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Achtzehntes Kapitel.
Die Steinbrüche von Gentilly

So lange wir durch belebte Straßen gingen, sprach Vitalis kein Wort, aber bald kamen wir in ein einsames Gäßchen, wo er sich auf einen Prellstein setzte und mehreremale mit der Hand über seine Stirn fuhr, was bei ihm immer ein Zeichen von Verlegenheit war.

»Es mag ja recht schön und gut sein, wenn man sich von der Stimme des Edelmutes leiten läßt,« sagte er vor sich hin, »aber dabei liegen wir doch ohne einen Sou in der Tasche und ohne einen Bissen Brot im Magen hilflos auf dem Pariser Pflaster. Hast du Hunger?«

»Ich habe seit dem kleinen Stückchen Brot von heute früh nichts mehr gegessen.«

»Mein armes Kind, du wirst dich wohl auch hungrig schlafen legen müssen – und ich wäre froh, wenn ich wüßte, wo wir überhaupt schlafen sollen.«

»Haben Sie denn bei Garofoli übernachten wollen?«

»Ich dachte, du würdest bei ihm übernachten, und da er mir etwa zwanzig Franken für dich bezahlt hätte, wäre ich für den ersten Augenblick aus der Verlegenheit gewesen. Aber als ich sah, wie er die Kinder mißhandelt, ist mir das Herz mit dem Kopf durchgegangen. Du hast doch keine Lust verspürt, bei ihm zu bleiben?«

»Ach, Sie sind gut!«

»Das wäre schon recht, wenn wir jetzt nur auch wüßten, wohin gehen.«

Es war schon spät und die Kälte, die tagsüber etwas nachgelassen hatte, steigerte sich zusehends; der Wind blies aus Norden, und alles ließ eine bitterkalte Nacht erwarten.

Lange blieb Vitalis unbeweglich auf dem Eckstein sitzen, während Capi und ich vor ihm standen und aus seine Entschließung warteten. Endlich stand er auf.

»Wohin gehen wir?«

»Nach Gentilly, wo ich einen Steinbruch aufzufinden hoffe, in dem ich schon früher einmal übernachtet habe. Bist du müde?«

»Ich habe bei Garofoli ausgeruht.«

»Unglücklicherweise habe ich nirgends ausgeruht und kann kaum mehr weiter. Aber es muß sein! Vorwärts, Kinder!«

Sonst war dies »Vorwärts Kinder« ein Zeichen guter Laune bei ihm gewesen, aber an jenem Abend sagte er es sehr mutlos und traurig.

Da wandern wir also durch die Straßen von Paris; die Nacht ist kalt, und die im Winde flackernden Gasflammen werfen nur einen spärlichen Schein auf den Weg; bei jedem Schritt gleiten wir aus auf einem gefrorenen Rinnstein oder auf der Eisdecke, die den Fußsteig überzieht.

Vitalis führt mich an der Hand, und Capi folgt uns dicht auf dem Fuß, nur bleibt der vom Hunger gepeinigte Hund ab und zu etwas zurück, um in einem Kehrichthaufen nach einem Knochen oder einer Brotkruste zu suchen, aber die Kehrichthaufen haben sich in Eisklumpen verwandelt, und er sucht umsonst: dann läßt er die Ohren hängen und gesellt sich wieder zu uns.

So geht's durch große Straßen und kleine Gäßchen und dann wieder durch große Straßen; wir wandern immer zu, und die wenigen Vorübergehenden scheinen uns verwundert zu betrachten, sei es nun wegen unsrer Kostüme, sei es wegen unsres matten Ganges. Die Polizeidiener, an denen wir vorüberkommen, drehen sich um und folgen uns mit den Blicken.

Gebrochen, ohne ein Wort zu reden, schleppt sich Vitalis weiter; trotz der Kälte glüht seine Hand in der meinen, er scheint zu zittern. Manchmal bleibt er einen Augenblick stehen, um sich auf meine Schultern zu stützen, und dann fühle ich, daß sein ganzer Körper in krampfhaften Zuckungen erbebt.

Für gewöhnlich wagte ich nicht, ihn allzuviel zu fragen, aber für diesmal machte ich eine Ausnahme von dieser Regel, denn es war mir ein Herzensbedürfnis, ihm zu sagen, daß ich ihn liebte, oder ihm wenigstens zu zeigen, wie gerne ich etwas für ihn thun wollte.

»Sie sind krank,« sagte ich, als wir einmal wieder stehen blieben.

»Ich fürchte es; jedenfalls bin ich furchtbar müde; unsre Tagmärsche in der letzten Zeit waren zu anstrengend für mein Alter, und die Kälte heute nacht ist zu schneidend für mein altes Blut; ein gutes Bett und ein kräftiges Nachtessen in einem warmen Zimmer hätten mir dringend not gethan. Aber das sind Träume! Vorwärts, meine Kinder!«

Vorwärts! Schon befanden wir uns außerhalb der Stadt und wanderten bald zwischen Gartenmauern, bald im freien Feld dahin. Keine Vorübergehenden, keine Polizeidiener, keine Straßenlaternen mehr; nur ab und zu schimmerte ein erleuchtetes Fenster und an dem düsteren Himmel über uns das Flimmern und Glitzern vereinzelter Sterne. Der Wind, der immer schneidiger und rauher blies, drückte uns die Kleider fest gegen den Leib, doch hatten wir ihn glücklicherweise im Rücken.

Obgleich es stockfinster war und alle Augenblicke ein Weg den andern kreuzte, schritt Vitalis doch immer zu, wie ein Mensch, der seinen Weg kennt, und ich folgte ihm ohne Angst, wir könnten uns verirren; nur von dem Wunsch beseelt, doch endlich an diesem Steinbruch anzugelangen.

Allein plötzlich blieb Vitalis stehen.

»Siehst du eine Baumgruppe?« fragte er.

»Ich sehe nichts.«

»Du siehst auch keine schwarze Masse?«

Ehe ich antwortete, sah ich mich nach allen Seiten um; offenbar befanden wir uns in einer Ebene, denn meine Blicke verloren sich in der tiefen Dunkelheit, ohne von einem Baum oder einem Haus gehemmt zu werden; ringsum völlige Leere, kein andrer Ton, als das Pfeifen des Windes, der durch unsichtbares Gestrüpp dicht an der Erde dahinfegte.

»Ach, wenn ich nur deine Augen hätte,« seufzte Vitalis, »aber ich sehe nicht mehr klar – blicke dorthin!«

Er deutete geradeaus, aber als ich nicht antwortete, weil ich nicht zu sagen wagte, daß ich gar nichts sah, setzte er sich wieder in Bewegung.

Einige Minuten später blieb er wieder stehen und fragte abermals, ob ich keine Baumgruppe sehe. Ich hatte mein Sicherheitsgefühl zum Teil verloren, und mit ängstlich bebender Stimme erwiderte ich, daß ich immer noch nichts sehe.

»Die Furcht trübt deinen Blick,« sagte Vitalis.

»Ich versichere Sie, ich sehe keine Bäume.«

»Keine breite Landstraße?«

»Man sieht gar nichts.«

»Dann sind wir fehlgegangen!«

Ich hatte nichts zu erwidern, denn ich wußte weder, wo wir uns befanden, noch, wohin wir gingen.

»Wir wollen noch fünf Minuten lang weitergehen, und sehen wir dann die Bäume noch nicht, so habe ich einen falschen Weg eingeschlagen und wir müssen umkehren.«

Nun, da ich hörte, daß wir uns verirrt haben konnten, fühlte ich plötzlich meine Kräfte schwinden. Vitalis zog mich am Arm.

»Nun?«

»Ich kann nicht mehr weiter.«

»Glaubst du vielleicht, daß ich dich auch noch tragen kann? Nur der Gedanke, daß wir nicht mehr aufstehen können und erfrieren werden, wenn wir uns hinsetzen, erhält mich noch aufrecht. Vorwärts!«

Ich folgte ihm.

»Zeigt der Weg tiefe Wagengeleise?«

»Gar keine.«

»Wir müssen umkehren.«

Der Wind, den wir bisher im Rücken gehabt hatten, blies uns nun so schneidend ins Gesicht, daß mir der Atem versagte. Waren wir schon auf dem Herweg langsam vorwärts gekommen, so ging's auf dem Rückweg natürlich noch weniger schnell.

»Sobald du tief ausgefahrene Wagenspuren siehst, sag es mir; der richtige Weg muß auf der linken Seite liegen und an der Kreuzung ein hoher Dornstrauch stehen.«

Eine Viertelstunde kämpften wir so gegen den Wind, und in der Stille der Nacht dröhnten unsre Schritte auf dem hartgefrorenen Erdreich. Obgleich ich selbst kaum mehr einen Fuß zu rühren vermochte, zog ich nun Vitalis vorwärts. Ach, mit welcher Todesangst beobachtete ich die linke Seite der Landstraße!

Plötzlich leuchtete ein kleiner roter Stern in der Dunkelheit auf.

»Ein Licht!« rief ich und deutete darauf hin.

»Wo denn?«

Vitalis strengte seine Augen vergeblich an; obgleich die Entfernung nur gering war, konnte er doch das Licht nicht sehen, woraus ich schloß, daß sein Gesicht sehr geschwächt sein mußte, denn sonst waren seine Augen scharf und gut.

»Was nützt uns das Licht?« sagte er, »das ist vermutlich eine Lampe, die auf dem Tisch eines Arbeiters oder an dem Lager eines Sterbenden brennt, und wir können nicht an diese Thüre klopfen. Auf dem Land könnten wir für diese Nacht um Gastfreundschaft bitten, aber in der Umgebung von Paris würde man sie uns nicht gewähren. Für uns gibt es kein Haus. Vorwärts!«

Noch einige Minuten wanderten wir weiter, da entdeckte ich einen Weg, der den unsren kreuzte, und an der Biegung glaubte ich einen dunklen Gegenstand zu entdecken – das mußte der Dornbusch sein. Ich ließ die Hand meines Herrn los, um rascher vorwärts zu kommen – der Weg war von tiefen Wagenspuren durchfurcht.

»Dort ist der Dornbusch und hier sind die Geleise!« rief ich Vitalis zu.

»Gib mir deine Hand; nun sind wir gerettet, denn der Steinbruch ist nur fünf Minuten von hier; sieh genau zu, du wirst jetzt auch die Baumgruppe bemerken.«

Ich glaubte eine dunkle Masse vor mir zu sehen und sagte, ich erkenne die Bäume.

Die Hoffnung verlieh uns neue Kräfte, meine Beine schienen mir weniger schwer, der Erdboden unter meinen Füßen weniger hart zu sein, aber trotzdem wurden mir die fünf Minuten zu einer Ewigkeit.

»Wir gehen doch schon mehr als fünf Minuten auf dem rechten Weg,« sagte Vitalis endlich und blieb stehen.

»Das scheint mir auch.«

»Wohin gehen die Geleise?«

»Geradeaus.«

»Der Eingang zum Steinbruch muß linker Hand liegen; vermutlich sind wir an ihm vorbeigegangen, ohne ihn zu sehen, was in dieser Finsternis nur zu leicht geschehen kann; immerhin hätten wir an den Wagenspuren merken sollen, daß wir zu weit gegangen sind.«

»Ich versichere Sie, die Geleise bogen nicht nach links ab.«

»Gleichviel, wir müssen umkehren.«

Und abermals gingen wir zurück.

»Siehst du die Baumgruppe?«

»Ja, dort, auf der linken Seite.«

»Und die Wagenspuren.«

»Es sind keine da.«

»Bin ich denn blind geworden?« sagte Vitalis und fuhr mit der Hand über die Augen: »geh geradeswegs auf die Bäume zu und führe mich an der Hand.«

»Da ist ja eine Mauer!«

»Es wird ein Steinhaufen sein.«

»Nein, ganz gewiß, es ist eine Mauer.«

Die Richtigkeit meiner Behauptung war leicht zu beweisen.

»Es ist wirklich eine Mauer,« rief Vitalis, nachdem er den vermeintlichen Steinhaufen mit den Händen betastet hatte; »die Steine sind regelrecht zusammengefügt und man fühlt den Mörtel. Aber wo in aller Welt ist denn der Eingang hingekommen? Suche die Wagenspuren.«

Ich bückte mich zur Erde nieder und ging die Mauer entlang, ohne eine Spur von den Geleisen zu entdecken – überall eine Mauer ohne irgend welche Oeffnung und ohne daß sich auf der Erde ein Weg, eine Furche oder irgend welches andre Anzeichen hätte finden lassen, das auf den Eingang zu einem Steinbruch hinwies.

»Ich finde nichts als Schnee.«

Unsre Lage war entsetzlich; ohne Zweifel hatte sich mein Herr verirrt, und der Steinbruch, den er suchte, befand sich ganz wo anders.

Als ich ihm gesagt hatte, daß ich keine Wagenspuren finde, war er einen Augenblick ruhig stehen geblieben, hatte sich dann aber nochmals mit den Händen von einem Ende der Mauer bis zum andern hingetastet, während Capi, der gar nicht begriff, was vorging, ungeduldig zu bellen anfing.

Ich ging hinter Vitalis drein.

»Soll ich weiter suchen?«

»Nein, der Steinbruch ist vermauert.«

»Vermauert?«

»Man hat den Eingang geschlossen, und wir können unmöglich hineingelangen.«

»Was nun?«

»Ja, was thun, nicht wahr? Ich weiß es nicht – hier sterben.«

»O, Herr!«

»Ah so, du willst nicht sterben, gelt? Du bist noch jung und hängst am Leben. Also gehen wir! Kannst du noch gehen?«

»Aber Sie?«

»Wenn ich nicht mehr weiter kann, breche ich eben zusammen, wie ein alter Karrengaul.«

»Wohin gehen wir?«

»Nach Paris zurück, und sobald wir einem Polizeidiener begegnen, lassen wir uns von ihm auf die Wache führen. Wohl hatte ich dies vermeiden wollen, aber ich kann dich doch nicht erfrieren lassen. Also vorwärts, mein lieber, kleiner Remi! Halte dich tapfer, mein Kind!«

Und nun traten wir den Rückweg an. Wieviel Uhr mochte es wohl sein? Ich hatte keine Ahnung davon. Aber wir waren lange, sehr lange und sehr langsam gegangen. Vielleicht war es schon Mitternacht oder ein Uhr morgens. Der Himmel war noch immer ganz dunkel, kein Mond war zu sehen, nur einzelne Sternchen waren aufgegangen, die mir viel kleiner vorkamen als sonst. Der Wind blies mit verdoppelter Gewalt und peitschte uns ganze Wirbel von Schnee ins Gesicht. Die Häuser, an denen wir vorüberkamen, waren dunkel und geschlossen; ich dachte, die Leute, die drinnen in ihren warmen Betten schliefen, würden uns eingelassen haben, hätten sie gewußt, wie sehr wir froren.

Wohl suchten wir uns durch rascheres Gehen der Kälte zu erwehren, aber mein armer Herr keuchte schwer und schleppte sich nur noch mühsam weiter. Als ich ihn fragte, bedeutete er mir, daß er nicht sprechen könne. Mittlerweile waren wir vom freien Feld wieder ins Weichbild der Stadt zurückgekehrt, das heißt, wir schritten jetzt zwischen hohen Mauern dahin, über denen da und dort eine Straßenlaterne im Winde klirrte.

Vitalis blieb stehen, und ich wußte sofort, daß seine Kraft zu Ende war.

»Soll ich an eine dieser Thüren pochen?« fragte ich.

»Nein, denn man würde uns doch nicht aufmachen. Hier wohnen nur Blumen- und Gemüsegärtner, und die stehen um diese Zeit nicht auf. Wir müssen weiter.«

Allein sein Wille war stärker als seine Kräfte, und schon nach wenigen Schritten machte er abermals Halt.

»Ich muß ein wenig ausruhen,« sagte er, »ich kann nicht mehr.«

Wir befanden uns gerade vor einer in einen Bretterzaun eingelassenen Thüre, und hinter dem Zaun erhob sich ein riesiger Düngerhaufen, wie man sie in den Gemüsegärten häufig sieht. Der Wind hatte die oberste Strohlage nicht nur ausgetrocknet, sondern auch eine ganze Menge davon auf die Straße heruntergeweht.

»Ich will mich hierher setzen,« sagte Vitalis.

»Aber Sie haben doch gesagt, wir würden erfrieren, wenn wir uns setzten!«

Ohne zu antworten, gab er mir durch ein Zeichen zu verstehen, ich solle das Stroh vor der Gartenpforte aufschichten, und ließ sich dann sofort auf diese Streu hinsinken; seine Zähne schlugen zusammen, er zitterte am ganzen Leib.

»Bringe noch mehr Stroh,« sagte er, »der Düngerhaufen schützt uns gegen den Wind.«

Gegen den Wind, das war richtig, aber keineswegs gegen die Kälte. Als ich alles Stroh, dessen ich habhaft werden konnte, aufgehäuft hatte, ließ ich mich neben Vitalis nieder.

»Rücke ganz dicht zu mir her und lege Capi auf dich,« befahl er, »damit er dir etwas von seiner Wärme abgibt.«

Vitalis war ein erfahrener Mann und wußte, daß uns die Kälte tödlich werden konnte; setzte er uns dieser Gefahr aus, so mußte er gänzlich erschöpft sein, und das war er auch, denn seit vierzehn Tagen hatte er sich weit über seine Kräfte angestrengt, und deshalb war er dieser letzten Strapaze nicht mehr gewachsen.

Ob er sich über seinen Zustand klar gewesen ist? Ich weiß es nicht; aber in dem Augenblick, wo ich unter das Stroh kroch und mich an ihn schmiegte, beugte er sich zu mir herab und küßte mich. Das war der zweite und ach, auch der letzte Kuß, den er mir gab.

Kaum hatte ich mich an Vitalis angeschmiegt, so kam es wie eine Betäubung über mich und die Augen fielen mir zu. Vergeblich suchte ich sie wieder aufzumachen, und als dies nicht gelang, kniff ich mich in den Arm, um mich gegen den Einfluß der Kälte zu wehren, aber meine Haut war unempfindlich geworden und ich konnte mir mit dem besten Willen nicht mehr weh thun, doch gelang es mir wenigstens, auf diese Weise wieder zum Bewußtsein zu kommen. Mit dem Rücken gegen die Thür gelehnt, rang Vitalis keuchend nach Atem, während Capi an meiner Brust schon eingeschlafen war. Zu unsren Häupten pfiff der Wind und wehte Strohhalme auf uns herab wie welke Blätter. Kein Mensch auf der Straße weit und breit, rings um uns her das Schweigen des Todes.

Diese Stille machte mir Angst – Angst wovor? Ich konnte mir keine Rechenschaft darüber geben, aber es war eine unbestimmte Angst, verbunden mit einer Traurigkeit, die mir die Thränen in die Augen trieb. Ich glaubte hier sterben zu müssen.

Und der Gedanke an den Tod trug mich zurück nach Chavanon, in die Arme der Mutter Barberin! Nun mußte ich sterben, ohne sie, ohne unser Haus und mein Gärtchen wiedergesehen zu haben. Plötzlich fühlte ich mich dorthin versetzt: die Sonne schien lustig und warm, die gelben Narcissen erschlossen ihre goldenen Kelche, die Amseln zwitscherten im Gesträuch, und auf der Dornhecke breitete Mutter Barberin die Wäsche zum Trocknen aus, die sie eben in dem lustig über die Kiesel dahinplätschernden Bächlein gewaschen hatte.

Plötzlich war ich wieder weit von Chavanon entfernt und befand mich auf dem »Schwan«: Arthur schlief in seinem Bett, aber Frau Milligan war wach und lauschte dem Pfeifen des Windes und dachte, wo ich mich wohl während dieser furchtbaren Kälte befinden möge.

Wieder fielen mir die Augen zu, das Herz erstarrte in mir und ich glaubte in Ohnmacht zu sinken.


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