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Siebentes Kapitel

Awgust Matwejewitsch sah sich gezwungen, ob er es nun wollte oder nicht, sich über die auf dem Fußboden liegende Garderobe des Rittmeisters zu bücken und die Kleider scheinbar zu berühren.

Aber da stampften die nackten Fußsohlen noch heftiger auf den Fußboden und in dieses dumpfe Getöse drang mit Pfeifen und Zischen die wuterstickte Stimme:

»So sucht man nicht, nicht so! Haltet mich, sonst stürze ich mich auf ihn und erwürge ihn, wenn er uns nicht, wie es sich gehört, untersuchen will!«

Der Rittmeister war buchstäblich außer sich und zitterte so heftig vor Zorn, daß sogar das dichte schwarze Haar in den Achselhöhlen unterhalb seiner muskulösen Arme, die er aufs neue krampfhaft erhoben hatte, bebte.

Aber der Pole hatte das Herz auf dem rechten Fleck und verzagte selbst vor diesem wahnsinnigen Ausbruch des Rittmeisters nicht: mit einem gelassenen Blick streifte er dessen Gesicht und die Achselhöhlen, die den Eindruck erweckten, als bewegten sich zwei schwarze Ratten darin und entgegnete ruhig:

»Wie Sie wünschen, – obwohl ich davon überzeugt bin, daß Sie ein ehrlicher Mensch sind, werde ich Sie, Ihrem Verlangen entsprechend, untersuchen, als seien Sie ein Dieb.«

»Ja hols der Teufel, – ich bin ein ehrlicher Mensch, aber ich verlange unweigerlich, daß Sie mich jetzt untersuchen, als sei ich ein Dieb!«

Und Awgust Matwejewitsch untersuchte ihn und fand selbstverständlich nichts.

»Also bin ich jetzt rein von jedem Verdacht,« sagte der Rittmeister. »Ich ersuche die anderen, meinem Beispiel zu folgen.«

Ein anderer Offizier entkleidete sich und wurde genau so untersucht, es folgte ein dritter und der Reihe nach gestatteten wir alle, daß man uns visitiere, und nur noch Sascha war ununtersucht, als plötzlich, und zwar im gleichen Augenblick, als er drankommen sollte, an die Korridortüre geklopft wurde.

Wir fuhren zusammen.

»Niemand wird eingelassen!« befahl der Rittmeister.

Aber das Klopfen wurde energisch wiederholt.

»Welcher Satan stört uns da? Es ist ganz ausgeschlossen, daß irgend jemand Fremdes diese schmähliche Sache mitansehen dürfte. Wer dort auch sei, man schicke ihn zum Teufel.«

Doch da wurde aufs neue geklopft und diesmal ertönte eine bekannte Stimme:

»Ich bitte zu öffnen, ich bin es.«

Die Stimme war die unseres Obersten.


Die Offiziere blickten einander an.

»So öffnen Sie doch die Türe, meine Herren,« rief der Oberst.

»Öffnen!« kommandierte der Rittmeister und knöpfte sich zu.

Die Türe wurde aufgesperrt und unser Kommandeur, den wir sehr wenig liebten, schritt freundlich herein, wobei sein Gesicht ein ganz ungewohntes liebenswürdiges Lächeln zeigte.

»Meine Herren!« rief er, noch bevor er sich umgeschaut hatte, »bei mir zu Hause ist alles in Ordnung, ich ging nach den überstandenen aufgeregten Minuten ein wenig nach draußen, um frische Luft zu schöpfen, und da ich Ihren kameradschaftlichen Wunsch kenne, meine häusliche Freude zu teilen, so kam ich persönlich zu Ihnen, um Ihnen mitzuteilen, daß Gott mir eine Tochter geschenkt hat!«

Wir beglückwünschten ihn, doch fielen natürlich unsere Glückwünsche lange nicht so lebendig und froh aus, wie der Oberst es eigentlich nach unseren Vorbereitungen, die ihn sehr gerührt hatten, erwarten konnte, er bemerkte es auch und ließ seine verblichenen Augen durchs Zimmer wandern und heftete sie endlich auf den Fremden.

»Wer ist dieser Herr?« fragte er leise.

Der Rittmeister antwortete noch leiser und meldete dann mit kurzen Worten die ganze aufregende Geschichte.

»Abscheulich!« rief der Oberst. »Und womit endete es, oder ist es vielleicht noch nicht zu Ende?«

»Wir veranlaßten ihn, uns zu untersuchen und als Sie kamen, war nur noch einzig der Kornett N. ununtersucht.«

»So führen Sie es zu Ende!« sagte der Oberst und nahm auf einem Stuhl inmitten des Zimmers Platz.

»Kornett N., die Reihe sich zu entkleiden ist an Ihnen,« sagte der Rittmeister.

Sascha stand am Fenster, die Arme über der Brust gekreuzt und erwiderte kein Wort, doch ebensowenig schien er die Absicht zu haben, der Aufforderung nachzukommen.

»Ja, was soll denn das, Kornett, hören Sie nicht?« rief der Oberst.

Sascha trat vor und erwiderte:

»Herr Oberst, und Sie, meine Herren Offiziere, ich schwöre bei meiner Ehre, daß ich das Geld nicht gestohlen habe …«

»Pfui, pfui! Wozu denn solch ein Schwur?« antwortete der Oberst. »Sie alle sind über jeden solchen Verdacht erhaben, doch da Ihre Kameraden beschlossen haben, das zu tun, was sie getan, haben auch Sie das gleiche zu tun. Gestatten Sie diesem Herrn, Sie in Gegenwart der anderen zu untersuchen, und dann kann die andere Sache beginnen.«

»Das kann ich nicht.«

»Wie? … Was können Sie nicht?«

»Ich habe das Geld nicht gestohlen und habe es ebensowenig bei mir, aber ich kann nicht gestatten, daß man mich untersuche!«

Unzufriedenes Gemurmel erhob sich, Flüstern und Bewegung.

»Was soll das? Zu dumm … Warum haben denn wir alle erlaubt, uns zu untersuchen? …«

»Ich kann nicht.«

»Aber Sie müssen es tun! Sie müssen schließlich begreifen, daß Ihr Eigensinn den uns alle erniedrigenden Verdacht nur noch verstärkt … Und schließlich und endlich, wenn Ihnen schon Ihre eigene Ehre nicht teuer ist, so muß Ihnen doch zum mindesten die Ehre Ihrer Kameraden teuer sein, die Ehre des Regiments und der Uniform! … Wir alle fordern von Ihnen, daß Sie sich sofort und zwar noch in diesem Augenblick ausziehen und gestatten, daß man Sie untersuche … Und da Ihr Benehmen den Verdacht verstärkt hat, sind wir sogar sehr froh, daß Sie in Gegenwart des Kommandeurs visitiert werden … Ziehen Sie sich bitte aus.«

»Meine Herren,« fuhr der bleiche Jüngling fort, schon über und über vom kalten Schweiße bedeckt, »ich habe das Geld nicht genommen … Ich schwöre es Ihnen beim Namen meines Vaters und meiner Mutter, die ich mehr als alles auf der Welt liebe. Das Geld dieses Herrn habe ich nicht bei mir, aber ich werde augenblicks den Fensterrahmen zerschmettern und mich auf die Straße werfen, denn um nichts auf der Welt bin ich bereit, mich zu entkleiden. Das verlangt die Ehre.«

»Was für eine Ehre! welche Ehre könnte höher sein, als die Ehre der Gemeinschaft … die Ehre des Regiments und der Uniform … Wessen Ehre denn?«

»Ich kann Ihnen kein Wort mehr sagen, ich werde mich nicht entkleiden; in meiner Tasche steckt eine Pistole, – ich warne jeden, der mich etwa mit Gewalt packen wollte, denn ich werde bestimmt schießen.«

Während er diese Worte sprach, wurde der junge Mann bald weiß, bald rot wie Feuer und heftete im verzehrenden Wunsche, durchbrechen zu können, seinen irrenden Blick auf die Türe, seine Hand aber griff derweilen in die Tasche der Reithosen und wir konnten hören, wie er mit dem Finger den Hahn spannte.

Kurz und gut, Sascha war außer sich, der ungewöhnliche Zustand, in dem er sich befand, lähmte den auf ihn gerichteten Schwall von Beschwörungen und zwang einen jeden, nachdenklich zu werden.

Der Pole war von uns allen der erste, der ihm das allergrößte und sogar ein rührendes Mitgefühl bekundete. Er vergaß völlig seine eigene exponierte, ja überaus ungünstige und wenig versprechende Lage und rief mit dem Ausdruck eines geradezu ansteckenden Entsetzens:

»Verdammnis! verdammt seien dieser Tag und dieses Geld! Ich will es nicht und bedaure es nicht, ich werde zu keinem auch nur ein Sterbenswörtchen über den Verlust sagen, nur laßt um Gottes, der euch erschaffen hat, willen, um Christi willen, der um die Wahrheit und Liebe, litt, nur laßt um alles, was jedem von Ihnen wert und teuer ist, laßt diesen Knaben ziehn …«

Und zwar sagte er »Knaben«, statt etwa Jüngling zu sagen, und fügte plötzlich mit ganz veränderter Stimme, die wie aus den tiefsten Abgründen der Seele hervorquoll, hinzu:

»Beschleunigen Sie das Schicksal nicht … Sehen Sie denn nicht, wohin er geht …«

Er aber, Sascha nämlich, ging oder vielmehr drängte sich derweilen durch die Schar der Offiziere zur Türe.

Und hinter ihm her wanderten die Augen des Obersten, deren Weißes gelb unterlaufen war; er sagte:

»Mag er gehn …«

Und fügte sehr leise hinzu:

»Ich glaube, ich fange an, etwas zu verstehen …«

Sascha erreichte die Schwelle, machte halt und sagte, während er sein Gesicht uns allen zuwandte:

»Meine Herren, ich weiß wohl, wie sehr ich Sie beleidigt habe, und wie häßlich meine Handlungsweise in Ihren Augen aussehen muß. Verzeihen Sie mir! … Ich konnte nicht anders handeln … Es muß mein Geheimnis bleiben … Verzeihen Sie! … Meine Ehre …«

Seine Stimme bebte, – es klang genau so, als bebten in ihr die reinen Tränen eines Kindes, er schämte sich darüber, er wollte sie verbergen und verdeckte die Augen mit der Hand und rief nur noch dies: »Lebt wohl!« Dann lief er hinaus.


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