Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel

Als Pawlin wieder zu sich gekommen war, erschien er spät abends bei mir und bat mich, ihm zu gestatten, bei mir übernachten zu dürfen, denn er fürchte sich, die Nacht in Anna Lwownas Hause zu verbringen, weil er, nachdem er die ganze Sache erfaßt, wie es sich gehöre, nunmehr Angst habe, daß er im Zorn vielleicht etwas tun könnte, was sich nicht gehöre. Es versteht sich von selbst, daß ich ihm das nicht verweigern konnte – und nun brach eine der sonderbarsten Nächte meines Lebens an, während derer ich stundenlang in den Tiefen einer fremden Seele lebte und bald die sengende Glut der Liebe und ihrer Qualen empfand, bald wieder die tödlichste, eisigste Kälte der furchtbaren Verzweiflung. Pawlin befand sich die ganze Zeit über im Zustande der heftigsten Erregung – aber was war das für eine Erregung? Sonderbar war sie und unverständlich. Ich möchte mich zur genaueren Bestimmung des Zustandes dieses Menschen eines Vergleiches aus der Bibel bedienen und sagen, daß er aus sich selber entrückt und schon auf einer so besonderen Stufe der Betrachtung angelangt war, daß sich ihm der Blick in das Verborgene öffnete. Sie erinnern sich vielleicht: in der Eremitage hängt unweit vom Rubenssaal ein mäßig großes Bild des Jüngsten Gerichtes, das der mittelalterliche Künstler äußerst scharf und fein ausgeführt hat. In der Mitte des Bildes ist eine symbolische Figur, und zwar steht sie so, daß sie gleichzeitig oben Gott in seiner Himmelsglorie sehen kann, und unten die Tiefe der Hölle mit dem Herrn der Finsternis und den vielen widerlichen Ungeheuern, die die Sünder quälen. Jedesmal, wenn ich vor diesem Bilde haltmache und die Gestalt anschaue, muß ich unwillkürlich an Pawlin denken: so sehr war, wie mir scheinen will, seine damalige seelische Verfassung jener Stellung der symbolischen Figur ähnlich. Und wenn es erlaubt ist, sich so auszudrücken, möchte ich hinzufügen, daß Pawlins Leid qualvoll war, aber gleichzeitig auch feierlich und andächtig: er war nicht kleinmütig geworden, er jammerte nicht und weinte nicht, doch hüllte er sich ebensowenig in jenes düstere oder stolze Schweigen, das viele als Charakterstärke anzusehen geneigt sind. Im Gegenteil: er erkannte, von wo aus sein Sturz geschehen und wie tief er noch zu stürzen und ein anderes Geschöpf mit sich zu ziehen hätte, – und nahm all das, was jetzt über ihn hereingebrochen, demütig wie den vollauf verdienten Streich der Rute des Lehrers hin und sprach darüber in einem völlig unerwarteten Tone der Selbstbezichtigung. Nachdem er in meine Wohnung gekommen, nahm er kurzerhand in meinem Salon Platz, ohne erst auf meine Aufforderung zu warten, und verharrte einige Minuten in tiefem und ruhigem Schweigen, wobei er seine Augen von einem Gegenstand zum anderen schweifen ließ und die auf dem Knie ruhende Hand bedächtig mit der anderen rieb, – plötzlich aber sah er mich mit einem schweren, ja fast müden Blicke an und fragte:

»Haben Sie bereits gehört?«

Ich antwortete bejahend.

Er schüttelte nachdenklich den Kopf und murmelte leise vor sich hin: »Entsetzlich!« gleich darauf jedoch schien er wieder zu sich zu kommen und fügte ein wenig lebhafter hinzu: »Sie werden verzeihen, daß ich so ohne weiteres … Platz genommen habe …«

»Aber ich bitte Sie, Pawlin Petrowitsch!«

»Die Knie zittern mir … Ich konnte nicht zur Ruhe kommen … bevor nicht sie's mir selbst gesagt … Ich mußte mich von allem überzeugen.«

»Nun, und haben Sie sie gefragt?«

Er entgegnete nichts, aber er neigte schweigend zum Ausdruck der Zustimmung den Kopf und warf erst nach einigen Augenblicken geheimnisvoll flüsternd hin:

»Eine Wohlgeborene! … Ihre ganze Seele hat sie mir eröffnet … an meiner Brust hat sie geweint und um Verzeihung gebeten …«

»Und haben Sie ihr verziehen?«

»Verziehen … ja, wieso denn? Als sie mir ihre Seele eröffnete, hat sie mir auch den Blick in mich selber aufgetan, und davor habe ich mich entsetzt. Was sie mir von ihrer Schuld erzählte, war wie der leichte Gesang einer Lerche, stieg auf und verschwand im Himmel: meine Sünde aber, die krächzte wie eine schmutzige Krähe tief unten und konnte sich nimmer von der Erde aufschwingen … Ich bin zu meinem Beichtvater gegangen; er hat mich getröstet und gesagt: ›Du hast das Gesetz gehalten, sie aber ist eine ungetreue Frau.‹ Erlauben Sie mal! … Das sind doch nichts als Feigenblätter, mit denen ich mich nicht zudecken kann. Gott weiß, wo mein Verstand war, als ich damals ihre Jugend an meine Jahre kettete? Ein Gewalttätiger bin ich, nichts mehr: ich sehe es ja, bin wie ein Berg ich hingestürzt, und ganz zerfallen … Sie meinen vielleicht, ich wäre der gleiche, der ich gestern war und vorgestern? Oh, nein; erst heute, am Tage des Jammers hat mir der Herr seine Gnade erwiesen: ich erkannte nur zu sehr, daß ich Staub bin, und ganz aus Vergänglichkeit erschaffen, daß alle Todsünden in mir heulen und ihren Samen aussäen können in mir: die Leidenschaft, der Stolz, die Unkeuschheit, die Wollust, die Eifersucht … und … und die Lust am Mord … Ach! ach! ach! …«

Er sprang auf und lief im Zimmer auf und ab:

»Verzeihen Sie … Ich … freilich bin ich nicht wert, daß mir jemand verzeihe, aber um Christi willen … im Namen Christ! … verzeihen Sie mir! … Da spreche ich und spreche ich … und kann nicht schweigen … Der Geist in mir … er bedrängt mich, wie ein Wein, der keine Öffnung findet … und regt das Gewissen auf und regt in der Kehle die Zunge … Ich bitte Sie nur um das eine … sollte mir etwas zustoßen … dann soll man wissen, daß ich es war, der sie ins Verderben gebracht hat … Oh, wie recht hat Gott … daß er mich so hart straft: ich segne den, der meine Seele so bitter gekränkt hat und werde alles zum Glück der beiden wenden.«

»Was wollen Sie tun?«

»Ich … ich wills so führen … daß ich den beiden nicht mehr hinderlich bin.«

»Wodurch wollen Sie das erreichen? … Sterben, was?«

Er blickte mich an und völlig unvermittelt kam ein Lächeln über ihn, ein ungemein merkwürdiges Lächeln, das seinem stolzen Gesicht einen guten und wunderbaren Ausdruck verlieh, den ich noch nie zuvor an ihm wahrgenommen hatte, er entgegnete mir nur dies:

»Ich werde sterben und dennoch leben. Man muß etwas für die Rettung tun. Sie ist jetzt zu Hause. Erlauben Sie mir, ein wenig bei Ihnen zu schlafen!«

Jetzt war der Wein sicherlich ausgebrochen und bedrängte seinen Geist nicht mehr. Er schien jetzt tief beruhigt zu sein und legte sich sogleich, nachdem er allein geblieben, auf den Diwan hin und schlief ein. Als Pawlin morgens aufstand, sich in der Küche wusch und darauf fortging, schlief ich noch. Mein Diener, der Pawlin aus Neugierde gefolgt war, sah, wie er in einer Kirche verschwand.


 << zurück weiter >>