Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

In der zweiten Nachtstunde trat der älteste Zimmerkellner Marko in das Zimmer, in dem wir spielten und meldete uns, daß der »fürstliche Generalbevollmächtigte«, der in Nummer soundsoviel logiere, ihn geschickt hätte, der Herr ließe um Verzeihung bitten und sagen, daß er nicht schlafen könne und sich langweile und daß er daher anfrage, ob es den Herren Offizieren recht sei, wenn er herüberkäme, um mit ihrer Erlaubnis an ihrem Spiele teilzunehmen?

»Ja, kennst du denn diesen Herrn?« fragte der älteste von uns Offizieren.

»Aber ich bitte Sie, wie sollte ich Awgust Matwejewitsch nicht kennen? Alle kennen ihn hier, und in ganz Rußland, überall, wo es Besitzungen des Fürsten gibt, ist er ebensogut bekannt. Awgust Matwejewitsch hat Generalvollmacht, alle Geschäfte des Fürsten zu führen und alle seine Stammgüter zu verwalten und allein an Gehalt bezieht er einige Vierzigtausend jährlich.« (Damals rechnete man noch nach Assignaten.)

»Er ist wohl Pole, was?«

»Pole, aber ein ganz vortrefflicher Herr und war außerdem früher beim Militär.«

Wir alle hielten den Kellner, der uns dieses berichtete, für anständig und glaubten außerdem, daß er uns sehr ergeben sei. Er war gescheit und außerordentlich fromm, er ging zu jeder Frühmesse und sammelte für eine Glocke in seiner Dorfkirche. Marko sah, daß wir uns für den Fall zu interessieren begannen und beeilte sich, unser Interesse zu steigern.

»Awgust Matwejewitsch kommt jetzt«, sagte er, »gerade aus Moskau, wo er, wie man erzählte, zwei Güter des Fürsten beim Vormundschaftsgericht lombardiert hat, er trägt also vermutlich viel Geld bei sich, und will sich eben zerstreuen.«

Wir schauten einander an, es entstand ein Flüstern und wir faßten den Entschluß:

»Wir haben unsere Goldfüchse nun schon zum Überdruß aus dem einen Beutel in den anderen getan. Mag denn ein frischer Mensch kommen und uns mit neuem Element ein wenig auffrischen.«

»Gut,« entgegneten wir, »wir lassen bitten, aber du bist uns dafür verantwortlich, daß er auch wirklich Geld bei sich hat.«

»Aber ich bitte Sie! Awgust Matwejewitsch ist niemals ohne Geld.«

»Nun, wenn das so ist, dann mag er nur kommen und sein Geld bringen, wir sind erfreut. Nicht wahr, meine Herren?« meinte der älteste Rittmeister zu uns anderen gewandt.

Alle waren damit einverstanden.

»Vortrefflich; sage ihm also, Marko, daß wir ihn bitten, zu uns zu kommen.«

»Zu Befehl!«

»Nur noch eines … deute ihm auf jeden Fall an, oder sage es ihm meinetwegen geradeaus, daß wir, obwohl wir Kameraden sind, sogar untereinander nur um bares Geld spielen. Keine Verrechnungen und nie was Schriftliches.«

»Zu Befehl, aber Sie brauchen sich darüber nicht zu beunruhigen. Er hat Geld.«

»Also, dann bitt ihn her.«

Schon nach kurzer Zeit und zwar nach genau soviel Zeit, als ein nicht eben geckenhafter Mann braucht, um sich anzuziehen, öffnete sich die Türe und ein sehr anständig aussehender, hochgewachsener und schlanker, älterer Herr erschien in unserer Rauchatmosphäre, er trug Zivilkleider, doch war seine Art, sich zu geben, eine militärische, und sogar sozusagen gewissermaßen die Art, die damals bei der Garde in Mode war, kühn und selbstbewußt und mit der gewissen nachlässigen Eleganz vornehmer Übersättigung. Die Züge seines Gesichtes waren angenehm, aber zu regelmäßig verteilt, fast so, als wären sie das metallische Zifferblatt einer dieser langen englischen Graham-Uhren. Und genau so, wie in diesem überaus komplizierten Mechanismus, so fügte sich auch in ihm jede Schraube in eine andere.

Denn er war ja genau so, wie diese langen Uhren, und als er sprach, da war es, als schlüge eine dieser Grahams mit ihrem präzisen Schlage.

»Meine Herren, ich bitte um Entschuldigung,« meinte er, »daß ich mir in Ihren Freundeskreis einzudringen erlaubte. Ich heiße so und so (er nannte hierbei seinen Namen) und eile aus Moskau nach Hause, wurde jedoch unterwegs müde und beabsichtigte, hier auszuruhen; da hörte ich jedoch Ihre Stimmen und »der Schlummer floh mein Auge«. Es riß mich wie ein altes Schlachtroß in die Höhe und ich bringe Ihnen meine aufrichtige Dankbarkeit dar, daß Sie mich in Ihren Kreis aufgenommen haben.«

Man entgegnete ihm:

»Aber bitte sehr! bitte sehr! wir sind einfache Leute und begnügen uns mit ungemalten Lebkuchen. Wir sind Kameraden und geben uns so, wie wir sind, ohne große Zeremonien.«

»Einfachheit ist das allerbeste,« antwortete er: »ist Gott wohlgefällig und in ihr liegt die Poesie des Lebens. Ich selber war einmal Militär und mußte ich auch trotz meiner günstigen Aussichten den Dienst infolge von Familienangelegenheiten quittieren, so blieben mir doch die soldatischen Gewohnheiten und mithin bin auch ich ein Feind aller Zeremonien. Meine Herren, ich sehe, Sie haben Ihre Röcke an und es ist hier sehr heiß?«

»Ja wir haben, offen gestanden, unsere Röcke eben erst zur Begrüßung der fremden Person angezogen.«

»Aber, wie können Sie! Das war es, wovor ich mich fürchtete! Da Sie so liebenswürdig waren, mich zu empfangen, so können Sie in diesen ersten Augenblicken unserer Bekanntschaft mir durch nichts eine größere Freude machen, als indem Sie sich von allem Überflüssigen befreien und wieder so sind, wie vor meinem Eintritt.«

Die Offiziere hatten nichts dagegen und saßen alsbald in ihren Westen da, verlangten jedoch hierbei ein gleiches deshabillé von dem Fremden. Awgust Matwejewitsch streifte mit Vergnügen die gut und solide gearbeitete Wengerka, deren Ärmel blauseidene Aufschläge trugen, ab und lehnte es auch nicht ab, ein Glas Schnaps auf die Bekanntschaft mit allen zu trinken.

Jeder trank ein Glas und aß dazu einen Bissen, und bei dieser Gelegenheit war es, daß man sich des »Cousins« Sascha erinnerte, der seinen Korridorspaziergang immer noch nicht unterbrochen hatte.

»Bitte schön,« meinten einige, »es fehlt hier ja einer der unseren. Man soll ihn rufen!«

Awgust Matwejewitsch entgegnete darauf:

»Sie meinen gewiß den anziehenden jungen Kornett, der in lieber Versonnenheit dort auf dem Gang auf und ab geht?«

»Freilich, eben ihn. Man rufe ihn herbei, meine Herren!«

»Er wird nicht kommen.«

»Was für Dummheiten! … Ein sehr netter junger Kamerad, der schon seinen Kursus im Trinken und Spielen vortrefflich absolviert hat, er ist nur heute mit einem Male etwas sonderbar und niedergeschlagen. Meine Herren, holen Sie ihn doch mit Gewalt her.«

Einige widersprachen und es wurden Bemerkungen laut, daß Sascha vielleicht in der Tat krank sei.

»Den Teufel auch, – ich bürge euch mit meinem Kopf dafür, daß er einfach müde ist, oder wie ein Neuling den Kopf wegen seiner großen Verluste hängen läßt.«

»Hat denn der Kornett so viel verloren?«

»Ja, in der letzten Zeit hatte er furchtbares Pech, er war immer zerstreut und war beständig im Verlust.«

»Was Sie sagen! – ja, ja das gibt es; aber seinem Aussehen nach sollte man eher glauben, daß er weniger Unglück in den Karten hätte, als Unglück in der Liebe.«

»Sahen Sie ihn denn schon!«

»Ja, und zwar war es ein Zufall, daß ich ihn sah. Er war so versonnen und verwirrt, daß er aus Versehen mein Zimmer statt des seinen betrat, und sich, ohne mich auf dem Bett zu bemerken, gradewegs zur Kommode begab und dort etwas suchte. Ich war der Ansicht, daß er vielleicht mondsüchtig sei und rief daher nach Marko.«

»Erstaunlich!«

»Freilich, und als Marko ihn fragte, was er wünsche, dauerte es lange, bevor er sich in der Sachlage zurechtfand, dann jedoch geriet der Ärmste in große Verlegenheit … Ich erinnerte mich dabei an vergangene Zeiten und dachte heimlich: sicher ist hier ein Herzenskummer im Spiel!«

»Was da, Herzenskummer! Das vergeht! Sie, meine Herren Polen, legen all diesen Sentimenten große Bedeutung bei, wir Moskauer aber sind ein gröberes Volk.«

»Mag sein, obwohl das Aussehen dieses jungen Mannes nicht auf Rauheit schließen ließ: er schien im Gegenteil eher zart zu sein und machte mir einen aufgeregten oder beunruhigten Eindruck.«

»Er ist einfach müde und da schreibt unsere Philosophie uns vor, dem mit Gewalt zu begegnen. Meine Herren, zwei von Ihnen mögen hinausgehen und Sascha hereinführen, damit er sich von dem Verdacht einer unerwiderten Liebe reinwasche!«

Zwei Offiziere verließen das Gemach und kehrten mit Sascha zurück, über dessen Antlitz abwechselnd Müdigkeit, Verlegenheit und ein Lächeln glitten.

Er sagte, daß er sich in der Tat nicht wohl fühle, daß ihn jedoch der Umstand am meisten verwirre, daß man ihn deswegen unablässig zur Verantwortung zöge. Aber als man ihn verspottete, daß sogar »der Unbekannte« das »Herzweh durch Amor« verursacht, bemerkt habe, wurde Sascha plötzlich über und über rot und entgegnete, mit unbeschreiblichem Haß unseren Gast anblickend, böse und scharf:

»Unsinn!«

Er bat um Erlaubnis, sich in sein Zimmer zurückziehen zu dürfen, um sich schlafen zu legen, aber man bedeutete ihm, daß man ja heute ein wichtiges Ereignis erwarte, das alle gemeinsam begrüßen wollten, und daß es mithin nicht statthaft sei, die Gesellschaft zu verlassen. Bei der Erwähnung des zu erwartenden »Ereignisses« wurde Sascha wiederum sehr blaß.

Man sagte ihm:

»Weggehn ist nicht erlaubt, aber trink deinen Schnaps und wenn du schon nicht mit uns spielen willst, dann zieh deinen Rock aus und leg dich hierher auf den Diwan. Wenn das Kind zu schreien anfangen wird, werden wirs schon zu hören bekommen und dich rechtzeitig aufwecken.«

Sascha gehorchte, wenn auch nicht voll und ganz: den Schnaps trank er, den Rock jedoch zog er nicht aus und ebenso legte er sich nicht nieder, sondern setzte sich in den Schatten ans Fenster, durch dessen undichten Rahmen ein kaltes Lüftchen zog, und schaute von dort auf die Straße.

Ob er jemand erwartete oder nach jemandem Ausschau hielt, oder ob er es einfach deswegen tat, weil eine innere Unruhe ihn quälte, kann ich Ihnen nicht sagen, genug, er saß da und schaute zu, wie das Feuer der Straßenlaterne flimmerte, die knarrend im Winde schwankte: manchmal preßte er sich tief in den Sessel, manchmal jedoch war es, als wollte er aufspringen und davonstürzen.

Der Fremde, neben dem ich saß, bemerkte, daß ich Sascha beobachtete, denn selber tat er das gleiche. Ich konnte das an seinen Blicken wahrnehmen, aber auch daraus, was er mit mir sprach, und zwar sagte er mir halblaut folgende lächerlichen Worte, die ich dennoch, solange ich lebe, nicht mehr vergessen kann:

»Sind Sie mit Ihrem Kameraden befreundet?«

Er blickte bei diesen Worten dorthin, wo Sascha soeben in seinem Sessel Platz genommen hatte.

»Versteht sich,« entgegnete ich mit der ganzen schnellaufflackernden Hitze der Jugend, da ich in dieser Frage eine wenig angebrachte Vertraulichkeit zu erblicken glaubte.

Awgust Matwejewitsch bemerkte das und drückte mir unter dem Tisch still die Hand. Ich schaute in sein gefestigtes und wohltuendes Gesicht und wieder stieg durch eine sonderbare Ideenassoziation in meinem Geist das Bild der sich immer treubleibenden englischen Uhr mit dem Grahamschen Werk in dem langen Behälter auf. Ein jeder Zeiger läuft wie es ihm vorgeschrieben ist und zeigt die Stunden an, die Tage, die Minuten und die Sekunden, den Lauf des Mondes und den »Zodiakus der Gestirne« und dennoch ist es ewig das gleiche kalte und teilnahmslose Zifferblatt; alles kann es uns zeigen und alles registrieren – und bleibt trotzdem immer das gleiche.

Nachdem Awgust Matwejewitsch mich durch seinen freundschaftlichen Handdruck besänftigt, fuhr er fort:

»Seien Sie mir nicht böse, junger Mann. Ich bitte, mir zu glauben, daß ich nichts Nachteiliges über Ihren Freund zu sagen beabsichtigte, mein Leben währt jedoch schon eine hübsche Spanne und sein Zustand bringt mich auf allerhand Gedanken.«

»Welcher Art?«

»Er scheint mir gewissermaßen … wie soll ich Ihnen das sagen … voraus bestimmt zu sein: er rührt mich tief und beunruhigt mich.«

»Wie, er beunruhigt Sie?«

»Ja, freilich – er beunruhigt mich.«

»Dann gestatten Sie mir wohl, Sie davon zu überzeugen, daß diese Beunruhigung völlig unbegründet ist. Ich kenne die ganzen Verhältnisse meines Kameraden und garantiere Ihnen, daß Sie nichts darin finden dürften, was den Lauf dieses Lebens trüben oder gar abbrechen könnte.«

»Abbrechen!« er wiederholte das Wort, » c'est le mot!« Ja, das ist das rechte Wort: den Lauf des Lebens ›abbrechen‹!«

Das berührte mich unangenehm. Warum nur hatte ich mich so ausgedrückt und dem Fremden dadurch Gelegenheit gegeben, sich an meinen Ausdruck zu klammern?

Awgust Matwejewitsch gefiel mir ganz und gar nicht mehr und mit nichts weniger als freundschaftlichen Gefühlen betrachtete ich sein präzises grahamsches Zifferblatt. Es war so harmonisch und dennoch irgendwie drückend und unabwendbar. Und ging und ging – gleich würde die Spieluhr schlagen, und darnach mußte es wieder weitergehen. Und alles an ihm war so besonders vorzüglich … Zum Beispiel seine Hemdärmel, waren sie nicht unvergleichlich viel feiner und weißer als die unseren? wie Blut schimmerte unter den weißen Manschetten ein rotes seidenes Unterhemd hervor. Es sah fast so aus, als hätte er seine lebendige Haut abgestreift und verkehrt angezogen. Auf seinem Arm aber glänzte ein goldenes Damenarmband, das ihm bald über das Gelenk glitt, bald wieder zurückfuhr und unter dem Ärmel verschwand. Und auf diesem war mit polnischen Buchstaben der russische Frauenname »Olga« zu lesen.

Aus irgendeinem Grunde machte mich diese »Olga« verdrießlich. Es war mir dabei gleichviel, wer sie war und in welchen Beziehungen sie zu ihm stand, ob sie nun seine Verwandte oder gar seine Geliebte war, – es stimmte mich verdrießlich.

Warum, weshalb und wozu? Ich weiß nicht. Es war nicht viel mehr, als eine jener tausend Torheiten, die einem aus irgendeinem Grunde weiß Gott von wo anfliegen, um »der Sterblichen Geist zu verstören«.

Doch gleichzeitig schoß mir durch den Kopf, daß ich dieses mein eigenes Wort »abbrechen«, dem er eine so überaus unerwünschte Bedeutung beigelegt hatte, abschwächen mußte, und so meinte ich denn:

»Ich bedaure, daß ich mich so ausdrückte, – aber dennoch scheint es mir unmöglich, daß man in dem von mir ausgesprochenen Worte irgendeinen Doppelsinn finden kann. Mein Kamerad ist noch jung, er ist vermögend und der einzige Sohn seiner Eltern und zudem von allen Menschen wohlgelitten …«

»Gewiß, gewiß, und trotz alledem … er gefällt mir nicht.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Er ist doch sterblich, nicht wahr?«

»Freilich, genau so, wie Sie und ich und wie die ganze Welt.«

»Vollständig richtig, aber die Menschen der ganzen Welt kann ich nicht sehen, und was uns beide anbetrifft, so tragen weder Sie noch ich die schicksalvollen Zeichen, die ich bei ihm bemerke.«

»Was für ›schicksalvolle Zeichen‹ denn? Wovon sprechen Sie überhaupt?«

Ich mußte lachen, war es auch nicht gerade sehr angebracht.

»Warum lachen Sie über meine Worte?«

»Entschuldigung,« entgegnete ich. »Ich erkenne zwar die Unhöflichkeit dieses Lachens an, doch versetzen Sie sich bitte in meine Lage: wir beide schauen jetzt dasselbe Gesicht an, doch während Sie mir erzählen, daß Sie etwas Ungewöhnliches darin erblicken, muß ich feststellen, daß ich darin absolut nichts außer dem, was ich schon immer erblickt, wahrnehmen kann.«

»Schon immer? das ist undenkbar.«

»Seien Sie davon überzeugt.«

»Allein die Züge des Hippokrat!«

»Davon verstehe ich nichts.«

»Wieso verstehn Sie das nicht? Dieser agent psychique ist doch nicht fortzuleugnen.«

»Verstehe ich nicht,« entgegnete ich und fühlte dennoch, daß dieses Wort mir eine törichte Furcht einflößte.

» Agent psychique oder die Züge des Hippokrat sind unerklärliche schicksalsvolle und sonderbare Kennzeichen, die schon lange bekannt sind. Die fast unfaßbaren Züge erscheinen auf menschlichen Gesichtern nur in den großen verhängnisvollen Minuten des Lebens, und nur vor jenem Augenblick da bald darauf ›der große Schritt in das Land, von wo der Wanderer nie wieder zurückkehrt‹ zu geschehen hat … Diese Kennzeichen werden am besten von dem Schotten bemerkt, aber auch von den Indiern der blauen Berge.«

»Waren Sie schon in Schottland?«

»Ja, – ich lernte in England Landwirtschaft und machte später Reisen durch Indien.«

»Und wie, – behaupten Sie etwa im Ernst, daß Sie jetzt die Ihnen bekannten verdammten Züge auf dem Gesicht unseres braven Sascha sehen?«

»Gewiß, wenn dieser junge Mann dort jetzt Sascha heißt, so will mir scheinen, daß er bald einen anderen Namen haben wird.«

Ich fühlte, daß mich ein Schauder durchlief und freute mich ungemein, als im gleichen Augenblick einer unserer Offiziere, der schon ziemlich angeheitert war, herantrat und mich fragte:

»Was machst du da, – worüber streitest du mit dem Herrn?«

Ich erwiderte, daß von Streit keine Rede sei, doch daß wir folgende merkwürdige und verwirrende Unterredung gehabt hätten.

Der Offizier, ein sehr unkomplizierter, aber sehr energischer Bursche, sah Sascha an und meinte:

»Ja, tatsächlich, er schaut nicht gut aus!« Gleich darauf wandte er sich jedoch zu Awgust Matwejewitsch und fuhr ihn grimmig an:

»Und Sie, wer sind Sie, – ein Phrenologe oder ein Wahrsager?«

Jener antwortete:

»Weder Phrenologe noch Wahrsager.«

»Also vermutlich weiß der Teufel was?«

»Auch das nicht, – ich bin auch nicht weiß der Teufel was,« – entgegnete er gelassen.

»Wer sind Sie denn: ein Zauberer, wie?«

»Auch kein Zauberer.«

»Also was denn?«

»Ein Mystiker.«

»Aha, ein Mystiker sind Sie! … Mit anderen Worten ein Whistiker und lieben den Whist. Weiß schon, weiß schon, nichts Neues mehr,« – summte der Offizier und machte sich, obwohl er schon ziemlich voll war, aufs neue an den Schnaps, um sich noch voller zu laden. Awgust Matwejewitsch schaute ihm halb voll Mitleid, halb voll Verachtung nach. Die Zeiger auf seinem Zifferblatt rückten vor, er stand auf und trat zu den Spielern, wobei er dumpf einige Verse Krasinskis murmelte.

Mir wurde plötzlich so seltsam zumute, als hätte ich mit dem Pan Twardowski Der polnische Dichter Zygmunt Graf Krasinski (1812-1859). in eigener Person gesprochen, ich wollte auf andere Gedanken kommen. Ich entfernte mich noch mehr vom Kartentisch und ging zur Imbißtafel, wo ich in die Pan Twardowski ist eine Gestalt der polnischen Legende, und zwar gibt es zwei besonders hervorstechende Versionen: in der einen ist Pan Twardowski so etwas wie der polnische Faust, der sich dem Teufel verschrieben hat, die andere Legende jedoch (und diese ist es wohl, auf die unser Autor anspielt) schildert den Pan Twardowski als den adligen Teufel mit dem Pferdefuß im Gegensatz zu dem Bauernteufel. (Anmerkung des Herausgebers.)]

Hände eines Kameraden geriet, der mir die Bezeichnung »Mystiker« auf seine Weise auslegte; als die Welle mich jedoch nach einer Stunde aufs neue dorthin trug, wo man Karten spielte, mußte ich sehen, daß die Taille bereits von Awgust Matwejewitsch gegeben wurde.

Blätter mit langen Notierungen der Verluste und Gewinne lagen vor ihm, doch zeigten die Gesichter rings eine gewisse Abneigung gegen ihn, die sich zum Teil bereits in törichten Redensarten Luft machte, die von Minute auf Minute spitziger wurden und zum Schluß die Ursache ernstlicher Unannehmlichkeiten werden konnten.

Ohne Unannehmlichkeiten konnte ich mir den Verlauf des Ganzen nämlich nicht mehr vorstellen, – ganz als gäbe es diesbezüglich eine »Vorschrift«, wie unsere Bäuerchen sich auszudrücken pflegen.


 << zurück weiter >>