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Neuntes Kapitel

Wie die Leute heiraten? Gute Beobachter behaupten, daß es keine zweite Sache gäbe, geeigneter den menschlichen Leichtsinn in schaudererregenderem Maße zum Durchbruch kommen zu lassen, als eben in der Veranstaltung ehelicher Verbindungen. Man sagt, daß sogar die klügsten Menschen mehr Sorgfalt auf den Kauf von Stiefeln verwenden, als bei der Wahl ihrer Lebensgefährtin. Und wahrhaftig: es ist gar nicht so selten, daß einzig der blinde und spöttische Zufall diese Wahl bestimmt. So war es auch bei Pawlin und Ljuba.

Ljuba wollte unter keinen Umständen mehr in die Werkstatt, da irgendeines der Mädchen ihr eine Unverschämtheit gesagt hatte, – sie sträubte sich und flüchtete zum Schluß unter die Flügel von Anna Lwowna und jammerte und klagte dieser vor, daß man sie wiederum dorthin schicke, wo die Leute so ungebildet und grob wären, und nicht nur den Vorzug ihrer Herkunft nicht anzuerkennen wüßten, sondern eben aus diesem Grunde sich ihr gegenüber erst recht hämisch erwiesen.

»Ja, das ist gewiß so: sie rächen sich an dir,« entgegnete Anna Lwowna und blickte Ljuba an.

Die beiden Frauen saßen im gemütlichen Arbeitszimmer und machten Handarbeiten.

»Was nur dem Pawlin in den Kopf gefahren ist, dich immer noch weiter in die Lehre schicken zu wollen? Ich verstehe ihn nicht!« fuhr Anna Lwowna fort und betrachtete Ljubas Arbeit. »Meiner Ansicht nach kannst du deine Sache bereits ganz meisterhaft.«

»Aber er will mir doch einen Laden aufmachen …«

»Er … Du gestattest mir schon zu sagen, daß dieser dein Er nichts anderes ist, als ein großer scheckiger lächerlicher Hanswurst. Wozu eigentlich will er dir einen Laden aufmachen?«

»Ja, wo soll er mich denn sonst hintun?«

»Wo er dich hintun soll? … Sehr einfach; ich verstehe nicht, warum er dich nicht heiratet?«

Das Mädchen senkte den Kopf und verstummte. Sie hatte zu jener Zeit noch niemals ans Heiraten gedacht, eine Ehe mit Pawlin war jedenfalls keineswegs das Ziel ihrer Wünsche. Die Generalin bemerkte, daß der von ihr ausgesprochene Gedanke Ljuba noch nie zuvor in den Kopf gekommen war, andererseits aber sah sie, daß diese Idee das junge Ding nicht erschreckte, sondern daß sie recht wohl in ihrem Köpfchen Platz fand.

»Freilich!« fuhr die Generalin fort, »Meinst du vielleicht, daß es so leicht ist, Modistin zu sein und jeder Fratze vorlügen zu müssen: ›Nein, wie gut Ihnen das steht!‹ Jede Laune erfüllen und vor jedermann hinknien zu müssen, um Maß zu nehmen? … Wenn du dich dagegen verheiratest … dann ist alles sofort viel leichter. Zumal wenn du den Pawlin heiratest, wir könnten dann immer beisammen sein: wenn wir Gäste hätten, könntest du den Tee oder Kaffee machen, wofür ich dir eine monatliche Summe geben würde, damit du deine Garderobe in Stand halten könntest; abends aber könnten wir beisammensitzen und arbeiten und würden warten, bis Wolodja heimkommt und uns erzählt, was in der Welt vor sich geht. Du weißt ja, Wolodja liebt es, mit dir zu plaudern und du wärest bei uns, wie ein Hauskind.«

Ljuba errötete und schwieg noch immer, auf ihren Wimpern funkelten kleine Tränchen, und so fuhr denn die Generalin fort:

»Überlege doch einmal bitte, was dabei herauskommen könnte, wenn du, nachdem du deinen Laden eröffnet, einmal heiraten solltest, und zwar meinetwegen einen dieser jungen und ungebildeten Laffen, einen Handwerker etwa, oder gar einen Künstler – wird das vielleicht besser sein? Du wirst auf ewig in jenen Kreisen steckenbleiben. Jemand anderen aber, der höher gestellt ist, wirst du schwerlich bekommen, denn dazu ist deine Lage nicht gut genug.«

»Das weiß ich,« sagte Ljuba und schluckte ihre Tränen herunter.

»Es ist nur gut, daß du so ein gescheites Mädchen bist! Pawlin dagegen ist, wenn du willst, nicht gerade mehr jung, aber er ist ein Mann von festen Sitten und wird dir niemals zur Last fallen: ich kenne ihn jetzt seit mehr als zwanzig Jahren und weiß, daß er immer ehrlich war und immer vernünftig, stets war alles bei ihm in Ordnung und er hat bestimmt Geld, obwohl ich nicht daran glaube, was die Leute schwätzen, nämlich daß er sich ein Vermögen bei mir zusammenscharrt habe, allein da er ein sparsamer Mensch ist, hat er sicherlich irgendwelche Gelder im Hinterhalt. Gib ihm die Gelegenheit, diese Ersparnisse an dich zu hängen. Ja, meine Liebe, gewiß! Du bist es sicherlich wert. Und so wird es auch kommen, denn was könnte ihm mehr Spaß machen, als sein junges und außerordentlich hübsches Weibchen zu putzen? Glaub mir, Leute in seinem Alter sind viel zuverlässiger als all diese Windbeutel, wie etwa dieser Künstler da, der jetzt immer herkommt, um mein Porträt zu malen und dabei die ganze Zeit immer nur zu dir hinschaut.«

Ljuba wurde feuerrot: es war das erstemal, daß jemand ihr sagte, ein Mann hätte sie angeschaut, – und dabei sagte es ihr nicht irgend jemand, nein, die Generalin selber sagte es, diese ernste Dame, zu der das junge Ding aufblickte, wie der Grashalm zur Sonne. Es war ihr eine große Freude, daß Anna Lwowna sich so mit ihr abgab. Ljuba verlor die Beherrschung, sie ließ ihre Arbeit fallen, warf sich der Generalin an die Brust und weinte und stammelte:

»Oh, verlassen Sie mich nur nicht, ich will Ihnen auch in allem gehorsam sein.«

Anna Lwowna erwiderte ihre Zärtlichkeit mit Liebkosungen und fuhr fort, sie zu unterweisen und zu überreden und schloß endlich mit folgenden Worten:

»Ich fürchte nur das eine, daß dir Pawlin vielleicht in der Tat zu alt erscheint?«

Ljuba verstummte.

»Vielleicht willst du unbedingt einen jüngeren Mann?«

»Ach, davon habe ich ja gar nicht gesprochen,« fiel Ljuba ein.

»Also ausgezeichnet, wenn du das nicht willst, dann gebe uns Gott seinen Beistand.«

Zwar erschrak das Mädchen, daß alles so geschwind erledigt worden war, und errötete und beeilte sich hinzufügen, daß sie gar nicht beabsichtige, irgend jemand zu heiraten, aber Anna Lwowna sang ihr den Vers aus dem »Roten Ssarafan« vor: »Nicht ewig fliegt das Vöglein frei im Feld, der Falke goldgeflügelt durch die Welt« und lachte und richtete mit der Hand ihr Gesichtchen auf und fragte sie:

»Willst du vielleicht gar ins Kloster?«

»Mir ist alles gleich,« entgegnete Ljuba flüsternd.

»Oho, du lügst ja; mit diesen Augen ins Kloster gehn? Nein, nein, dort wirst du alle in Verwirrung bringen und statt zu Gott zu beten, werden die Männer nur dich anschauen müssen.«

Das Mädchen mußte lachen.

»Und nun hör mal … Scherz beiseite, denk jetzt darüber nach, wofür du dich entscheiden willst: ich hatte schon längst die Absicht, dir das zu sagen, und ich spreche jetzt ganz im Ernst, denn ich habe bemerkt, daß du uns sehr gern gewonnen hast …«

»Ach, ich liebe Sie ja so sehr!« bekräftigte Ljuba und bedeckte die Hand der Generalin mit Küssen.

»Ich kann sehr wohl verstehen, daß du, nachdem du bei uns gewesen, zu diesen deinen Näherinnen nicht wieder zurück willst …«

»Unmöglich! Lieber ertränke ich mich!«

»Ich kann das verstehen; ich kann es absolut verstehen, aber ich weiß nicht, wozu du dich ertränken willst, denn das ist eine Sünde. Es gereicht Pawlin keineswegs zur Ehre, daß er, obwohl er ein so kluger Mensch ist, dich immer noch dorthin schickt, wo du nichts als lauter unchristliche Redensarten zu hören bekommst: ich habe mit ihm bereits darüber gesprochen …«

»Sie haben mit ihm darüber gesprochen?«

»Freilich sprach ich mit ihm darüber und er versteht es auch und ist ganz mit mir einverstanden, aber sag selber: was soll er nur mit dir machen? Tatsächlich, es ist nicht leicht, sich für dich etwas auszudenken: du bist so erzogen, daß du zum Beispiel nicht Gouvernante werden kannst, denn dazu weißt du zu wenig, als Kinderfräulein bist du auch nicht zu gebrauchen, dazu bist du noch zu jung, eine Näherin dagegen oder gar ein Dienstmädchen aus dir zu machen, würde ihm zu schwer fallen … er hat doch immerhin einiges für dich getan … nicht wahr?«

Das Mädchen nickte ein leises »Ja«.

»Nun, siehst du,« sprach die Generalin weiter, »ich könnte dich ja eventuell zu mir nehmen …«

Ljuba warf sich vor ihr auf die Knie und rief: »Ach, tun Sie das! Nehmen Sie mich auf! Um Gottes willen, nehmen Sie mich auf!«

»Aber welche Rolle würdest du hier spielen?«

»Ganz gleich, nur bei Ihnen sein dürfen …«

»Es wird Pawlin nicht recht sein, er wird bestimmt finden, daß das nicht gut ist und wird es nicht wollen; zudem lebt ja in meinem Hause mein Sohn, ein erwachsener Mann. Er ist zwar ein gutartiger junger Mensch und hat dich sehr gern, doch du bist immerhin ein volljähriges Mädchen und also geht das nicht. Wenn du dagegen Pawlins Frau wärest … dann wäre alles aufs beste in Ordnung gebracht.«

Da das Mädchen schwieg, fuhr Anna Lwowna fort:

»Ich rate dir gut: hör auf meine Worte und heirate Pawlin, dann wirst du ein ruhiges Leben haben; deine Tage wirst du bei uns verbringen, denn da ich alt bin, werden es die Menschen mir nachsehen, daß ich dich an mich herangezogen habe …«

Ljuba schwieg immer noch.

»Also was ist los, du mußt jetzt sprechen und darfst nicht schweigen: soll es so sein, oder nicht?«

Das Mädchen beugte sich aufs neue über die weiche und runde Hand ihrer Beschützerin und flüsterte:

»Sie wissen besser, was für mich gut ist: ich bin mit allem einverstanden.«

Auf diese zufällige Art wurde Pawlins Unglück mit Ljuba beschlossen und vorbereitet, freilich war Pawlin grausam in Ljuba verliebt, allein er hatte bisher nicht gewagt, an sie zu denken. Da aber nunmehr die Generalin für ihn nachgedacht und ihm die Pforten zum Paradies sperrangelweit geöffnet hatte, war es kein Wunder, daß der Verstand mit ihm durchging und daß er alle die Vernunftgründe in den Wind schlug, die ihn veranlaßt hatten, nimmermehr von Ljuba zu träumen.

Ich kann mich noch gut an seine Visite erinnern, mit der er mich beehrte, um mich zu bitten, Ljubas Brautführer zu sein; Pawlin war nicht wiederzuerkennen: er saß über ein Stunde bei mir und brachte die ganze Zeit damit zu, sich selber ein Kompliment nach dem andern zu machen, was er früher noch nie getan hatte. Der Gedanke, daß ihn ein junges Mädel liebe, hatte ihn so sehr aus dem Häuschen gebracht und ihm in so hohem Maße die Zunge gelockert, daß er eigentlich fast unerträglich schwatzhaft und sogar prahlerisch geworden war, wenn auch natürlich auf eine eigene Art. Aber auch in diesem Rausch der Redseligkeit verließ er immer noch nicht den Boden der Pflicht.

»Ich bin ein einfacher Mann,« sagte er: »aber ich bin gleichzeitig auch ein ziemlich belesener Mensch und sehen Sie, bitte, ich habe mich nicht vorzeitig verbraucht. Hätte ich mich nicht etwa schon längst verheiraten können? Es waren mehr als genug Frauen da, die mich genommen hätten, aber ich hatte eine Pflicht zu erfüllen und darum ging es nicht. Kurz gesagt: ich habe es meiner Verwandten wegen nicht getan. Es gab allerdings törichte Leute, die mir vorschwatzen wollten, daß meine Verwandten undankbar wären und daß ich im Alter ganz verlassen sein würde. Nun, und wenn schon, davor hatte ich keine Furcht. Ich half meinen Verwandten nicht etwa, um ihre Dankbarkeit hervorzurufen, sondern weil es meine Pflicht war: Und auch Ljubowj Andrejewna habe ich nicht etwa aufgezogen, um Dankbarkeit zu ernten, und nicht aus irgendwelchen anderen Gründen, und doch habe ich dabei erzielt, daß ich mein Glück und meine Lebensgefährtin in ihr gefunden habe. Man muß nur immer tun, was sich gehört, dann wird es uns zum Schluß stets zum Nutzen gewesen sein.«

Diese verallgemeinernde Folgerung interessierte mich und ich hörte gespannt zu, wie Pawlin alles hierauf zuspitzte: dabei kam unter anderem heraus, daß er auch die Fenster der armen Mietwohner nur zum Nutzen der Menschheit ausgehoben hatte, und zwar, weil sie, das heißt, Anna Lwowna, nicht mitleidig war und es ihm überhaupt notwendig erschien, daß niemand auf der Welt sich je auf irgendein Mitgefühl verließe, denn es gäbe zu wenig mitleidige Menschen und auch in denen könne man sich täuschen, dann aber sei »man noch schlimmer als zuvor« daran. Viel besser sei die Strenge: da kümmere sich ein jeder um sich selber und mache aus Furcht vor bösen Menschen immer jeweilig das Beste aus sich.

So wurde denn schließlich, weniger als zwei Wochen nach dieser Unterredung, Pawlin der Mann seines Ziehkindes, Ljubas – Mann, bald darauf aber wurde er noch etwas anderes, ein Leidtragender nämlich von ihrer Gnaden und von der Gnaden anderer, die weder seine Verdienste berücksichtigten, noch seine grauen Haare, noch die Vorzüge seines merkwürdigen, geraden und ehrenhaften Charakters.


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