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Die Katakomben Roms.

Vortrag, gehalten im Berliner Unionsverein,

13. Januar 1871. Im neuen Reich 1871 S. 113-128.

»Als ich ein junger Mann war«, sagt der heilige Hieronymus, »und in Rom studierte, da pflegte ich mit meinen Alters- und Studiengenossen an den Sonntagen die Gräber der Apostel und Märtyrer zu besuchen und oft gingen wir hinein in die Gewölbe, die, in die Tiefe der Erde gegraben, zu beiden Seiten der Wandelnden an den Wänden die Körper der Begrabenen zeigen, und alles darin ist so dunkel, daß fast erfüllt wird das Prophetenwort Psalm 55, 16. ›und müssen sie lebendig in die Hölle fahren‹, und nur selten ein von oben herab einfallender Schimmer die düstere Finsternis unterbricht; so daß mehr wie durch einen Spalt als durch ein Fenster das Licht einzufallen scheint, und du wieder vorsichtig weiterschreitest und von finsterer Nacht umfangen es dich gemahnt an das Vergilische Wort:

Grausen erschreckt dich durchaus und vor allem das grausige Schweigen.«

Diese Beschreibung, wie sie vor anderthalb Jahrtausenden der fromme Kirchenvater von den Katakomben Roms gab, gilt heute noch und wer je in diesen wunderbaren und wunderlichen Räumen verweilt hat, erinnert sich jenes Wandelns in den schmalen Gängen mit den endlosen Reihen der Grabbetten auf beiden Seiten, jener Finsternis, die der Lichtschimmer nur noch dunkler und unheimlicher macht, des Hinabfahrens zur Unterwelt bei lebendigem Leibe. Es gibt wohl bessere und sicherere Führer durch jene finsteren Bereiche als ich Ihnen sein kann. Meine Studien gehören im ganzen der Oberwelt an und nur beiläufig führt mich mein Weg hinab zu diesen Geistern der Tiefe. Aber ich bin doch manches Mal durch diese Räume gegangen und öfter noch für diesen oder jenen Zweck veranlaßt gewesen, mich wissenschaftlich auf diesem Gebiet umzusehen; einiges kann ich Ihnen wohl berichten, das dann eine kundigere Hand ergänzen mag.

Wir reden alle von den Katakomben Roms; wohl wenigen aber ist dabei bewußt, wie spät und genau genommen unrichtig diese Bezeichnung ist. Das philologische Marterwerkzeug, mittelst dessen jedes Wort zum Geständnis seines Ursprungs gebracht werden kann, hat auch bei diesem seine Schuldigkeit getan, aber ihm übel mitgespielt; in der Regel muß es sich von dem griechischen τύμβος, dem Stammvater des spätlateinischen tumba, des französischen tombe, tombeau ableiten lassen, und man hat dann weiter die Wahl und die Qual, ob die ersten Silben cata die griechische Präposition sind, also »neben« oder »bei« bedeuten, oder das spanische catar, sehen, schauen. Die eifrigen Herren Inquisitoren haben dabei nur eins übersehen: daß das Wort in seinem ursprünglichen Gebrauch gar mit Gräbern nichts zu tun hat Es begegnet bereits im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung und zwar zuerst als Bezeichnung einer bestimmten Örtlichkeit in der nächsten Umgebung der Stadt Rom, an der südlich nach Capua führenden Appischen Straße, unweit des Grabes der Cäcilia Metella, unmittelbar vor der Aurelianischen Stadtmauer, bei dem ehemaligen Appischen Tor, jetzt Porta S. Sebastiano. Von dem Circus des Romulus – es ist dies auch ein divus Romulus, aber nicht der alte Herr, den König Numa zum Gott gemacht hat, sondern der Enkel Maximians, der Sohn des Maxentius, ein in der Zeit Konstantins des Großen allzufrüh der Welt entrückter und deshalb dem Himmel überwiesener angehender Thronkandidat – von diesem noch heute vor Porta S. Sebastiano stehenden Circus des Romulus berichtet eine nicht lange nach seiner Erbauung abgefaßte Chronik: fecit eircum in catecumpas; und die hier befindlichen frühchristlichen Grabgrotten, in welchen der Sage nach die Gebeine der Apostel Petrus und Paulus ein Jahr und sieben Monate geruht haben, bevor sie dahin gebracht wurden, wo noch heute die Pauls- und die Peterskirche stehen, werden gleichfalls regelmäßig bezeichnet als die Grotten ad catecumbas oder catacumbas. Diese catecumbae selbst haben gewiß weder mit dem Circus noch mit diesen Grotten einen anderen Zusammenhang, als daß eben die Örtlichkeit, wir wissen nicht warum noch seit wann, also benannt war. Erst im neunten Jahrhundert beginnt die Bezeichnung allgemeiner auch für andere christliche Grabesgrotten gebraucht zu werden, und allmählich hat sich dann der heutige Sprachgebrauch gebildet. Die Herleitung des Wortes von seiner jetzigen Bedeutung ist also gerade so berechtigt, wie wenn man Frascati zwingen wollte, auf gut deutsch Sommerfrische zu bezeichnen.

Überhaupt, wer das römische Katakombenwesen richtig verstehen will, muß sich vieler jener Vorstellungen von specifischer Heiligkeit, ja von specifischer Christlichkeit entschlagen, die jetzt in dieser Beziehung im Gange sind, und mit denen diejenigen, die ihren eigenen Geist gefangen geben, um die Geister anderer zu fangen, Katholiken sowohl wie solche Protestanten, für die Luther umsonst gelebt hat und die man mit Befriedigung und Nutzen den Papstgläubigen wieder zurückstellen würde, mehr vorteilhafte als reinliche Geschäfte machen.

Orient und Occident sind allerdings, wie in allem andern, so auch in der Sitte des Begrabens im Gegensatz: »der Grieche verbrennt seine Toten«, sagt Lucian, »der Perser begräbt sie«; er hätte neben dem Griechen auch den Römer, neben dem Perser auch den Ägypter und den Juden nennen können. Dieser Gegensatz erscheint in gewisser Weise auch in Rom; aber er ist mehr nationaler als religiöser Art. In Vigna Randanini, dicht bei dem Circus des Maxentius und jenen ursprünglichen Catecumpen, hat sich vor reichlich zehn Jahren eine unterirdische Grotte gefunden, die den christlichen Grabstätten Roms in aller Weise gleicht, aber auf den Grabsteinen nicht ein einziges eigentlich christliches Symbol zeigt, dagegen häufig den siebenarmigen Leuchter und andere sicher jüdische Embleme; ohne Zweifel ist dies eine jüdische Katakombe, und dem Alter nach – sie gehört wahrscheinlich dem zweiten Jahrhundert an – geht sie den christlichen eher voran als nach. Eine andere jüdische Katakombe hat sich in Rom in Trastevere gefunden, dem alten Judenquartier, vor Porta Portese. – Aber auch diesem Gegensatz des heidnischen Verbrennens und der christlichen Beerdigung ist nicht allzuviel Gewicht beizulegen. Denn einmal ist der Gebrauch, die Toten zu beerdigen, auch der ursprünglich griechische wie römische und erst später, es scheint hauptsächlich aus Rücksichten der Gesundheitspolizei, durch das Verbrennen verdrängt; ja das römische Pontifikalrecht hat insofern stets festgehalten an der Notwendigkeit der Beerdigung, als kein Begräbnis für genügend vollzogen galt, wenn nicht wenigstens ein Gebein des Toten unter die Erde gebracht war; weshalb immer auf die Verbrennung die Beisetzung, wenn auch nur eines Knöchelchens, folgte. Aber auch die Sitte des Verbrennens ist zu keiner Zeit so allgemein geworden, daß daneben die Beisetzung sich nicht behauptet hätte. Wenn auch in Rom die Kostbarkeit des Bodens und die in der großen Weltstadt geringere Gewalt des Herkommens sich dazu vereinigten, dem Verbrennen das Übergewicht zu verschaffen, so verschwand doch auch hier die ältere Weise nicht ganz; und mehr noch blieb sie im Gebrauch in den Landstädten. Mochte man nun Steinkisten dazu verwenden, oder, wo man geeigneten Felsboden hatte, dem Toten in diesem selbst die Stätte bereiten, Betten, auf denen der Verstorbene den ewigen Schlaf schlief – denn dies ist die alte Vorstellung dabei – hat es auch bei den Heiden zu allen Zeiten gegeben. Insofern sagt ein christlicher Schriftsteller aus der Zeit Severs mit gutem Grund, daß die Christen zwar nicht des törichten Glaubens lebten, als sei die leibliche Wiederauferstehung unvereinbar mit der Verbrennung der Leiche, daß sie aber der alten und besseren Sitte der Beerdigung den Vorzug gäben und gern den toten Menschenleib betrachteten wie den Baum, der in Winterstarrheit doch die Hoffnung des Frühlingsgrüns in sich birgt. Allerdings war das Beerdigen auch gute alte heidnische Sitte; die Christen taten in dieser Beziehung nur, was jeder Heide ebenfalls tun durfte und mancher tat; die Vorstellung der letzten Ruhestätte, des ϰοιμηνήριον, wie es die Griechen, des accubitorium, wie es die lateinischen Afrikaner nennen, ist keineswegs eine den Christen eigentümliche.

Ebenso ist es jetzt von den namhaftesten Forschern anerkannt, daß die heidnische Weise, das Grabmal auszustatten und zu heiligen, im ganzen genommen von den ältesten Christen nur beibehalten worden ist. Ja man kann hinzufügen, daß unser ganzes Kirchenwesen aus dem heidnischen Gräberkult hervorgegangen ist. Öffentliche Begräbnisplätze in unserem Sinne kennt das Altertum bekanntlich überhaupt nicht; zunächst wird jeder auf seinem Grundstück beigesetzt und ihm dort, wenn man das will, das Gedächtnishaus errichtet, die cella memoriae, wie eine neu gefundene heidnische Inschrift sie nennt, die über der Gruft sich erhebend und mit Sitzplätzen versehen an den dem Verstorbenen gewidmeten Gedächtnistagen, vor allen Dingen an dem Sterbetage geöffnet wird, und wo dann die Nachkommen und Freunde des Verstorbenen sich vereinigen zum frommen Erinnerungsmahl. Es ist keine Profanation, wenn ich Sie an das Gedächtnishaus in Charlottenburg erinnere. Solche Gedächtnishäuser gab es im römischen Staat, namentlich seit der früheren Kaiserzeit, in großer Menge; und nicht anderer Art sind die Gräber der Apostel und Märtyrer, von denen Hieronymus spricht, und was daran sich anschließt: die Anfänge der Kapellen und Kirchen, die nach meiner Meinung mehr noch als an die städtischen Versammlungs- und Bethäuser anknüpfen an die verehrten Grabstätten der Zeugen und Diener des Glaubens; ferner die Liebesmahle der ältesten christlichen Gemeinden. Nichts Besonderes ist das Christentum der ältesten Zeit, nichts Specifisches und Exklusives, wie das, was heutzutage dafür ausgegeben wird; die Christen lebten in und mit ihrer Zeit und nach deren Gebräuchen.

Aber eines allerdings ist den Juden wie den Christen hinsichtlich ihres Begräbniswesens von jeher eigentümlich gewesen: es ist das die Scheidung im Tode von den Andersgläubigen und, was damit eng zusammenhängt, die Tendenz an die Stelle der nach heidnischem Gebrauch wesentlich privaten Grabstätte einen für die ganze Gemeinde bestimmten Friedhof zu setzen. Vor einigen Jahren hat sich in Rom eine Grabschrift gefunden, worin ein gewisser Valerius Mercurius seinen Freigelassenen und ihrer Nachkommenschaft nach römischer Weise das Recht gewährt, in demselben Grabe sich bestatten zu lassen, vorausgesetzt, daß sie seines Glaubens sind – ad religionem pertinentes meam, wie es auf dem Denkmal heißt. Es ist das eine auf heidnischen Grabstätten unerhörte Klausel, und wahrscheinlich gehört die Schrift eben einem Juden oder auch einem Christen. Religio bezeichnet im Altertum bekanntlich nicht, was wir heute Religion nennen, nicht ein gewisses Dogma, sondern die Gewissenspflicht. Insofern wird auch schon in guter Zeit, von Tacitus und selbst von Cicero, das Wort von denjenigen Verpflichtungen gebraucht, die insbesondere bei den Orientalen mit der Nationalität sich verknüpfen; in diesem Sinne wird auch auf Inschriften einzeln die religio Judaica, die jüdische Observanz erwähnt. Zu diesen jüdisch-christlichen Observanzen gehörte auch die Bestattung nicht bloß ohne Verbrennung, sondern auch abgesondert von den Heiden, während die Heiden derartige Gewissenspflichten und Nationalvorschriften niemals gekannt haben. So tritt der Charakter der ursprünglich nationalen, mehr und mehr aber zur konfessionellen sich entwickelnden Absonderung im Tode mehr noch hervor als im Leben. Dazu gesellt sich der eigentümlich christliche Gedanke der ecclesia, der Gemeinde der Gläubigen, die auch im Tode gern wie im Leben sich vereinigt. So entstehen die besonderen christlichen Begräbnisstätten, die ohne Zweifel niemals Nichtchristen aufgenommen haben und in denen wohl schon früh die Christen der großen Mehrzahl nach die letzte Ruhestätte fanden.

Diese großen gemeinschaftlichen Ruhestätten, die über den engen Kreis des Hauses hinausgreifend der ganzen ecclesia fratrum dienen, sind allerdings eine Schöpfung des Christentums; wie denn überhaupt der große und tiefe Gedanke der Gemeinde erst durch das Christentum in die Welt gekommen ist. Auch im Gegensatz zu den Juden zeigt sich dies; wenigstens in ihrer Heimat sind die Grabstätten, wie ähnlich sie auch sonst den römischen Katakomben sind, doch durchaus Familiengräber. Selbst von den ältesten christlichen gilt noch dasselbe, und gesetzliche Vorschrift ist das Begraben auf dem gemeinsamen Friedhof für die Christen niemals gewesen; aber dennoch ist der in der ältesten christlichen Gemeinde sich vollziehende Entwicklungsprozeß des Friedhofs so offenbar wie bedeutsam, ja das eigentliche Distinktiv des christlichen Gräberwesens. Daran knüpft sich noch ein anderer bereits angedeuteter Unterschied. Die christlichen Grabplätze dienen der ganzen Gemeinde nicht bloß als letzte Ruhestätte für alle ihre Glieder, sondern auch als Stätte des gemeinsamen Andenkens an die verstorbenen Frommen, das heißt der Gemeindeandacht. Zu diesem Zwecke ist auch ihre innere Einrichtung verändert. Die unzähligen heidnischen und auch die jüdischen Grabkammern öffnen sich nur den Toten; darum ist ihr Eingang fest versperrt, die einzelne Leiche aber nicht notwendig weiter abgeschlossen. Dagegen in der christlichen Grabstätte wird jede einzelne Leiche entweder in einem Steinsarg beigesetzt oder gewöhnlicher in einer in den natürlichen Fels gehauenen und nach der Beisetzung der Leiche mit einer Stein- oder Ziegelplatte zugesetzten und fest vermauerten Nische, dem sogenannten loculus, während die Gänge jedem jeder Zeit offen stehen und der Besucher zu jedem Grabe gelangen kann. Auch fehlt es späterhin selbst in den unterirdischen Friedhöfen nicht an geräumigeren Kammern, in denen eine gewisse Anzahl von Personen sich vereinigen kann. Diese Vereinigung der Andacht mit der Bestattung, die Entwickelung des Grabes zum Friedhof, des Friedhofs zur Kirche ist recht eigentlich christlich, man kann vielleicht sagen, ist das Christentum.

Die großen Grundgedanken der christlichen Gemeinde sind natürlich überall dieselben; im übrigen aber ist das Begräbniswesen der Christen keineswegs allgemein und gleichförmig entwickelt, vielmehr je nach klimatischen und Bodenverhältnissen und vor allem nach Landessitte gestaltet. Das specifisch römische Christentum hat es verstanden, sich als allein maßgebend hinzustellen, als katholisch, wie man sagt, das heißt für alles und alle geltend; und nicht zum wenigsten zeigt sich dies an den Katakomben. Die Vorstellung, daß die frühere christliche Zeit in solchen Grotten ihre Toten zu begraben gewohnt war, ist ebenso häufig wie irrig. Tertullianus unter Severus erzählt von den Karthagern, daß in einem der Aufläufe gegen die dortigen Christen die Menge auch gegen die christlichen Friedhöfe ihre Erbitterung gerichtet habe in dem wilden Ruf: Nieder mit den Friedhöfen! areae non sint. Und ebenso heißt es in einer Inschrift aus dem numidischen Cäsarea:

Den Gräberfriedhof gab des Wortes Diener her
Und baute ganz auf seine Kosten auch das Haus,
Der heiligen Kirche dies Gedächtnis stiftet' er.
Euch, Brüder, reinen Herzens und einfältigen,
Segnet Euelpius, Kinder euch des Heiligen Geists Aram at sepulchra cultor verbi contulit
et cellam struxit suis cunctis sumptibus.
Ecclesiae sanctae hanc reliquit memoriam.
Salvete fratres puro corde et simplici,
Euelpius vos satos sancto spiritu.
.

Diese Beweise und anderes mehr setzen es außer Zweifel, daß die afrikanischen Christen ihre Toten nicht in Grotten begruben, sondern in areis, das heißt auf Höfen oder Flächen, wie es jetzt üblich ist. Während es also alte und ausgedehnte Christengemeinden gegeben hat, die ihre Toten nicht in Grotten beisetzten, hat es andrerseits auch heidnische Ortschaften gegeben, die dies zu tun pflegten; insbesondere Alexandrien in Ägypten hat eine derartige Nekropole, bekannt unter dem Namen der Bäder der Kleopatra. Allem Anschein nach ist dies System überall da entwickelt, wo in einer Großstadt das Bedürfnis hervortrat, für Beisetzung unverbrannter Leichen die erforderlichen Räumlichkeiten zu schaffen. So gut wie die unter dem Namen der Taubenhäuser bekannten heidnischen Begräbnisstätten der geringen Leute lediglich aus dem Bedürfnis hervorgegangen sind, für die Aufstellung von Aschenkrügen in möglichst billiger Weise den Raum zu gewinnen, und so gut wie diese Columbarien fast ausschließlich in der Stadt Rom, hier aber auch massenweise vorkommen, so sind auch die christlichen Grottengräber eine aus den besonderen Verhältnissen der Großstadt Rom hervorgegangene bauliche Anlage.

Die ursprüngliche Benennung dieser Gräber ist crypta, woraus das moderne grotta der Italiener und die Grotte unserer Kunstgärtner geworden ist, das unterirdische Gewölbe. Man hat lange gemeint, daß dieselben hervorgegangen sind aus den um Rom herum zahlreichen Sand- und Puzzolangruben, die dann von den Juden und Christen erworben und für ihre Bestattungen eingerichtet worden wären. Aber genauere und einsichtigere Prüfung, besonders von seiten des Herrn Michele de Rossi, des Bruders des berühmten Begründers der wissenschaftlichen Durchforschung der Katakomben, Giambattista de Rossi, hat diese Meinung als irrig erwiesen. Die Anlagen beschränken sich durchaus auf solche Lokalitäten, in denen weder der brauchbare Baustein bricht, noch die brauchbare Puzzolane sich findet; durchgängig sind sie gebrochen in die geringeren, leicht zu bearbeitenden Tuffsorten, wie sie massenweise der Boden dort darbietet. Auch die Anlagen selbst zeigen es; die ungemein schmalen Gänge, die zuweilen nur einen halben, in der Regel dreiviertel Meter breit sind und also häufig von einem einzigen Mann ganz ausgefüllt werden, dagegen nicht selten drei bis vier Mannslängen hoch senkrecht aufsteigen und immer auf kurze Entfernungen scharf im rechten Winkel sich schneiden. Wäre es darauf angekommen hier Steine oder Sand zu gewinnen, so hätte man es nicht ungeschickter anfangen können, da man von der Masse viel mehr, als der Stütze wegen nötig ist, stehen ließ und sich gar keine Transportwege beschaffte. Offenbar sind diese Grotten vielmehr zu dem Zwecke angelegt, in dem gegebenen Raum möglichst viel Wandfläche zu schaffen von solcher Tiefe, daß in dieselben von beiden Seiten die Totenbetten eingelassen werden konnten. An einigen Stellen haben sogar innerhalb der Katakomben sich wirkliche Puzzolangruben gefunden, aber von ganz verschiedener Anlage, mit weiten Gängen und mit Vorrichtungen um den Sand an die Oberfläche zu fördern; diese Gruben aber sind augenscheinlich älter und von den Herstellern der Katakomben entweder durch Quermauern abgesperrt oder auch durch Zwischenmauern für ihre Zwecke brauchbar gemacht. Die ungeheure Anlage der Gräbergrotten des christlichen Rom, in ihrer Ausdehnung wohl nicht zurückstehend hinter dem Kloakensystem des republikanischen, ist allerdings ein Werk derjenigen Gemeinde, an die der Apostel Paulus den Römerbrief gerichtet hat, und ein redendes Zeugnis von ihrer der gewaltigen Hauptstadt entsprechenden großartigen Ausdehnung. Die lächerliche Vorstellung, als seien solche Anlagen im geheimen und den bestehenden Gesetzen zuwider entstanden, wird man schon im Interesse der kaiserlichen Polizei der Hauptstadt abzuweisen haben; es hätte der Magistrat von Schilda dazu gehört um dergleichen Bauten nicht zu bemerken. Auch ist ein entscheidender Beweis dafür, daß diese Gräber so gut wie die gleichzeitigen heidnischen in durchaus gesetzmäßiger Weise angelegt worden sind, der merkwürdige Umstand, daß diese Grotten sämtlich außerhalb der Aurelianischen Stadtmauer sich befinden, keine einzige innerhalb des nach den gesetzlichen Bestimmungen dieser Zeit gräberfreien Stadtraumes, aber auch keine weiter als eine halbe deutsche Meile von der Aurelianischen Mauer entfernt. Die feuchten und den Überschwemmungen ausgesetzten Täler und Niederungen sind bei der Anlage vermieden; die christlichen Grabarchitekten, die fossores, haben durchaus die Hügel gewählt und zwar diejenigen, deren Kern Festigkeit genug hatte, um Grotten und Galerien darin auszuarbeiten und die zugleich frei von Quellwasser waren. Wie in den Häuserbauten über der Erdfläche, ist hier unter derselben ein regelmäßiges Gräberstockwerk über das andere gesetzt, auch wohl ein Halbgeschoß in die zwischenliegende Deckfläche gebrochen, ferner Luft- und Lichtlöcher ( luminaria) von der Oberfläche her in dieselben eingeführt. Die Gräber liegen regelmäßig acht bis fünfzehn Meter unter der Oberfläche; selten sinkt die Tiefe bis auf zwanzig bis zweiundzwanzig Meter. Die Zahl der Stockwerke übereinander erhebt sich bis auf vier, höchstens fünf; die Verhältnisse sind also ziemlich ähnlich wie in den römischen Wohnhäusern, die auch nach den Vorschriften der römischen Baupolizei die Höhe von siebzehn bis zwanzig Meter nicht übersteigen durften. Daß alle diese Grabgrotten untereinander zusammenhängen, ist eine Fabel und sogar materiell unmöglich; aber das scheint allerdings richtig zu sein, daß in dem bezeichneten Umkreis kaum ein Platz sich findet, der durch seine Beschaffenheit sich zur Anlage solcher Grotten eignet und nicht zu diesem Zweck verwendet worden wäre. Nach den Bestimmungen des römischen Rechtes setzt dies voraus, daß die also unterhöhlten recht beträchtlichen Grundstücke sämtlich im Eigentum sei es einzelner dem Christentum geneigter und mit dieser Verwendung einverstandener Personen, sei es der Kirchengemeinden selbst standen. Daß besondere gesetzliche Privilegien hier eingegriffen haben sollten, ist durchaus unwahrscheinlich. Daß es dagegen den Christen gelungen ist allmählich in den Besitz all dieser Grundstücke zu gelangen, ist wohl bemerkenswert, aber nicht gerade befremdend. Diejenigen Genossenschaften der geringen Leute, die sich der Bestattung ihrer Mitglieder wegen zusammentaten, wurden von dem sonst gegen das Associationswesen sehr strengen kaiserlichen Regiment nicht bloß geduldet, sondern gefördert; und unter diesem Gesichtspunkt stand solchen Erwerbungen ein rechtliches Hindernis im allgemeinen nicht im Wege. Die christlichen Gemeinden aber haben von Haus aus eben auf dieses Begräbniswesen ihre Anstrengungen gerichtet; es war Gewissenspflicht der vermögenden Mitglieder, für die Bestattung der ärmeren zu sorgen und noch der heilige Ambrosius gestattet den Kirchen selbst den Abendmahlskelch zu verkaufen, um die für die Gläubigen bestimmten Grabstätten zu erweitern. Was mit solchen Mitteln in dem gewaltigen Born geschaffen werden konnte, das zeigen die Katakomben. Auch wenn die fabelhafte Ausdehnung, die man ihnen wohl gibt, auf das richtige Maß zurückgeführt wird, bilden sie in ihrer Gesamtheit ein grandioses Werk, unschön und schmucklos, in Architektur und Schrift nicht bloß den Pomp und die Phrase, sondern auch die Sauberkeit und die Korrektheit verschmähend, fern abgewandt von dem Glanz und der Herrlichkeit wie auch von dem Flitter und der Eitelkeit des über ihnen hin sich treibenden und drängenden großstädtischen Lebens, die rechte Erläuterung zu den Worten Jesu: Mein Reich ist nicht von dieser Welt.

Nachdem also im allgemeinen die christliche Totenstadt Roms skizziert ist, will ich weiter versuchen, wenn auch nur mit wenigen Zügen, Ihnen ein Bild zu geben von einer der ältesten dieser Grotten, der jetzt der Domitilla beigelegten, sowie von der berühmten Grotte der Bischofsgräber und alsdann mit einem Blick auf den Untergang dieser merkwürdigen Einrichtung schließen.

Unter den zahlreichen Opfern, die wegen Abfalls von der Landesreligion und Hinneigung zum jüdischen Aberglauben unter Domitian zur Verantwortung gezogen wurden, nennt der heidnische Geschichtschreiber Cassius Dio den Konsul des Jahres 95 n. Chr. T. Flavius Clemens, den Brudersohn des regierenden Kaisers Domitianus, wahrscheinlich zugleich Tochtersohn des verstorbenen Kaisers Vespasian; denn des Clemens Vater T. Flavius Sabinus scheint die Tochter seines Bruders, des nachmaligen Kaisers Vespasian geheiratet zu haben. Er war kein Mann von hervorragender Bedeutung; vielmehr stand er seiner Schwäche und Trägheit wegen allgemein in geringem Ansehen; aber er war der Stammhalter des regierenden Hauses, der einzige unter dessen Angehörigen, der Söhne hatte, und insofern erregte das Todesurteil, das in seinem Konsulat selbst wegen seiner religiösen Ansichten über ihn gefällt wurde, das ungeheuerste Aufsehen. Mit ihm derselben Schuld bezichtigt ward eine andere Prinzessin Flavia Domitilla, ob seine Gattin oder, wie es eher scheint, seine Schwester, ist nicht ausgemacht. Auch diese Enkelin Vespasians wurde verurteilt und zu lebenslänglicher Verbannung auf die Insel Ponza gesandt, von wo sie auch nach dem Sturze Domitians nicht zurückgekehrt zu sein scheint; wie ja denn Traians Regierung den Christen keineswegs günstig war. Noch im vierten Jahrhundert pilgerten die frommen Christen nach den Gemächern, welche die vornehme Dame auf Ponza in ihrer Verbannung bewohnt hatte. – Es ist nicht zu bezweifeln, daß das Judentum, von dem hier der heidnische Schriftsteller spricht, in der Tat der christliche Glaube ist, von dessen Ausbreitung in dieser Periode selbst in den höchsten Kreisen Roms hier ein merkwürdiges Beispiel vorliegt. Von um so größerem Interesse würde es sein, wenn in den christlichen Gräbern Roms Spuren sich fänden von Stiftungen ebendieser Domitilla; und in der Tat ist dies die Ansicht der ersten Autorität auf diesem Forschungsgebiet, des ebenso scharfsinnigen wie gewissenhaften Giambattista de Rossi. Ich kann indes nicht leugnen, daß mir die von ihm vorgebrachten Beweise nicht auszureichen scheinen, insbesondere der Punkt, worauf alles ankommt, daß die bei den Kirchen der Heiligen Nereus und Achilles und der h. Petronilla an der Ardeatinischen Straße befindliche Gräbergrotte ursprünglich coemeterium Domitillae geheißen hat, nicht erwiesen dünkt. Der Beweis beruht einzig auf einem Verzeichnis der römischen Cömeterien, das sich in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts gefunden hat und mit den gewöhnlichen Namen dieser Grotte: Nereus, Achilles, Petronilla den der Domitilla verknüpft. Nun ist aber der bei den Kirchenhistorikern seit Konstantins Zeit gefeierte Name der frommen Enkelin Vespasians auch in die Legende von dem Martyrium des Nereus und des Achilles früh eingedrungen; wie nahe lag es also einem christlichen Schreiber, sei es des fünfzehnten sei es des sechsten Jahrhunderts, das coemeterium Nerei et Achillei auch als coemeterium Domitillae zu bezeichnen! Es ist richtig, daß eine in derselben Gegend gefundene heidnische Grabschrift als Schenkerin der betreffenden Grabstätte die Flavia Domitilla nennt und daß somit dieselbe in dieser Gegend Grundbesitz gehabt zu haben scheint; aber bevor eine so wichtige Tatsache, wie die Stiftung eines christlichen Friedhofes in der Stadt Rom durch die Enkelin Vespasians vor dem Jahre 95 unserer Zeitrechnung ist, als historisch gesichert angesehen werden kann, wird man doch bessere Beglaubigung für die Existenz der Grotte der Domitilla fordern müssen.

Wie dem aber auch sein mag, diejenige Krypta, die Rossi der Domitilla zuschreibt, gehört unzweifelhaft zu den ältesten Roms und wenn sie auch nach den dort gefundenen Ziegeln und der sonstigen Beschaffenheit ihrer sparsamen inschriftlichen Reste eher in die Zeit von Hadrian und Pius fallen mag als in die der Flavischen Kaiser, so gibt sie uns doch ein deutliches Bild der Anfänge der Katakomben. Diese Gruft ist, schon nach ihrem ursprünglichen bescheidenen Umfang, kein Friedhof, sondern noch eine Privatgrabstätte für den Erbauer und seine Nächsten. Der Eingang der späteren Katakomben ist nicht gerade versteckt, aber doch so wenig wie möglich bezeichnet; eine bescheidene Öffnung führt in der Regel durch eine Treppe in die eigentliche Grabstätte und nie finden sich in ihnen Inschriften anders als in den innern Räumen. Hier dagegen ist das Grab nach außen hin durch Türen geschlossen, über denen einst die Grabschrift zu lesen war. Die Gänge sind breit, Gewölbe und Wände mit Stuckatur bedeckt, wesentlich verschieden von den schmalen in der Regel roh gelassenen Galerien der gewöhnlichen Katakomben. Vor allem bemerkenswert aber ist es, daß in dem ursprünglichen Teil dieser Anlagen die Steinbetten, die recht eigentlich die späteren Katakomben bezeichnen, noch gar nicht vorkommen, dagegen größere Nischen in die Wände eingelassen sind zur Aufnahme von Sarkophagen. Später allerdings sind schmalere Gänge in die Wände und in deren Seitenwände Steinbetten gebrochen, aber, wie um den Übergang deutlich zu bezeichnen, sind diese Steinbetten hier noch mit einer Corniche umfaßt, die ihnen die Formen von Sarkophagen gibt. Die Reste der offenbar der ursprünglichen Anlage gleichzeitigen Fresken geben allein den Beweis, daß wir es hier nicht zu tun haben mit einem Grabe solcher Heiden, die des Verbrennens sich enthielten, sondern in der Tat mit einer von Haus aus christlichen Anlage. Sie sind, besonders in den bloßen Ornamenten, von seltener Schönheit; des Gewölbes insonderheit mit den reizenden Rebenguirlanden, den traubenpickenden Vögeln und den lesenden und kelternden Flügelknaben würde kein Dekorativmaler der Augustischen Zeit sich zu schämen brauchen. Auch kleine Landschaften finden sich, die in den späteren christlichen Gräbern niemals erscheinen. Minder vorzüglich sind die auf den Wandflächen befindlichen Gruppen; unter den erhaltenen sind die merkwürdigsten der stehende Daniel zwischen zwei Löwen, der gute Hirt, die Arche Noahs mit der Taube und die Darstellung einer Mahlzeit, die im übrigen wenig von der gewöhnlichen antiken Behandlung abweicht – zwei auf dem Speisesofa sitzende Männer sind dargestellt, vor ihnen der mit Speisen besetzte runde Tisch und daneben der bedienende Sklave – aber durch die auf dem Speiseteller dargestellten Brote und den Fisch deutlich den christlichen Einfluß anzeigt.

Dies sind die Anfänge der specifisch christlichen Gräber; folgen Sie mir nun in die große Gruft, die von dem späteren Papst Callistus um das Jahr 200 angelegt worden ist und während des größten Teiles des dritten Jahrhunderts als Grabstätte der römischen Bischöfe gedient hat. Sie befindet sich, wie die eigentlichen Katakomben, an der Appischen Straße, eine halbe Miglie von diesen, näher nach der Stadt zu, entfernt. Die alten Berichterstatter nennen sie die Grotte des Callistus; sie führt den Namen von dem Papst dieses Namens, der wahrscheinlich von 217 bis 222, also gleichzeitig mit dem Kaiser Elagabalus, den römischen Bischofsstuhl eingenommen hat. Aber nicht als Papst hat er sie angelegt, sondern, wie der kürzlich aufgefundene Bericht des Zeitgenossen Hippolytos angibt, als Diakon seines Vorgängers Zephyrinus, der den Callistus, wie Hippolytus sagt, über den Friedhof setzte. Diese Kammer, wahrscheinlich in den Zeiten der schweren Diokletianischen Verfolgung verschüttet und dann am Ende des vierten Jahrhunderts für die frommen Besucher der Märtyrergräber wiederhergestellt, ist vor wenigen Jahren unter Rossis Leitung wiederaufgedeckt worden. Die Grabschriften der römischen Bischöfe des dritten Jahrhunderts Urbanus, Anteros, Fabianus, Lucius, Eutychianus fanden sich an Ort und Stelle, alle in griechischer Sprache geschrieben, ohne weiteren Zusatz, als daß nach dem Namen die Bezeichnung ἐπίσκοπος folgt; eine späte Hand hat den Fabianus noch außerdem als Märtyrer bezeichnet. Keine Altersangabe, kein Datum, kein frommer Wunsch ist auf den Tafeln enthalten. Der ausschließliche Gebrauch der griechischen Sprache ist bezeichnend dafür, daß die römische Christengemeinde damals noch überwiegend aus eingewanderten Orientalen bestand. Der Kunstwert der Wandbilder, die nicht in dem Bischofsgrab selbst, aber in den dazugehörigen und gleichzeitigen Grabkammern sich in ziemlich leidlicher Beschaffenheit erhalten haben, ist mäßig, wenn auch nicht gerade viel geringer als der der gleichzeitigen heidnischen Arbeiten; sie sind aber merkwürdig, weil sie uns in lebendigerer Weise als die schmucklosen Mauern und die wortkargen Grabschriften die noch verfolgte Christengemeinde vor Augen bringen. Ich will eines dieser Gemächer Ihnen in kurzem schildern; vielleicht versetzt uns dies einigermaßen in den Gedankenkreis jener Epoche. Bilder aus dem Alten und Neuen Testament wechseln ab. Wir sehen auf der ersten Wand einen Mann mit einem Stabe an den Felsen schlagend; aus dem also eröffneten Born zieht ein Fischer an der Angel den Fisch; weiterhin dient dasselbe Wasser als Taufborn, aus welchem ein Mann den vor ihm stehenden Knaben die Hand auf sein Haupt legend tauft. Ohne Zweifel ist Christus hier gedacht als der Felsen, wie es im Korintherbrief heißt: »sie tranken aber von dem geistlichen Fels, der mitfolgte, welcher war Christus«; und der Mann, der an den Felsen schlägt, ist wohl eher Petrus, der oft als der neue Moses bezeichnet wird, als Moses selbst. Vom Fischer Petrus, der zum Menschenfischer berufen ward, ist es überflüssig zu reden; wie denn auch das geheimnisvolle Spiel mit den griechischen Anfangsbuchstaben der Worte Jesus Christus, Gottes Sohn und Heiland, die zusammen gelesen ΙΧΘΥΣ, dies ist eben Fisch, bedeuten, hinreichend bekannt ist. Die Taufe wird hier nicht durch Eintauchen vollzogen, sondern durch Bespritzen des im Wasser stehenden Täuflings. – Es folgt das Bild des Lahmen, der sein Bett auf den Schultern davonträgt. – Auf der Mittelwand finden sich auf beiden Seiten die oft in den Katakomben dargestellten Grabarbeiter, die fossores, immer die Steinhacke in der Hand, zuweilen auch vor dem Felsen, den sie zu öffnen im Begriff sind. Das Hauptbild ist dreiteilig. Die erste Gruppe zeigt, wie in der sogenannten Grotte der Domitilla, einen runden Tisch mit Broten und Fischen, daneben einen Mann, der den Fisch zu segnen scheint, und eine betende Frau. Auf dem zweiten Bild erscheint das heilige Mahl selbst; auf der Tafel, an der sieben Männer sitzen, stehen Teller mit Broten und Fischen, daneben sieben oder acht, auch mehr Körbe Brotes, wobei zunächst offenbar die Speisung des Volkes mit den fünf Broten und zwei Fischen dargestellt ist. Die Siebenzahl der Gespeisten und daß es stets Männer sind, mag wohl zusammenhängen mit der Erzählung von dem auferstandenen Christus, der an dem See Tiberias sieben seiner Jünger speiste. Ob auch eine Anspielung auf das Sakrament des Abendmahls beabsichtigt ist, wie dies ohne Zweifel auf andern Bildern der Fall ist, wo der geheimnisvolle Fisch im Wasser schwimmt mit dem Brotteller und dem Weinkelch auf dem Rücken, mag dahingestellt bleiben. – Das dritte Bild auf dieser Wand sind Abraham und Isaak, beide betend, neben ihnen der Sündenbock und das zum Brandopfer hergerichtete Holz. Da dieses Opfer des Sohnes durch den Vater mit dem Opfertod Christi zusammengestellt zu werden pflegte, so ist hier ohne Zweifel an die Passion zu denken. – Auf der dritten Wand stand wahrscheinlich die Auferweckung des Lazarus; der Tote schreitet aus der Grabkammer hervor, vor ihm steht Christus in ruhiger Haltung, den Stab auf der Schulter. – In einer oberen Reihe finden wir weiter die bekannten Darstellungen der Schicksale des Jonas in drei Bildern: zuerst den Propheten gelagert unter dem Kürbisbaum; dann wie er aus dem Schiff in das Meer gestürzt wird, in welchem das Ungeheuer ihn zu verschlingen sich bereitet; endlich wie dasselbe ihn wiederum ans Land speit. Dunkel endlich ist die Erklärung des letzten Bildes, das die Reihe schließt: ein hoch sitzender Mann, der aus einer Rolle zu lesen scheint; unter ihm eine andere männliche Gestalt, die mit einem Eimer Wasser aus dem Brunnen schöpft. Man hat an die Erzählung erinnert im vierten Kapitel des Evangelium Johannis, wo Jesus von der Samariterin zu trinken fordert, mit den Worten: »Wenn du erkenntest, wer der ist, der zu dir saget: gib mir zu trinken, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser«, und die Erklärung mag wohl das Richtige treffen, obwohl die schöpfende Figur hier männlich ist. Die Behandlung der biblischen Gegenstände im einzelnen ist nach antiker Weise eine ziemlich freie, die sich nach Umständen von der Überlieferung entfernt und mit den Nebenmotiven wechselt.

Diese wenigen Züge und Bilder, herausgegriffen aus einer Masse gleichartiger, mögen Ihnen, meine verehrten Zuhörer, eine Andeutung davon geben, wie die lebendige Erfassung der frühchristlichen Epoche in Rom an den Katakomben einen reichen Schatz von Erläuterungen findet. Ich schließe mit wenigen Worten über das Aufhören dieser merkwürdigen Begräbnisform. Soweit wir urteilen können, gehören ihre Anfänge, wenigstens was wir davon kennen, dem zweiten, die große Masse dieser Grabanlagen dem dritten und vierten Jahrhundert an. Daß die Christenverfolgungen dabei mitgewirkt haben, ist keine Frage. An sich verboten und geheim sind diese Grabstätten gewiß nicht gewesen; aber was die Christen gegen Prohibitivgesetze ausführen wollten, zog ohne Frage regelmäßig in diese schwer zugänglichen Schlupfwinkel sich zurück, und von den Zerstörungen, denen wir darin begegnen, kommt wahrscheinlich kein geringer Teil auf die Christenverfolgungen. Indes nicht die Freigebung des christlichen Bekenntnisses durch Konstantin hat dieser Begräbnisform ein Ende gemacht; die offenkundig christlichen Gräber an der Oberfläche beginnen wohl um diese Zeit, wie begreiflich, aber die Grottengräber überwiegen zunächst noch durchaus. Erst gegen das Ende des vierten Jahrhunderts werden die letzteren allmählich sparsamer, wie es scheint zunächst weil die dazu geeigneten Plätze erschöpft waren und der Raum zu mangeln begann. Die so häufige Verschüttung älterer Galerien, um neue anlegen zu können, die vielfältigen später unter Beschädigung älterer Anlagen in die Wände eingebrochenen Gänge, die oft bis an und über die Grenze des baulich Zulässigen getriebene Ausnutzung des Raumes zeigt den beginnenden Verfall. Die Grotten wurden allmählich ein Hauptteil der heiligen Stätten, welche die nach Rom wandelnden Pilger besuchten und zu diesem Zweck am Ende des vierten Jahrhunderte von Papst Damasus neu eingerichtet und zugänglich gemacht; ich erinnere in dieser Hinsicht an die zu Anfang beigebrachten Worte des heiligen Hieronymus. Aber selbst in diesen urchristlichen Räumen, nahe den Gebeinen der Heiligen und Märtyrer die letzte Ruhestätte zu finden, ward immer mehr eine ebenso vielbegehrte, wie seltene Auszeichnung, die andern zum guten Beispiel sogar Papst Damasus sich selber versagte. Allein das Ende der Katakombengräber hängt zusammen mit dem Ende der gewaltigen Stadt selbst, die in ihrem Übermut sich sogar in der offiziellen Sprache die ewige nannte. Der Gotensturm brach über Italien herein, freilich reichlich verdient durch die schwere Schuld der Regierung und die schwerere des Volkes und vor allem der Hauptstadt. Das tief gesunkene römische Volk stand längst nur noch dem Namen nach an der Spitze der politischen und kaum noch dem Namen nach an der Spitze der geistigen Bewegung der Welt; aber allerdings war Rom noch im Anfange des fünften Jahrhunderts weitaus die volk- und geldreichste und weitaus die üppigste Stadt der Erde. Diejenigen Adelsfamilien, deren Jahresrente auf eine halbe Million Taler unseres Geldes sich belief, bildeten in der Schätzung erst die zweite Klasse des Senats; die jährlichen Revenuen der der ersten Klasse angehörigen Häuser erreichten oder überstiegen den Betrag von 4000 Pfund Gold, über eine Million Taler, ungerechnet die Eingänge in Naturalien. Die Bevölkerung kann nicht unter anderthalb Millionen Köpfe angeschlagen werden, was beispiellos ist im ganzen Altertum. Von dem Übermut und der Hoffart auch des Rom dieser Zeit hat uns ein Schriftsteller, der nur wenige Jahrzehnte vor Alarich geschrieben hat und der unter allen uns erhaltenen lateinischen der ernsthafteste und wahrhafteste ist, Ammianus Marcellinus, ein unmutiges Bild überliefert: Kleiderpracht und Kochkünstler wie nirgends sonst in der Welt; aber die Bibliotheken verödet und von den Künsten keine blühend als Musik und Tanz. Werden bei arger Teuerung die Fremden ausgewiesen, so werden die Professoren ohne Ausnahme über die Grenze gebracht, aber die dreitausend Balletttänzerinnen, und was von Musikanten dazu gehört, nimmt der Präfekt aus. Kein ernstes Geschäft wird betrieben; die Familie ist zerrüttet und Freundschaft gibt es nur noch in Spielklubs. Was außerhalb der Stadtgrenze ist, das kennt der Römer nicht und verachtet es; und für die Fremden hat er unter dem Anflug zuvorkommendster Höflichkeit im Grunde nichts als verachtende Hoffart. So war die Stadt, die Italien zu ihrem Weichbild gemacht hatte; und die Regierung war, wie solche Regierte sie zu haben verdienten: ein nichtiger in steigender Impotenz verkommender Hof, Glücksritter meistens aus den Fremden an der Spitze der Armeen, der Senat so hoffärtig wie feige. Den Einfall Alarichs und seiner Goten hatte man mutwillig selbst über sich heraufbeschworen. Palastintriguen, über den ohnmächtigen Kaiser Honorius hinweg von den Hofbeamten und Bedienten gesponnen, zerrütteten auch die Beziehungen zu dem Herzog der Goten; was der eine Minister versprochen, hielt der andere nicht; der römische Senat nahm mit Begeisterung die Erklärung auf, daß den Barbaren nicht Wort gehalten zu werden brauche, aber die Legionen, die den neuen Hannibal fernhalten sollten, kaufte man von den Hunnen. So kamen die Goten über die fast wehrlose Stadt und die Belagerung oder vielmehr die Belagerungen begannen. Trotz der ungeheueren Ausdehnung der Mauern wurden die zwölf Tore alle besetzt, der Verkehr auf dem Tiberfluß gesperrt; die Hungersnot brach ein, man fing an das Brot auf den Kopf zu verteilen, dann nur halbe, zuletzt Drittelsrationen auszugeben, wie die Not allmählich stieg. Pestilenz und Seuchen begannen ihre fürchterliche Arbeit in dem umschlossenen Raum; man konnte nicht einmal die Toten mehr begraben, da die Friedhöfe alle in der Gewalt der Feinde waren. Die Belagerten drohten mit Massenausfall; der Gote lachte und erwiderte: je dichter das Gras, desto besser schneidet die Sichel. Die Regierung saß fern in dem unzugänglichen und in seinen Sümpfen unbezwinglichen Ravenna; sie schickte Truppenhaufen zum Entsatz, aber sie reichten nicht und wurden einzeln aufgerieben. Vielfach bemühte sich der Gote einen Frieden zu erwirken; er forderte Geld- und Getreideleistungen und die Abtretung von Venetien, Noricum und Dalmatien. Man bot ihm Gold und Silber, so viel er wollte, aber weiter war nichts zu erreichen. Dagegen schwor der Kaiser Honorius selbst – in Ravenna versteht sich –, daß er nie mit Alarich Frieden machen, sondern ewig gegen ihn Krieg führen werde; und den gleichen Eid, zu dem der leitende Minister die kaiserliche Puppe veranlaßt hatte, nahm derselbe sämtlichen Beamten ab. So blieb denn nichts als die Gewalt; und Feuer und Schwert vollzogen ihr entsetzliches Werk, zum Verderben Roms und nicht zum Heil der Goten. In welchem Grade Rom getroffen ward durch diese Belagerungstage, an deren letztem und schrecklichstem, dem 24. August 410, die Goten die seit achthundert Jahren von keinem ausländischen Heer angegriffene Ringmauer mit stürmender Hand durchbrachen, in welchem Grade, wie gesagt, Rom litt, davon berichten wohl die Schriftsteller, von den mit Silber und Gold hochgetürmten Beutewagen der Goten, von den auf die Inseln und nach Afrika sich zerstreuenden Städtern, von den überall seitdem herumbettelnden, ehemals reichen römischen Flüchtlingen. Aber deutlicher als diese Berichte über die Überlebenden spricht die Totenstadt Roms. Seit dem Jahre 410 ist keine Leiche mehr in den Katakomben beigesetzt worden. Ohne Zweifel führte die Belagerung zu einer gründlichen Verwüstung der Grotten; Alarichs christlicher Sinn wird hier so wenig im stande gewesen sein das Unheil zu hemmen wie bei den Verhandlungen mit dem eigensinnigen Hof zu Ravenna. Er war eben ein Werkzeug geworden in der Hand eines mächtigeren Herrn; und ob er fühlte oder nicht fühlte, was er zerstörte, es war sein Schicksal die tausendjährige Stadt, ihre unvergleichliche Herrlichkeit wie ihre unvergleichliche Schlechtigkeit miteinander zu vernichten. Die Armut trat an die Stelle des Reichtums, Verzagtheit an die Stelle des Übermutes; die Tradition und die Kunst auch der christlichen Grabarchitekten ging mit so vielen anderen Künsten damals bis auf die dürftigen Reste zu Grunde und die verödete Campagna bot jetzt wenigstens Raum genug um die wenigen Leichen zu begraben, ohne, wie einst, darum hinabzusteigen in die Eingeweide der Berge.



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