als dann die Mittelstaaten sich nullificierten und das preußische Schwert nicht mehr schlug, so weit es schlagen durfte, sondern so weit und so tief es zu schlagen vermochte – da stand es vom ersten Augenblick an fest, daß dieser jetzt nicht über, sondern durch Preußen erfochtene deutsche Sieg, diese praktische Geltendmachung seines Berufes Deutschlands Grenzen und Deutschlands Meere zu verteidigen, auch hinsichtlich der Ordnung der Verhältnisse nach dem Frieden von tiefgreifenden und dauernden Folgen sein müsse. Wenn solche Wendungen eintreten, wie das Fallenlassen der Personalunion, das Aufnehmen des nationalen Programms durch Preußen, wie der Fortschritt von Missunde zu Düppel und Alsen, so besteht die Konsequenz nicht darin, an dem Buchstaben des Programms festzuhalten, sondern an dem Geist, der allein lebendig macht. Es steht jedem frei, mir Inkonsequenz und Abfall vorzuwerfen – ich werde es zu ertragen wissen; das aber vermöchte ich nicht zu ertragen, daß ich mir selbst sagen müßte, um den Schein der Konsequenz zu retten, in der Tat an dem einmal gesprochenen Wort wider besseres Wissen und Gewissen festgehalten zu haben. Ich weiß, was ich tun würde, wenn ich nicht preußischer, sondern schleswig-holsteinischer Abgeordneter wäre; und wer von meinen Landsleuten in Schleswig-Holstein ebenso denkt wie ich, dem wünsche ich den Mut seiner Meinung.

Die Stunde der letzten Entscheidung ist noch nicht da. Es mag sein, ja es ist nicht unwahrscheinlich, daß dieselbe lediglich durch einen Gewaltakt oder durch einen unvorhergesehenen Zufall herbeigeführt wird und daß die Schleswig-Holsteiner gar nicht in den Fall kommen sich zu entscheiden. Aber es ist auch wohl möglich, daß ihr Verhalten bestimmend in die Wagschale fällt, und sie werden als gewissenhafte Männer auf diesen letzteren Fall sich schicken. Gehen die Dinge wie sie gehen sollten, so wird zunächst Preußen unter Beirat sachkundiger Männer aus den Herzogtümern seine Forderungen zu formulieren haben. Liegt diese Festsetzung vor, so möge alsdann der schleswig-holsteinische Landtag prüfen, nicht ob sie anzunehmen sei oder nicht, sondern ob unter Annahme derselben die Aufrichtung eines Sonderstaats möglich und dem Lande ersprießlich sei. Wir verkennen den schweren Ernst der Frage keineswegs. Es handelt sich darum, ob ein Land sein Wort halten soll oder zurücknehmen; und wenn der alte Satz, daß man an Königsworten nicht drehen und deuteln soll, heutzutage seine Geltung verloren hat, so gilt dies noch nicht von dem Worte eines Landes. Aber auch für den gewissenhaften Mann können Verhältnisse eintreten, wo ein gegebenes Wort zurückgenommen werden muß; besser ein Verlöbnis lösen als eine Ehe schließen, die keine ist. – Bei dem erschütternden Ernst, der tiefen Peinlichkeit der Frage für alle zunächst Beteiligten wäre wenigstens zu wünschen, daß die widerwärtigen Persönlichkeiten, die in der preußischen Presse jetzt wieder mehrfach gegen den unglücklichen Herzog auftauchen, definitiv verstummten; daß der Witz und Spott, diese unsere treuen und werten Bundesgenossen, vor dem Eide eines Landes innehielten und überhaupt das Gebiet der Ostsee möglichst verschonten – um so mehr, als ihnen ja die ganze Südsee mit ihren reichen Schätzen offensteht. Wir sind mit vielen Dingen nicht einverstanden, die von Kiel ausgegangen sind und ausgehen; aber wir werden es dem Herzog Friedrich nicht vergessen, daß er durch sein mutiges ungebetenes Erscheinen in Kiel nicht am wenigsten dazu beigetragen hat die Krise zu steigern und Preußen wider seinen Willen in jene Aktion hineinzuziehen, die endlich entschied. Aber nicht Mitgefühl und Dankbarkeit dürfen in dieser Frage entscheiden, noch weniger Menschenfurcht und Konsequenzmacherei. Die Frage aber wird also liegen: als die Schleswig-Holsteiner glaubten zur Errichtung eines vollständig selbständigen Staates zu gelangen, haben sie den Herzog Friedrich als dessen rechten Fürsten bezeichnet; ist nun, nach den an Preußen eingeräumten Rechten, die Errichtung eines selbständigen Staates überhaupt noch im Interesse des Landes? Die Antwort steht von Rechts wegen bei den Vertretern der Herzogtümer und bei ihnen allein. Deutschlands Zukunft, Preußens Machtstellung wird nicht gefährdet, wenn sie bei dem Herzog beharren; aber sie werden zu erwägen haben, ob ein solcher Beschluß nicht ihre Heimat einem Widerspruchs- und unheilvollen Doppelregiment überliefert. Wir, soweit es an uns ist, werden ihr Selbstbestimmungsrecht auch dann achten, wenn das, was sie bestimmen, uns unzweckmäßig erscheinen sollte; und ich wenigstens bin mir dessen sehr wohl bewußt, daß sie besser als ich die Verhältnisse kennen und vollständiger als ich in der Lage sind darüber zu entscheiden, was den Herzogtümern frommt. Aber zweierlei dürfen wir wünschen und hoffen. Wir wünschen, daß zur Zeit ein jeder einzelne dazu tue der schließlichen Entscheidung, die offenbar erst getroffen werden kann nach Regelung des Verhältnisses zu Preußen, nicht noch weiter vorzugreifen als bereits geschehen ist. Wir wünschen ferner, daß wenn die Entscheidung in dieser Weise von den Herzogtümern gefordert werden wird, es ihnen dann nicht an Männern fehlen möge, die diese Angelegenheit nicht vom legitimistischen, sondern vom patriotischen Standpunkt betrachten und, wenn diese Betrachtung nicht zu Gunsten der halben Annexion ausfällt, den Mut finden vor den Herzog hinzutreten und ihm zu sagen: Hoher Herr, es kann nicht sein, es ist wider das Wohl des Landes.



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