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Zweiundvierzigstes Kapitel.
Der »Schwan«

Nachdem der Bruder Bobs weggegangen war, blieb das Fahrzeug einige Zeit still liegen, und wir vernahmen nichts, als das Rauschen des Windes im Takelwerk und das plätschernde Anschlagen des Wassers gegen den Kiel. Aber nach und nach belebte sich das Schiff: auf dem Verdeck ließen sich Schritte hören, man ließ Taue fallen, Blöcke knarrten, Ketten wurden auf und ab gewunden, das Gangspill wurde gedreht und ein Segel gehißt, das Steuerruder ächzte, das Schiff neigte sich zur Seite, es schwankte – wir waren in die See gestochen, ich war gerettet.

Anfangs war das Schwanken ein sanftes, langsames Wiegen gewesen, bald aber verwandelte es sich in rauhe, kurze Stöße, und heftig schlugen die Wogen gegen den Vordersteven und gegen die Planken des Schiffes.

»Armer Mattia,« sagte ich und faßte ihn bei der Hand.

»Das thut nichts,« sagte er, »du bist doch gerettet. Uebrigens habe ich mir wohl gedacht, daß es so kommen werde; als ich während der Fahrt im Wagen sah, wie die Wipfel der Bäume vom Winde geschüttelt wurden, wußte ich schon, daß wir auf der See gehörig tanzen würden – nun tanzen wir eben.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre unsrer Kabine und Bobs Bruder sagte: »Ihr könnt jetzt ohne Gefahr auf Deck kommen, wenn ihr wollt.«

»Wie wird man am wenigsten seekrank?«

»Wenn man ruhig liegen bleibt.«

»Danke schön, dann bleibe ich liegen,« sagte Mattia und streckte sich auf den Dielen aus.

»Der Schiffsjunge wird dir das Nötige bringen,« erwiderte der Kapitän.

»Danke schön; es wäre sehr gut, wenn er bald käme.«

»Schon?«

»Es hat schon lange angefangen.«

Ich wollte bei ihm bleiben, aber er schickte mich auf Deck und wiederholte noch einmal: »Das thut gar nichts – du bist ja gerettet. Immerhin hätte ich es mir nie träumen lassen, daß ich einmal mit Vergnügen seekrank werden würde.«

Auf dem Verdeck mußte ich mich fest an ein Tau anklammern, um mich halten zu können; soweit das Auge die finstere Nacht durchdringen konnte, war nichts zu sehen, als die weißen, schaumgekrönten Kämme der Wogen, auf denen unser kleines Fahrzeug so zur Seite geneigt dahinflog, als ob es kentern wollte, aber es kenterte nicht, sondern hob sich immer wieder und tänzelte, vom Westwind getrieben und getragen, über die Wellen hin.

Ich blickte nach dem Land zurück; schon schimmerten die Hafenlichter nur noch wie kleine Punkte durch die dunstige Nacht, und mit einem süßen Gefühl der Befreiung sah ich eines ums andre ganz verschwinden.

»Wenn der Wind so weiter bläst,« sagte der Kapitän zu mir, »so kommen wir heute abend nicht allzu spät nach Isigny; die ›Mondfinsternis‹ ist ein guter Segler.«

Einen Tag, ja länger als einen Tag aus der See! Armer Mattia! Und er sagte noch, es mache ihm Freude, die Seekrankheit zu haben!

Immerhin verfloß aber auch dieser Tag, und ich verbrachte ihn in beständigem Hin- und Herwandern von der Kajüte aufs Verdeck und vom Verdeck in die Kajüte. Als ich gerade einmal mit dem Kapitän sprach, deutete er mit der Hand nach Südwest, wo sich eine hohe, weiße Säule von dem bläulichen Hintergrund abhob.

»Das ist Barfleur,« sagte er.

Eilends kletterte ich zu Mattia hinunter, um ihm diese gute Nachricht zu bringen; aber die Entfernung von Barfleur nach Isigny ist noch weit, weil man die ganze Halbinsel Cotentin umschiffen muß, ehe man in die Vire und in sie Aure einlaufen kann.

Da es schon spät war, als die »Mondfinsternis« in Isigny anlief, erlaubte uns der Kapitän, an Bord zu übernachten, und erst am andern Morgen verabschiedeten wir uns unter herzlichen Danksagungen von ihm.

»Wenn ihr einmal Lust habt, nach England zurückzukehren,« sagte er und schüttelte uns dabei herzlich die Hand, »so fährt die ›Mondfinsternis‹ alle Dienstag von hier ab und steht euch gern zur Verfügung.«

Der Vorschlag war ja sehr freundlich, aber wir verspürten nicht die mindeste Lust, so bald davon Gebrauch zu machen – wir hatten beide unsre triftigen Gründe dazu.

Als wir in Frankreich landeten, hatten wir nichts bei uns, als die Kleider, die wir auf dem Leib trugen, und unsre Instrumente – Mattia hatte meine in Bobs Wagen zurückgelassene Harfe mitgebracht – denn unsre Ranzen und sonstigen Habseligkeiten waren in den Wagen der Familie Driscoll zurückgeblieben. Das war uns sehr unangenehm, denn wir konnten unser Wanderleben nicht wieder aufnehmen, ohne mit Hemden und Strümpfen, hauptsächlich aber mit einer Karte von Frankreich versehen zu sein. Glücklicherweise hatte Mattia zwölf Franken Ersparnisse und unsern Anteil an der mit Bob und seinen Kameraden erzielten Einnahme, die sich auf zweiundzwanzig Schilling oder siebenundzwanzig Franken fünfzig Centimes belief, so daß wir uns im Besitz eines für uns ziemlich beträchtlichen Vermögens von beiläufig vierzig Franken befanden. Mattia hatte Bob von diesem Geld zur Bestreitung der Kosten meiner Befreiung geben wollen, aber Bob hatte entgegnet, man lasse sich die Dienste nicht bezahlen, die man seinen Freunden leiste, und hatte nichts angenommen.

So war es nach unsrer Landung unser erstes, uns einen alten Soldatentornister, zwei Hemden, zwei Paar Strümpfe, ein Stück Seife, einen Kamm, Faden, Knöpfe, Nähnadeln und schließlich eine Karte von Frankreich zu kaufen, die uns noch unentbehrlicher war, als all diese doch so nützlichen Gegenstände.

Nun erörterten wir die Frage, wohin wir nun, da wir wieder in Frankreich waren, unsre Schritte lenken sollten, aufs eifrigste.

Als wir Isigny auf der Straße nach Bayeux verließen, sagte Mattia: »Mir meinesteils ist es ganz einerlei, ob wir zur Rechten oder Linken gehen, ich möchte dich nur um etwas bitten.«

»Und das wäre?«

»Daß wir stets dem Lauf eines Stromes, Flusses oder Kanales folgen, denn ich habe einen Gedanken.«

Da ich darauf bestand, diesen Gedanken kennen zu lernen, fuhr Mattia fort: »Ich sehe schon, daß ich dir meinen Gedanken erklären muß: als Arthur krank war, führte ihn Frau Milligan im Schiff spazieren, und so ist es gekommen, daß du den ›Schwan‹ trafst.«

»Er ist aber nicht mehr krank.«

»Das heißt, es geht ihm besser; aber er war sehr krank und ist nur durch die sorgfältige Pflege seiner Mutter gerettet worden. Meiner Meinung nach führt ihn Frau Milligan nun, um ihn ganz gesunden zu lassen, wieder im Schiff auf Strömen, Flüssen und Kanälen herum, die für den ›Schwan‹ schiffbar sind, so daß wir, falls wir an den Ufern dieser Gewässer entlang gehen, Hoffnung haben, diesen zu treffen.

»Wer sagt dir denn, daß der ›Schwan‹ in Frankreich ist?«

»Niemand; da aber der ›Schwan‹ nicht seetüchtig, ist anzunehmen, daß er Frankreich gar nie verlassen hat, und daß wir Aussicht haben, ihn zu finden. Jedenfalls wirst auch du der Ansicht sein, daß wir es versuchen müssen. Ich will durchaus, daß du Frau Milligan wiederfindest, und meiner Meinung nach dürfen wir nichts versäumen, was dazu helfen kann.«

»Aber Lieschen, Alexis, Benjamin, Etiennette!«

»Die können wir besuchen, während wir nach Frau Milligan fahnden. Wir brauchen also nur auf der Karte nachzusehen, welchem Fluß oder Kanal wir am nächsten sind, und dessen Lauf verfolgen.«

Die Karte wurde demgemäß auf dem Grase ausgebreitet und studiert, wobei wir fanden, daß die Seine der für uns am leichtesten zu erreichende Fluß war.

»Also gehen wir die Seine entlang,« sagte Mattia.

»Die Seine fließt durch Paris.«

»Was thut das?«

»Das thut sehr viel; ich habe Vitalis einmal sagen hören, daß man nur nach Paris zu gehen brauche, wenn man jemand suche, denn dort finde man ihn sicher. Ich will aber nicht, daß mich die englische Polizei findet, falls sie mich wegen des Kirchenraubs verfolgt – es wäre ja sonst gar nicht der Mühe wert, aus England entflohen zu sein.«

»Kann dich denn die englische Polizei auch in Frankreich verfolgen?«

»Ich weiß es nicht, aber wenn sie's kann, dürfen wir nicht nach Paris gehen.«

»Kann man nicht bis in die Umgegend von Paris dem Lauf der Seine folgen, ihn dann verlassen und über Paris draußen wieder zu ihm zurückkehren? Ich lege auch keinen Wert auf ein Wiedersehen mit Garofoli.«

»Gewiß kann man das.«

»Nun, so wollen wir's so machen! Wir fragen den Fluß entlang alle Schiffer und Treidler, denn sie müssen den ›Schwan‹ bemerkt haben, wenn er auf der Seine an ihnen vorübergefahren ist, weil er ja ganz anders aussieht, als die übrigen Schiffe. Finden wir ihn auf der Seine nicht, so suchen wir ihn auf der Loire, auf der Garonne und auf allen übrigen Flüssen Frankreichs und werden ihn schließlich schon finden.«

Da ich dagegen nichts einzuwenden hatte, beschlossen wir, an der Seine entlang stromaufwärts zu wandern.

Nachdem wir über uns im reinen waren, mußten wir uns nun höchst dringend mit Capi beschäftigen, der so gelb gefärbt für mich eigentlich gar nicht mehr Capi war; wir kauften also Schmierseife und wuschen ihn am ersten Wasser, an das wir kamen, so gründlich als möglich und lösten einander ab, wenn wir vom Reiben und Scheuern müde waren. Allein der Farbstoff unsers Freundes Bob war von ganz vortrefflicher Beschaffenheit, und es erforderte gar manche Waschung und gar manches Seifenbad, ehe er sich beseitigen ließ, ja, Wochen und Monate gingen darüber hin, ehe Capi wieder seine ursprüngliche Farbe bekam; zum Glück ist die Normandie ein wasserreiches Land, so daß wir ihn alle Tage waschen konnten.

Ueber Bayeux, Caen, Pont l'Evêque und Pont Audemer erreichten wir in La Bouille die Seine, und als wir da nach einem angestrengten Tagesmarsch bei einer Biegung des Weges von der bewaldeten Höhe herab plötzlich den Fluß vor uns sahen, der eine weite Kurve beschrieb, in deren Mitte wir uns befanden, als wir auf die ruhigen und doch so gewaltigen Wasser hinabsahen, die mit weißgetakelten Segelschiffen und rauschenden Dampfern bedeckt waren, erklärte Mattia, dieser Anblick söhne ihn mit dem Wasser wieder aus und nun begreife er erst, daß man mit Wonne aus diesem ruhigen Fluß zwischen frischen Wiesen, wohlbestellten Feldern und dunklen Wäldern dahingleiten könne.

»Verlaß dich darauf,« sagte er, »Frau Milligan führt ihren kranken Sohn auf der Seine spazieren.«

»Das wollen wir bald erfahren, wir dürfen ja nur die Leute in dem Dorf drunten danach fragen.«

Damals wußte ich noch nicht, daß es nicht so leicht ist, die Bewohner der Normandie nach etwas zu fragen, weil sie die Gepflogenheit haben, dem Fragenden mit einer andern Frage zu antworten.

Nachdem wir alle an uns gerichteten Fragen über die Art und Beschaffenheit des Schiffes, das wir suchten, beantwortet hatten, so gut wir konnten, stand es fest, daß der »Schwan« entweder nie in La Bouille gewesen oder während der Nacht vorübergefahren war, denn gesehen hatte ihn niemand.

Von La Bouille gingen wir nach Rouen und von da nach Elboeuf und nach Poses, wo wegen der Schleusen jedes durchfahrende Schiff bemerkt wird, aber nirgends wußte man uns etwas vom »Schwan« zu sagen. Da wir nicht immer weiterwandern konnten, sondern auch unfern Lebensunterhalt verdienen mußten, gelangten wir erst fünf Wochen nach unsrer Landung nach Charenton und schwankten, ob wir die Seine weiter hinaufgehen, oder den Lauf der Marne verfolgen sollten.

Glücklicherweise wurde diese Frage dadurch entschieden, daß man uns in Charenton auf unsre Fragen erwiderte, vor etwa zwei Monaten sei ein Lustschiff mit einer Veranda, das unsrer Beschreibung des »Schwans« glich, vorbeigekommen und sei die Seine hinaufgefahren.

Zwei Monate! Das war ein furchtbarer Vorsprung, aber wir machten uns nichts daraus – wenn wir immer zugingen, mußten wir ihn doch endlich einmal einholen, obgleich wir nur unsre Beine hatten, um uns fortzubewegen, während er von zwei guten Pferden gezogen wurde. Ueberhaupt kam die Frage der Zeit der Thatsache gegenüber, daß wir dem »Schwan« auf die Spur gekommen waren, gar nicht in Betracht.

»Wer hat recht gehabt?« rief Mattia.

Nun brauchten wir uns nicht mehr mit Fragen auszuhalten, sondern konnten dem Lauf des Flusses folgen bis nach Moret, wo der Loing in die Seine mündet, allein der »Schwan« hatte seine Fahrt auf der Seine fortgesetzt bis nach Montereau, von wo er auf der Yonne weitergefahren war. An Bord des Schiffes hatte sich, wie man uns erzählte, eine englische Dame mit einem auf einem Bett ausgestreckt liegenden Jungen befunden.

Je weiter wir dem »Schwan« folgten, desto näher kamen wir auch Lieschen, und da der »Schwan« die Yonne hinaufgefahren war und diese an Dreuzy vorüberkam, konnte uns Lieschen vielleicht selbst von Arthur und Frau Milligan berichten.

Seit wir in dieser Weise hinter dem »Schwan« dreinliefen, verwendeten wir nicht mehr viel Zeit auf unsre Vorstellungen, was Capi, der ein gewissenhafter Künstler war, gar nicht begreifen konnte. Natürlich verminderten sich auf diese Weise unsre Einnahmen, und weit davon entfernt, unsre Ersparnisse zu vergrößern, zehrten wir sogar von unserm kleinen Kapital. Wir beschränkten unsre Ausgaben aufs nötigste, und da es heiß war, hatte Mattia, – dem überhaupt keine Anstrengung zuviel war, wenn es galt, vorwärts zu kommen – erklärt, er wolle kein Fleisch mehr essen, weil das »im Sommer ungesund sei«; wir begnügten uns mit einem Butterbrot oder auch wohl mit einem harten Ei, das wir redlich teilten, und obgleich wir uns im Weinlande befanden, tranken wir doch nur Wasser.

Was lag uns daran! Trotzdem gab sich Mattia manchmal ganz lüsternen und naschhaften Gedanken hin.

»Ich möchte nur, daß Frau Milligan noch die Köchin hätte, die dir so gute Obsttörtchen machte,« sagte er einmal, »Aprikosentörtchen müssen furchtbar gut schmecken.«

»Hast du nie welche gegessen?«

»Apfeltörtchen hab ich schon gegessen, aber Aprikosentörtchen nie, die hab ich nur gesehen. Was sind denn die kleinen weißen Dinger, die auf die gelbe Frucht geklebt sind?«

»Mandeln.«

»Oh!»

Da riß er den Mund auf, als wolle er ein ganzes Törtchen auf einmal verschlingen.

Da die Yonne zwischen Isigny und Auxerre viele Windungen macht und wir auf der Landstraße ziemlich geradeaus gingen, gewannen wir etwas Zeit, aber von Auxerre an verloren wir schon wieder, was wir dadurch eingebracht hatten, denn von hier aus war der »Schwan« auf dem Kanal von Nivernais weitergefahren und auf dessen ruhigem, glattem Wasser jedenfalls schnell dahingeglitten.

Nun bekamen wir an jeder Schleuse Nachricht vom »Schwan«, denn hier, wo sehr wenig Schiffahrt betrieben wird, hatte jedermann das auffallende Schiff bemerkt. Doch nicht nur vom »Schwan« erzählte man uns, sondern auch von Frau Milligan, »einer sehr guten Engländerin,« und von Arthur, einem »Jungen, der meistens auf einem Bett unter der von Blumen und Blättern umrankten Veranda lag, aber auch ab und zu aufstand«.

Also ging es Arthur besser.

Wir kamen Dreuzy immer näher; nun waren wir noch zwei, nun noch eine Tagereise, jetzt nur noch ein paar Stunden davon entfernt! Endlich sahen wir die Wälder, wo wir im vorigen Herbst so oft mit Lieschen gespielt hatten, nun sahen wir auch die Schleuse und das kleine Häuschen der Frau Katharine.

In schweigender Uebereinstimmung haben wir unsre Schritte beschleunigt, Mattia und ich gehen nicht mehr, sondern laufen, und Capi, der sich nun in der Gegend wieder zurechtfindet, rennt im Galopp voraus. Er wird Lieschen unser Kommen ankündigen, und sie wird uns entgegeneilen.

Aber statt Lieschen kommt Capi aus dem Haus gelaufen, als sei er fortgejagt worden. Unwillkürlich bleiben wir beide stehen und fragen uns mit den Augen, was das zu bedeuten hat, was da wohl geschehen ist. Aber wir kleiden diese Frage nicht in Worte und gehen weiter.

Capi ist bis zu uns zurückgekommen und schleicht mit eingezogenem Schwanz hinter uns drein.

Ein Mann ist im Begriff, die Schiebethür einer Schleuse zu öffnen, aber es ist nicht Lieschens Onkel.

Wir gehen bis ans Haus, wo eine Frau, die wir nicht kennen, in der Küche hantiert.

»Frau Suriot?« fragen wir.

Erst sieht sie uns eine Weile ganz verblüfft an, als hätten wir eine ganz merkwürdige Frage an sie gerichtet, dann entgegnete sie: »Sie ist nicht mehr hier.«

»Wo ist sie denn?«

»In Aegypten.«

Sprachlos starren wir einander an. In Aegypten! Wir wissen zwar nicht genau, was und wo Aegypten ist, aber haben so eine so unbestimmte Ahnung, daß es weit sehr weit fort, irgendwo jenseits der Meere liege.

»Und Lieschen? Kennen Sie Lieschen?«

»Potztausend! Lieschen ist mit einer englischen Dame auf einem Schiff fortgefahren.«

Lieschen auf dem »Schwan«. War's denn kein Traum?

Die Frau führte uns bald in die Wirklichkeit zurück.

»Bist du Remi?« fragte sie.

»Ja.«

»Du weißt doch, daß Suriot ertrunken ist.«

»Ertrunken!«

»In der Schleuse ertrunken. So, so, ihr habt gar nicht gewußt, daß Suriot ins Wasser gefallen, unter eine Pinasse geraten und an einem Haken hängen geblieben ist? Ja, ja, das bringt der Beruf nur allzu oft mit sich! Als er nun ertrunken war, befand sich Katharine in großer Verlegenheit, obgleich sie eine ganze Frau ist, aber wenn's einem eben an Geld fehlt, so kann man nicht von heut aus morgen welches machen. Allerdings hatte man der Katharine angeboten, sie solle nach Aegypten gehen und dort die Kinder einer Frau aufziehen, deren Amme sie war, aber daran hinderte sie ihre kleine Nichte, das Lieschen. Wie sie noch hin und her überlegte was sie thun sollte, hält eines Abends eine englische Dame vor der Schleuse und führt ihren kranken Sohn am Ufer spazieren. Man plaudert, ein Wort gibt das andre, und die englische Dame, die ein Kind sucht als Spielgefährten für ihren Jungen, dem es allein auf dem Schiffe zu langweilig ist, sagt, man solle ihr Lieschen geben, und verspricht, für sie zu sorgen, sie heilen zu lassen, kurzum ihr ein gesichertes Dasein zu verschaffen. Es war eine sehr gute, wackere, wohlthätige Frau. Katharine nimmt an, und während sich Lieschen auf dem Schiff der englischen Dame einschifft, macht sich Katharine auf den Weg nach Aegypten. Mein Mann ist an Suriots Stelle gekommen, und da hat Lieschen, die nicht sprechen kann, obgleich die Aerzte sagen, sie werde es noch einmal lernen, verlangt, ihre Tante solle erklären, daß ich das alles dem Remi erzählen müsse, wenn er komme – und das habe ich jetzt gethan.«

Ich war so bestürzt, daß ich kein Wort hervorbrachte, aber Mattia hatte nicht wie ich den Kopf verloren und fragte: »Und wo ist denn die englische Dame hingegangen?«

»Nach Südfrankreich oder in die Schweiz; Lieschen sollte mir schreiben, damit ich dir ihre Adresse geben könnte, aber ich habe bis jetzt noch keinen Brief bekommen.«


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