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Achtzehntes Kapitel

An einem heißen Tage gegen Ende Mai fuhr Awgust Matwejewitschs Reisewagen, für uns alle völlig unerwartet, vor unserem Gasthause vor, und gleich darauf eilte Awgust Matwejewitsch die Treppe herauf und rief:

»He, Marko!«

Marko war um die Zeit wie immer in seiner Kammer, – und darum sprang er, kaum daß er gerufen wurde, sogleich nach draußen.

»Gnädiger Herr!« rief er, »Awgust Matwejewitsch! Ist es möglich, sind Sie das?«

Und jener antwortete:

»Ja, Brüderchen, ich bin es freilich, den du vor dir siehst. Du aber, Schweinehund, du tust nichts, als Glocken gießen lassen, und schwatzest, damit sie lauter klingen, dummes Zeug über anständige Menschen,« und haute ihm damit eine herunter.

Marko stürzte hin und schrie:

»Was soll das! … weswegen denn!«

Wir alle, die wir um die Zeit zu Hause saßen, sprangen aus unseren Zimmern und waren sogleich bereit, für ihn einzutreten. Ja, in der Tat, was sollte das nur heißen, – weshalb ihn schlagen, – Marko war doch ein ehrlicher Mensch?

Awgust Matwejewitsch aber bemerkte nur:

»Einen Moment Geduld, – die anderen Gäste werden sogleich folgen, und in deren Gegenwart will ich Ihnen seine Ehrlichkeit klarlegen, bis dahin aber bitte ich, ihn weder anzufassen, noch zu berühren, damit er auch nicht auf eine Sekunde mir aus dem Auge kommt.«

Wir traten zurück und schon war auch die Polizei da.

Awgust Matwejewitsch wandte sich zu dieser und sagte:

»Packen Sie ihn – ich übergebe Ihnen einen völlig überführten Dieb, der mein Geld gestohlen hat, und hier ist der Beweis.«

Er übergab eine Bestätigung, daß die Glockengießerei ein Bankbillett von Marko erhalten hatte, das die gleiche Nummer trug, wie eines, das Awgust Matwejewitsch am Tage vor dem Diebstahl vom Vormundschaftsgericht bekommen hatte.

Marko stürzte auf die Knie und ging in sich – er gestand, wie das Ganze sich zugetragen. Als Awgust Matwejewitsch sich damals schlafen legte, nahm er die Bankbillette aus der Tasche und schob sie unter sein Kopfkissen, vergaß sie jedoch später und glaubte sie noch immer in der Tasche zu haben, als er nach ihnen suchte. Als Marko dann später in das Zimmer trat, um das Bett zu richten, fand er das Geld und erlag der Verführung: er stahl es, überzeugt, daß es ihm gelingen würde, die Tat auf andere abzuwälzen, – worin er, wie wir ja gesehen, nicht Unrecht hatte. Um aber seine Sünde vor Gott zu verringern, bestellte er einige Zeit darauf zu einer schon früher in Auftrag gegebenen Glocke noch ein ganzes Geläute dazu und bezahlte dieses mit einem der gestohlenen Bankbillette.

Alle anderen Banknoten fand man im Kasten unter seinem Heiligenschrein.

Und nun läuteten auch bei uns unsere »Glocken von Corneville« und noch einmal schlugen alle die Hände zusammen und trockneten ihre Tränen in Gedanken an den armen Sascha und darauf wurde ein freudiges Fest gefeiert.

Alle fühlten sich Awgust Matwejewitsch gegenüber sehr verpflichtet und um ihm seinen Respekt und seine Dankbarkeit zu erweisen, gab der Kommandeur einen großen Abend, zu dem die ganze vornehme Gesellschaft eingeladen wurde. Sogar seine Mutter, jene Veronika nämlich, – sie mochte bereits gegen siebzig zählen, – kam eigens zu dem Fest hergereist, und dabei stellte sich heraus, daß sie gar keine »Stanislawowna« war, sondern daß sie Veronika Wassiljewna hieß und der Geistlichkeit entstammte und zwar war sie die Tochter eines Oberpriesters, – den Namen Veronika findet man auch bei den Rechtgläubigen. Warum eigentlich das Gerücht aufgetaucht war, daß sie Veronika »Stanislawowna« hieße, wurde niemals aufgeklärt.

An diesem Abend wurde Awgust Matwejewitsch von der jungen Frau Oberst ganz besonders ausgezeichnet: sie stand sogar auf, um ihm entgegenzugehen und reichte ihm beide Hände, er aber bat, seiner »polnischen Manieren« wegen um Entschuldigung und küßte ihre Hände, und schickte ihr tags darauf einen französisch geschriebenen Brief, in dem zu lesen stand, daß er die ganze Zeit über persönlich nach dem verschwundenen Gelde geforscht hätte, und zwar nicht etwa des Wertes wegen, sondern der Ehre halber … Und obwohl nunmehr dieses Geld gefunden, wolle er es trotzdem nicht nehmen, denn es klebe »Blut« daran und flöße ihm Abscheu ein. Er bat die Frau Oberst, ihm die »Mildherzigkeit« zu erweisen, und für dieses Geld ein Waisenkindchen zu erziehen, das er gefunden hätte, und das in der gleichen Nacht geboren wäre, in der Sascha aus dem Leben schied. »Vielleicht ist seine Seele in ihm.«

Die junge Frau Oberst war sehr gerührt und wollte das Kind gerne zu sich nehmen, Awgust Matwejewitsch brachte es ihr in seinem Körbchen, in weißen Spitzen und Bänderchen.

»Ein gewandter Bursche, der Pole!« alle beneideten ihn, wie hübsch er das wieder gemacht hatte, wie zart, wie einschmeichelnd. Ja, ja, Mystiker und Whistiker! …

Man erzählte sogar, daß sie, als sie Abschied von ihm nahm, in Tränen ausbrach, wir aber trennten uns von ihm unter unzähligen Brüderschaften in einem Hain hinter der Stadt. Und zwar war das ein Zufall: als er abreiste, hielten wir dort gerade ein Zechgelage ab, und veranlaßten ihn, halt zu machen. Wir entschuldigten uns und zogen ihn aus dem Wagen und tranken dann und tranken ohne Ende und bei der Gelegenheit erzählten wir ihm offenherzig alles Schlimme, das wir eine Zeitlang von ihm gedacht.

»Nun, und du«, bedrängten wir ihn, »jetzt erzähl' mal auch du uns … erzähl', wie du das alles gedeichselt hast …«

Er erwiderte:

»Ich habe wirklich nichts gedeichselt, meine Herren, – es deichselte sich ganz von selber …«

»Schon gut, Bruder,« entgegneten wir, »versuch' nicht erst lange drum herum zureden, – wir wissen, du bist ein Pole, und rechnen es dir nicht als Verbrechen an, aber wie konntest du das fertigbringen, ein Waisenkind aufzufinden, das genau in der gleichen Nacht, in der Sascha starb, geboren wurde, und das mithin mit dem verstorbenen Kinde der Frau Oberst genau im gleichen Alter ist …?«

Der Pole lachte nur.

»Meine Herrschaften,« meinte er, »wie wäre es denn möglich gewesen, so etwas zu deichseln?«

»Ja, ja, das ist es eben! Weiß der Teufel, was ihr für Schlauköpfe seid!«

»Nun, wahrhaftig, jetzt erst fange ich an zu begreifen, was ich für ein Schlaukopf bin, da ich nicht einmal meine eigene Schläue ganz verstehen kann. Jedoch ich bitte nunmehr um Erlaubnis, weiterfahren zu dürfen, da mir der Postkutscher sonst seiner Vorschrift gemäß die Pferde aus meinem Wagen spannen könnte.«

»Und wir ließen ihn ziehen, wir setzten ihn selber in den Wagen und riefen: »Los!«

Er versuchte, uns möglichst graziös aus dem Wagen heraus Lebewohl zu sagen, doch war es ihm, als die Pferde anzogen, offenbar noch nicht gelungen, Platz zu nehmen, denn er machte uns eine überaus zweideutige Verbeugung mit dem Hintern.

Und hiermit ist unsere traurige Geschichte zu Ende. In ihr sind keinerlei Gedanken, die besonders wertvoll wären, ich erzählte sie nur des Anziehenden halber. Dazumal war alles anders: auch das Geringste, das begonnen wurde, wuchs und wuchs, überall wimmelte es nur so von anziehenden Frätzchen und Plätzchen. Heute jedoch, heute gibt es ungeheure Bestrebungen, aber fährt schließlich die Zeit drüber hin, – dann wird alles immer kleiner und kleiner, und schließlich ist überhaupt nichts mehr da … Manch einer fängt sogar an zu lieben, und läßt's am Ende – es wird ihm zu langweilig. Warum aber, warum? – ach ja, aus vielen Gründen, am meisten jedoch, will mir scheinen, ist's nicht in den meisten Fällen aus der Gleichgültigkeit zu dem, was man die persönliche Ehre nennt …


Dieses Buch wurde im Auftrag des Verlags Georg Müller in München
von Mänicke und Jahn in Rudolstadt in Unger-Fraktur gedruckt.
Den Einband entwarf Heinrich Jost.

 


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