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Zehntes Kapitel

Auch Awgust Matwejewitschs Zimmer stand, genau so wie die Offizierszimmer offen, nur mit dem Unterschiede, daß keine Kerze brannte: beim Zwielicht der Morgendämmerung konnte man einen sehr eleganten Koffer darin bemerken und noch andere Reiseutensilien. Und in der einen Ecke des Zimmers das Bett, das kaum berührt war.

Schritt man an diesem Zimmer vorüber, so stieg unwillkürlich der Wunsch auf, stehen zu bleiben und hineinzuschauen: was mochte wohl darin verborgen sein? Und woher und warum war dies alles über uns gekommen?

Mich persönlich zog es mächtig an, hineinzugehen und nachzuforschen, ob nicht am Ende die verschwundenen Gelder dennoch dort steckten – ob nicht am Ende er, der den Verlust erlitten, selber das Geld irgendwo verborgen und dann vergessen, und ob nicht diese ganze Geschichte, die uns so viel Aufregungen und den Verlust unseres vortrefflichen jungen Kameraden brachte, völlig nutzlos aufgebauscht war? Ich war drauf und dran, es zu tun; ich wollte in des Polen Zimmer schlüpfen und näherte mich zu diesem Zwecke bereits der Türe, doch wurde noch im letzten Augenblick mein unvorsichtiger Leichtsinn zum guten Glück durch eine völlig unerwartete Warnung zurückgehalten.

Vom Ende des Korridors und zwar von jener Seite, auf der das geräumige Zimmer des Rittmeisters lag, in dem wir nachts gespielt und gezecht hatten, drangen einige Stimmen her:

»Wohin? Wohin? … Diese Dummheit fehlte uns wahrlich noch!«

Beschämt machte ich halt. Meine Übereilung wurde mir mit einem Male klar und ebenso die Gefahr, die ich lief, denn konnte ich nicht durch diesen Schritt verdächtigt werden, in besonders nahem Zusammenhang mit der ganzen Sache zu stehen?

Ich bekreuzigte mich und eilte mit hastigem Schritt dorthin, von wo die warnenden Stimmen zu mir gedrungen waren.

Vor dem noch halbdunklen Fenster, das nach Norden ging, saßen auf dem schmutzigen Filzüberzug, der die ebenso schmutzige Bank, die dem Burschen des Rittmeisters zum Schlafen diente, bedeckte, drei unserer Offiziere und unser Regimentsgeistlicher mit seinem geflochtenen Zopf und seinem ungemein breiten rötlichblonden Barte, dessentwegen wir ihn immer »Pater Barbarossa« zu nennen pflegten. Er war ein sehr guter Mensch, der für alles, was das Regiment betraf, die lebhafteste Teilnahme hatte, der jedoch alles ohne Worte lediglich durch ein vieldeutiges Kopfnicken und das häufige Wiederholen des kurzen Wörtchens »Ja« auszudrücken pflegte. Er sprach nur in Fällen, in denen es unumgänglich notwendig war, doch zeichnete er sich dann durch besondere Findigkeit aus.

Die drei Offiziere und der Geistliche rauchten gemeinsam aus zwei Pfeifen, indem sie der Reihe nach den Rauch einsogen und darauf die Pfeife weiterreichten.

Da der Geistliche in der Mitte der Gruppe saß und daher die Pfeifen von rechts und von links immer durch seine Hand wanderten, hatte er vor den anderen die doppelte Portion des Genusses voraus und vergrößerte sie noch dadurch, daß er nach jedem stärkeren Zug sein ganzes Gesicht mit dem Barte zudeckte und durch diesen wunderbaren Respirator den Rauch sehr langsam ziehen ließ. Die Schlafbank, auf der die Braven saßen, war ganz in der Nähe der Türe, die zum Rittmeister führte, freilich war letztere fest verriegelt, hinter ihr aber fand ein lebhaftes, wenn auch in gemäßigtem Tone geführtes Gespräch statt. Man hörte sprechen und hörte auch Antworten, doch war kein Wort deutlich zu verstehen.

Dort hinter der verschlossenen Türe befanden sich unser Regimentskommandeur, unser Rittmeister und endlich Awgust Matwejewitsch, der Urheber all unserer heutigen Nöte. Der Oberst hatte sie eingeladen, das Zimmer mit ihm zu betreten, worüber sie jedoch dort sprechen wollten, war niemand bekannt. Die drei Offiziere und der Geistliche hatten aus eigenem Antriebe und aus eigener Umsichtigkeit in der Nähe der Türe Posto gefaßt, und zwar mehr aus dem Gefühle heraus, wenn die Auseinandersetzungen einen heftigen Charakter annehmen sollten, ihre Kameraden nicht ohne Schutz zu lassen.

Die Befürchtungen erwiesen sich jedoch als grundlos. Das Gespräch wurde, wie ich schon erwähnte, in einem anständigen Tone geführt, der nach und nach immer sanfter wurde und zum Schluß sogar nicht ohne freundschaftliche und gefühlvolle Töne war, bald darauf ertönte ein Rücken der Stühle, die Schritte zweier Männer näherten sich der Türe.

Der Schlüssel bewegte sich und es erschienen in der offenen Türe Awgust Matwejewitsch und unser Kommandeur.

Der Ausdruck ihrer Gesichter war, wenn man ihn auch nicht gerade sehr ruhig nennen konnte, jedenfalls völlig friedlich, und sogar freundschaftlich.

Noch an der Schwelle schüttelte der Oberst die Hand des Polen und sagte:

»Ich bin sehr erfreut, Gefühle für Sie hegen zu dürfen, die Sie mir trotz der furchtbaren Begleitumstände einzuflößen verstanden. Ich bitte Sie, meiner Aufrichtigkeit genau so vertrauen zu wollen, wie ich nunmehr an die Ihrige glaube.«

Der Pole entgegnete mit einer würdigen Verbeugung und begab sich schweigend in sein Zimmer, der Oberst jedoch wandte sich zu uns und sagte:

»Ich muß jetzt nach Hause. Ich bitte Sie, sich vollzählig zum Herrn Rittmeister begeben zu wollen, er wird Ihnen mitteilen, wonach wir uns von nun an zu richten haben.«

Und nach diesen Worten nickte uns der Oberst zu und schritt zum Ausgang, wir aber, soviel unserer auch waren, hatten uns bereits im Zimmer des Rittmeisters versammelt, noch ehe hinter unserem Kommandeur unten die Ausgangstüre ins Schloß gefallen war.


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